Am Anfang dieses Kapitels sagt uns der Apostel, was ein wahrer Christ ist. Er nennt ihn einen Brief Christi. Er ist eine Person, in dessen Herz Gott Christus eingeschrieben hat, so wie Mose das Gesetz auf steinerne Tafeln eingrub. Beim Christen ist – nicht das Gesetz, sondern – Christus eingeschrieben, nicht auf steinerne Tafeln, sondern auf fleischerne Tafeln des Herzens.
Jeder Ernstdenkende muss feststellen, dass dies nicht bei allen, die sich Christen nennen, der Fall ist. Da gibt es viele sehr liebenswürdige Menschen, aber auch andere, die eine schwierige Natur haben. Hier handelt es sich jedoch nicht bloss um natürliche Charakterunterschiede. Ein von Natur liebenswürdiger Charakter ist nicht dasselbe, wie wenn Christus in das Herz eingeschrieben ist; ein solcher ist noch nicht ein Christ, denn dies setzt eine echte, positive Wirksamkeit vonseiten Gottes voraus. Der Heilige Geist ist es, der Christus in das Herz eines Menschen einschreibt; Er bringt Christus in seine Gedanken, Worte und Wege hinein, in der gleichen Weise, wie das Gesetz auf Steine eingegraben wurde. Diese Feststellungen mögen vielleicht jemanden verletzen, aber doch bleibt bestehen, dass Christus der Gegenstand des Lebens eines wahren Christen ist. Dein eigenes Gewissen muss urteilen, ob Er dies auch für dich ist.
Das will nicht sagen, dass es bei einem solchen Christen nicht auch Verfehlungen geben kann. Ein Mann, der Geld verdienen will, hat dabei nicht immer Erfolg; aber jeder weiss, was sein Gegenstand ist. Und so ist für einen Gläubigen Christus der Gegenstand des Lebens.
Gott hat das Gesetz nicht gegeben, um den Menschen gerecht zu machen, sondern um zu beweisen, dass es keinen Gerechten gibt. Das Gesetz verurteilt jeden. Es war der Diener des Todes. Nachdem die Menschen aber das Gesetz übertreten hatten, sandte Gott seinen Sohn. «So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab.» – «Als die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn.» Der Sohn Gottes ist in diese Welt gekommen. Aber wie kam es, dass Er sie wieder verliess? Die Welt hat nichts von Ihm wissen wollen. Die Menschen haben Ihm ins Angesicht gespien!
Nun sage ich dir nichts von religiösen Pflichten, sondern frage dich: Ist Christus in dein Herz eingeschrieben? Wir können Ihn jetzt nicht töten, aber unsere Herzen können Ihn ebenso gut verwerfen, wie es einst die Juden getan haben. Ein ehrlicher Mensch, der noch nicht Christ ist, wird bekennen müssen, dass Christus vom Morgen bis zum Abend keinen Platz hat in seinem Herzen.
Wenn sich ein Christ von einem Ort zu einem anderen begab, war es Gewohnheit, dass man ihm einen Empfehlungsbrief mitgab. Doch der Apostel sagt: brauche ich einen Brief? Wollte sich einer über ihn erkundigen, so antwortete er: Schaut auf diese Korinther (denn sie wandelten nun gut): diese sind mein Brief. Wieso denn? Weil sie ein Brief Christi waren (Verse 1-3).
Bist auch du ein solcher Brief? Ist Christus auch in deinem Herzen?
Beachte auch den Ausspruch im 17. Vers: «Wo der Geist des Herrn ist, ist Freiheit.» Das ist nicht eine Freiheit, in der man sich vor Gott ängstigt und vor ihm zittert, oder in der man sich alles erlauben kann. Die Freiheit besteht darin, mit Ihm glücklich zu sein. Wenn der Heilige Geist einem Menschen seine Sünden zu zeigen beginnt, hat er keinerlei Freiheit. Sie erschrecken ihn dann, und er weiss nicht, was er mit ihnen tun soll. Die falsche Freiheit, in der er bisher lebte, ist weggenommen, und die wahre Freiheit hat er noch nicht erlangt. So ist es immer, bis die vollkommene Liebe Gottes erkannt wird.
Das Gesetz wird ihn dies niemals lehren. Nimm einmal an, ich geböte meinem Kind, mich zu lieben und spräche Drohungen aus, wenn es dies nicht täte. Würde es dadurch lernen, mich zu lieben? Nein, es würde sich vor mir fürchten und zittern. Das ist es, was das Gesetz bewirkt. Es vermag nicht Liebe hervorzubringen; es gibt nur Gebote. Was ist die Wirkung davon? Ich kann mich nicht in Gottes Gegenwart aufhalten. Als Mose auf dem Berg war, strahlte sein Angesicht. Er war vor Gott gewesen. Und als er mit den beiden Gesetzestafeln herabstieg, hatten die Kinder Israel Angst, sich ihm zu nähern. Er musste eine Decke auf sein Angesicht legen, wegen der Herrlichkeit, die darauf lag. Sie konnten es nicht ertragen, in die Herrlichkeit Gottes gestellt zu sein und sie zu betrachten. Die Offenbarung dieser Herrlichkeit hat auf den Sünder nur die Wirkung, dass er sich so weit wie möglich von dem entfernt, gegen den er gesündigt hat. Wie schrecklich, sich in einem solchen Zustand zu befinden!
Der Apostel nennt die Forderung Gottes durch das Gesetz «Dienst des Todes» und «Dienst der Verdammnis», weil es Gerechtigkeit fordert, aber nicht das hervorbringt, was Er verlangt. Jedes Mal, wenn jemand in seinem eigenen Verhalten das sucht, was er sein sollte, ist er unter dem Dienst des Todes und der Verdammnis. Christus wird nicht auf diese Weise in das Herz eingeschrieben.
Bevor wir Christus betrachten, so wie Er jetzt ist, lasst uns das anschauen, was Er war: Gott offenbart im Fleisch. In welchem Zustand hat Er den Menschen gefunden, als Er auf die Erde kam? Er fand ihn «unter der Sünde». Als Hiob in diesem Zustand war, sagte er: «Wenn ich mich mit Schnee wüsche und meine Hände mit Lauge reinigte, dann würdest du mich in die Grube tauchen, und meinen eigenen Kleidern würde vor mir ekeln … es gibt zwischen uns keinen Schiedsmann … sein Schrecken ängstige mich nicht: So will ich reden und ihn nicht fürchten; denn dazu habe ich keinen Grund» (Hiob 9,30-35).
Jetzt aber, was habe ich gefunden, nachdem nun Christus gekommen ist? «Einen Bürgen» – gerade das, was sich Hiob ersehnte. Empfand er vor Ihm Furcht? Fürchtet sich jemand vor Christus? Wie schuldbeladen ein Sünder auch sein mochte, so konnte er doch zu Christus gehen und durch Ihn zu Gott kommen. Hinderten mich meine Sünden, vor Gott zu treten, so konnten sie doch Gott nicht abhalten, zu mir zu kommen. Es gab keinen Sünder, den Christus nicht mit offenen Armen aufgenommen hätte. Er hat nicht gesagt: Erwirb dir Gerechtigkeit; dann magst du zu mir kommen und ich werde dich aufnehmen. Nein, Er ist herabgekommen, um uns zu begegnen. Das war etwas ganz Neues. Christus ist gekommen, um unsere Herzen zu gewinnen. Die Pharisäer warfen Ihm vor, Er nehme Sünder auf und esse mit ihnen. Das stimmt, antwortete er ihnen, aber ist ein Vater nicht glücklich, seinen Sohn wiederzufinden, der verloren war? So ist es auch mit meinem Vater, der in den Himmeln ist, und darum bin ich gekommen, zu suchen und zu erretten, was verloren ist. Das ist Gnade, aber auch Gerechtigkeit. Als der Vater dem verlorenen Sohn um den Hals fiel, war dieser noch in seinen Lumpen. So konnte der Vater ihn nicht in sein Haus einführen; das wäre diesem zur Unehre gewesen. Darum hat sich seine Liebe noch mehr offenbart – Jesus hat sich selbst für meine Sünden hingegeben, die mir den Eingang ins Haus des Vaters verunmöglichten. Der, gegen den ich gesündigt habe, ist derselbe, wie der, der meine Sünden auf sich geladen und sie zunichtegemacht hat.
Wo sehe ich nun die Herrlichkeit Gottes? Nicht mehr auf dem Angesicht Moses – wo ich sie nicht zu betrachten vermöchte. Ich sehe sie jetzt im Angesicht Jesu Christi, der für meine Sünden gestorben ist. Er konnte meine Sünden nicht in die Herrlichkeit bringen, und darum hat Er sie weggenommen. Ich habe sein Wort und sein Werk und die Herrlichkeit; und Gott gibt mir nun die Gerechtigkeit. Er geht nicht über die Sünden weg. Sie haben dem Herrn Jesus jenen Schweiss gekostet, der wie grosse Blutstropfen auf die Erde herabfiel. Er ist in Wirklichkeit durch alles hindurchgegangen, was die Heiligkeit Gottes forderte. Und nun ist Er in der Herrlichkeit; und jeder Strahl dieser Herrlichkeit, den ich sehe, ist ein Beweis, dass meine Sünden weggetan sind. Die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu sehen, ist etwas Wunderbares; denn Christus, den ich in der Herrlichkeit erblicke, ist der, der alle meine Sünden getragen hat. Wie liebe ich es, Ihn zu betrachten! Und auf diese Weise wird Christus durch den Heiligen Geist in mein Herz eingeschrieben. «Wir alle aber, mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn anschauend, werden verwandelt nach demselben Bild von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den Herrn, den Geist.» Das ist der «Dienst der Gerechtigkeit», weil der Heilige Geist gekommen ist, um uns zu offenbaren, dass es «durch den Gehorsam des einen» eine vollbrachte Gerechtigkeit gibt. Und es ist «der Dienst des Geistes», weil der Geist aufgrund der Gerechtigkeit gegeben worden ist. Der Gläubige hat nun Freiheit, da sein Gewissen völlig gereinigt ist. Wohl wird er hier auf der Erde Prüfungen und Kämpfe haben, aber zwischen ihm und Gott wird nie etwas anderes sein als vollkommener Friede.
So also schreibt Gott Christus ins Herz ein. Er gibt dem Menschen das Bewusstsein seiner völligen Verdammnis, indem Er ihm zeigt, dass seine Natur Feindschaft ist gegen Gott, dass er das Gesetz übertreten hat und dass er Christus nicht geliebt hat, als Er in Gnade kam. Wenn der Mensch in seinem Gewissen zu diesem Punkt geführt worden ist, erkennt er, dass der Gott, gegen den er gesündigt hat, in Christus gekommen ist, um eine Gerechtigkeit für ihn zu erwerben, und dass dieser Christus jetzt als Mensch in der Herrlichkeit des Himmels ist. Beachte noch, wie das Herz lernt, auf Gott zu vertrauen, Als ich noch in meinen Sünden war, ist Gott gekommen, um sie wegzunehmen. Gerade meine Sünden sind es, die mir den grössten Beweis seiner Liebe geben. Er hat Christus für sie hingegeben. Welche Liebe! Nun kann ich mich Ihm wohl für alles Übrige anvertrauen.
Erlaube mir, dich zu fragen: stützt sich dein Vertrauen auf Gott? Unterwirft sich dein Herz seiner Gerechtigkeit, weil du gar keine Gerechtigkeit in dir selbst siehst? O wie hart ist es für das Herz, so zerschlagen zu werden, dass es sich nur noch danach ausstreckt, die Gerechtigkeit durch den Gehorsam eines anderen zu erlangen! «Durch den Gehorsam des einen werden die vielen in die Stellung von Gerechten gesetzt werden» (Röm 5,19). Aber wenn du die Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi gesehen hast, wirst du nur noch wünschen, in Ihm gefunden zu werden, indem du nicht deine Gerechtigkeit hast, «die aus dem Gesetz ist, sondern die, die durch den Glauben an Christus ist – die Gerechtigkeit aus Gott durch den Glauben» (Phil 3,9).