Der Korb der Erstlingsfrüchte

5. Mose 26,1-11

In der Verordnung über die Darbringung des Korbes der Erstlingsfrüchte wird uns der Israelit in einem besonderen Charakter gezeigt: Als Anbeter vor dem HERRN, der in seiner Güte das Volk aus Ägypten erkauft und ins Land Kanaan verpflanzt hat. Der Israelit sollte diesen Dienst der Anbetung erfüllen, sobald er in das Land gekommen war, das der HERR, sein Gott, ihm zum Besitztum gegeben hatte. Da, im vollen Genuss der Segnungen, konnte er in seinen Handlungen und Worten von der Befreiung und der Treue Gottes, vor dem er sich aufhielt, und den er anbetete, Zeugnis geben.

Der Israelit ist hier ein glücklicher Zeuge dieser Güte. Er geniesst die vollen Ergebnisse der Treue des HERRN, die sich für Israel in der Erfüllung aller seiner Verheissungen bezüglich ihrer Einführung in Kanaan, ihrem irdischen Erbteil, erwiesen hat.

Der Korb der Erstlingsfrüchte ist eine Verordnung, die völlig verschieden ist von den anderen Einrichtungen in Israel. Ihr Charakter und ihre Bedeutung sind besonderer Art. Die Feste des HERRN stellten Israel als Nation dar; sie waren Vorbilder der Erlösung und der Grundlagen der Beziehung, in die das Volk zu dem HERRN gebracht war. Die Opfer und das Priestertum zeigten, was nötig war, um einem Gott der Heiligkeit nahen zu können, um mit seinem Wesen in Übereinstimmung zu kommen. Der Korb der Erstlingsfrüchte hingegen redet nicht von Erlösung, sondern vom Erbteil. Die Anbetung, die sich darauf bezieht, ist persönlich und nicht kollektiv. Der Anbeter befindet sich da im vollen und ganzen Genuss alles dessen, was die Treue Gottes verheissen hatte; sein Opfer, sein Bekenntnis, seine innere Freude zeugen von einer erfüllten Segnung. Es ist ein Opfer der Danksagung, ein Opfer des Lobes.

Das Bekenntnis des eigenen Zustandes, des Elends und der Schwachheit, die Erkenntnis der Barmherzigkeit und der Erlösung sind jedoch nur Schritte auf dem Pfad, die zum Besitz des Erbteils des HERRN führten; zweifellos notwendige Schritte auf dem Weg, auf dem der HERR in seiner Treue das Volk in sein Erbteil geführt hatte, in das «Land, das von Milch und Honig fliesst».

Hier ist der Anbeter im Besitz des Erbteils, und er kommt mit seinem Korb an den Ort, wohin der HERR seinen Namen gesetzt hatte. «Du sollst» – so lautete die Verordnung – «an den Ort gehen, den der HERR, dein Gott, erwählen wird, um seinen Namen dort wohnen zu lassen.» – «Und du sollst sie (die Erstlinge der Frucht des Landes) vor dem HERRN, deinem Gott, niederlegen und anbeten vor dem HERRN, deinem Gott.»

Welch wunderbare Wesenszüge der Anbetung haben wir hier! Welche Einfachheit und welche Vollkommenheit! Sie rühmt Gott in seinen Offenbarungen der Güte, in die der Anbeter jetzt eingeführt ist. Er ist nicht als ein Fremder ins Land gekommen, sondern als einer, der durch den HERRN zu dessen Besitzer gemacht worden ist. Er hat es ihm gegeben. Der Israelit hatte mit seinen eigenen Händen die Erstlinge gesammelt – Beweise der Fruchtbarkeit des Landes – und sie in einen Korb gelegt, um sie dem HERRN darzubringen. Das waren die Erstlingsfrüchte des Erdbodens, den der HERR, sein Gott, ihm gegeben hatte, von dem Land, das er besass und in dem er wohnte. Diese Früchte wurden an den Ort gebracht, den der HERR erwählt hatte, um seinen Namen dort wohnen zu lassen: an den für das Zusammentreffen zwischen dem Anbeter und dem HERRN bezeichneten Ort. «An jedem Ort, wo ich meines Namens werde gedenken lassen, werde ich zu dir kommen und dich segnen» (2. Mo 20,24). Der Priester, der Mittler, der nötig ist, um nahen zu können, ist da, und er hat einen besonderen Dienst: «Der Priester soll den Korb aus deiner Hand nehmen und ihn vor den Altar des HERRN, deines Gottes, niedersetzen» (Vers 4), somit an den Ort, wo Sühnung getan wurde. Wir haben hier also

  • das Erbteil
  • den Anbeter
  • das Opfer
  • den Priester
  • den Altar
  • die zugesicherte Gegenwart Gottes

Dann folgt das Bekenntnis: «Und du sollst vor dem HERRN, deinem Gott, anheben und sprechen: Ein umherirrender Aramäer war mein Vater; und er zog nach Ägypten hinab und hielt sich dort auf als ein geringes Häuflein; und er wurde dort zu einer grossen, starken und zahlreichen Nation. Und die Ägypter misshandelten uns und bedrückten uns und legten uns einen harten Dienst auf. Da schrien wir zu dem HERRN, dem Gott unserer Väter; und der HERR hörte unsere Stimme und sah unser Elend und unsere Mühsal und unseren Druck. Und der HERR führte uns aus Ägypten heraus mit starker Hand und mit ausgestrecktem Arm und mit grossem Schrecken und mit Zeichen und mit Wundern; und er brachte uns an diesen Ort und gab uns dieses Land, ein Land, das von Milch und Honig fliesst» (Verse 5-9).

Der Anbeter legt ein Bekenntnis ab von der Schwachheit und dem Elend, die das Volk, das Gott erlöste, ursprünglich gekennzeichnet hat. Er denkt an Ägypten, das Land der Knechtschaft, und erwähnt die durch den HERRN bewirkte Befreiung als Antwort auf das Schreien seines bedrückten Volkes. Die Erlösung wird in ihrer ganzen Kraft als Werk des HERRN anerkannt. Und schliesslich wird vom Erbteil gesprochen, das der HERR seinem Volk gegeben hat, als von einem «Land, das von Milch und Honig fliesst», so wie es schon beschrieben wurde, als es noch ein Land der Verheissung war.

Im zehnten Vers haben wir einen rührenden und lehrreichen Wechsel in der Redeweise des Anbeters. Er begnügt sich nicht mehr damit, alles aufzuzählen, was der HERR getan hat; er wendet sich jetzt direkt an Ihn. Und mit welcher Einfachheit! So ist es immer, wenn das Herz sich seiner Gegenwart bewusst ist. «Und nun siehe, ich habe die Erstlinge der Frucht des Landes gebracht, das du, HERR, mir gegeben hast.»

Als Schlusselement wird auch die Freude erwähnt. Sie ist der angemessene Ausdruck, die Frucht des Herzens, hervorgerufen durch den Genuss alles dessen, was Gott für den Anbeter getan hat, alles dessen, was Er ihm gegeben hat und der Beziehung, in der er sich vor Gott befand. Daher werden die Worte so oft wiederholt: «Der HERR, dein Gott». Der «Levit und der Fremde» werden hier eingeführt: Auch sie haben das Recht, an der Freude teilzunehmen, die aus der Quelle der Gnade und der Güte des HERRN hervorfliesst.

In seinem eigentlichen Charakter betrachtet, werden in diesem Opfer des Israeliten vor dem HERRN die Erstlinge aller Früchte seiner Erde dargestellt. Als erstes wird Gott anerkannt; der Anbeter freut sich in Ihm aller Segnungen und des Erbteils, das Gott ihm in seiner Güte gegeben hat. Es handelt sich nicht um Segnungen, die von Gott getrennt sind, sondern um Gott, der in den Segnungen erkannt und gesehen wird. Alle Segnungen, die uns die Hand Gottes zugemessen hat, sollten uns also mit den Erstlingsfrüchten des Lobes zu Gott selbst führen, sonst könnten sie das Herz von Gott entfernen; der Genuss dessen, was seine Güte uns gegeben hat, könnte uns ihn vergessen lassen.

Obwohl das, was soeben gesagt wurde, sich zunächst auf zeitliche Segnungen bezieht, so lässt sich dies oft auch auf die Segnungen anwenden, die uns durch die Erlösung und die Gnade erworben worden sind. Wie viele Personen gibt es doch, die mehr auf ihrer Sicherheit in Christus als auf Christus selbst ruhen – mehr auf den Ergebnissen der Erlösung bezüglich ihrer Glückseligkeit und ihrer Hoffnung als auf dem Genuss der ewigen Segnung in der Gemeinschaft mit Gott! Und wie viele, die zwar einen Schritt weiter gekommen sind, bleiben praktisch noch bei der Erkenntnis ihrer Stellung in Christus stehen, statt sich in Gott zu freuen und sich nach Ihm auszustrecken, um Ihn kennen zu lernen, Ihn, die Quelle ihrer Segnungen, dem aller Dank und alles Lob zukommen! «Christus hat einmal für Sünden gelitten, der Gerechte für die Ungerechten, damit er uns zu Gott führe» (1. Pet 3,18). Die Erstlingsfrüchte des Erbteils, das Gott uns in Christus gegeben hat, sollten mit überfliessenden Herzen vor Gott gebracht werden. Im Genuss jeder Segnung sollte Gott in unseren Gedanken den ersten Platz haben. Durch sein Eingreifen in Gnade hat Er sich seinem Volk kundgemacht; daher sind der Charakter des Gebers und die Zuneigungen seines Herzens der Ursprung jeder Segnung. «Gott ist Liebe»; und um die Liebe zu kennen, muss man sie geniessen. Darin finden wir eine unendliche Freude.

Gott hat sich seinem Volk durch seine Taten kundgetan; durch sie allein konnte Er in vollkommener Weise offenbart werden, sei es in Verbindung mit der Erlösung seines irdischen Volkes, oder mit der Erlösung, der Gnade und dem ewigen Erbteil, die wir geniessen, als die Früchte seiner Liebe, die durch den Tod, die Auferstehung, die Auffahrt und die Verherrlichung unseres Herrn Jesus Christus unser Teil geworden sind. Das ist Gott; Er hat im ganzen Ausmass seiner Liebe gehandelt und hat so unseren Herzen seine wahre Natur kundgemacht. So formt Gott die Gedanken der Seinen, um sie in der Anbetung zu leiten. Wie weit ist dies entfernt von der kalten Aufzählung bekannter Wahrheiten vor dem Herrn, die oft mehr aus dem Gedächtnis als aus dem Herzen kommt!

So angemessen der Charakter des Bekenntnisses vom früheren Zustand des Anbeters war, das das Opfer begleitete, so war für den Israeliten doch der Korb der Erstlingsfrüchte das wirkliche Zeugnis in der Gegenwart Gottes von dem, was Er seinem Volk gegeben hatte. Ach! Wenn wir in unseren Herzen nicht durch den Glauben etwas von unserem Erbteil in Christus gesammelt haben – wenn wir als Anbeter vor Gott nur das Bekenntnis unseres von Natur bösen Zustandes zum Ausdruck bringen, so wahr dies auch ist, oder die einfache Erkenntnis der Erlösung, so sicher diese auch ist – wenn in den Herzen nicht lebhafte Zuneigungen entfacht worden sind, indem sie «geschmeckt haben, dass der Herr gütig ist» – wenn wir also in unserer Seele diese Früchte seiner Liebe nicht gesammelt haben, um sie Ihm in Lob und Dank darzubringen – so wären wir einem Israeliten vergleichbar, der ohne seinen Korb oder mit einem leeren Korb gekommen wäre – und dies diente mehr zur Verunehrung als zur Verherrlichung des Herrn. Man muss den Korb mit den Erstlingsfrüchten bringen, denn es steht geschrieben: «Du sollst sie vor dem HERRN, deinem Gott, niederlegen und anbeten vor dem HERRN, deinem Gott.» Wenn der Israelit nicht in dem Land gewohnt hätte, so hätte er keine Früchte bringen können. «Der uns aber mit euch befestigt in Christus (oder «mit Christus fest verbindet») und uns gesalbt hat, ist Gott, der uns auch versiegelt hat und das Unterpfand des Geistes in unsere Herzen gegeben hat» (2. Kor 1,21). Dass wir doch fest mit Christus verbunden blieben und die Früchte unseres Erbteils unaufhörlich ernteten, um sagen zu können: «Und nun siehe, ich habe die Erstlinge der Frucht des Landes gebracht, das du, HERR, mir gegeben hast!»