Gehorsam und Liebe

1. Johannes 2,3-11

Gehorsam gegen Gott und Liebe sind die beiden Wesenszüge des göttlichen Lebens in den Gläubigen. Vollkommener Gehorsam war das besondere Kennzeichen des Lebens Christi auf der Erde. Er war hier allezeit der abhängige und gehorsame Mensch. In der Rolle des Buches stand von Ihm geschrieben: «Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun» (Heb 10,7). Als Er hier auf der Erde wandelte, konnte Er sagen: «Ich suche nicht meinen Willen, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat … Der mich gesandt hat, ist mit mir; er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue» (Joh 5,30; 8,29).

Auf seinem Pfad des Gehorsams gegenüber dem Vater gab sich aber ebenso klar auch die Liebe Gottes zu den Menschen kund. Alle Worte, Wege und Handlungen Christi redeten laut von der Liebe Gottes zu seinen schuldigen Geschöpfen. Das Kreuz war die volle Offenbarung dieser Liebe, wie auch der höchste Ausdruck seines vorbehaltlosen Gehorsams. Im Leben Christi waren vollkommener Gehorsam und vollkommene Liebe unauflösbar miteinander verbunden, und dieses Leben in Christus, in dem sich diese beiden Dinge entfalteten, ist nun durch die Gnade den Gläubigen mitgeteilt worden.

In Christus gab es keinerlei Unvollkommenheit. Sein Gehorsam war ebenso vollkommen wie seine Liebe. In uns ist vieles, was dazu angetan ist, die Offenbarung dieses Lebens zu hindern, doch ist das Leben in uns, seiner Natur und seinen charakteristischen Eigenschaften nach, dem des Christus gleich: Es ist dasselbe Leben. Sowohl in Ihm als auch in uns gibt es sich durch Gehorsam kund. «Hieran wissen wir, dass wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten» (1. Joh 2,3). Wo dieser Gehorsam fehlt, da fehlt alles, mag man ein noch so hohes Bekenntnis im Mund führen. «Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner, und in diesem ist die Wahrheit nicht» (Vers 4).

Der zweite Wesenszug des göttlichen Lebens kann vom erstgenannten nicht getrennt werden. Wo Gehorsam ist, da wird auch Liebe sein, denn beides gehört demselben Leben, derselben Natur an. «Wer aber irgend sein Wort hält» – also gehorsam ist – «in diesem ist wahrhaftig die Liebe Gottes vollendet. Hieran wissen wir, dass wir in ihm sind» (Vers 5). Sein Wort ist der Ausdruck dessen, was Er ist, der Ausdruck seiner Natur. «Gott ist Liebe.» Wenn wir also sein Wort halten, so ist seine Liebe vollendet in uns.

Aber «seine Gebote» sind nicht nur der Ausdruck dessen, was Er ist, sondern auch seiner Autorität. Wir sind berufen zu gehorchen und zwar so, wie Christus gehorcht hat. Wir sind auserwählt «durch Heiligung des Geistes, zum Gehorsam … Jesu Christi» (1. Pet 1,2). «Wer sagt, dass er in ihm bleibe, ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie er gewandelt ist» (1. Joh 2,6), das heisst im Gehorsam gegen Gott, denn das war sein Leben. Da war keine Regung in seiner Seele, keine äussere Auswirkung seines Lebens, die nicht Gehorsam gegen den Willen seines Vaters gewesen wäre. Wahrlich, es ist ein grosses und kostbares Vorrecht, in seinem Weg die Vollkommenheit seines völligen Gehorsams zu betrachten! Glückselig alle, die seinen Spuren folgen und so wandeln, wie Er gewandelt hat!

Das Gebot, wie Christus zu gehorchen und wie Er zu wandeln, war nicht ein «neues Gebot». Es war das Wort, das sie von Anfang gehört hatten, in Verbindung mit der Offenbarung des göttlichen Lebens in Christus. Es war das Gebot des Vaters an Christus, nach seinen eigenen Worten: «Denn ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, er hat mir ein Gebot gegeben, was ich sagen und was ich reden soll; und ich weiss, dass sein Gebot ewiges Leben ist. Was ich nun rede, rede ich so, wie mir der Vater gesagt hat» (Joh 12,49.50). Darum sagt Johannes von dem Gebot, es sei «alt». Doch nennt er es auch «ein neues Gebot», weil es nun auch in uns wahr ist. «Sein Gebot ist ewiges Leben», also der Ausdruck davon, und wurde zuerst in Christus gesehen. Jetzt aber ist es auch wahr in uns, «weil die Finsternis vergeht und das wahrhaftige Licht schon leuchtet» (Vers 8). Nachdem nun Christus weggegangen und verherrlicht war, leuchtete das Licht des Lebens umso heller und vertrieb die Finsternis. Dieses Leben für den Menschen und in dem Menschen, als Frucht des vollbrachten Erlösungswerkes, das Leben des Gläubigen in Christus, das Leben im Geist, war eine neue Sache. Es ist Christus in uns, Christus als unser Leben. Wir haben teil an seiner Natur, wir sind in Ihm und Er ist in uns. Das Gebot ist «alt», weil der Gehorsam, der dieses Leben kennzeichnet, von Anfang an in Ihm gesehen worden war. Es ist «neu», weil dieselbe Sache jetzt in dem Gläubigen gesehen wird: «Was wahr ist in ihm und in euch.»

Solange die Erlösung nicht vollbracht war, blieb Christus allein. Jetzt aber ist Er nicht mehr allein, wir sind in Ihm und Er ist in uns. Eine wunderbare Wahrheit, die den Kindern Gottes einen nicht weniger wunderbaren Charakter verleiht! Der Heilige Geist in uns ist die Kraft von diesem allem, gleichsam die göttliche Antwort in uns hier auf der Erde auf alles das, was Christus als Mensch in der Herrlichkeit droben ist. Es handelt sich nicht mehr um einen Christus, der als Mensch allein in dieser Welt wandelte, sondern Christus ist jetzt in den Gläubigen, und «das ewige Leben» ist in ihnen entfaltet. Im Johannesbrief wird Christus als das «ewige Leben» hier in dieser Welt betrachtet, zuerst allein und dann in den Heiligen: «Was wahr ist in ihm und in euch.» Und dieses Leben, sei es in Christus allein, oder in Ihm und in uns, ist zunächst ein Leben des Gehorsams und dann ein Leben der Liebe.

In 1. Johannes 2,3-8 finden wir Gehorsam und Ungehorsam, in den Versen 9-11 Liebe und Hass. Gehorsam und Liebe kennzeichnen diese, die im Licht sind, Ungehorsam und Hass aber jene, die in der Finsternis sind. Jemand mag sagen, dass er in dem Licht sei, wenn er aber seinen Bruder hasst, ist er noch in der Finsternis und hat das Licht noch nicht gesehen. Er «wandelt in der Finsternis und weiss nicht, wohin er geht, weil die Finsternis seine Augen verblendet hat». Er kennt das «Licht des Lebens» nicht. Sehen wir aber irgendwo göttliche Liebe gegen einen Bruder in Tätigkeit, so können wir sagen: Das ist einer, der im Licht bleibt. Ein solcher hat den Gott gefunden, der Licht ist, und indem er das Licht gefunden hat, besitzt er auch die Liebe, denn «Gott ist Licht» und «Gott ist Liebe». Wir können nicht das eine ohne das andere besitzen, so wenig wie man die Sonne haben kann, ohne zugleich auch Licht und Wärme zu besitzen. «Wer seinen Bruder liebt, bleibt in dem Licht, und kein Ärgernis ist in ihm.»

Das Licht vertreibt die Finsternis, und in dem Licht ist keinerlei Anlass zum Straucheln vorhanden. «Denn der Gott, der sprach: Aus Finsternis leuchte Licht, ist es, der in unsere Herzen geleuchtet hat zum Lichtglanz der Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes im Angesicht Jesu Christi» (2. Kor 4,6). Welch eine anbetungswürdige Gnade für solche, die «einst Finsternis» waren, nun aber «Licht im Herrn» sind!

Sind unsere Augen geöffnet worden, um das Licht zu sehen? Haben unsere Herzen die Liebe wirklich geschmeckt? Oh, so lasst uns «in Liebe wandeln, wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch» (Eph 5,2). Lasst uns wandeln «als Kinder des Lichts (denn die Frucht des Lichts besteht in aller Gütigkeit und Gerechtigkeit und Wahrheit), indem wir prüfen, was dem Herrn wohlgefällig ist» (Eph 5,8-10). Ja, möchten wir wandeln in dem Licht der Gegenwart dessen, der sagen konnte: «Siehe, ich komme, um deinen Willen, o Gott, zu tun», der diesen Pfad des Gehorsams keinen Augenblick verliess, und der, nachdem Er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, sie bis ans Ende liebt!

«Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen» (Joh 14,23).