Wir lesen in 2. Korinther 5,20: «So sind wir nun Gesandte für Christus, als ob Gott durch uns ermahnte; wir bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!»
Lässt sich diese Aussage nur auf den Apostel Paulus und auf seine Mitarbeiter anwenden, oder geht sie auch jeden Gläubigen an? Gewiss, der Apostel sprach hier in erster Linie vom Dienst, den er «von dem Herrn Jesus empfangen» hatte, «zu bezeugen das Evangelium der Gnade Gottes» (Apg 20,24). Doch hatte er die Gläubigen wiederholt aufgefordert, seine Nachahmer zu sein, und auch der Abschnitt, dem unser Zitat entnommen ist, macht es deutlich, dass alle Kinder Gottes ohne Ausnahme dazu berufen sind, Gesandte für Christus zu sein. «Alles aber», sagt der Apostel, «von dem Gott, der uns mit sich selbst versöhnt hat durch Christus und uns den Dienst der Versöhnung gegeben hat … und er hat in uns das Wort der Versöhnung niedergelegt. So sind wir nun Gesandte für Christus.» Es ist klar, dass das Werk der Versöhnung, das Christus vollbracht hat, sich auf jeden Gläubigen anwendet, und daher ist auch der Dienst der Versöhnung uns allen gegeben worden, indem er aus allen Erlösten Gesandte für Christus macht.
Wenn wir auf diese Tatsache Nachdruck legen, so geschieht es, weil manche Gläubige sich für diesen Dienst als nicht zuständig erklären, mit der Begründung, dass sie nicht die Gabe eines Evangelisten empfangen hätten und daher nicht dazu geeignet seien, Seelen zu Christus zu führen. Es handelt sich hier um eine bedauerliche Verwechslung. Es ist wohl so: Nicht alle haben die Gabe eines Evangelisten empfangen, wie sie in Epheser 4,11 erwähnt wird, nicht alle haben die Berufung vom Herrn, das Evangelium öffentlich zu verkündigen, sei es in nächster Nähe oder auf einem entfernten Missionsfeld. Diese Aufgabe ist nur einer Minderheit anvertraut worden, doch sagt der Herr auch: «Die Ernte zwar ist gross, die Arbeiter aber sind wenige. Bittet nun den Herrn der Ernte, dass er Arbeiter in seine Ernte aussende» (Mt 9,37.38). Dies bedeutet, dass mehrere, die vom Herrn berufen und ausgerüstet sind, noch nötig haben, getrieben zu werden, in seine Ernte auszugehen, um sich dort von Ihm verwenden zu lassen.
Neben dieser besonderen Berufung zu einem öffentlichen Dienst haben aber auch alle Gläubigen die Aufgabe eines Gesandten für Christus zu erfüllen. Wir brauchen dabei nur die Briefe zu lesen, um festzustellen, dass die Gläubigen im Anfang sich ihrer Verantwortung in dieser Hinsicht völlig bewusst waren. So nahmen die Philipper vom ersten Tag, also von ihrer Bekehrung an, einen regen Anteil am Evangelium (Phil 1,5). Sogar Schwestern hatten mit dem Apostel Paulus in dem Evangelium gekämpft (Phil 4,3). Er ermunterte die Korinther, allezeit im Werk des Herrn zu überströmen, indem er sie daran erinnerte, dass ihre Mühe nicht vergeblich sein würde im Herrn (1. Kor 15,58). Er war auch unablässig gedenkend des Werkes des Glaubens und der Bemühung der Liebe der Thessalonicher (1. Thes 1,3).
Wie steht es bei uns? Verdienen wir den Titel «Gesandte für Christus» und «Mitarbeiter Gottes» (1. Kor 3,9)? Oder machen wir es wie der Sohn im Gleichnis, zu dem der Vater sagt: «Mein Sohn, geh heute hin, arbeite im Weinberg», und der antwortet: «Ich gehe, Herr», aber doch nicht ging? (Mt 21,28-30). Das sind ernste Fragen, auf die der Schreiber und die Leser dieser Zeilen dem Herrn Antwort geben müssen. «Jeder aber prüfe sein eigenes Werk … denn jeder wird seine eigene Last tragen» (Gal 6,4.5), das heisst, seine eigene Verantwortung.
Der Wunsch, ein Gesandter für Christus zu sein, entspringt einer dreifachen Überzeugung:
- Der Gläubige ist von der göttlichen Gnade durchdrungen, die ihm selbst zuteilgeworden ist;
- er kennt das schreckliche Los, das die Unbußfertigen erwartet;
- er ist sich bewusst, dass uns diese Aufgabe vom Herrn anvertraut worden ist.
In der Tat, jeder, der unter dem tiefen Eindruck der Gnade steht, die Gott ihm erwiesen hat, indem Er ihn vom ewigen Tod errettete, um ihn zu einem glückseligen Erlösten des Herrn zu machen, wird notwendigerweise den Wunsch empfinden, auch andere mit dieser Gnade in Verbindung zu bringen. Geniesst er die herrlichen Ergebnisse des Werkes des Herrn am Kreuz für sich selbst, dann wird er gedrängt, auch andere mit dem Evangelium bekannt zu machen, damit auch sie an diesem Glück Anteil haben werden. Dass wir oft so nachlässige Gesandte sind, kommt es nicht vor allem davon her, dass wir selbst zu wenig geschmeckt haben, dass der Herr gütig ist? (1. Pet 2,3).
Dann sollten wir auch gedrängt werden durch den Gedanken an das schreckliche Gericht, dem die Ungläubigen entgegengehen. Diese Tatsache stand unaufhörlich vor den Augen des Apostels Paulus. Er schreibt: «Da wir nun den Schrecken des Herrn kennen, so überreden wir die Menschen … wir bitten an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!» (2. Kor 5,11.20). Wären wir uns beständig bewusst, wie furchtbar es ist, «in die Hände des lebendigen Gottes zu fallen» (Heb 10,31), hätten wir es mehr am Herzen, den Sündern das einzige Mittel vorzustellen, um dem Gericht zu entrinnen.
Schliesslich soll jedes Kind Gottes davon durchdrungen sein, dass der Herr von ihm die treue Erfüllung dieses Auftrages eines Gesandten erwartet. Welche Freude für sein Herz, wenn ein Sünder Buße tut! Möchten wir Ihm nicht diese Freude bereiten und sie mit Ihm teilen?
In der letzten Nacht, die Er mit seinen Jüngern vor seiner Kreuzigung verbrachte, erinnerte der Herr Jesus zweimal daran, dass Er sie in die Welt sandte. «Ich habe euch auserwählt und euch dazu bestimmt, dass ihr hingeht und Frucht bringt und eure Frucht bleibe» (Joh 15,16). Und, sich an den Vater wendend, spricht Er: «Wie du mich in die Welt gesandt hast, habe auch ich sie in die Welt gesandt» (Joh 17,18). Noch am Abend seiner Auferstehung sagte Er zu seinen Jüngern: «Friede euch! Wie der Vater mich ausgesandt hat, sende auch ich euch» (Joh 20,21). Wir alle sind also «Gesandte des Herrn». Das Merkmal eines Gesandten ist, dass er dahin geht, wo sein Meister ihn hinsendet und seinen Auftrag dort ausführt. Als der junge Prophet Jesaja die Stimme des Herrn hörte: «Wen soll ich senden und wer wird für uns gehen?», antwortete er: «Hier bin ich, sende mich.» – Und er sprach: «Geh hin und sprich …» (Jes 6,8.9).
So sollen auch wir hingehen zu den Menschen, zu denen der Herr uns sendet, und sie «für Christus», das heisst an seiner statt bitten, sich mit Gott versöhnen zu lassen. Wir alle haben den Auftrag, Seelen für Christus zu gewinnen. Nur so werden wir seine Gesandten sein und jenen Dienst erfüllen, der von jeher jedem Gläubigen auferlegt ist: «Ihr werdet meine Zeugen sein … bis an das Ende der Erde» (Apg 1,8). Und er sprach zu ihnen: «Geht hin in die ganze Welt und predigt der ganzen Schöpfung das Evangelium» (Mk 16,15). Wie wir bereits darauf hingewiesen haben, ist damit nicht gemeint, dass wir notwendigerweise alle in die Ferne ziehen sollen oder dass wir alle berufen seien, öffentlich zu predigen. Folgen wir zunächst dem Beispiel von Andreas, der, als er seinem Bruder Simon begegnete, ihm einfach sagte: «Wir haben den Messias gefunden» und ihn zu Jesus führte (Joh 1,42). Fangen wir an, zu unseren Nächsten zu reden von dem, den wir gefunden haben, und sie zu Ihm zu führen! Petrus wurde ein mächtigerer Apostel als Andreas, aber es war Andreas, der ihn zu Jesus führte. Wie viele einfache Gläubige, ohne besondere Gaben, waren das Werkzeug der Bekehrung von Menschen, durch deren Dienst der Herr grosse Dinge tun konnte!
Es sei auch daran erinnert, dass der Herr nicht wiederkommen wird, ehe der letzte Auserwählte errettet worden ist. Auch das sollte uns ermuntern, Seelen für Christus zu gewinnen. Schämen wir uns daher des Evangeliums nicht, denn auch heute noch ist es «Gottes Kraft zum Heil jedem Glaubenden» (Röm 1,16). «Denn wer irgend sich meiner und meiner Worte schämt, dessen wird sich der Sohn des Menschen schämen, wenn er kommt in seiner Herrlichkeit und der des Vaters und der heiligen Engel» (Lk 9,26).
Wenn der Herr uns nach unserer Bekehrung auf der Erde liess, so deshalb, weil Er will, dass wir anderen die grossen Dinge verkündigen, die Er an uns getan hat. Er erwartet von seinen Erlösten, dass sie ihr Licht leuchten lassen vor den Menschen, damit sie, die noch in der Finsternis sind, auch zu seinem wunderbaren Lichte kommen (1. Pet 2,9). Jedes Werk, das Christus seit Pfingsten in dieser Welt gewirkt hat, ist mittels der Seinen geschehen, die sich von Ihm in der Kraft des Heiligen Geistes gebrauchen liessen. Nur dann werden Seelen errettet, wenn sich von Geschlecht zu Geschlecht Gläubige vom Herrn verwenden lassen, um den Sündern die frohe Botschaft des Heils zu verkündigen. Gewiss, wir sind dabei nicht unentbehrlich. Gott stehen alle Hilfsmittel zur Verfügung, um seine Pläne auszuführen. Die einzige Stelle in den Evangelien, wo gesagt wird: «Der Herr benötigt sie», betrifft nicht einen Menschen, sondern eine Eselin! (Mt 21,3). «So auch ihr, wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen ist, so sprecht: Wir sind unnütze Knechte; wir haben getan, was wir zu tun schuldig waren» (Lk 17,10).
Trotzdem neigt sich der Herr Jesus in seiner Gnade herab, sich der Seinen zu bedienen, um sein Werk in dieser Welt zu vollbringen. Wir haben also den Sündern, die Er auf unseren Weg bringt, von der grossen Rettung Zeugnis zu geben. Er will durch unseren Mund sein Evangelium verkündigen lassen. Wenn wir schweigen, was geschieht dann? Lesen wir in diesem Zusammenhang immer wieder die ernste Ankündigung des Wortes Gottes in Hesekiel 33,8: «Wenn ich zum Gottlosen spreche: Gottloser, du sollst gewiss sterben!, und du redest nicht, um den Gottlosen vor seinem Weg zu warnen, so wird er, der Gottlose, wegen seiner Ungerechtigkeit sterben; aber sein Blut werde ich von deiner Hand fordern.»
Selbstverständlich muss dieser Dienst, wie jedes andere Werk für den Herrn, in Abhängigkeit vom Geist und mit Gebet getan werden. Seelen zu Christus führen zu wollen, ohne seine Hilfe und seinen Segen zu erflehen, wäre ein nutzloses Unterfangen. «Ausser mir könnt ihr nichts tun» (Joh 15,5). Aber wenn wir auf die Knie gehen und den Herrn anflehen, uns seine Kraft, seine Gnade, seine Weisheit und die Leitung seines Geistes für die uns gestellte Aufgabe zu gewähren, so wird der Herr unsere Arbeit bestimmt segnen und uns zu wirklichen Gesandten für Christus machen. «Wenn jemand redet, so rede er als Aussprüche Gottes; wenn jemand dient, so sei es als aus der Kraft, die Gott darreicht, damit in allem Gott verherrlicht werde durch Jesus Christus, dem die Herrlichkeit ist und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen» (1. Petrus 4,11).
Alles weist darauf hin, dass die Zeit der Gnade dem Ende entgegengeht. Wie nötig ist es daher, dass die Christen mit vermehrtem Eifer den Seelen nachgehen, um sie zur Buße zu führen. Wir wollen uns ins Gedächtnis rufen, dass «jetzt die wohlangenehme Zeit» und «jetzt der Tag des Heils» ist (2. Kor 6,2). Bald kommt die Nacht, da niemand mehr wirken kann (Joh 9,4).
Da wir dies wissen, lasst uns keine Gelegenheit versäumen, die Menschen an Christi statt zu bitten: «Lasst euch versöhnen mit Gott!» Wer im Bewusstsein seiner Verantwortung diese Ermahnung treu befolgt hat, wird von dem Herrn seinen eigenen Lohn nach seiner eigenen Arbeit empfangen (1. Kor 3,8). An die Feigen und die Bequemen hingegen richtet Gott die ernste Ankündigung: «Wer nun weiss, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde» (Jak 4,17). Der Herr bewahre uns vor einer solchen Gleichgültigkeit und mache aus uns allen «Gesandte für Christus», zur Ehre und zum Lob Gottes!