Haben wir Glauben im Sturm?

Lukas 8,22-25

«Er aber wachte auf, schalt den Wind und das Wogen des Wassers, und sie hörten auf, und es trat Stille ein. Er aber sprach zu ihnen: Wo ist euer Glaube?» (Lk 8,24.25).

«Wo ist euer Glaube?», sagte der Herr zu seinen erschreckten Jüngern. Es war eine strenge Frage, allen Zwölfen gut vernehmlich, in der Stille, die auf das Heulen des Sturmes folgte. Wie jedes Wort des Meisters, war auch diese Frage «ein Beurteiler der Gedanken und Gesinnungen des Herzens», und enthüllte ihnen den darin verborgenen Unglauben.

Das Herz war im Fehler. Die bleichen Wangen der starken Männer und ihr Verzweiflungsschrei: «Meister, Meister, wir kommen um!», kam aus dem verängstigten und erschreckten Herzen. Der Mensch glaubt mit dem Herzen, aber in der Angst schmolzen ihre Herzen und wurden wie Wasser. Diesen Männern, die auf diesem See wohl hundert Stürmen getrotzt hatten, ohne Christus bei sich gehabt zu haben, entsank der Mut, als Er sich bei ihnen an Bord befand, weil ihr Glaube in Ihn schwach war.

Der Herr brachte den Aposteln diesen Mangel an Männlichkeit und Mut durch seine durchbohrenden Fragen zum Bewusstsein: «Was seid ihr furchtsam?» – «Habt ihr noch keinen Glauben?» – >und wieder: «Wo ist euer Glaube?»

Es wird nicht berichtet, ob die Jünger eine Antwort gaben. Ohne Zweifel schwiegen sie voller Beschämung; denn womit kann sich irgendein Gläubiger rechtfertigen, der in der Stunde der Krise nicht glaubt? Welche Entschuldigung konnte es für Männer des Glaubens geben, die im Höhepunkt des Sturms beweisen, dass sie «keinen Glauben» haben?

Der ganze Vorfall auf dem See ist noch heute voll nützlicher Unterweisung für unseren Weg im geistlichen Leben. Wenn wir einen Augenblick darüber nachdenken, sehen wir eine ganz deutliche Parallele.

Die Überquerung des Sees von Galiläa war vom Herrn beschlossen. Er sagte: «Lasst uns übersetzen …»

Sie mussten nicht allein gehen; der Herr begleitete sie: «Lasst uns übersetzen …»

Der Herr wählte den Weg; oft ging Er mit ihnen über Land; dieses Mal aber stieg Er in ein Schiff.

Er behielt das Ziel nicht für sich. Er gab ihnen den Bestimmungsort bekannt: «Lasst uns übersetzen an das jenseitige Ufer des Sees.»

Auch wir segeln über den unbekannten See zum anderen Ufer. Wir sind nur eine kleine Minderheit, vereinigt in gemeinsamer Wertschätzung unseres Meisters, der von den Menschen verachtet und verworfen wird. Er hat uns eingeladen, uns mit ihm einzuschiffen, und Er hat verheissen, bis zum Ende bei uns zu sein. Beachte nun die Fortsetzung.

Während der Seefahrt blieb das Rudern den Jüngern überlassen. Der Herr war nicht weit weg von ihnen, sondern nahe zur Hand. «Während sie aber fuhren, schlief er ein.»

Dann kam der Sturm auf, eine nicht ungewöhnliche Erfahrung für die galiläischen Fischer. Aber dieses Mal war er ausserordentlich heftig. Schliesslich fürchteten die Jünger, das Schiff werde kentern, und in ihrem Schrecken weckten sie den Herrn vom Schlaf auf mit den Worten: «Meister, Meister, wir kommen um!»

War es anmassend, den Herrn zu wecken? Oder war es ein ungeeigneter Augenblick, den Herrn anzurufen? – Weder das eine noch das andere. Es ist unmöglich anzunehmen, der Herr sei nicht willens gewesen, an ihrer Schwierigkeit teilzunehmen oder ihre Gefahr habe Ihn gleichgültig gelassen. Wie rasch stand Er auf! In einem Augenblick und durch ein Wort beschwichtigte Er ihre Ängste und bezeugte seine treue Fürsorge für ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen.

Und doch war ein Misston in ihrem Verzweiflungsschrei. Überwältigt vom Gefühl ihrer eigenen Gefahr, übersahen sie die Allmacht des Herrn in ihrer Mitte. Der Glaube hätte sich an Ihn geklammert, seiner Liebe und seiner Weisheit vertraut, an seine Macht geglaubt. Aber ihre Furcht verdunkelte ihren Glauben, und sie schrien: «Meister, Meister, wir kommen um!»

Wie verhalten wir uns in den Stürmen, die unser Vorwärtsgehen in den Dingen Christi bedrohen? Die Winde böser Lehren und die Wogen weltlichen Einflusses suchen den schwachen Bau des Lebens der Versammlung, worin wir uns bewegen, zu zerstören. Bleiben wir ruhig, voll Vertrauen? Stehen wir im Glauben da? Oder sind wir von Angst erfüllt und verzagt, voller Furcht? Haben wir uns schon so weit vergessen, dass wir ausrufen: «Herr, Herr, wir kommen um!», während Er doch verheissen hat, uns zu bewahren? Er bewahrt alle, die bei Ihm bleiben und seinem Wort gehorsam sind.

Oh, wie sind wir doch so verkehrte Jünger eines vollkommenen Meisters! Lasst seine Fragen daher auch unsere Herzen durchforschen: «Wo ist euer Glaube?» – «Habt ihr noch keinen Glauben?» Erwartet Er von uns nicht das Vertrauen, dass das kleine Zusammenkommen zu seinem Namen hin, in dem Er in der Mitte ist, nie durch die Mächte des Bösen und die Anstürme des Feindes überwältigt und vernichtet werden kann, es sei denn, wir selbst verlassen das «Schiff»? Glauben wir es? Oder rufen wir: Meister, Meister, wir kommen um!?

Warum wandten sich diese Männer in alter Zeit in ihrer Bedrängnis nicht von den entfesselten Elementen um sie her zu der stillen, friedvollen Person unter ihnen? Der Sturm hatte Ihn nicht erreicht und konnte es auch nicht. In Ihm sahen sie keine quälende Furcht, sondern vielmehr «Jesus, den Anfänger und Vollender des Glaubens». Der Vater selbst hatte seinem Geliebten Schlaf gegeben (Ps 3,6).

Jesus hatte gesagt: «Lasst uns übersetzen an das jenseitige Ufer des Sees.» Ob Sturm oder nicht, würden sie also im vorgesehenen Augenblick den erwünschten Hafen erreichen. Daher legte Er sich «im Hinterteil des Schiffes auf dem Kopfkissen schlafen» – ein Beispiel unerschütterlichen Glaubens. Als Er aufstand, sagte Er zu ihnen: «Wo ist euer Glaube?» Ein anderes Mal hatte Er sich über den Glauben eines Menschen verwundert; konnte Er es auch jetzt tun?

Diese Erzählung aus den Evangelien ist für uns zugleich eine Herausforderung und ein Trost. Manchmal scheint die kleine Gruppe der Gläubigen von den Wogen des Widerstandes und der Gleichgültigkeit überflutet zu werden, und der Herr scheint sich still zu verhalten und kein sichtbares Zeichen seines Eingreifens und seiner Überlegenheit zu geben. Eine grosse Prüfung für unseren Glauben! Beginnen wir dann, uns zu fragen, ob der Herr in unserer Mitte sei oder nicht? Oder halten wir fest, dass Er unter uns ist, und sich alles zum Guten wenden wird? Sind wir mit Furcht erfüllt und zweifeln wir an seiner Macht, so wird Er sagen, wenn der Sturm vorüber ist: Wo ist euer Glaube? Was werden wir in unserer Beschämung dann antworten können?

Lasst uns denn mutig und «stark sein im Glauben», sowohl im Sturm als auch im Sonnenschein, in der Überzeugung, dass unser Herr Jesus Meister der Lage bleibt, wie ungestüm auch die Angriffe des Feindes sein mögen.