Der Glaube

Hebräer 11,1

Unser Glaube zeigt sich gerade darin, dass er an der Person des abwesenden Christus festhält; sobald wir Ihn sehen werden, ist der Glaube nicht mehr nötig. Solange wir noch von sichtbaren Dingen umgeben sind, die vor unsere Augen treten, ist es schwierig, die unsichtbaren Dinge zu verwirklichen und die Blicke des Glaubens darauf gerichtet zu halten. Der unsichtbare Christus muss unserer Seele eine so mächtige Wirklichkeit werden, dass vor Ihm alles, was uns umgibt, seine Wirklichkeit verliert. Dazu ist Glaube erforderlich. Erinnern wir uns daran, dass uns Gott mit dem Glauben gleichzeitig zwei Mittel gegeben hat, um in den unsichtbaren Wirklichkeiten zu leben und die Hindernisse zu überwinden, die sich dagegen stellen:

  • Das Wort, das uns Christus offenbart, und
  • das Gebet, durch das wir in Gemeinschaft mit Ihm sein und seine Gegenwart geniessen können.

Der Glaube macht die Zukunft gegenwärtig und das Unsichtbare sichtbar: Das ist es, was die Kraft der Gläubigen ausmacht. Er macht die Dinge, die man hofft, so wirklich, als ob man sie schon besässe; sie bestehen für das Herz: Es hat die Gewissheit ihrer Wirklichkeit. Gleichzeitig ist der Glaube ein inneres Überzeugtsein von den Dingen, die man nicht sieht, eine innere Gewissheit ihres Bestehens. Der Glaube schaut, was verborgen ist; er gibt uns für das Unsichtbare eine völlige Gewissheit, die wir sonst nur für die Dinge haben, die unter unseren Augen sind. Von den Dingen, deren Wirklichkeit noch nicht erschienen ist, gibt uns der Glaube die Substanz.

Gott hat Wohlgefallen an grosser Kühnheit. Sie ist der Beweis eines grossen Glaubens. Nichts ehrt Ihn so sehr wie dies.

Der Glaube kennzeichnet sich dadurch, dass er mit Gott rechnet, nicht nur trotz der Schwierigkeiten, sondern trotz der Unmöglichkeiten.

Ein geprüfter Glaube ist ein gestärkter Glaube. Durch die Prüfung lernen wir unsere Schwachheit kennen, aber auch die Treue Gottes, seine zärtliche Fürsorge, selbst in den Schwierigkeiten, die Er sendet, damit wir mit Ihm durch sie hindurchgehen könnten.

Der Glaube ruht auf einer viel sichereren Grundlage als das Sichtbare, das unsere Sinne wahrnehmen können, und diese Grundlage ist das Wort Gottes. Unsere Sinne können uns täuschen, das Wort Gottes niemals.

Der Glaube redet nie von dem, was er tun will; aber durch die Kraft des Herrn tut er, was er kann.

Der Pfad des Glaubens ist ein sehr einfacher, aber auch sehr schmaler Pfad. Der Glaube vergöttlicht die Mittel nicht und verachtet sie auch nicht; er schätzt sie soweit, als es wirklich Gott ist, der sie anwendet; er geht nicht weiter. Es besteht ein grosser Unterschied zwischen der Anwendung, die Gott von der Kreatur macht, um ihr zu dienen, und der Anwendung, die der Mensch davon macht, um Gott auszuschliessen. In diesem Stück ist man oft zu wenig auf der Hut. Gott benützte die Raben, um Elia zu ernähren, aber Elia bediente sich ihrer nicht, um Gott auszuschliessen. Wenn das Herz wirklich mit Gott beschäftigt ist, bleibt es nicht bei den Mitteln stehen. Es rechnet mit Gott, in der festen Gewissheit, dass, was Gott auch immer als Mittel gebraucht, Er segnen, helfen und alles versehen wird.

Oft ist Gott für unsere Seelen nicht die dauernde Wirklichkeit, die Er sein sollte oder die Er für uns wäre, wenn wir mit einem einfacheren Glauben und in einer völligeren Abhängigkeit von Ihm handelten.

Wenn die Seele durch die Gnade aufhört, sich auf die Kreatur zu stützen, dann und nur dann ist sie in der richtigen Verfassung, die es Gott erlaubt zu handeln. Und wenn Gott handelt, geht alles gut. Er lässt nichts unvollendet. In vollkommener Weise ordnet Er die Angelegenheiten derer, die ihr Vertrauen in Ihn setzen. Wenn die Allwissenheit, die Allmacht und die unendliche Liebe zusammenwirken, kann das gläubige Herz eine tiefe Ruhe geniessen.

Sich auf die Segnungen Gottes stützen ist etwas anderes, als sich auf Gott selbst stützen.

Es gibt keinen gesegneteren Zustand einer Seele als den, in der Einfalt eines kleinen Kindes in bewusster Abhängigkeit von Gott zu leben, völlig damit zufrieden, seine Zeit abzuwarten. Diese Haltung bringt Prüfungen mit sich, das ist wohl wahr, aber die erneuerte Seele lernt dabei tiefe Wahrheiten kennen und macht die seligsten Erfahrungen, während sie so auf den Herrn wartet. Je mächtiger die Versuchung ist, uns vom Tun Gottes abzulenken, desto überströmender wird die Segnung sein, wenn wir im Glauben verharren. Es ist ein unendliches Vorrecht, von jemand abhängig zu sein, für den es eine Freude ist zu segnen. Nur wer in gewissem Mass die Wirklichkeit dieser wunderbaren Stellung geschmeckt hat, kann sie schätzen, und der Einzige, der sie je vollkommen und ohne Unterbruch eingenommen hat, ist der Herr Jesus. Er war immer von Gott abhängig und verwarf unbedingt jeden Vorschlag des Feindes, aus dieser Abhängigkeit herauszutreten.

Wir haben die Hilfsquellen Gottes noch nie richtig erprobt, wenn wir das Unmögliche noch nicht versucht haben. Welche Erleichterung, welche unendliche Freude gibt die Gewissheit, dass Gott es ist, der handelt! Sobald wir dies wissen, treten wir in die Ruhe ein; wir ruhen dann von unseren eigenen Werken.

Das Werk Gottes, gottgemäss getan, wird nie der Hilfsquellen Gottes entbehren.

Weder die Unempfindlichkeit noch die Sorglosigkeit sind Glaube. Es gibt sorglose Personen, die mit dem Grundsatz durch das Leben zu schreiten scheinen: «Man muss die Dinge von der guten Seite nehmen!» Das ist nicht Glaube. Der Glaube schaut den Schwierigkeiten ins Gesicht. Er sieht die bemühende Seite der Dinge sehr wohl. Er ist weder unwissend noch gleichgültig noch sorglos. Aber was denn? Er bringt den lebendigen Gott in die Umstände hinein. Er blickt und stützt sich auf Ihn. Für den Glauben hängt alles von Ihm ab.

Glaube ist der grosse Grundsatz des göttlichen Lebens, vom Anfang bis zum Ende. Wir sind gerechtfertigt aus Glauben und leben aus Glauben; wir stehen durch den Glauben und wandeln durch den Glauben. Vom Anfang bis zum Ende des Laufes geschieht alles durch Glauben.

Es gibt für die Segnungen, die wir geniessen könnten, wenn wir mehr mit Gott rechneten, keine Grenzen. «Dem Glaubenden ist alles möglich» (Mk 9,23). Gott wird nie zu uns sagen: «Du hast genug empfangen, du erwartest zu viel.» Das ist unmöglich, denn es ist Ihm eine Freude, selbst den höchsten Erwartungen des Glaubens zu entsprechen. «Tu deinen Mund weit auf, und ich will ihn füllen» (Ps 81,11). Die unerschöpflichen Schätze des Himmels sind dem Glauben aufgetan. «Alles, was irgend ihr im Gebet glaubend erbittet, werdet ihr empfangen» (Mt 21,22).

Der Glaube zögert und zweifelt nicht; der Unglaube aber zögert und schwankt immer, darum sieht er nie die Herrlichkeit Gottes noch seine Macht. Wir können uns gar nicht vorstellen, wie vieler Segnungen uns der Unglaube beraubt.

Mit einem schlechten Gewissen auf dem Pfad des Glaubens wandeln zu wollen ist etwas vom Allergefährlichsten. Nur wenn unsere Lenden mit Wahrheit umgürtet sind und wir den Brustharnisch der Gerechtigkeit umgetan haben, können wir den Schild des Glaubens nehmen.

Glauben heisst, sich völlig auf die Unfehlbarkeit und auf die Treue Gottes stützen; der Glaube stellt die Gewissheit und die Sicherheit, die dem Zeugnis Gottes entspringen, über jede andere Gewissheit und Garantie. Glauben heisst, jedes Wort, das aus seinem Mund hervorgegangen ist, als viel wesentlicher und wirklicher halten als die sichtbare Wirklichkeit.

Was einen Ungläubigen am meisten beunruhigt, ist für das Herz des Mannes des Glaubens ein Gegenstand grösster Freude. Er ist immer bereit auszurufen: «Nur auf Gott vertraue still meine Seele, denn von ihm kommt meine Erwartung. Nur er ist mein Fels» (Ps 62,6.7).

Sobald jemand sagt: «Ich kann nicht mehr!», bekennt er damit, dass er die Fülle der Gnade und der Güte Gottes aus den Augen verloren hat. Kann Gott nicht mehr? Wie gut, dass Er bleibt, was er ist! Als die Jünger einmal Schwäche zeigten, sagte Jesus zu jenem Vater, der einen besessenen Sohn hatte: «Bringt ihn zu mir.» Und wenn Mose, um Wasser hervorkommen zu lassen, statt wie geheissen zum Felsen zu reden, den Felsen schlug, gab der HERR dennoch Wasser. An seiner Gnade fehlt es nie. Man muss sich nur nahe genug bei Ihm aufhalten, um die Umstände mit der kostbaren Gewissheit durchschreiten zu können: «Meine Gnade genügt dir.»