Gott redet von seinem Sohn
Diese Schriftstelle erinnert uns an den Tod Christi; denn es ist offenbar, dass die in diesem Kapitel erwähnten Tatsachen eine tiefere Bedeutung haben als nur die einer Glaubensprobe Abrahams, des Vaters der Gläubigen. Gewiss, diese Prüfung war sehr gross: Isaak, seinen einzigen Sohn, den er liebte, den Träger der Verheissungen, auf den Altar zu legen, war ein ungeheures Opfer. Wir wissen aus Hebräer 11, wie hoch Gott den Glauben eingeschätzt hat, durch den es dargebracht wurde. Aber der Hauptgedanke dieses Kapitels ist nicht der grosse Glaube Abrahams; Gott will uns vielmehr mit seinem Sohn beschäftigen. Jemand hat gesagt: Wenn wir das Wort lesen, sollten wir es immer mit der Absicht tun, den Sohn darin zu suchen.
Im Matthäus-Evangelium hören wir die Stimme des Vaters dreimal sagen: «An dem ich Wohlgefallen gefunden habe» (Mt 3,17; 12,18; 17,5). Zweimal ist dieser Ausspruch mit dem Wort «Sohn» verbunden: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe», und einmal mit der Aufforderung: «Ihn hört.»
Wenn uns also der Vater offenbaren will, welch ein Gegenstand seiner Liebe und seiner Wertschätzung der Sohn ist, ist es dann verwunderlich, dass Er schon vom 1. Buch Mose an durch die ganze Schrift hindurch von Ihm redet? Es ist wahr, Er tat es damals in verhüllter Weise; Er verwendete dazu viele Bilder.
Bevor ich auf unseren Schriftabschnitt näher eingehe, möchte ich darauf hinweisen, dass, wenn Gott von der Person und dem Werk seines Sohnes in Bildern redet, immer eine Segnung daraus hervorkommt. Die Person des Sohnes hat für den Vater einen solchen Wert, dass es nicht anders sein kann.
Erste Ankündigung des Sohnes und seines Werkes
So ist es auch in 1. Mose 3. Als Gott durch die Sünde des Menschen seine Schöpfung verlor, liess Er seine Stimme hören und zeigte dadurch an, dass Er den Menschen suchte. Er nötigte Adam anzuerkennen, dass er gesündigt hatte, und teilte ihm und seiner Frau mit, welches die Folgen ihrer Sünde waren:
- verfluchter Erdboden,
- mühevolle Arbeit,
- Leiden und Tod.
Der Schlange schliesslich sagte Er: «Ich werde Feindschaft setzen zwischen dir und der Frau und zwischen deinem Samen und ihrem Samen.» Dann fügte Er hinzu: «Er wird dir den Kopf zermalmen, und du wirst ihm die Ferse zermalmen.» Jeder von uns weiss, dass Christus dieser Same der Frau ist und dass das Kreuz der Ort war, wo Er den Kopf der Schlange zermalmte, denn dort führte diese die Welt gegen Jesus an. Der Herr sagte in Gethsemane zu denen, die ihre Hände auf Ihn legten: «Dies ist eure Stunde und die Gewalt der Finsternis» (Lk 22,53).
Sobald der Vater den Sohn und sein Werk ankündigt, hat dies – wie gesagt – für Adam und Eva gesegnete Folgen. Sie werden im Bild «mit Kleidern des Heils» und mit dem «Mantel der Gerechtigkeit» bekleidet (1. Mo 3,21; Jes 61,10), anstelle ihrer Schurze aus Feigenblättern, die ihre sittliche Blösse vor Gott unbedeckt gelassen hatten. Wenn auch Gott in seinen Regierungswegen den Menschen, der das Todesurteil auf sich trug, aus seiner Gegenwart treiben musste, so hat Er das Dasein Adams auf der Erde doch auf 930 Jahre verlängert; und obwohl der Mensch unter den Folgen seiner Sünde ausserhalb Edens bleiben musste, sah ihn Gott trotzdem mit der Frucht seines eigenen Werkes bekleidet. Welchem Umstand war diese Tatsache zuzuschreiben? – Der Sohn, der Gegenstand der Liebe des Vaters, war dem Bild nach in Erscheinung getreten!
Auch das Opfer Noahs redet vom Opfer Christi
In den Tagen Noahs fand das Gericht der damaligen Welt statt. Nach dem Verlassen der Arche opferte Noah dem HERRN von allen reinen Tieren Brandopfer. «Und der HERR», wird gesagt, «roch den lieblichen Geruch, und der HERR sprach in seinem Herzen: Nicht mehr will ich fortan den Erdboden verfluchen um des Menschen willen» (1. Mo 8,21). Was war der Grund dieses Verzichtes auf ein neues Weltgericht? Das Opfer. Wo wurde der Wohlgeruch, der Gott allein befriedigen konnte, ausgebreitet? Am Kreuz des Sohnes. Es steht geschrieben: «Er hat Frieden gemacht durch das Blut seines Kreuzes» (Kol 1,20), und auch: «Christus hat uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch» (Eph 5,2). Und als Noah beim Anblick der Wolken, die ihm die herrlichen Strahlen der Sonne verdeckten, eine neue Sintflut befürchten musste, konnte er die Augen erheben und den Bogen in den Wolken sehen, die ihn an den Bund des HERRN mit der Erde erinnerten, aufgrund dessen Er sie nicht mehr durch Wasser zerstören wird.
Abraham und sein Sohn gehen miteinander nach Morija
In unserer Stelle nun ist es aufs Neue der Sohn, der in einem der schönsten Vorbilder des Alten Testaments erscheint.
Abraham, durch die früheren Prüfungen zubereitet, macht sich auf ins Land Morija, zu einem Berg, der ihm beim Aufbruch noch unbekannt ist. Bevor sie den Ort erreichen, bleiben die Knaben zurück, die ihn und seinen Sohn begleiten. Abraham legt das erforderliche Holz für das Brandopfer auf seinen Sohn und nimmt das Feuer und das Messer in seine Hand. Dann macht er sich mit Isaak auf den Weg, «und sie gingen beide miteinander.»
Wir wissen aber, dass zwei Männer nicht miteinander gehen, «ausser, wenn sie übereingekommen sind» (Amos 3,3). Wir werden auf das Wort: «Sie gingen beide miteinander» durch dessen Wiederholung im 8. Vers aufmerksam. Es veranlasst uns, unsere Gedanken über Abraham und Isaak hinaus zu erheben. Denn dass diese beiden miteinander gingen, nachdem die Knaben zurückgelassen waren, ist selbstverständlich und kaum erwähnenswert. Aber schau auf den Vater und den ewigen Sohn, die in dieser Begebenheit vorgebildet sind! Mit seinem Sohn will uns der Vater beschäftigen, in Ihm will Er sich uns in Liebe und Gnade offenbaren, nur durch Ihn können sich seine Ratschlüsse der Herrlichkeit erfüllen!
Wir kennen diese Worte: «Denn es geziemte ihm, um dessentwillen alle Dinge und durch den alle Dinge sind, indem er viele Söhne zur Herrlichkeit brachte, den Urheber ihrer Errettung durch Leiden vollkommen zu machen» (Heb 2,10). Wir kennen auch jene andere Stelle: «Darum, als er in die Welt kommt, spricht er: ‹Schlachtopfer und Speisopfer hast du nicht gewollt, einen Leib aber hast du mir bereitet; an Brandopfern und Opfern für die Sünde hast du kein Wohlgefallen gefunden. Da sprach ich: Siehe, ich komme (in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben), um deinen Willen, o Gott, zu tun.›» (Heb 10,5-7).
Gott, der Vater und der Sohn gehen miteinander
Könnten wir im Wort eine völligere Übereinstimmung finden als die, die zwischen dem Vater und dem Sohn zur Vollbringung unseres Heils bestand? Der Vater will Söhne in der Herrlichkeit haben, und der Sohn opfert sich zur Erfüllung des Werks, das sie dort einführen wird.
Beachte hier den Unterschied zwischen Bild und Gegenbild. Isaak wusste nicht, welches Schaf zum Brandopfer bestimmt war, aber der Sohn konnte sagen: «Siehe, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was durch die Propheten über den Sohn des Menschen geschrieben steht; denn er wird den Nationen überliefert werden und wird verspottet und geschmäht und angespien werden; und wenn sie ihn gegeisselt haben, werden sie ihn töten, und am dritten Tag wird er auferstehen» (Lk 18,31-33).
Im herzbewegenden Bild von 1. Mose 22 sehen wir also, dass der Geist das Wort: «sie gingen beide miteinander», nicht nur auf Abraham und seinen Sohn anwendet, sondern über sie hinausgeht. Es bestand zwischen den beiden in der Tat keine vollkommene Gemeinschaft. Was Abraham bezüglich des Opfers wusste, war Isaak unbekannt. Erst nachdem Isaak durch die Antwort seines Vaters beruhigt war, gingen sie miteinander weiter bis zum Ort der Opferung.
Die ganze Tragweite dieses Wortes miteinander kann nur auf den angewandt werden, der in Gedanken und Werken in der Gemeinschaft mit Gott begonnen hat, zur Verherrlichung Gottes und zu unserem ewigen Heil, und der auf dem ganzen Weg sagen konnte: «Meine Speise ist, dass ich den Willen dessen tue, der mich gesandt hat, und sein Werk vollbringe» (Joh 4,34), und auch: «Ich tue allezeit das ihm Wohlgefällige» (Joh 8,29), und auch: «Ich tue so, wie mir der Vater geboten hat» (Joh 14,31). Er blieb in der Erfüllung des Willens des Vaters nicht stehen, bis Er sagen konnte: «Das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte» (Joh 17,4) und: «Es ist vollbracht!» (Joh 19,30).
Aber kommen wir auf den Augenblick zurück, wo das Opfer auf dem Altar dargebracht werden sollte. Trat in Gethsemane der Schatten einer Unterbrechung auf in der Gemeinschaft der Gedanken zwischen dem Vater und dem Sohn? Haben Sie dort einen Augenblick aufgehört, miteinander zu gehen? Gewiss nicht, denn wir lesen in Lukas 22,42: «Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg – doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!» Wie Sie also am Anfang miteinander gegangen sind, so gingen Sie auch am Ende miteinander.
Wer vermag in die Tiefen dieses Geheimnisses zwischen dem Vater und dem Sohn einzudringen? Einheit der Natur, der Gedanken und der Handlung!
Der Vater, der Sohn und wir «miteinander»
So wie die Knaben Abraham und seinen Sohn nicht bis Morija begleiten konnten, so vermochten auch die Jünger dem Herrn damals nicht zu folgen; sie folgten Ihm später nach, wie Jesus zu Petrus gesagt hat.
Wir finden in unserem Kapitel den Ausdruck «miteinander» im 19. Vers zum dritten Mal: «Und Abraham kehrte zu seinen Knaben zurück, und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerseba.» Was hätten diese Knaben tun können, wenn sie Abraham bis nach Morija begleitet hätten? Ohne Zweifel hätten sie ihn in seinem Gehorsam gegenüber dem HERRN gehindert; sie hätten seinen Glauben getrübt; sie hätten vielleicht, wie Petrus zum Herrn, zu Isaak gesagt: «Gott behüte dich … dies wird dir nicht widerfahren» (Mt 16,22). Aber sie wurden bis zur Rückkehr Abrahams und Isaaks zurückgelassen, und von da an wandelten sie in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn.
Auch diese Seite des Bildes erinnert uns an wunderbare Tatsachen. Unser Herr kehrte nach seiner Auferstehung zu den Seinen zurück, die vor den Schrecken des Kreuzes geflohen waren. Nun liess Er ihnen durch Maria Magdalene die tröstliche Botschaft überbringen: «Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater, und zu meinem Gott und eurem Gott» (Joh 20,17), eine Botschaft voller Unterweisung für die Jünger. Sie lernten dadurch verstehen, dass sie nun in dieselben Beziehungen zu Gott und zum Vater versetzt waren wie Jesus selbst. Der sie durch seine Auferstehung in diese Beziehungen gebracht hatte, gemäss den Ratschlüssen des Vaters, hatte es aufgrund seines Todes getan; sie waren fortan «alle von einem» (Heb 2,11). Jetzt lautet das Wort nicht mehr nur: «Ich und der Vater sind eins» – was im Blick auf die Göttlichkeit des Sohnes und des Vaters ja immer wahr bleibt – der Herr konnte die Wahrheit, die Er in Johannes 17,21 zum Voraus ausgesprochen hatte, von nun an auf sie anwenden: «Damit sie alle eins seien, wie du, Vater, in mir und ich in dir, damit auch sie in uns eins seien, damit die Welt glaube, dass du mich gesandt hast.»
Natürlich konnten die Knaben Abrahams nicht in die Kindesbeziehung gegenüber dem Patriarchen eingeführt werden; das Bild bleibt wie immer hinter dem Gegenbild zurück; aber etwas konnten sie doch als Ergebnis der im Bild erfolgten Opferung und Auferstehung Isaaks geniessen – die Gemeinschaft mit jenem Vater und seinem Sohn, denn es steht geschrieben: «und sie zogen miteinander.»
Wie gross ist unser Vorrecht! Johannes schreibt: «Was wir gesehen und gehört haben, verkündigen wir auch euch, damit auch ihr mit uns Gemeinschaft habt; und zwar ist unsere Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn Jesus Christus. Und dies schreiben wir euch, damit eure Freude völlig sei» (1. Joh 1,3.4). Wir dürfen also schon jetzt in dieser Gemeinschaft miteinander wandeln, und bald ist es unser glückseliges und ewiges Teil, bei Ihm zu sein, da wo Er ist, gleichförmig mit Ihm. Wie spricht daher auch dieses dritte miteinander zu uns!
Wie wir am Anfang sagten, hatte die Einführung des «Sohnes» für Adam und Eva, wie auch für die Nachkommen Noahs, gesegnete Folgen. So wurde auf die Opferung Isaaks, ein Vorbild von der Hingabe und Auferstehung des «eingeborenen Sohnes» als Mensch hier auf der Erde, auch Abraham sogleich die herrliche Verheissung einer universellen Segnung gegeben, was weit mehr ist als der Verzicht auf ein allgemeines Gericht der Welt: «Ich werde dich reichlich segnen und deine Nachkommen sehr mehren … und in deinem Nachkommen (Christus) werden sich segnen alle Nationen der Erde» (22,17.18).
Der Sohn hat vor Gott und für uns auf ewig den ersten Platz
Was können wir vom Vater erwarten, der durch den Sohn verherrlicht worden ist? Ja, was wird Er nicht alles für Ihn tun! Wir kennen jetzt die offenbarten Gedanken des Vaters in Bezug auf den Sohn und auf die Ratschlüsse, die durch den Sohn zur Ausführung kommen. Jemand hat hervorgehoben, dass das Gold der Strasse des neuen Jerusalem wie durchsichtiges Glas sei. Wäre es wie ein Spiegel, so könnte uns dies dazu führen, dass wir in der Stadt uns selbst betrachteten; aber Christus, der Sohn, ist es, der «alles erfüllt»; und Er ist es, der im himmlischen Jerusalem angeschaut werden wird, und nicht wir.
Da also der Sohn der Gegenstand unserer Betrachtungen und unseres Lobpreises ist, jetzt schon und bald in der Herrlichkeit, so lasst uns jetzt und allezeit in den Schriften den Sohn suchen, den Gegenstand des Wohlgefallens des Vaters und seiner Ratschlüsse. Möge Er uns allen diese Gnade gewähren!