Das Sendschreiben an Pergamus (Hochburg)
Kapitel 2,12-17
Nachdem es sich erwiesen hatte, dass das Christentum durch die schrecklichen Verfolgungen nicht auszurotten war und sich die Zahl der Christen dadurch eher noch vermehrt hatte, änderte der Feind seine Taktik. Er ging jetzt nicht mehr als «brüllender Löwe» umher, sondern kam als «listige Schlange» zu ihnen. In dieser Gestalt richtete er in der Kirche grossen Schaden an.
Bis dahin war die Kirche vom Staat völlig unabhängig geblieben. Ihre Lehre war ja göttlichen Ursprungs, und Christus hatte sich für sie hingegeben, um sie «aus der gegenwärtigen bösen Welt herauszunehmen» (Gal 1,4).
Seit den Tagen der Apostel schon zeigte sich jedoch bei vielen Liebe zur Welt, und diese nahm immer mehr zu. Der Herr war dieser schlimmen Neigung entgegengetreten, indem Er zuliess, dass über die Christen Verfolgungen kamen. Statt aber seine Hand darin zu sehen, wurde die Kirche des Platzes der Verwerfung müde und redete sich ein, es sei auch ohne strikte Absonderung von der Welt möglich, dem Herrn anzuhangen und zu dienen.
Hier hakte der Feind ein; dieser Neigung wollte er als Widersacher des Herrn die Möglichkeit zu weiterer Entfaltung geben, und zur Erreichung seiner Ziele bediente er sich Konstantins des Grossen.
Dieser Kaiser des römischen Reiches zeigte sich im Gegensatz zu seinen Vorgängern dem Christentum günstig gesinnt. Als kluger Staatsmann hatte er beachtet, dass die Vernichtungswut seiner Vorgänger gegen die Christen den Verfolgern nicht von Nutzen war. Er hatte vielmehr die abergläubische Meinung, das Zeichen des Kreuzes habe ihm zum Triumph über die anderen Thronanwärter verholfen. Er fühlte sich daher dem Gott der Christen und dem heiligen Symbol des Kreuzes zu Dank verpflichtet. Viel weiter reichte sein Christentum nicht. Gott weiss, ob er sich als Mensch je in seiner Sündhaftigkeit erkannt und Jesus als seinen persönlichen Heiland angenommen hat. Doch betrachtete er sich immer mehr als das Haupt der Kirche, dem Gott Sieg über die Mächte der Finsternis gegeben und das Er berufen habe, den christlichen Gottesdienst allgemein einzuführen. Er machte das Christentum zur Staatsreligion und begünstigte die Christen, indem er ihre Führer zu Ehrenstellungen erhob.
War dies ein Vorteil? Leider nicht. Die Gunst weltlicher Fürsten gereicht dem geistlichen Gedeihen der Kirche Gottes nicht zum Guten. Die Christen sind Fremde in der Welt. Das ist ihr wahrer Charakter. Sie gehören zum Himmel. Sie sind Diener Christi in der Welt, sind aber nicht von der Welt (Joh 17,14.16). Vermischen sie sich mit ihr, so verlieren sie die Kraft zu einem Gott wohlgefälligen Wandel und zu einem treuen und klaren Zeugnis.
Das Sendschreiben an Pergamus zeigt uns, wie der Herr diese Dinge beurteilt. Es umschreibt die Zustände, die am Anfang des vierten Jahrhunderts eingetreten waren.
Vers 12
Der Herr erinnert Pergamus daran, dass Er das zweischneidige, scharfe Schwert habe, ein Bild des Wortes Gottes, das Herz und Gewissen beurteilt und gegen die Feinde der Wahrheit streitet. Wenn in Pergamus Personen eingedrungen waren, die Irrtümer verbreiteten, so musste man ihnen widerstehen. Und die Waffe, mit der die Christen die falschen Lehren bekämpfen sollen, ist «das Schwert des Geistes, das Gottes Wort ist» (Eph 6,17).
Vers 13
Dann sagt der Herr: «Ich weiss, wo du wohnst: wo der Thron des Satans ist.»
Er weiss, wo wir wohnen, in welcher Umgebung wir uns aufhalten und mit wem wir verbunden sind. In Pergamus hatte die Kirche begonnen, da zu wohnen und sich heimisch zu fühlen, «wo der Thron des Satans ist». Er ist der Fürst dieser Welt und herrscht über sie (Joh 16,11; 14,30), indem er sich der Begierden und Leidenschaften der Menschen bedient. Die Welt hat Christus verworfen und Ihn gekreuzigt. Somit ist es auch für jeden Christen eine unumstössliche Tatsache, dass die Welt für ihn und er für die Welt gekreuzigt ist (Gal 6,14). Wie falsch und gefährlich war daher die Stellung, die die Versammlung in Pergamus einnahm, als sie sich mit der Welt verband und sich darin niederliess, als ob sie zu ihr gehörte!
Aber der Herr fand auch etwas Lobenswertes in Pergamus: «Du hältst fest an meinem Namen und hast meinen Glauben nicht verleugnet, auch in den Tagen, in denen Antipas mein treuer Zeuge war.»
Der Name des Herrn bringt alles das zum Ausdruck, was Er in seiner anbetungswürdigen Person ist: Wahrer Gott und wahrer Mensch; der ewige und eingeborene Sohn Gottes und Heiland der Welt. Seinen Namen festhalten, bedeutet, im Herzen bewahren und mit dem Mund bekennen, was Er ist.
Den Glauben nicht verleugnen heisst, den Unterweisungen des Wortes treu bleiben. Die Versammlung in Pergamus hatte dies selbst in den Tagen der Verfolgung getan – der Herr blickt hier offenbar auf frühere Zeiten zurück – als Antipas wegen seines treuen Zeugnisses ermordet worden war. «Mein treuer Zeuge», welche Auszeichnung! Möchten auch wir in unserem schwachen Masse solche Zeugen sein!
Vers 14
Aber dann fährt der Herr fort: «Ich habe ein weniges gegen dich, dass du solche dort hast, die die Lehre Bileams festhalten, der den Balak lehrte, einen Fallstrick vor die Söhne Israels zu legen, Götzenopfer zu essen und Hurerei zu treiben.»
Bileam, der sich Prophet nannte, gab Balak den teuflischen Rat, Israel zu einem heidnischen Götzenfest einzuladen, damit sie sich dort verunreinigten und auf diese Weise den Zorn Gottes auf sich herabzögen. Der Herr sah in der Versammlung zu Pergamus Ähnliches: Auch da waren falsche Propheten, die die Christen lehrten, sich mit der Welt zu verbinden. Diese Lehren verleiteten dazu, den Götzendienst in einer neuen Form einzuführen.
Hurerei, in der Sprache der Bibel, ist im übertragenen Sinn die Verbindung der Wahrheit Gottes mit weltlichen Grundsätzen. Wir wollen uns ernsthaft prüfen, ob nicht auch bei uns etwas davon zu finden sei.
Vers 15
Die Nikolaiten – zweifellos Menschen, die aus der Gnade einen Freibrief zum Sündigen machten – waren in Ephesus noch «gehasst», hier aber wurden sie geduldet. Wie in Judas 12 und 2. Petrus 2,13 angedeutet, nahmen diese Menschen wohl an den Festen und Liebesmahlen der Christen teil, und sie wurden nicht von der Gemeinschaft ausgeschlossen. Die Kirche hatte sich mit der Welt verbunden; es gab keine Trennung vom Bösen mehr. Eine traurige Folge davon, da zu wohnen, wo der Thron des Satans ist!
Vers 16
Wenn wir das zweischneidige Schwert, das Wort Gottes, nicht mehr auf unser Herz und Gewissen wirken lassen und in einer bösen Sache vorangehen, ohne Buße zu tun, so muss der Herr selbst gegen uns handeln, dem Wort entsprechend, das wir vernachlässigt haben und das jetzt gegen uns zeugt. Das Gute, das sich in Pergamus vorfand, wog das Böse in ihr nicht auf. Sie hätten aufhören sollen, da zu wohnen, wo der Thron des Satans ist und hätten diese falschen Propheten und ihre Irrtümer energisch zurückweisen sollen. Das war die Buße, die der Herr von ihnen erwartete. Nur wer sich von Herzen dem Herrn und seinem Wort unterwirft, findet die Kraft dazu.
Vers 17
Dem Überwinder verheisst der Herr herrliche Dinge: «Dem, der überwindet, dem werde ich von dem verborgenen Manna geben; und ich werde ihm einen weissen Stein geben, und auf den Stein einen neuen Namen geschrieben, den niemand kennt als nur der, der ihn empfängt.»
Das Manna war das Brot, das Gott vom Himmel sandte, um sein Volk in der Wüste zu speisen. Es ist ein Bild des viel vorzüglicheren Brotes, das Gott der Seele geben will. Jesus sagt von sich selbst: «Nicht Mose hat euch das Brot aus dem Himmel gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahrhaftige Brot aus dem Himmel. Denn das Brot Gottes ist der, der aus dem Himmel herabkommt und der Welt das Leben gibt» (Joh 6,32.33). – Das verborgene Manna war jenes, das man auf Geheiss Gottes in einem goldenen Krug in der Bundeslade im Allerheiligsten vor Gott aufbewahrte, in Erinnerung an seine Fürsorge in der Wüste (Heb 9,4; 2. Mo 16,33.34). Christus, das Brot des Lebens, ist nun im Himmel, wovon das Allerheiligste ein Bild war. Er ist bei Gott, vor den Blicken der Welt verborgen. Aber Er ist derselbe Christus, wie der auf der Erde. Wenn wir an das denken, was Er hier auf der Erde war, in Güte, in Sanftmut, in Reinheit, in Demut, in Geduld und in Liebe, und uns in Ihn versenken, werden unsere Herzen genährt und gestärkt. Und gerade das ist es, was wir brauchen, um die Welt zu überwinden. Der Kämpfer braucht Nahrung. Willst du also ein guter Streiter Jesu Christi sein, so nähre dich von Ihm!
Und was bedeutet der weisse Stein? – Bei den alten Griechen pflegte man bei Wahlen den Namen dessen, dem man seine Stimme gab, auf einen weissen Stein zu schreiben. So ist auch der weisse Stein ein Zeichen der Anerkennung seitens des Herrn. Paulus besass diese Anerkennung, als er sagen konnte: «Ich weiss, wem ich geglaubt habe … Der Herr stand mir bei» (2. Tim 1,12; 4,17). Es ist kostbar, die verborgene Stimme des Herrn zu uns sagen zu hören: «So ist es gut!» Er kann nur den anerkennen, der für seinen Namen kämpft und überwindet.
Und was mag der neue Name sein? – Kommt darin nicht die innige Vertrautheit der Zuneigungen des Herrn für uns zum Ausdruck? Wenn wir jemand lieben, geben wir ihm dann nicht oft einen zärtlichen Namen, der nur für ihn allein ist, einen Namen, «den niemand kennt als nur der, der ihn empfängt»?
Das also ist die Belohnung für den Überwinder. Christus gibt sich ihm als die himmlische Speise, um ihn zu stärken; Er teilt ihm seine Anerkennung mit, um ihn zu ermuntern und bezeugt seine innige Verbindung mit ihm, um sein Herz zu erfreuen. – Im Himmel wird der Überwinder dann in den vollen Genuss dieser Verheissungen eintreten.