Betrachten wir diese traurige, aber lehrreiche Geschichte des Neffen Abrahams jetzt einmal unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern!
Nachdem Abraham vom Streit zwischen seinen Hirten und den Hirten Lots Kenntnis bekommen hatte, schlug er diesem vor, er solle sich lieber von ihm trennen, als dass sie beide als Knechte des wahren Gottes den Kanaanitern das traurige Schauspiel eines Zerwürfnisses darböten. In einem bemerkenswerten Geist der Sanftmut liess Abraham, obwohl er der ältere war, Lot die Wahl, dahin zu gehen, wohin er wollte. Vonseiten Lots aber war es eine nicht weniger bemerkenswerte Kundgebung der Selbstsucht, dass er diesen Vorschlag annahm. Er wählte die bewässerte Ebene Sodoms zu seinem Wohnort.
Wie oft kommt es auch unter uns vor, dass wir die Unseren unnötig mit der Unreinheit der Welt in Verbindung bringen, in der Hoffnung auf einen Nutzen für sie oder für unseren Geldbeutel!
Wie viel besser wäre es doch für Lot gewesen, in den bisherigen Umständen zu bleiben oder selbst ärmer zu werden, als seine Reichtümer dadurch zu vermehren, dass er seine Herden in den saftigen Weiden Sodoms grasen liess! Sein begehrlicher Blick war der Ausgangspunkt zu einem Weg, der ihn den bewässerten Ebenen entlang führte, und auf dem er seine Zelte «bis nach Sodom» aufschlug (1. Mo 13,12). Schliesslich wohnte er sogar in der Stadt selbst und nahm seinen Platz unter den Männern ein, die im Tor sassen, d.h. ein öffentliches Amt ausübten. Wir wissen, dass der gerechte Lot durch das, was er in jener verdorbenen Stadt sah und hörte, Tag für Tag seine Seele quälte (2. Pet 2,7.8). Müssen wir daraus schliessen, dass er unter dem Einfluss der Seinen handelte, als er sich dort niederliess und heimisch machte, trotz der beunruhigenden Fragen, die täglich an ihn herantraten? Wogen die Vorteile, die diese von irdischem Profit begünstigte Stadt seinen Kindern bot, dies alles auf? Wie dem auch sei, seine Töchter heirateten Männer von Sodom und liessen sich definitiv in dieser Stadt nieder.
Was wir aber in Kapitel 19,14 lesen, scheint mir das Schmerzlichste in dieser traurigen Geschichte: «Und Lot ging hinaus und redete zu seinen Schwiegersöhnen, die seine Töchter genommen hatten, und sprach: Macht euch auf, geht weg aus diesem Ort; denn der HERR will die Stadt verderben. Aber er war in den Augen seiner Schwiegersöhne wie einer, der Scherz treibt.» Seinen Schwiegersöhnen schien es also, als wolle Lot spassen! Liegt darin nicht eine feierlich ernste Lehre? Denn wir müssen annehmen, dass, wenn die Schwiegersöhne diese schreckliche Warnung als einen Scherz auffassten, Lot im Umgang mit den Seinen nicht immer Worte gebrauchte, die von einem würdigen Ernst durchdrungen waren. Bei all der täglichen Betrübnis seiner Seele, einer Not, die Gott allein kannte, traute man ihm leichtfertige Worte zu! Seine Töchter und ihre Familien waren von der Zerstörung der Stadt bedroht, und wenn er sie warnte, konnten sie meinen, er treibe Scherz!
Hier lässt sich ein Vers aus dem Prediger anführen: «Tote Fliegen machen das Öl des Salbenmischers stinkend und gärend: Ein wenig Torheit hat mehr Gewicht als Weisheit und Ehre» (oder: «so wirkt auch ein wenig Torheit bei dem, der um seiner Weisheit und Ehre willen geachtet ist») – (Pred 10,1).
Es ist daher nicht erstaunlich, dass sich im Neuen Testament ernste Ermahnungen zur Nüchternheit und Besonnenheit an die Adresse derer finden, die in der Versammlung eine Stellung der Verantwortlichkeit einnehmen (siehe besonders 1. Tim 3,2.8 – Tit 1,7; 2,2) sowie auch die Warnung, dass sich Schändlichkeit und albernes Geschwätz oder Witzelei nicht geziemen (Eph 5,4). Es gibt zwei besonders unschickliche Formen der Witzelei: Die erste besteht im Scherzen über die Sünde und ist in der Welt gang und gäbe. Die zweite, die man mehr unter den Christen findet, besteht in unwürdigen Anführungen oder Anwendungen des Wortes Gottes. Wir werden darüber Rechenschaft geben müssen.
Damit ist die betrübende Geschichte Lots und seiner Familie leider noch nicht zu Ende. Sie wird noch schlimmer. Dass seine Frau «sich hinter ihm umsah», verrät, wo ihr Herz weilte, und sie «wurde zu einer Salzsäule». Eine ernste Warnung für uns alle! Seine beiden Töchter, die der Vernichtung Sodoms entrannen, machten in zwei aufeinanderfolgenden Nächten ihren Vater betrunken. Hätten sie wohl an solches gedacht und wäre es ihnen gelungen, wenn dies nicht schon früher vorgekommen wäre? Und zu seiner und ihrer bleibenden Schande wurden sie die Mütter der Moabiter und Ammoniter, die zu den erbittertsten Feinden Israels zählten.
Zu diesem Endpunkt führten die Schritte eines Mannes, dessen Irrweg mit einem begehrlichen Blick auf die bewässerte Ebene der Welt begann.
Bitten wir Gott, dass Er uns vor ähnlichen Wegen bewahre!