Es ist überaus wunderbar, dass der ewige Sohn Gottes Mensch geworden ist. Als solcher ist Er in alles eingetreten, was dem Menschen eigen ist. Seine menschliche Natur war wirklich und vollkommen, aber sündlos. In den Einzelheiten des täglichen Lebens lernte Er alle irdischen Umstände und Gegebenheiten als ein Mensch kennen, der einerseits göttliche Empfindungen, Wünsche und Ziele besass und anderseits müde, hungrig und durstig sein konnte. Der Herr Jesus kannte wie kein anderer die Tiefe des menschlichen Leidens. Angesichts des Todes seufzte Er tief im Geist und vergoss Tränen, weil Er die schrecklichen Folgen der Sünde für die Menschen erkannte – besonders für diejenigen, die Er liebte.
Psalm 16
Auch die Überschriften der Psalmen sind von Gott inspiriert. In Psalm 16 lautet sie: «Ein Miktam von David.» Daraus erkennen wir, dass David das Instrument war, das der Geist Gottes benutzte, um die innersten Gefühle und Gedanken des Herrn Jesus als Mensch in der Welt zum Ausdruck zu bringen. Einige Ausleger sind der Ansicht, dass Miktam «ein goldenes Juwel» bedeutet oder wie Luther übersetzt hat: ein goldenes Kleinod. Was auch die wahre Bedeutung dieses Wortes sein mag, Psalm 16 ist tatsächlich ein goldenes Juwel. Jeder Gläubige, der den Herrn Jesus liebt und gern über sein heiliges Leben auf der Erde nachdenkt, das Er zur Ehre Gottes und zum Segen der Menschen geführt hat, findet in diesem Psalm einen reichen und kostbaren Schatz.
Bewahre mich, Gott (Vers 1)
Obwohl der Mensch gewordene Sohn Gottes allmächtig war und seine göttliche Kraft zum Wohl der Menschen einsetzte, benutzte Er seine Macht nicht, um seine eigenen Umstände zu erleichtern oder um sich vor den Angriffen seiner Feinde zu schützen. Er nahm als wirklicher Mensch eine Stellung der Abhängigkeit von Gott ein und war sich bewusst, dass Er den göttlichen Schutz nötig hatte. Schon am Anfang seines Lebens versuchte Satan durch Herodes, Jesus zu töten. Aber Gott verhinderte es. Er sandte einen Engel zu Joseph, der ihm sagte, wie er das Kind Jesus bewahren konnte: durch die Flucht nach Ägypten.
Es ist eine Sache, von Gott bewahrt zu werden, und eine andere, die Notwendigkeit seiner Bewahrung in einer feindlichen Welt zu empfinden. Gott ist tatsächlich «ein Erhalter aller Menschen, besonders der Gläubigen» (1. Tim 4,10). Je deutlicher uns bewusst wird, wie böse die Welt um uns her ist, desto mehr verspüren wir die Notwendigkeit der Bewahrung Gottes. Mit vollkommenen Empfindungen und im Bewusstsein, dass alle Kräfte des Bösen gegen Ihn gerichtet waren, betete der Herr Jesus als abhängiger Mensch: «Bewahre mich, Gott!»
Ich suche Zuflucht bei dir (Vers 1)
Im Lukas-Evangelium finden wir den Herrn bei mehreren Gelegenheiten im Gebet, was die völlige Abhängigkeit des vollkommenen Menschen von Gott deutlich macht. Eine Bibelstelle, die sein echtes Menschsein zeigt, ist Hebräer 2,13: «Ich will mein Vertrauen auf ihn setzen.» Sie drückt das gleiche aus wie die Worte in Psalm 16: «Ich suche Zuflucht bei dir!» Sein ungebrochenes Vertrauen auf Gott und seine Abhängigkeit von Gott äusserten sich in seinen Gebeten. Welch ein Unterschied besteht zwischen Jesus und dem natürlichen Menschen, der auf sein Selbstvertrauen stolz ist und sich seiner Selbstständigkeit rühmt!
Der Weg des Herrn Jesus als bescheidener und abhängiger Mensch war einsam. Er lebte jedoch immer in Gemeinschaft mit Gott, auf den Er sich jederzeit verlassen konnte. Als Er den Widerstand der Juden erfuhr, sagte Er zu ihnen: «Der mich gesandt hat, ist mit mir, er hat mich nicht allein gelassen, weil ich allezeit das ihm Wohlgefällige tue» (Joh 8,29). Im Blick auf den Verrat durch Judas und die Flucht seiner übrigen Jünger erklärte Er: «Siehe, die Stunde kommt und ist gekommen, dass ihr zerstreut werdet, jeder in das Seine, und mich allein lasst; und ich bin nicht allein, denn der Vater ist bei mir» (Joh 16,32). Der Herr Jesus hatte während seines ganzen Lebens auf der Erde immer auf seinen Gott und Vater vertraut und war nie enttäuscht worden. Deshalb besass Er die feste Zuversicht, dass der Vater auch in der Stunde seiner tiefsten Leiden, wenn die Jünger Ihn im Stich lassen würden, bei Ihm sein würde.
Die jüdische Führerschaft wusste sehr wohl, dass Jesus sein Vertrauen auf Gott setzte. Als Er am Kreuz hing, verhöhnten sie Ihn deswegen. Die Hohenpriester, die Schriftgelehrten und die Ältesten spotteten: «Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn» (Mt 27,43). Aber sein Vertrauen auf Gott blieb unerschütterlich, auch als Er mit lauter Stimme rief: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» (Mt 27,46). Ganz am Ende, kurz bevor Ihn der Tod mit seiner ganzen Macht traf, schrie Er zu Gott: «Rette mich aus dem Rachen des Löwen! – Ja, du hast mich erhört von den Hörnern der Büffel» (Ps 22,22). Sein Vertrauen auf Gott bis in den Tod wurde nicht beschämt, denn der Vater antwortete auf seinen Schrei und auferweckte Ihn aus den Toten.
Du hast zu dem HERRN gesagt (Vers 2)
Es ist ein grosses Vorrecht, dass wir manchmal zuhören dürfen, wie der Sohn als abhängiger Mensch sein Herz vor seinem Gott und Vater ausschüttet. Er war gekommen, um Ihm zu dienen. Sein Leben im Dienst für Gott war ein Leben in ständiger Gemeinschaft mit Gott, dem Er alle seine Gedanken, Empfindungen und Wünsche mitteilte. Ein besonderes Beispiel dafür ist Johannes 17. In diesem wunderbaren Kapitel hören wir, wie der Sohn Gottes als Mensch auf der Erde zu seinem Vater spricht.
Du bist der Herr (Vers 2)
Auch die Unterordnung unter Gott kennzeichnete den Herrn Jesus in seinem Leben der Abhängigkeit. Als göttliche Person hatte Er im Himmel immer befohlen und die Engel hatten seinem Wort gehorcht. Aber dann wurde Er Mensch und lernte an dem, was Er litt, den Gehorsam (Heb 5,8). Zu leiden war für Ihn als göttliche Person eine neue Erfahrung, gehörte aber zu seinem wahren Menschsein, das Er angenommen hatte. Er war der einzige Mensch, der ein Recht besass, seinen eigenen Willen zu tun, und zugleich der einzige, der nie seinen eigenen Willen tun wollte. Für jeden anderen Menschen ist die Verwirklichung des eigenen Willens Sünde. Aber Jesus sagte: «Vater, wenn du willst, so nimm diesen Kelch von mir weg – doch nicht mein Wille, sondern der deine geschehe!» (Luk 22,42). Es war für Jesus nicht lästig, sich seinem Gott unterzuordnen und Ihm zu gehorchen. Im Gegenteil! Er fand Freude daran, den Willen seines Gottes und Vaters zu erfüllen.
Meine Güte reicht nicht zu dir hinauf (Vers 2)
Im Herrn Jesus, dem Sohn Gottes auf der Erde, kam die Güte Gottes gegenüber den Menschen vollkommen zum Ausdruck. Zugleich fand in seinem Leben die Güte, die der Mensch gegenüber Gott zeigen sollte, ihre makellose Darstellung. Die vollkommene Güte des Menschen, wenn sie gefunden werden könnte, ist die Erfüllung dessen, was der Schöpfer von den Menschen fordert. Das wirklich Gute kann man jedoch bei allen, die von Adam abstammen, nicht finden. Nur im Leben des zweiten Menschen, des im Fleisch gekommenen Schöpfers, wird es gefunden. Als wahrer Mensch sagte Er: «Meine Güte reicht nicht zu dir hinauf.»
Was es auch Gutes bei Adam in seiner Unschuld gab, durch den Sündenfall wurde es zerstört. Seither lautet das göttliche Urteil über die Menschen: «Da ist keiner, der Gutes tut, auch nicht einer» (Ps 14,3). Nach menschlichen Massstäben sprechen wir von «guten Menschen», und die Bibel anerkennt diese menschliche Beurteilung auch (z.B. 2. Sam 18,27; Spr 14,14). Aber nach göttlichem Massstab gibt es keinen, der gut ist. Als ein junger Mann den Herrn Jesus mit «guter Lehrer» ansprach, bekam er zur Antwort: «Was nennst du mich gut? Niemand ist gut, als nur einer, Gott» (Mk 10,18). Leider fehlte dem jungen Mann der Glaube, um wie Thomas zum Herrn Jesus zu sagen: «Mein Herr und mein Gott!» (Joh 20,28).
Obwohl Jesus seine Güte Gott nicht vorstellte, fand der Vater eine tiefe Freude an der Vollkommenheit seines Sohnes, an seiner ständigen Abhängigkeit, an seiner völligen Unterordnung und an seinem Gehorsam, indem Er nur den Willen seines Vaters tat. Er freute sich auch an der vollkommenen Güte Jesu, die eine Antwort auf Gottes Gedanken über das war, was der Mensch in der Welt für Gott sein sollte. Der Sohn erwartete für seine Güte keinen Lohn von Gott, denn Er anerkannte, dass der Mensch im Herzen und im Leben vor Gott vollkommen sein sollte.
Die Heiligen und Herrlichen (Vers 3)
Wenn die Güte des Herrn Jesus als Mensch auch nicht zu Gott hinaufreichte – wie es soeben beschrieben worden ist –, so gab es doch solche, die sowohl von seiner göttlichen Güte als auch von dem, was Er persönlich für sie war, einen grossen Nutzen hatten. Von ihnen spricht Er nun.
Seine Jünger waren für Ihn die Herrlichen auf der Erde, weil sie die Heiligen Gottes und seine auserwählten Gefährten waren. Zudem machte sich Jesus bei seiner Taufe mit denen eins, die vor Gott gerecht waren, weil sie Ihm ihre Sünden bekannt hatten. Deshalb sagte Er zu Johannes dem Täufer: «So gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen» (Mt 3,15). Sogleich aber verkündete der Vater, wer dieser Jesus war: Sein geliebter Sohn, an dem Er Wohlgefallen gefunden hatte.
Jesus Christus fand seine Freude an den Auserwählten Gottes. Ihnen anvertraute Er die Geheimnisse seines Herzens. Er teilte ihnen alles mit, was Er vom Vater gehört hatte, und nannte sie seine Freunde (Joh 15,15).
Der Götzendienst in Israel (Vers 4)
Der Götzendienst hatte die Israeliten ins Exil gebracht. Seither standen sie unter der Fremdherrschaft der Nationen. Es gab in Israel jedoch einen Überrest, der Gott treu blieb. Mit ihm machte sich der Herr eins. Er hatte wie sie keinen anderen Gott als den HERRN. Niemals würde Er an den Götzenopfern des Volkes Israel teilhaben.
In der Zukunft wird Israel unter der Führung des Antichristen zum Götzendienst zurückkehren. Auch dann wird Gott einen gläubigen Überrest haben. Welche Gedanken und Gefühle diese Treuen mitten in der Drangsal im Blick auf die Götzendiener in Israel haben werden, bringt der Herr hier zum Ausdruck: «Ihre Trankopfer von Blut werde ich nicht spenden und ihre Namen nicht auf meine Lippen nehmen.» Diese Gedanken teilte Er mit ihnen.