Demütigung

Psalm 119,67.71.75-76.107

Demut ist eine Tugend, die uns nicht angeboren ist. Daher haben wir nötig, uns zu demütigen. Wir werden im Neuen Testament ausdrücklich dazu aufgefordert (Jak 4,10; 1. Pet 5,6). Dabei dürfen wir auf unseren Herrn schauen. Er sagt uns: «Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig», und verbindet damit die Zusage der inneren Ruhe (Mt 11,29). Er ist unser perfektes Beispiel, denn Er ist der Einzige, der nie nötig hatte, gedemütigt zu werden.

Das Wort «Demut» hat im Neuen Testament die Bedeutung von Niedrigkeit und Bescheidenheit. Wer sich selbst demütigt, hält sich für gering und überschätzt sich nicht selbst. Er ist bereit, sich zu beugen und zu unterwerfen. In letzter Konsequenz bedeutet Demut, gar nicht an sich zu denken. In Römer 12,16 wird uns gesagt, dass wir uns zu den Niedrigen (den Demütigen) halten sollen. In Philipper 2,3 schreibt Paulus, dass wir in der Demut einer den anderen höher achten sollen als uns selbst. Petrus fordert uns auf, gegeneinander mit Demut fest umhüllt zu sein (1. Pet 5,5). Es liegt auf der Hand, dass diese Tugend in der Welt keinen sehr hohen Stellenwert hat.

Der uns Menschen angeborene Hochmut steht der Demut entgegen. Davon sind die Glaubenden nicht ausgenommen. So lange wir noch die alte Natur (das Fleisch) in uns haben, werden wir immer wieder zum Hochmut neigen. Wenn wir dieser Neigung nachgeben, muss Gott uns demütigen. Denn «Gott widersteht den Hochmütigen» (Jak 4,6; 1. Pet 5,5). Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt (gedemütigt) werden (Mt 23,12). Das ist manchmal nötig, obwohl niemand von uns gern gedemütigt wird!

Das Alte Testament spricht ebenfalls davon, dass Menschen sich selbst demütigen sollen. Gott spricht einige Male von «kasteien» (z.B. 3. Mo 16,29.31; 23,27.29.32) und gebraucht dabei ein Wort, das an anderen Stellen mit «demütigen» übersetzt wird. Es bedeutet, sich zu beugen oder herabzulassen.

Zudem spricht auch das Alte Testament davon, dass Gott uns manchmal demütigen muss. Das ist ein schmerzlicher und notwendiger, aber auch heilsamer Vorgang. Der Schreiber von Psalm 119 spricht viermal von Demütigung, und es lohnt sich, diese Verse einmal kurz zu besehen:

Vor und nach der Demütigung

Psalm 119,67: Bevor ich gedemütigt wurde, irrte ich; jetzt aber halte ich dein Wort.

Der Psalmdichter spricht in seinem langen Psalm häufig über das Wort (Gesetz) seines Gottes und bezeichnet es auf ganz unterschiedliche Weise. Es war sein Wunsch, sein Leben nach diesem Wort auszurichten. Trotzdem stellte er fest, dass er häufig irrte und sein Leben nach seinen eigenen Vorstellungen ausrichtete. So musste Gott ihn demütigen, damit er zum Wort Gottes zurückkehrte.

Uns ergeht es oft nicht anders. Obwohl wir wissen, dass nur das Wort Gottes der Massstab für unser Leben (persönlich, familiär, beruflich und gemeinsam als Volk Gottes) sein kann, weichen wir oft davon ab. Wir «irren» und handeln so, wie es uns selbst gefällt. Solche Verirrungen zu erkennen und einzusehen, fällt uns oft schwer. David fragt zu Recht: «Verirrungen, wer sieht sie ein?» (Ps 19,13). Dann kommt es so weit, dass Gott uns auf die eine oder andere Weise demütigen muss. In seiner Regierung handelt Er mit uns, um uns auf den richtigen Weg zurückzubringen. Das mag mitunter schmerzhaft sein und uns nicht gefallen. «Alle Züchtigung aber scheint für die Gegenwart nicht ein Gegenstand der Freude, sondern der Traurigkeit zu sein; danach aber gibt sie die friedsame Frucht der Gerechtigkeit denen, die durch sie geübt worden sind» (Heb 12,11). Die friedsame Frucht wird dann wachsen, wenn wir das Wort Gottes wieder befolgen.

Der Nutzen der Demütigung

Psalm 119,71: Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Satzungen lernte.

In diesem Vers zeigt der Psalmdichter, dass die Züchtigung Gottes für ihn «gut» war, denn sie verfolgte ein konkretes Ziel. Wenn Menschen andere züchtigen, tun sie es häufig nach eigenem Gutdünken, ohne eine klare Absicht zu verfolgen. Wenn Gott uns erzieht und demütigt, hat Er damit immer ein gutes Ziel im Auge. Er tut es «zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden» (Heb 12,10).

Es fällt uns häufig schwer zu erkennen, dass Demütigung «gut» für uns ist. Doch oft gibt es keinen anderen Weg, um die Satzungen Gottes zu lernen. Als Gläubige der Gnadenzeit stehen wir nicht – wie die Israeliten – unter einem «Gebot in Satzungen», sondern leben aus der Gnade. Dennoch gibt uns das Wort Gottes Leitlinien für unser Verhalten, die wir zu unserem eigenen Nutzen einhalten sollen. Diese Leitlinien müssen wir lernen zu beachten, damit Gott in unserem Leben verherrlicht wird. Ein Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, ist die Demütigung. Oft verhalten wir uns leider wie ein Ross oder ein Maultier und müssen mit Zaum und Zügel gebändigt werden (Ps 32,9).

Demütigung kommt aus der Hand Gottes

Psalm 119,75.76: Ich weiss, HERR, dass deine Gerichte Gerechtigkeit sind und dass du mich gedemütigt hast in Treue. Lass doch deine Güte mir zum Trost sein, nach deiner Zusage an deinen Knecht!

Erst in diesem Vers macht der Psalmdichter deutlich, von wem die Züchtigung kommt, nämlich von dem HERRN, dem Ewigen und Unveränderlichen (Jahwe). David hatte nach einem schwerwiegenden Fehltritt den Wunsch, nicht in die Hand der Menschen zu fallen, sondern in die Hand des HERRN. Er wusste, dass sein Erbarmen auch dann noch gross ist, wenn Er die Seinen züchtigen muss (2. Sam 24,14; 1. Chr 21,13). Der Schreiber des Psalms weiss ebenfalls, dass Gott gerecht handelt. Er bleibt treu und gütig, Er steht immer zu seinen Zusagen.

Die Aussage dieser beiden Verse ist sehr lehrreich:

  1. Der Psalmdichter rechtfertigt Gott und spricht von seinen gerechten Gerichten. Er schreibt Gott nichts Ungerechtes zu, sondern anerkennt die Notwendigkeit der Demütigung.
  2. Der Psalmdichter nimmt die Demütigung aus der Hand des HERRN an. Er weiss: Es ist Gott, der mit mir handelt.
  3. Der Psalmdichter glaubt, dass Gott nicht willkürlich handelt, sondern die Seinen in Treue demütigt. Gott handelt immer in Übereinstimmung mit dem, was Er ist.
  4. Der Psalmdichter bittet erstaunlicherweise nicht darum, die Demütigung wegzunehmen. Sein Gebet ist, dass Gottes Güte ihm zum Trost wird. Bei Paulus sehen wir, dass der Dorn im Fleisch nicht weggenommen wurde, aber Gott ihm seine Gnade zusagte (2. Kor 12,9).
  5. Der Psalmdichter appelliert an die Zusagen Gottes, die Er uns macht und auf die wir fest vertrauen dürfen. Für uns Christen gilt, dass seine Zusagen in Christus «Ja» und durch Christus «Amen» sind, Gott zur Herrlichkeit (2. Kor 1,20).

Hilfe in der Demütigung

Psalm 119,107: Ich bin über die Massen gebeugt; HERR, belebe mich nach deinem Wort!

Der Psalmist fühlt die Demütigung (Beugung) zutiefst. Sie ist für ihn nicht einfach, sondern er empfindet sie als «über die Massen». Trotzdem macht er Gott keinen Vorwurf, sondern wendet sich noch einmal an den HERRN, den Unwandelbaren, und bittet Ihn um Belebung nach seinem Wort. Man könnte auch übersetzen: «Erhalte mich am Leben.»

Wir wenden uns in der Prüfung und Demütigung an unseren Herrn, von dem wir wissen, dass Er derselbe ist «gestern und heute und in Ewigkeit» (Heb 13,8). Die Intensität und die Zeitdauer der Demütigung liegt in seiner Hand. Gott ist ein Gott des Masses (2. Kor 10,13). Das gilt auch dann, wenn Er uns demütigen und erziehen muss. Es wird niemals «über Vermögen» sein (1. Kor 10,13).

Zusammenfassung

Demütigung durch Gott ist manchmal erforderlich, wenn wir nicht selbst bereit sind, uns zu demütigen. Wenn wir irren und von seinem Wort abweichen, greift Er in seiner Regierung in unser Leben ein. Er tut das jedoch immer zu unserem Guten und mit einem Ziel. Wir dürfen Gottes Hand darin erkennen, die zu unserem Nutzen handelt und uns in der Prüfung hilft. In allem bleibt Gott treu.