Debora

Richter 4,4-9

Einführung

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Gott Männer erweckt, um Israel von den Bedrückern zu befreien und das Volk zu führen. Nun finden wir aber Debora, eine Frau. Sie war eine Prophetin, die unter ihrer Palme sass und das Volk Israel richtete. Das war ein sehr ungewöhnlicher Zustand. Er deutet darauf hin, dass es den Männern an Führungskraft, an Glaubensmut und an Leitung durch den HERRN fehlte.

In den Vorbildern der Bibel stellt der Mann die Stellung und die Frau den Zustand der Gläubigen dar. Am Auferstehungsmorgen des Herrn Jesus wird diese Wahrheit durch die Jünger und durch Maria Magdalene deutlich. Die Jünger, die als Apostel eine besondere Stellung einnahmen, blieben nicht bei der Gruft. Sie hatten nicht diese starke Zuneigung zum Herrn Jesus wie Maria, die nicht ohne Ihn leben konnte. Sie war in der richtigen Verfassung, um als Erste eine Begegnung mit dem Herrn zu haben und den Jüngern seine wunderbare Botschaft zu bringen. «Geh aber hin zu meinen Brüdern und sprich zu ihnen: Ich fahre auf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott» (Joh 20,17). Ihr Zustand war gut.

Eine ähnliche Situation herrschte zur Zeit Deboras. In ihrem Lied wird die Frage aufgeworfen: «Wurde wohl Schild und Lanze gesehen unter 40'000 in Israel?» (Ri 5,8). Daraus können wir schliessen, dass es unter den 40'000 Soldaten keinen gab, der bereit war, an diesem bösen Tag aufzustehen, um im Volk Israel den HERRN und seine Interessen zu vertreten. Darum heisst es im vorhergehenden Vers 7: «Bis ich, Debora, aufstand, bis ich aufstand, eine Mutter in Israel.» Dieser Frau lagen die Interessen Gottes am Herzen. Sie war bereit, diesen Standpunkt einzunehmen. Ihr Beispiel ist eine grosse Ermutigung für gläubige Frauen: Sie können im Rahmen der Stellung, die der Schöpfer ihnen gegeben hat, für die Interessen des Herrn aufstehen und Ihm treu dienen.

Debora – die Prophetin

Debora wird eine Prophetin genannt. Wenn wir die Bibel untersuchen, sehen wir, dass es im Alten und im Neuen Testament Frauen gab, die Prophetinnen waren oder von denen gesagt wird, dass sie einen prophetischen Dienst taten:

  • «Mirjam, die Prophetin, Aarons Schwester, nahm das Tamburin in ihre Hand; und alle Frauen zogen aus, hinter ihr her, mit Tamburinen und in Reigen» (2. Mo 15,20). Mirjam lobte mit anderen Frauen den HERRN.
  • «Debora, eine Prophetin, die Frau Lappidots, richtete Israel in jener Zeit» (Ri 4,4). Debora übermittelte die Botschaft des HERRN und richtete das Volk.
  • «Da gingen Hilkija und diejenigen, die der König gesandt hatte, zur Prophetin Hulda» (2. Chr 34,22). Hulda teilte den Gesandten Josias die Gedanken Gottes mit. Es war keine ermutigende Prophezeiung, sondern eine Gerichtsankündigung. Doch der treue König Josia sollte verschont werden.
  • «Ich nahte der Prophetin, und sie wurde schwanger und gebar einen Sohn» (Jes 8,3). Hier geht es um die Frau Jesajas, die ihm zwei Söhne gebar. Ihre Namen stellen verschiedene Abschnitte in der Geschichte Israels dar.
  • «Gedenke es, mein Gott, dem Tobija und dem Sanballat nach diesen ihren Werken, und auch der Prophetin Noadja und den übrigen Propheten, die mich in Furcht versetzen wollten!» (Neh 6,14). Noadja war eine falsche Prophetin. Sie widerstand Nehemia, dem Mann Gottes, und half den Feinden, die versuchten, dem Werk Gottes zu schaden.
  • «Es war eine Prophetin Anna da, eine Tochter Phanuels, aus dem Stamm Aser» (Lk 2,36). Anna betete, fastete, lobte Gott und sprach vom Herrn zu allen, die in Jerusalem auf Erlösung warteten. Sie war eine beachtenswerte Frau. Obwohl sie schon sehr alt war, staunen wir über ihre geistliche Frische und die Energie, die sie an den Tag legte.
  • «Dieser aber hatte vier Töchter, Jungfrauen, die weissagten» (Apg 21,9). Die Bibel sagt uns klar, dass die Frauen in den Versammlungen schweigen sollen (1. Kor 14,34-36; 1. Tim 2,11.12). Darum können wir davon ausgehen, dass die Töchter des Evangelisten Philippus ihren prophetischen Dienst zu Hause im privaten Bereich ausübten.

Das sind die sieben Bibelstellen, die Prophetinnen erwähnen. Sechs davon zeigen positive Beispiele, eine Stelle spricht von einer falschen Prophetin.

Der Charakter der Prophetie

Wenn wir fragen: Was ist Prophezeiung?, dann sagen die meisten: Es ist die Voraussage zukünftiger Ereignisse. Das ist tatsächlich ein Aspekt der Prophetie, aber nicht der einzige. Prophezeien bedeutet auch, zum aktuellen Zeitpunkt Gottes Gedanken anhand seines Wortes weiterzugeben, um dem Volk Gottes in einer bestimmten Situation zu helfen. Es geht nicht nur darum, einen Bibelvers zu zitieren, was immer wertvoll ist. Es handelt sich auch nicht darum, eine biblische Wahrheit zu erklären, was an seinem Platz gut ist. Der prophetische Dienst befasst sich mit den aktuellen Problemen im Volk Gottes und gibt darauf eine Antwort aus der Bibel. Das ist die gegenwärtige Form der Prophetie.

Wenn ein Mann oder eine Frau unter der Leitung des Geistes Gottes ein passendes Wort weitergibt, das auf den Zustand der Gläubigen zu einem bestimmten Zeitpunkt zugeschnitten ist, tun sie den Dienst der Prophezeiung oder Weissagung. Sie geben ein Wort aus der Bibel weiter, das den aktuellen Bedürfnissen gerecht wird.

Aus 1. Korinther 14,3 lernen wir, dass die Prophetie oder Weissagung drei Ziele verfolgt:

  • Erstens dient sie zur Erbauung. Sie stärkt die Gläubigen in ihrer Zuneigung zu Gott, in ihrer Erkenntnis der Wahrheit, in ihrer Verantwortung und in ihren Vorrechten.
  • Zweitens ist eine Weissagung zur Ermahnung. Sie weckt die Zuneigung zum Herrn und fordert die Gläubigen auf, ihrer Verantwortung nachzukommen und in Hingabe an Gott zu leben.
  • Drittens dient der prophetische Dienst zur Tröstung. Die Erlösten brauchen auf dem Glaubensweg auch Ermutigung, Trost und Hilfe aus Gottes Wort.

Wir fassen zusammen: Das prophetische Wort baut auf, rüttelt auf und muntert auf.

Aus 1. Korinther 14 erkennen wir, wie wichtig der Dienst der Weissagung in den Zusammenkünften zur Wortverkündigung ist. In Vers 26 heisst es: «Wenn ihr zusammenkommt, so hat jeder von euch einen Psalm, hat eine Lehre, hat eine Offenbarung, hat eine Sprache, hat eine Auslegung; alles geschehe zur Erbauung.» Um in der Zusammenkunft etwas zu haben, muss man sich vorher mit dem Wort Gottes beschäftigt haben. Dann kann der Heilige Geist in der Zusammenkunft von dem Gebrauch machen, was vorhanden ist. Ich glaube jedoch, dass es falsch wäre, wenn ein Bruder mit dem festen Vorsatz zur Wortverkündigung käme, in jenem Moment die bestimmte Botschaft weiterzugeben, die er vorbereitet hat. Viel besser ist es, am Anfang der Zusammenkunft demütig auf den Herrn zu warten, dass Er durch seinen Diener oder seine Diener ein passendes Wort gibt, das zu diesem Zeitpunkt für uns notwendig ist. Nur so kann der Dienst der Weissagung zur Ausübung kommen. Es geht nicht einfach darum, die biblische Wahrheit vorzustellen, obwohl das in gewissem Sinn immer der Fall ist, wenn das Wort verkündigt wird. Der Dienst der Weissagung stellt ein bestimmtes Wort vor, das den aktuellen Bedürfnissen entspricht. Damit dies möglich ist, müssen wir uns auf den Herrn werfen und Ihn fragen, welches Wort jetzt angebracht ist. Dazu ist es nötig, auf seine Führung zu warten, um sicherzugehen, ob ich wirklich sprechen soll. Wir müssen – in aller Ehrfurcht gesagt – Ihm die Gelegenheit geben, durch uns zu reden. Wie wichtig ist es deshalb, vor der Zusammenkunft zu beten und in einer demütigen und fragenden Haltung vor dem Herrn zu sein. Dann wird Er dem Diener, den Er benutzen will, das Wort zeigen, das zu unserer Erbauung, Ermahnung und Stärkung nötig ist. Das ist, wie ich glaube, der Dienst der Prophezeiung im Neuen Testament, wie er heute noch ausgeübt wird.

Streng genommen ist die Zeit der Propheten und ihres prophetischen Dienstes vorbei. Die Versammlung ist «auf der Grundlage der Apostel und Propheten» aufgebaut worden (Eph 2,20). Man legt ein Fundament nicht zweimal. Wenn ein Fundament gelegt wird, sorgt man dafür, dass es tiefgründig und fest ist, um dann darauf das Gebäude zu errichten. Der Dienst der Apostel und Propheten bildet das Fundament der Versammlung. Am Anfang der christlichen Zeit war das Neue Testament noch nicht abgeschlossen. Die Christen hatten noch keine eigene Bibel wie wir. Viele von ihnen waren Sklaven, die weder lesen noch schreiben konnten. Aber sie konnten zuhören. Deshalb fordert Paulus seinen Mitarbeiter Timotheus auf: «Halte an mit dem Vorlesen» (1. Tim 4,13). Er sollte die Briefe des Apostels denen vorlesen, die nicht selbst lesen konnten, damit sie die Gedanken des Herrn kennen lernten. Die Apostel und Propheten des Neuen Testaments redeten das Wort des Herrn unter der Leitung des Heiligen Geistes, wie es notwendig war. Ausserdem wurden sie vom Heiligen Geist wörtlich inspiriert, als sie die Schriften des Neuen Testaments niederschrieben. So finden wir jetzt alle offenbarten Gedanken Gottes in seinem Wort. Folglich hat der prophetische Dienst heute keinen inspirierten Charakter mehr. Er geschieht im Rahmen des geschriebenen Wortes Gottes. Der Heilige Geist nimmt das Wort, legt es auf unser Herz und unser Gewissen und bringt uns dadurch einen Segen. So war Debora als Prophetin in der Lage, den Menschen die Gedanken des HERRN zu vermitteln, wie sie sie damals brauchten.

Debora unter der Palme

«Sie wohnte unter der Debora-Palme» (Ri 4,5). Wenn der Geist Gottes so etwas in der Bibel aufschreiben lässt, gibt es einen besonderen Grund dafür. Es hätte eine Eiche oder sonst ein Baum sein können. Doch es war eine Palme. Der Geist Gottes nennt sie sogar die Debora-Palme. Sie sass unter dieser Palme und richtete das Volk Israel. Die Leute kamen mit ihren Problemen zu ihr und sie half ihnen. Wir fragen uns: Was stellen Palmen in der Bibel dar?

Die erste Erwähnung finden wir in 2. Mose 15,27, wo die Israeliten nach Elim zu zwölf Wasserquellen und 70 Palmen kamen. Das war für sie ein enormer Segen. Sie waren durch die Wüste gewandert und hatten Durst. Da kamen sie an diesen Ort der Erfrischung und Fruchtbarkeit. Dort gab es Schatten, wo sie sich ausruhen konnten. Als Salomo den Tempel für Gott baute, verzierte er dieses Gebäude auch mit Palmen (1. Kön 6,29-35; 7,36; 2. Chr 3,5). Im Neuen Testament lesen wir, dass die Menschen Palmzweige abschnitten und auf den Weg streuten, wo der Messias auf einem Eselsfohlen in die Stadt Jerusalem hineinritt (Joh 12,12.13). In Offenbarung 7,9 gibt es noch einen Hinweis auf die Palme. In einer Vision sieht Johannes eine grosse Volksmenge, die aus der grossen Drangsal kommt. Diese Menschen aus den Nationen gehören dem Herrn und stehen mit Palmen in den Händen vor dem Thron Gottes. Dort singen sie ein Loblied zur Ehre Gottes und des Lammes. Der Sieg ist gesichert, die Schlacht ist gewonnen. Sie haben alle Schwierigkeiten und Prüfungen überstanden und sind treu geblieben. In ihren Händen ist das Zeichen des Sieges. So glauben wir, dass die Palme neben dem Frieden auch den Sieg repräsentiert.

Debora war eine Frau, die in ihrem Herzen fest an den Sieg glaubte. So sass sie unter ihrer eigenen Palme und richtete Israel. Wir finden in der Bibel einige Diener des Herrn, die triumphierten, bevor der Kampf überhaupt begann. Als König Josaphat die gewaltige Armee sah, die gegen sein Volk heranzog, betete er zum HERRN. Da sicherte Gott ihm im Voraus den Sieg zu. Was tat nun Josaphat? Er brachte sein Heer in Stellung, stellte aber die Sänger voran, die den HERRN für den Sieg lobten, bevor die Schlacht begann (2. Chr 20,1-30). Das ist nur durch Glauben möglich!

Der Apostel Paulus befand sich als Gefangener in Rom und hatte es schwer. Trotzdem konnte er sich freuen. Den Gläubigen in Philippi schrieb er: «Freut euch im Herrn allezeit!» (Phil 4,4). Man könnte fragen: Paulus, warum schreibst du von der Freude? Du bist doch ein Gefangener, der Feind hat dich überwunden, du kannst dem Herrn nicht mehr als freier Mann dienen. Warum forderst du die Gläubigen auf, sich zu freuen? Seine Antwort könnte so lauten: Christus ist der Grund meiner Freude. Zudem diene ich immer noch meinem Herrn, ich schreibe gerade an die Philipper. Denken wir nur daran, wie viele Millionen von Christen im Lauf der Zeit Trost aus dem Philipper-Brief bekommen haben! Für Paulus war der Aufenthalt im Gefängnis keine Niederlage. Er freute sich im Herrn und dachte an den zukünftigen Sieg: «Unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen» (Phil 3,20.21). Alle Tyrannen der Menschheitsgeschichte werden sich der Macht des Herrn Jesus beugen müssen, der jetzt verherrlicht zur Rechten Gottes ist. Paulus war in keiner Weise vom Geist der Niederlage beschwert. Im Gegenteil: «In diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat» (Röm 8,37).

Debora und Barak

«Sie sandte hin und liess Barak, den Sohn Abinoams, von Kedes-Naphtali, rufen; und sie sprach zu ihm: Hat nicht der HERR, der Gott Israels, geboten: Geh hin und zieh auf den Berg Tabor, und nimm mit dir 10'000 Mann von den Kindern Naphtali und von den Kindern Sebulon; und ich werde Sisera, den Heerobersten Jabins, zu dir heranziehen an den Bach Kison samt seinen Wagen und seiner Menge, und ich werde ihn in deine Hand geben?» (Ri 4,6.7).

In dieser Botschaft, die Debora an Barak richtete, gab es keine Anzeichen von Zweifel, Unsicherheit oder Zögern. Sie zeugte vielmehr von ihrem Glauben an den Sieg, den Gott schenken würde. Was sie Barak mitteilte, war klar und deutlich: Er sollte aus den Stämmen Naphtali und Sebulon 10'000 Männer nehmen und mit ihnen gegen Sisera, den Heerobersten Jabins, kämpfen. Er bekam auch die Zusicherung, dass der HERR die Kanaaniter in die Hand Baraks geben würde.

Das war eine wunderbare Botschaft für den, der sie bekam. Debora war eine Prophetin und hatte diese Botschaft vom HERRN empfangen. Nun gab sie diesen Auftrag einem Mann weiter, der in seiner von Gott gegebenen Stellung die Führung dieses Feldzugs übernehmen konnte. Es war beschämend für ihn, dass ihm diese Botschaft von einer Frau übermittelt werden musste. Doch die Leitung dieses Kampfs konnte sie nicht übernehmen. Das musste Barak tun.

Nun, was für ein Mann war Barak? Seine Antwort zeigt es uns: «Wenn du mit mir gehst, so gehe ich; wenn du aber nicht mit mir gehst, so gehe ich nicht» (Ri 4,8). Wie erbärmlich reagierte dieser Mann! Er wusste die Botschaft, die ihm überbracht worden war, nicht zu schätzen. In dieser überzeugenden Mitteilung ging es doch nicht um Debora, sondern um Gott und um das, was Er tun wollte! Wenn Barak die Botschaft so angenommen hätte, wie sie ihm überbracht worden war, dann hätte er die Gelegenheit gehabt, durch Glauben in seiner Führungsaufgabe zu glänzen. Stattdessen war er kleinmütig und musste als Folge davon die gerechte Regierung Gottes erfahren. Die Prophetin hatte ein weiteres Wort für ihn: «Ich will gewiss mit dir gehen; nur dass die Ehre nicht dein sein wird auf dem Weg, den du gehst, denn in die Hand einer Frau wird der HERR Sisera verkaufen.» Das war eine Botschaft von Gott. So geschah es auch: Barak besiegte zwar die feindliche Armee, aber der gegnerische Heeroberste wurde von einer Frau getötet. «So beugte Gott an jenem Tag Jabin, den König von Kanaan, vor den Kindern Israel» (Ri 4,23).