Gedanken zur Prophetie im Buch Ruth (2)

Ruth 1,16-17.22; Ruth 2,1; Ruth 3; Ruth 4,5-6.17

Im Buch Ruth schildert uns der Heilige Geist die Vergangenheit, den gegenwärtigen Zustand und die zukünftige Umkehr des Volkes Israel. Der Wegzug von Elimelech und seiner Familie nach Moab illustriert, wie dieses Volk den HERRN verlassen und sich dem Götzendienst zugewandt hat. Als Folge davon hat Gott seine Beziehung zu Israel abgebrochen, was im Tod Elimelechs dargestellt wird. Die Rückkehr von Noomi nach Bethlehem weist auf die zukünftige Umkehr Israels hin, wenn Gottes Gnade im Herzen eines Überrests gewirkt haben wird.

Der Überrest aus Israel in der Zukunft

Noomi geht nicht allein zurück

Noomi kehrt allerdings nicht allein zurück. Von dem Augenblick an, wo sie sich zur Umkehr aufmacht, tritt jemand anders in den Vordergrund dieses Buches, der von nun an aufs Engste mit Noomi verbunden ist: Es ist ihre Schwiegertochter Ruth, die Moabiterin (Rt 1,16.17). Angezogen vom Gott Israels und im Glauben an diesen Gott verlässt sie ihre Heimat, um sich für immer dem Volk Gottes anzuschliessen. So kehren Noomi und Ruth zusammen aus den Gebieten Moabs nach Bethlehem zurück.

Ruth, die Moabiterin

Noomi stellt das alte Israel unter dem ersten Bund dar, wie es früher als Gottes Volk mit Ihm in Verbindung stand. Doch durch eigene Untreue hat es alles verloren und irrt sozusagen als einsame Witwe unter den Nationen umher (Klgl 1,1; Jes 54,6). Und Ruth? Wen repräsentiert Ruth, die Ausländerin aus Moab, in diesem prophetischen Bild?

Ruth weist treffend auf den Überrest Israels hin, mit dem sich der wahre Boas (der Herr Jesus) in Zukunft verbinden wird. Boas heiratet nicht Noomi, seine Verwandte, sondern Ruth, die Moabiterin. Gott wird sich in Zukunft nicht mit dem alten Israel verbinden. Die erste Ehe ist geschieden, Gott hat seinem Volk den Scheidebrief geben müssen (Jes 50,1; Jer 3,1). Damit ist die alte Verbindung für immer beendet. Nie wieder wird der alte Feigenbaum Frucht tragen (Mt 21,19). Vielmehr wird es eine neue Ehe geben, gewissermassen mit der «Tochter». Sie ist die Braut der Zukunft, mit der sich der Herr Jesus verbinden wird. Ruth symbolisiert den zukünftigen Überrest, der aus Israel hervorkommen wird.

Ruth hatte keine jüdischen Wurzeln, sondern war eine Ausländerin und stammte dazu noch aus einem Volk, dem der Zugang zu den Vorrechten Israels verwehrt war (5. Mo 23,4). Diese Tatsachen machen sie zu einer passenden Repräsentantin des zukünftigen Überrests aus Israel. Denn Israel hat seine Stellung als Gottes Volk verloren und damit auch jeden Vorzug, den es einmal besass, und jeden Anspruch auf Segen. Insofern unterscheidet sich die «Position» Israels in keiner Weise von den übrigen Nationen (Jer 25,17-26). Israel ist wie eine unreine Moabiterin geworden (Klgl 1,8.17), die unter dem Fluch des Gesetzes steht (5. Mo 23,4; Esra 9,1; Neh 13,1).

In diesem Zustand werden die Menschen des Überrests sein, wenn der Herr Jesus in der Zukunft mit ihnen anknüpfen und ihnen Barmherzigkeit und Gnade zuwenden wird. Er wird als Löser für sie eintreten und sie wieder als sein Volk annehmen, mit dem Er einen neuen Bund eingehen wird (Jes 55,3; Jer 31,31-34).

Rückkehr nach Bethlehem

Obwohl Ruth Moabiterin war und nie in Israel gelebt hatte, spricht der Bibeltext von ihrer Rückkehr nach Bethlehem (Rt 1,22). Moralisch gesehen bedeutet der Weg zu Gott für jeden Menschen eine «Rückkehr». Es ist eine Umkehr von einem Weg, der von Gott weggeführt hat, in die umgekehrte Richtung: zu Gott hin. So wird es auch für den Überrest Israels in der Zukunft sein.

Prophetisch sehen wir in der Rückkehr von Noomi und Ruth einen Hinweis darauf, dass der zukünftige Überrest aus Israel, den der Richter Israels als seine Brüder bezeichnen wird, seine alten nationalen Hoffnungen wiederaufnehmen wird. In diesem Sinn prophezeit Micha: «Der Rest seiner Brüder wird zurückkehren zu den Kindern Israel» (Mich 5,2). Wenn Gott in Zukunft ein Werk an ihren Herzen beginnen wird, werden sie wieder anfangen, nach ihrem Gott zu fragen und werden – wie Ruth, die Moabiterin – tatsächlich zum Gott Israels zurückkehren.

Echter Glaube

Dabei wird der Glaube Ruths auf eine harte Probe gestellt. Aber er überwindet alle Hindernisse, indem er sich allein auf den Gott Israels stützt: «Dringe nicht in mich, dich zu verlassen, um hinter dir weg umzukehren; denn wohin du gehst, will ich gehen, und wo du weilst, will ich weilen; dein Volk ist mein Volk, dein Gott ist mein Gott» (Rt 1,16).

Wie Ruth, die Moabiterin, werden sich auch die Menschen des Überrests aus Israel bewusst sein, dass sie keine Ansprüche geltend machen können. Es wird ihnen klar sein, dass sie völlig versagt und alles verloren haben, was Gott ihnen geschenkt hat und was sie als Gottes Volk besessen haben. Dennoch werden sie demütig und vertrauensvoll auf Gottes Gnade und Barmherzigkeit hoffen. Sie werden Den suchen, in dessen Augen sie Gnade finden werden, und ihre Hoffnung auf den «vermögenden Mann aus der Familie Elimelechs» setzen (Rt 2,1). Nur Er kann in reiner Gnade als Löser für sie eintreten, ihr verwirktes Erbteil zurückkaufen und sie wieder als sein Volk annehmen.

Der Herr Jesus als Erlöser Israels

Boas auf der Tenne

In der Nacht der Drangsalszeit, wenn «Boas» zum Worfeln auf der Tenne sein wird, um Israel zu läutern, wird sich ein treuer Überrest aus Israel herauskristallisieren. In dieser Zeit macht er sich in kühnem Glauben für seinen Messias bereit. Er wird sich reinigen, seine Kleider wechseln und auf den Löser warten (Sach 3,3.4). Denn der Überrest vertraut fest darauf, dass der «Verwandte» (Heb 2,14) in Gnade für ihn eintreten und nicht eher ruhen wird, bis Er die Sache zu seinen Gunsten zu Ende geführt hat: Er wird das verlorene Erbteil loskaufen, auch die «Moabiterin» lösen und sich mit ihr «vermählen».

Der vermögende Mann

Der vermögende Mann aus der Familie Elimelechs wird tun, was nach dem Gesetz unmöglich ist, was der nähere Verwandte Noomis nicht tun kann. Denn nach dem Gesetz war es einem Moabiter nicht gestattet, in die Versammlung des HERRN zu kommen (5. Mo 23,4). Auf der Grundlage des Gesetzes wird es tatsächlich keine Wiederherstellung für Israel geben. Dieser Sachverhalt wird dem zukünftigen Überrest deutlich vor Augen geführt werden, um den Menschen aus Israel bewusst zu machen, dass sie auf dieser Grundlage völlig versagt und alle Ansprüche verwirkt haben: Der nähere Verwandte kann nicht den Namen des Verstorbenen auf seinem Erbteil erwecken (Rt 4,5.6). Er ist nicht in der Lage, das alte Volk zu neuem Leben zu erwecken (Röm 11,15).

Was das Gesetz nicht tun kann, das wird allerdings der Erlöser Israels – dargestellt durch Boas – möglich machen, und zwar allein auf der Grundlage der Gnade. Als «vermögender Mann» kann Er so handeln, denn Er selbst hat den Fluch des Gesetzes getragen, unter dem die Juden als «Moabiter» stehen. Er hat auch die Frage ihrer Schuld gelöst, denn Er ist selbst das Opfer geworden, das die Grundlage ihrer Annahme bei Gott bilden wird. Als ihr Stellvertreter hat Er ihre Sünden in ein fernes Land getragen (3. Mo 16,20-22; Ps 103,12). Deshalb kann Er aufgrund reiner Gnade wieder mit seinem irdischen Volk anknüpfen und als Löser für sie eintreten.

Der vermögende Mann wird möglich machen, was nach dem Gesetz unmöglich ist. Er wird die «Moabiterin» zu Israel machen, Er wird «Lo-Ammi» wieder als sein Volk bezeichnen, Er wird die Witwenschaft seines Volkes beenden (Jes 54,4.5) und die Trauer in Freude verwandeln (Jes 51,11). Aus Mara wird Er wieder Noomi machen, und man wird sagen: «Ein Sohn ist der Noomi geboren!» (Rt 4,17).

Noomis Sohn

Wir sehen in Obed, dem Sohn von Ruth, der als «Sohn Noomis» bezeichnet wird, einen Hinweis darauf, dass Israel im zukünftigen Überrest wieder fruchtbar werden wird. Früher hatte Gott in seinem irdischen Volk Frucht gesucht und keine gefunden (Jes 5,1-7). Israel konnte unter Gesetz keine Frucht für Gott bringen. Wenn es aber in der Zukunft mit Christus verbunden sein wird, wird aus diesem wiederhergestellten Volk Frucht für Gott entstehen (Jes 37,31; Hos 14,9). Im Tausendjährigen Reich wird aus Israel auch eine geistliche Nachkommenschaft entstehen: «Ein Same wird ihm dienen; er wird dem HERRN als ein Geschlecht zugerechnet werden» (Ps 22,31).

Gnade

Ist die Gnade Gottes nicht überwältigend gross? Auch wenn das Buch Ruth in seiner prophetischen Bedeutung nicht von uns, den Glaubenden der Gnadenzeit, spricht, sondern von Gottes Handeln mit seinem irdischen Volk Israel, so können wir doch über Gottes Wege der Gnade nur staunen und mit Paulus ausrufen: «O Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes!» (Röm 11,33).

Noch grössere Gnade

Gottes Gnade gegenüber seinem irdischen Volk erinnert uns an die Gnade, die wir erfahren haben. Als Menschen aus den «Nationen» standen wir ja auch ohne Anrecht da wie einst die Moabiterin Ruth. Wir waren «Fremdlinge betreffs der Bündnisse der Verheissung, keine Hoffnung habend und ohne Gott in der Welt» (Eph 2,12). Doch es gibt Einen, der als Löser für uns eingetreten ist. In Ihm haben wir die Erlösung durch sein Blut (Eph 1,7). Durch Ihn sind wir in den Besitz von Segnungen gekommen, die das bei weitem übersteigen, was Israel einmal empfangen wird. Wir sind in Beziehungen eingeführt, die Israel nie kennen lernen wird. Wir, die ehemals Fernen, sind durch das Blut des Christus nahe geworden. Daher sind wir nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht, sondern Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes. Wir sind Miterben, Miteinverleibte und Mitteilhaber der Verheissung in Christus Jesus (Eph 2,19; 3,6). Noch mehr: Durch den Heiligen Geist, der in uns wohnt, haben wir Zugang zum Vater (Eph 2,18). Was für grossartige Privilegien, was für eine unermessliche Gnade!