Wir Menschen sind in unserer Beurteilung und in unserem Verhalten oft einseitig. Diese Einseitigkeit zeigt sich auch in unserem Leben als Christen. Gläubige, die in der christlichen Lehre und Praxis wirklich ausgewogen sind, trifft man selten.
Im 5. Buch Mose wird das Volk Israel wiederholt ermahnt, weder zur Rechten noch zur Linken abzuweichen (Kap. 5,32; 17,11.20; 28,14). Auch Josua bekommt zu Beginn seines Dienstes den Hinweis, weder zur Rechten noch zur Linken abzuweichen (Jos 1,7). Josua seinerseits ermahnt das Volk am Ende seines Lebens, weder zur Rechten noch zur Linken abzuweichen (Jos 23,6).
Josia war ein Mann, von dem die Schrift ausdrücklich sagt, dass er weder zur Rechten noch zur Linken abwich (2. Chr 34,2). Aber es gibt nur einen Menschen, der in allem immer vollkommen ausgewogen war – das ist unser Herr. Als Er über diese Erde ging, wandelte Er immer «auf dem Pfad der Gerechtigkeit, mitten auf den Steigen des Rechts» (Spr 8,20).
Der Apostel Paulus bemühte sich in seinem Dienst ebenfalls um Ausgewogenheit. Das wird in seinen Schriften an vielen Stellen deutlich. Dazu gehört auch der Abschnitt in 1. Thessalonicher 3,9-13. Er enthält einige Punkte, die uns etwas von der Ausgewogenheit des Apostels in seinen Gebeten und in seinem Dienst zeigen.
Das Gebet des Apostels für die Thessalonicher umfasste sowohl Dank und als auch Bitte bzw. Fürbitte. Sein Wunsch für sie bestand darin, dass sie durch Liebe und Heiligkeit gekennzeichnet seien. Die Liebe unter ihnen sollte sich nicht nur zueinander, sondern auch zu allen Menschen erweisen.
Diese Ausgewogenheit im Gebetsleben und im Dienst von Paulus darf uns als Vorbild dienen. Daher wollen wir uns die drei erwähnten Begriffspaare etwas näher ansehen.
Dank und Bitte
Paulus dankte Gott, nachdem er erfahren hatte, dass die Thessalonicher im Herrn feststanden. Gleichzeitig flehte er zu Gott, dass er sie wiedersehen möge und sie im Glauben weiterführen könne (V. 9.10).
Dank und Bitte bzw. Fürbitte sind eng miteinander verbunden und kennzeichnen die meisten Gebete des Apostels. Der Dank drückt die Anerkennung und Wertschätzung des Guten aus, das Gott bewirkt hat. Wenn wir bitten, bringen wir unsere Nöte und Sorgen vor Gott und vertrauen auf seinen Trost und seine Hilfe. Dabei ist die Reihenfolge bezeichnend: Paulus beginnt seine Gebete fast immer mit Dank, bevor er seine Bitten vorbringt (Eph 1,15-20; Phil 1,3-11).
Auch wir sollten uns diese Reihenfolge zu eigen machen. Gibt es nicht vieles, wofür wir Gott immer wieder danken dürfen? Wie oft gehen wir gleichgültig über die Segnungen Gottes in unserem Leben hinweg und kommen sofort auf unsere Bedürfnisse und Nöte zu sprechen. Doch Gott möchte, dass wir Ihm für das Gute, das Er uns schenkt, danken, bevor wir Ihm unsere Bitten vortragen.
Natürlich hat der Gläubige die Freiheit, seinem Gott und Vater jederzeit alles zu sagen, was ihn bewegt (Phil 4,6). Daher soll die erwähnte Reihenfolge nicht überbewertet werden. Doch von Paulus lernen wir, dass ein vorangestellter Dank in unseren Gebeten Gott nicht nur ehrt, sondern auch den Frieden in unseren Herzen fördert.
Liebe und Heiligkeit
Der Wunsch des Apostels für die Thessalonicher war, dass der Herr sie in der Liebe völlig und überströmend mache und dass sie vor Gott untadelig in Heiligkeit seien (V. 12.13).
Liebe und Heiligkeit sind zwei wichtige Grundpfeiler im Leben des Christen. Die Liebe Gottes ist in unsere Herzen ausgegossen und darf zu unseren Mitgeschwistern und Mitmenschen ausströmen (Röm 5,5). Solange wir auf der Erde sind, werden wir in der Ausübung der Liebe nie einen Zustand erreichen, wo wir mit uns selbst zufrieden sein können. Es gibt immer Raum zu wachsen und zuzunehmen. Zugleich sollen wir ein Leben führen, das den Ansprüchen Gottes genügt: Es ist sein Wille, dass wir untadelig und heilig leben. Heiligkeit beinhaltet Absonderung vom Bösen und Hingabe an Gott.
Vollkommen werden wir diesen Zustand erst bei der Erscheinung des Herrn Jesus mit allen seinen Heiligen erreichen (V. 13). Dann wird unsere Praxis in völliger Übereinstimmung mit unserer Stellung sein. Aber bis dahin darf unsere Liebe zu anderen ausströmen, allerdings nicht auf Kosten der Heiligkeit. Zugleich sollen wir keinerlei Anlass zu einem Tadel bieten und abgesondert vom Bösen leben, aber nicht auf Kosten der Liebe. Beide Eigenschaften – Liebe und Heiligkeit – sollen in einem ausgewogenen Verhältnis bei uns gefunden werden. Auch hier ist die Reihenfolge nicht ganz unwichtig: Die Liebe wird vor der Heiligkeit genannt.
Liebe zu den Gläubigen und zu allen Menschen
Was die Liebe der Thessalonicher anging, wünschte Paulus, dass sie völlig und überströmend sei sowohl zueinander als auch zu allen Menschen (V. 12).
Die Liebe des Gläubigen gilt sowohl seinen Glaubensgeschwistern als auch den Ungläubigen. Er wird seine Liebe zu den Gläubigen auf eine andere Weise zeigen als zu den ungläubigen Menschen – doch sie soll zu allen ausströmen.
Paulus ist uns in dieser Hinsicht ein nachahmenswertes Vorbild. Die Triebfeder seines Dienstes war Liebe. Er hatte eine brennende Liebe sowohl zu seinen Brüdern als auch zu den Ungläubigen. Im Kolosser-Brief bezeichnet er sich als einen Diener des Evangeliums und als einen Diener der Versammlung (Kap. 1,23.25).
Darin dürfen wir von Paulus lernen: Unsere Liebe darf zu allen Kindern Gottes ausgehen, mit denen wir uns auf der Grundlage des einen Leibes verbunden wissen. Doch sie soll sich nicht darauf beschränken. Nein, wir dürfen allen Menschen in Liebe begegnen, um sie – wenn möglich – für Christus zu gewinnen.
Auch hier ist die Reihenfolge, die Paulus wählt, bezeichnend: Die Liebe zueinander im Volk Gottes kommt vor der Liebe zu allen Menschen. Ohne das eine auf Kosten des anderen überbetonen zu wollen, dürfen wir doch gewiss sagen, dass unsere Liebe zu den Hausgenossen des Glaubens immer inniger und herzlicher sein wird als unsere Liebe zu den übrigen Menschen (Gal 6,10).