Liebst du mich?

Johannes 21,15-17

Einleitung

Petrus verleugnete seinen Meister dreimal. Kurz darauf blickte der Herr Jesus ihn an. Was war das für ein Blick? Schaute Er seinen Jünger böse oder vorwurfsvoll an? Nein! Es war ein trauriger Blick voller Liebe! Da ging Petrus hinaus und weinte bitterlich (Lk 22,61.62).

Danach wurde der Heiland zum Tod verurteilt. Er ging nach Golgatha hinaus, wo Er am Kreuz sein Leben liess. Noch am gleichen Tag legte Joseph von Arimathia den Leib des Herrn Jesus in eine neue Gruft. Was muss Petrus in dieser Zeit wohl empfunden haben! Bestimmt dachte er: «Ich kann es nicht mehr gut machen.»

Am ersten Tag der Woche berichtete Maria Magdalene Petrus und Johannes vom leeren Grab. Da liefen beide zur Gruft. Johannes war schneller. Warum? Weil das Gewissen von Petrus belastet war. Er war im Laufen gehemmt. Das verstehen wir gut.

Noch am gleichen Tag erschien ihm der Herr allein. Da kam es zu einer persönlichen Wiederherstellung des gefallenen Jüngers. Seine Beziehung zum Herrn war jetzt wieder in Ordnung. Das sehen wir deutlich beim Fischfang auf dem See Tiberias. Als Johannes sagte: «Es ist der Herr!», warf sich Petrus spontan in den See, um so schnell wie möglich zu Ihm zu kommen. Sein Gewissen war nun frei, so dass er freimütig zum Herrn Jesus gehen konnte.

Nach dem Frühstück sprach der Herr seinen Jünger Petrus an. Es ging jetzt nicht um seine persönliche Wiederherstellung, die bereits erfolgt war. Nein, es war noch etwas anderes erforderlich: Petrus sollte vor den übrigen Jüngern öffentlich zurechtgebracht und in einen erweiterten Dienst eingeführt werden.

Der Herr Jesus stellte Petrus in Gegenwart der anderen Jünger drei Fragen. Er bekam von seinem Jünger auf jede Frage eine Antwort, also drei Antworten. Anschliessend gab ihm der Herr drei Aufträge.

Schon die drei Fragen des Herrn haben es in sich. Er fragt nämlich nie genau das Gleiche. Manchmal benutzt Er auch ein anderes Wort. Es fällt auf, dass Er beim ersten und zweiten Mal fragt: «Liebst du mich?» Doch das dritte Mal lautet die Frage: «Hast du mich lieb?» Im Grundtext der Bibel gibt es für «Liebe» zwei verschiedene Wörter:

  • Manchmal steht im Griechischen für das Wort Liebe «agape» und für lieben «agapeo». Das meint eine unumschränkte Liebe, die weder von der Gegenliebe noch vom Wert oder von der Liebenswürdigkeit der anderen Person abhängt. Dieses Wort gebraucht der Herr bei der ersten und zweiten Frage.
  • Es gibt im Grundtext noch ein anderes Wort für Liebe, nämlich phileo. Es bedeutet: «Du hast Zuneigungen zu mir.» Oder: «Du bist mir zugetan.» Das ist eine Liebe, die bei dem anderen etwas Liebenswertes oder Anziehendes sieht. Dieses Wort benutzt der Herr in seiner dritten Frage. Petrus antwortet dreimal mit diesem schwächeren Ausdruck für Liebe.

Die erste Frage

«Simon, Sohn Jonas, liebst du mich mehr als diese?»

Mit dieser Frage kam der Herr auf das zurück, was Petrus vor den anderen beteuert hatte: «Wenn auch alle Anstoss nehmen werden, ich aber nicht» (Mk 14,29). Jetzt musste der Herr ihn fragen: «Petrus, ist das so? Liebst du mich tatsächlich unumschränkt und mehr als die anderen?»

«Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe.»

Das war die Antwort von Petrus. Er betonte das «Du» und stützte sich damit auf die Kenntnis seines Herrn. Er traute sich nicht, das Wort «agape» zu gebrauchen, sondern benutzte das Wort «phileo» für seine Liebe zum Herrn. Er sagte dem Herrn, dass er Ihm zugetan war. Das zeigt, wie er nun als gedemütigter Mann nichts mehr von sich selbst hielt.

«Weide meine Lämmer!»

Der Herr gab Petrus den Auftrag, seine Lämmer zu weiden. Wir lernen hier etwas Wunderbares: Nebst der Gabe, die der Herr schenkt, ist es die Liebe zu Ihm, die zum Dienst an den Seinen befähigt. Es ist nicht die hohe Kenntnis des Wortes Gottes oder eine gute Rhetorik, sondern die Liebe zum Herrn, die mich fähig macht, den Gläubigen zu dienen! Das wird in 1. Johannes 5,1 bestätigt: «Jeder, der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist.» Wenn wir Gott lieben, lieben wir auch seine Kinder in Tat und Wahrheit.

Der Herr Jesus vertraute Petrus das Kostbarste an, was Er hatte: seine Lämmer! Er sollte die Kleinen der Herde weiden. So handelte der Herr in seiner Gnade und gab Petrus damit einen Vertrauensvorschuss. In Lukas 5,10 hatte Er seinem Jünger eine Aufgabe im Evangelium gegeben: «Von nun an wirst du Menschen fangen.» Jetzt bekam Petrus noch einen Hirtendienst an den Gläubigen hinzu.

Die Lämmer «weiden» bedeutet, ihnen Nahrung zu geben. Die Kleinen der Herde sollen geistlich genährt werden. Wie wichtig dem Herrn diese Kleinen sind, sehen wir in Jesaja 40,11: «Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte, die Lämmer wird er auf seinen Arm nehmen und in seinem Schoss tragen, die Säugenden wird er sanft leiten.» Mit zärtlicher Liebe und Kraft umsorgt Er die Kleinen der Herde.

Kinder und junge Gläubige haben besondere Zuwendung nötig. Kümmern wir uns um sie? Merken sie, dass uns an ihnen liegt? Haben wir sie in unser Herz geschlossen? Geben wir ihnen die entsprechende Nahrung? Den Kleinen muss man etwas anderes geben als den Erwachsenen. Sie brauchen eine Nahrung aus dem Wort Gottes, die sie leicht verstehen und aufnehmen können. Lasst uns daran denken, wenn das Wort in den Zusammenkünften verkündigt wird oder wenn wir uns persönlich um sie kümmern.

Es fällt auf, dass der Herr bei den Lämmern nur vom «Weiden», nicht vom «Hüten» spricht. Warum? Weil sie noch nicht so in Gefahr stehen, eigene Wege zu gehen oder in die Welt abzugleiten. Sie sind jungbekehrt und blicken einfach auf den Herrn Jesus. Was sie brauchen, ist eine angemessene Nahrung, die sie aufnehmen können.

Die zweite Frage

«Simon, Sohn Jonas, liebst du mich?»

Diesmal liess der Herr Jesus den Zusatz «mehr als diese» weg und fragte seinen Jünger einfach: «Sag mal, Petrus, liebst du mich überhaupt?» Merken wir, wie der Herr die Sonde tiefer ins Herz einführt? Er benutzte nochmals das Wort «agape». So lautete seine Frage: «Liebst du mich eigentlich mit unumschränkter Liebe?»

«Ja, Herr, du weisst, dass ich dich lieb habe.»

Petrus gab die gleiche Antwort wie bei der ersten Frage. Er weiss nichts anderes zu sagen. Demütig antwortet er wieder mit dem Wort «phileo» und sagt: «Ja, Herr, ich bin dir zugetan.»

«Hüte meine Schafe!»

Das war der zweite Auftrag des Herrn an Petrus. «Hüten» ist mehr als «weiden» und kann auch mit «hirten» übersetzt werden. Der Herr sagte also: «Hirte meine Schafe!» Oder anders ausgedrückt: «Sei ein Hirte!» Diese Aufgabe ist mit einer gewissen Autorität verbunden und bedeutet, die Schafe zu führen, anstatt sie einfach laufen zu lassen. Es ist nötig, dass dieser Dienst im Volk Gottes und in der örtlichen Versammlung ausgeübt wird (1. Thes 5,12; Heb 13,17).

Der Herr sagte «meine» Lämmer, «meine» Schafe und später nochmals «meine» Schafe. Petrus sollte die Schafe seines Herrn weiden und hüten. Damals gehörten nur die Gläubigen aus den Juden zu seinen Schafen. Darum sehen wir hier, dass der Apostel Petrus einen besonderen Dienst an den Menschen aus dem Volk Israel bekam, den er in der Apostelgeschichte und durch seine Briefe ausübte. Als er am Pfingsttag predigte, richtete er seine Botschaft an jüdische Menschen (Apg 2,14.22). Seine beiden Briefe schrieb er an gläubige Christen mit jüdischer Herkunft (1. Pet 1,1; 2. Pet 3,1). Das wird durch Galater 2,7.8 bestätigt: Petrus war der Apostel der Beschneidung, ihm war das Evangelium für die Empfänger aus der Beschneidung anvertraut. Er hatte also einen besonderen Dienst an den Menschen aus dem Volk der Juden.

Die dritte Frage

«Simon, Sohn Jonas, hast du mich lieb?»

Der Herr fragte Petrus dreimal, weil sein Jünger Ihn dreimal verleugnete hatte (Mt 26,75). Diesmal benutzte Er in seiner Frage das Wort «phileo». Das bedeutet: «Hast du Zuneigungen zu Mir?» In seiner Gnade stellte sich der Herr auf das Niveau von Petrus. Er erhob nicht mehr den hohen Anspruch der unumschränkten Liebe, sondern fragte ihn: «Sag mal, Petrus, bist du mir überhaupt zugetan?»

«Herr, du weisst alles; du erkennst, dass ich dich lieb habe.»

Petrus wurde traurig, dass der Herr ihn zum dritten Mal nach seiner Liebe fragte. In seiner Antwort berief er sich auf die Allwissenheit des Sohnes Gottes. Er sagte Ihm gleichsam: «Du hast die Sonde immer tiefer in mein Herz hineingesenkt und dort viel Schutt und Geröll gesehen. Aber ganz unten – das weisst Du – gibt es doch ein wenig Zuneigung zu Dir.» Wieder gebrauchte Petrus das Wort «phileo».

Ist das bei mir und bei dir auch so? Petrus hatte kein Selbstbewusstsein mehr. Er schätzte sich nicht mehr höher ein als die anderen. Er wusste, dass es in seinem Herzen viel Schutt gab. Aber wenn der Herr mit seiner Sonde tiefer ging, sah Er ganz unten doch die Liebe seines Jüngers zu Ihm.

«Weide meine Schafe!»

Petrus, der nichts mehr von sich selbst hielt, bekam vom Herrn den Auftrag, die Schafe zu weiden. Er war nun in der Lage, den Gläubigen geistliche Nahrung zu geben.

Der Herr sagt in diesem Abschnitt zweimal «weiden» und einmal «hüten». Das zeigt den Schwerpunkt im Hirtendienst. Wir würden vielleicht gern «hüten». Diese Aufgabe ist auch nötig. Aber «weiden» ist noch wichtiger und soll dem Wachstum der Gläubigen angepasst sein. Der Apostel Petrus hat diese Lektion verstanden. In seinem ersten Brief gibt er jedem die angemessene Nahrung: Er spricht die Jüngeren und die Älteren an, er richtet sich an Frauen und an Männer. Auch der Apostel Paulus hat so gehandelt. Er hat den Korinthern andere Speise gegeben als den Ephesern, weil der geistliche Zustand nicht der Gleiche war.

Schluss

In dieser wunderbaren Szene wird Petrus durch die Gnade des Herrn öffentlich wiederhergestellt. Er erkennt die Ursache seines Versagens und verurteilt sie. Weil er seinen Herrn liebt und nichts mehr von sich hält, kann er die Schafe des guten Hirten weiden und hüten.