Einleitung
Beim Lesen und Erforschen der Bibel machen wir drei Erfahrungen:
- Wir staunen immer wieder, wie viel mehr im Wort Gottes steht, als wir beim Durchlesen erfassen. Auch aus der Geschichte von Jephta können wir nicht alle geistlichen Schätze auf einmal heben.
- Wir merken oft, dass wir uns persönlich nicht dort befinden, wo Gott uns haben will. Die Bibel hält uns einen Spiegel vor und zeigt uns, dass in unserem Leben so manches nicht stimmt.
- Wir stellen fest, dass Gott zu seinem Volk steht, obwohl es versagt hat. Das war zur Zeit Jephtas so, das gilt auch heute noch.
Was wir über Jephta lesen, ereignete sich vor etwas mehr als 3000 Jahren. In 1. Korinther 10,11 sehen wir, wozu es aufgeschrieben wurde: «Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, auf die das Ende der Zeitalter gekommen ist.» Die Geschichte von Jephta steht also für uns in der Bibel, damit wir etwas aus ihr lernen. Die Erwähnung der Zeitalter lässt uns verstehen, dass Gott im Lauf der Zeit nicht immer auf die gleiche Weise geredet und gehandelt hat. Ohne das Verständnis der verschiedenen Heilszeiten, in denen Gott unterschiedlich mit den Menschen umgegangen ist, würden wir einen Grossteil der Bibel nicht verstehen. Leider gibt es Christen, die nichts mit dem Alten Testament anfangen können, weil dort aus ihrer Sicht so viel über Mord und Totschlag steht. Natürlich dürfen wir das nicht eins zu eins auf uns übertragen. Wir sollen nie gegen Menschen kämpfen. Aber wir führen einen geistlichen Kampf, für den wir aus der Geschichte Jephtas manches lernen können.
Zuerst fragen wir uns, warum das Volk Israel von seinen Feinden bedrängt wurde. Dann sehen wir, wie der HERR Jephta zum Retter bereit machte. Zum Schluss entdecken wir bei Jephta einige Hinweise auf den Herrn Jesus.
1) Der Zustand des Volkes war die Ursache der Bedrängnis
Richter 10,6-18
Siebenmal steht im Buch der Richter, dass die Israeliten taten, was böse war in den Augen des HERRN (Ri 2,11; 3,7; 3,12; 4,1; 6,1; 10,6; 13,1). Fünfmal heisst es sogar: Sie taten wieder, was böse war (Ri 2,19; 3,12; 4,1; 10,6; 13,1). Das Versagen wiederholt sich, nicht nur bei den Israeliten, sondern auch in der Christenheit. Heute können wir dank der Technik vieles lösen, aber die Grundprobleme sind geblieben. Bibelbetrachtungen, die vor 200 Jahren geschrieben wurden, behandeln die gleichen Fragen, die wir heute haben. Auch alte Briefwechsel zeigen, dass es sich immer wieder um dieselben Probleme handelt.
Vielfältiger Götzendienst
In Vers 6 werden viele Götter aufgeführt, denen die Israeliten dienten. Sie hatten also eine grosse Auswahl, sozusagen einen Götzen für jeden Geschmack.
Im Blick auf die Götzen wollen wir uns fragen: Was nimmt uns gefangen? Wie viele Apps sind auf meinem Handy installiert? Wäre es für mich eine Katastrophe, wenn ich sie nicht mehr hätte? Unser grösster oder schlimmster Götze ist der Eigenwille. In 1. Samuel 15,23 steht: «Der Eigenwille ist wie Abgötterei und Götzendienst.»
Der HERR unternahm etwas gegen den Götzendienst in seinem Volk. Er gab die Israeliten in die Hand der Philister und der Ammoniter, die sie 18 Jahre bedrückten. Erst nach dieser langen Zeit der Bedrängnis schrien sie zum HERRN.
Oft beginnt ein sündiger Weg harmlos. Es dauert manchmal lange, bis wir merken, dass wir nur einen zeitlichen Genuss der Sünde haben (Heb 11,25). Erst wenn die Probleme des falschen Weges immer stärker drücken, kommen wir zur Einsicht.
Feindliche Angriffe
Das Volk Israel wurde von den Philistern im Westen und von den Ammonitern im Osten bedrängt. Es befand sich in einem Zangengriff. Von beiden Seiten kam Druck. Zwei Beispiele zeigen uns, was dieser Zangengriff für uns bedeuten kann:
a) Die Christen in Korinth waren fleischlich: «Ich habe euch Milch zu trinken gegeben, nicht Speise …, denn ihr seid noch fleischlich» (1. Kor 3,2.3). Das ist der Angriff von Osten: fleischlich sein, den Begierden freien Lauf lassen, freizügig leben. – Die gläubigen Hebräer wollten zum Gesetz zurückkehren: «Ihr seid solche geworden, die Milch nötig haben und nicht feste Speise» (Heb 5,12). Das ist der Angriff von Westen: gesetzlich und religiös leben. Mit beidem können wir als Gläubige persönlich konfrontiert werden.
b) In der Versammlung bestehen ebenfalls beide Gefahren: Einerseits können wir im Blick auf die Gemeinschaft am Tisch des Herrn gewisse Grundsätze aufgeben, die wir in der Bibel finden. Dann lassen wir z.B. Christen am Brotbrechen teilnehmen, die verkehrte Verbindungen pflegen. Anderseits ist es möglich, für die Teilnahme am Mahl des Herrn über das hinauszugehen, was das Wort Gottes sagt, indem wir zusätzliche Bedingungen oder Grundsätze aufstellen. Das würde gewisse Christen von der Gemeinschaft fernhalten.
Die Bedrohung durch die Ammoniter wurde besonders schlimm, als diese über den Jordan zogen, um die Israeliten im Land selbst zu bedrängen (Vers 9). Der HERR hatte einst zu Josua gesagt: «Jeden Ort, auf den eure Fusssohle treten wird – euch habe ich ihn gegeben» (Jos 1,3). Doch jetzt stand das Land Kanaan zwischen dem Jordan und dem Meer in Gefahr. Es musste verteidigt werden.
Was bedeutet das Land Kanaan für uns heute? Es stellt bildlich den christlichen Segen dar, der im Epheser- und Kolosser-Brief beschrieben wird. Der Mittelpunkt ist Jesus Christus im Himmel. Weil Er sich dort befindet, sind auch unsere Segnungen in den himmlischen Örtern. Wir haben also nichts auf der Erde zu verteidigen. Zwei Hinweise aus dem Neuen Testament zeigen uns, worum es geht:
- Epheser 3,18.19: «Damit ihr völlig zu erfassen vermögt mit allen Heiligen, welches die Breite und Länge und Höhe und Tiefe sei, und zu erkennen die die Erkenntnis übersteigende Liebe des Christus.» Wenn wir diesen Segen erfassen und erkennen, nehmen wir ihn praktisch für uns in Besitz.
- Kolosser 3,1.16: «Sucht, was droben ist, wo der Christus ist … Lasst das Wort des Christus reichlich in euch wohnen.» Wenn wir anhand der Bibel mit dem Herrn Jesus beschäftigt sind, geniessen wir den christlichen Segen.
Christus und seine Segnungen sind unser Land. Der Herr Jesus kann uns alles sein. Haben wir nicht oft eine zu kleine Vorstellung von Ihm? Er kennt unsere alltäglichen Probleme sehr gut. Bei Ihm finden wir Antworten auf unsere grossen Fragen. Oder hören wir doch lieber auf ungläubige Menschen, die sich zu den Lebensfragen auch Gedanken gemacht haben? Wenn wir für unser Christsein ihrem Rat folgen, nehmen sie uns etwas vom «Land» weg.
Schrittweise Wiederherstellung
Die Israeliten riefen in ihrer Not nicht die Götzen an. Sie schrien zum HERRN, weil sie zugeben mussten, dass ihnen die Götzen nicht helfen konnten (Vers 10). Sie gaben nicht Gott oder anderen die Schuld, sondern bekannten: «Wir haben gegen dich gesündigt.» Damit begann ihre Wiederherstellung. Was bedeutet wiederherstellen? Es geht darum, dass man instand stellt, was kaputt ist. Das braucht Zeit. So auch hier: Die Wiederherstellung ging nicht schnell, sondern erfolgte in mehreren Schritten.
Der HERR spricht in den Versen 11-14 das Gewissen und das Herz der Israeliten an:
- Er erinnerte sie daran, dass Er sie aus Ägypten befreit und von den Völkern im Land Kanaan gerettet hatte. – Vergessen wir nie, was der Herr Jesus zu unserer Errettung am Kreuz getan hat! Der Gedanke daran ist immer heilsam für uns.
- Auch nach der Eroberung des Landes hatten die Israeliten erfahren, wie Gott sie von den Feinden errettet hatte. – Wir wollen all das Gute, das uns der Herr im Lauf unseres Glaubenslebens erwiesen hat, nicht vergessen.
- Der HERR machte den Israeliten deutlich, dass sie Ihn verlassen und auf fremde Götter vertraut hatten. – Wie steht es da mit uns: Vertrauen wir auf menschliche Hilfsmittel oder auf unseren Gott? Er will für uns nicht nur «die Feuerwehr» oder der Lückenbüßer sein.
Vers 15 zeigt uns, wie die Israeliten auf dem Weg der Wiederherstellung dreierlei erkannten:
- «Wir haben gesündigt.» Sie beschönigten nichts. Sie wussten, dass sie selbst schuld waren.
- «Tu uns nach allem, was gut ist in deinen Augen.» Sie erkannten das Handeln Gottes mit ihnen an und akzeptierten die Folgen ihres falschen Weges. «So demütigt euch nun unter die mächtige Hand Gottes» (1. Pet 5,6).
- «Nur errette uns doch an diesem Tag!» In ihren Herzen wandten sie sich an den gnädigen Gott. Sie baten Ihn um Rettung, und zwar wegen seiner souveränen Gnade.
Auf das Bekenntnis liessen die Israeliten Taten folgen: «Sie taten die fremden Götter aus ihrer Mitte weg und dienten dem HERRN» (Vers 16). Sie hatten nicht nur den Vorsatz in ihren Herzen, neu anzufangen, sondern veränderten auch tatsächlich etwas in ihrem Leben. Sie räumten mit dem Götzendienst auf und lebten wieder für den HERRN. Ihre Umkehr zu Gott rief sofort seine Barmherzigkeit hervor: «Seine Seele wurde ungeduldig über die Mühsal Israels.» Beim gottlosen König Ahab bewirkte schon das kleinste Zeichen von Buße, dass Gott ihm Barmherzigkeit erwies (1. Kön 21,27-29).
Nun trat auch der Feind auf den Plan (Vers 17). So ist es immer: Wenn Gott in seinem Volk etwas Gutes bewirkt, will der Widersacher es sofort zerstören. Angesichts der feindlichen Bedrohung stellten die Israeliten eine wichtige Frage: «Wer ist der Mann, der anfängt, gegen die Kinder Ammon zu kämpfen?» (Vers 18). Sie waren bereit, den Kampf gegen die Feinde aufzunehmen. Aber leider fragten sie nicht Gott, sondern überlegten menschlich.
Die Frage «Wer ist der Mann, der anfängt?» ist auch für uns von grosser Bedeutung. Um die richtige Antwort darauf zu finden, müssen wir Gott fragen. Er wird sie uns zeigen. Zuerst ist es der Herr Jesus, der den Anfang machen soll, z.B. wenn es ums Heiraten geht. Das Volk Gottes braucht aber auch Gläubige, die sich vom Herrn verwenden lassen, in einer Sache den ersten Schritt zu machen. Das kann eine evangelistische Arbeit sein oder das erste Gebet in der Gebetsstunde oder den ersten Schritt im Kampf für die Wahrheit.
2) Wie der HERR Jephta zum Retter zubereitete
Richter 11,1-11
Jephta, der Gileaditer, war ein tapferer Held (Vers 1). Wir lesen nicht, dass er den Götzen diente. In Hebräer 11,32 wird er nach Simson als Glaubensheld erwähnt. Gott konnte Jephta benutzen, um sein Volk zu retten (1. Sam 12,11). Doch er scheint der schwächste Richter gewesen zu sein, denn er richtete das Volk Israel nur sechs Jahre (Ri 12,7).
Können wir heute auch noch tapfer und mutig sein? In der Bibel wird «tapfer» oft im Zusammenhang mit Kampf erwähnt. Wenn man tapfer ist, kann man im Leben auch einmal eine unangenehme Situation aushalten. Das kann Druck in der Schule oder im Militärdienst sein. Es ist auch gut, wenn junge Leute vor der Heirat gelernt haben, tapfer zu sein.
Jephta war der Sohn einer Hure (Vers 1). Dafür konnte er nichts. Er war ein uneheliches Kind, weil sein Vater seine Frau betrogen hatte. Aber Jephta musste die Folgen davon tragen: Seine Brüder vertrieben ihn (Vers 2). So war er schon in jungen Jahren auf der Flucht. Er hatte eine schwierige Jugendzeit, die ihn prägte.
Nicht alle Menschen haben eine glückliche Kindheit und eine gute Erziehung erlebt. Darum sollen wir Verständnis für das Verhalten solcher aufbringen, die eine traurige Vergangenheit haben. Im Umgang miteinander wollen wir uns bewusst sein, dass jeder anders aufgewachsen ist.
Jephta wohnte im Land Tob, was «gut», «nützlich» oder «fruchtbar» bedeutet (Vers 3). Es war gut und nützlich, dass Jephta dort lebte, denn Gott nahm ihn auf die Seite und bereitete ihn auf seine Aufgabe vor. Wir denken da auch an Mose, der sich zum gleichen Zweck 40 Jahre in der Wüste aufhielt, oder an Paulus, der eine Zeit in Arabien verbrachte, bevor er seinen Dienst begann.
Lose Leute schlossen sich Jephta an (Vers 3). Was sind lose Leute? Das sind Menschen, die nicht angebunden sind, und deshalb machen, was sie wollen. Sie haben keinen Vater, der ihnen sagt, was richtig und falsch ist. Die Bibel vergleicht sie mit dem Wildesel (1. Mo 16,12; Hiob 39,5-8) und dem Wildochsen (Hiob 39,9-12), die keinen Meister über sich anerkennen. Wir alle waren früher einmal lose Leute, bevor wir an Jesus Christus als unseren Heiland glaubten und Ihn als Herrn annahmen.
Nach der Beschreibung Jephtas in den Versen 1-3 wird der Faden von Richter 10,18 wieder aufgenommen: Die Ältesten von Gilead holten Jephta aus dem Land Tob und baten ihn, ihr Anführer im Kampf gegen den Feind zu werden (Vers 6). Die Reaktion Jephtas können wir gut verstehen. Er wollte zuerst die Situation klären und eine Garantie bekommen. Seine Brüder hatten ihn einst schlecht behandelt und damit sein Vertrauen verspielt. Jetzt musste das Vertrauen wiederhergestellt werden. Die Ältesten von Gilead waren bereit, Jephta als ihren Führer anzuerkennen. Um ihre Worte zu bekräftigen, riefen sie den HERRN als Zeugen an (Vers 10).
Es ist schön zu sehen, dass sich Jephta überwinden konnte und mit ihnen ging (Vers 11). Er wollte seinen Brüdern nichts nachtragen und war sich der Gegenwart des HERRN bewusst.
3) Jephta als Vorausbild auf den Herrn Jesus
Verschiedene Einzelheiten aus dem Leben Jephtas weisen auf Jesus Christus hin:
- Jephta wurde von seinen Brüdern weggetrieben, damit er nichts erben konnte. Genauso war der Herr Jesus der Abgelehnte seines Volkes: «Nach den 62 Wochen wird der Messias weggetan (= ausgerottet) werden und nichts haben» (Dan 9,26). «Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht an» (Joh 1,11). «Seine Bürger aber hassten ihn und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm her und liessen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche» (Lk 19,14). «Wir sind nicht durch Hurerei geboren … Sagen wir nicht zu Recht, dass du ein Samariter bist und einen Dämon hast? … Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen» (Joh 8,41.48.59).
- So wie Jephta damals sammelt der Herr Jesus heute «lose» Leute um sich. Durch den Glauben an Ihn sollen sie zu einer Stabilität kommen, die sie bis dahin nicht kannten. Es sind also Menschen, die sich aus der Welt zum lebendigen Gott bekehren.
- Wie Jephta mit den Ältesten ging, so wird auch der Herr in der Zukunft wieder mit seinem irdischen Volk anknüpfen. Er wird den Gläubigen aus Israel im Kampf gegen die Feinde vorangehen, und sie werden Ihn bereitwillig als Anführer anerkennen. Dazu lesen wir in Psalm 110,3: «Dein Volk wird voller Willigkeit sein am Tag deiner Macht.»
- Jephta wurde zum Haupt und Anführer. Genauso ist der Herr Jesus jetzt unser Haupt und unser Anführer. Ihm dürfen wir folgen. In Kolosser 1,18 lesen wir: «Er ist das Haupt des Leibes, der Versammlung.» In Epheser 1,22 heisst es, dass Gott «ihn als Haupt über alles der Versammlung gegeben» hat. Es ist unsere Bitte, dass der Herr in unserem persönlichen und gemeinsamen Leben vermehrt das Haupt und der Anführer sein kann.