Jephta – ein Führer mit grossen Schwächen

Richter 11,12-40, Richter 12,1-6

Einleitung

Jephta bekam die Aufgabe, den Kampf gegen die Ammoniter anzuführen. Er sollte das Volk Gottes von der Bedrückung dieser Feinde befreien.

Zuerst redete Jephta mit dem König der Ammoniter. Als diese Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, kam es zum Kampf. Gott schenkte Jephta einen klaren Sieg über die Feinde.

Leider endet seine Geschichte traurig: Weil Jephta ein Gelübde abgelegt hatte, musste sein einziges Kind sterben. Danach kam es zum Streit mit den Männern von Ephraim. Jephta war wirklich ein Führer in Israel mit grossen Schwächen!

1) Jephtas Verhandlungen mit den Ammonitern

Richter 11,12-27

Wir können die Verhandlungen, die Jephta mit dem König der Ammoniter führte, in vier Phasen einteilen:

  • Jephta schickte Boten zum König und versuchte so, den Konflikt friedlich zu lösen (Vers 12). Es ist immer gut, eine weitere Auseinandersetzung mit einem versöhnlichen Gespräch zu vermeiden.
  • Der ammonitische König behauptete, dass Israel ihnen das Land Gilead zwischen den Bächen Arnon und Jabbok weggenommen habe (Vers 13). Doch diese Aussage stimmte nicht.
  • Nun schickte Jephta nochmals Boten und erklärte ruhig, dass dieses Gebiet einst den Amoritern gehörte. Dann hatte Israel es im Kampf erobert, und zwar genau dieses Land zwischen Arnon und Jabbok (Vers 22; 4. Mo 21).
  • Jephta hatte auf eine friedliche Lösung gehofft, doch der König hörte nicht auf ihn. Das schmerzte, denn Ammon war im Unrecht. Jephta handelte richtig, als er sich wehrte und das Land verteidigte.

Vielleicht hatte der ammonitische König nicht die Absicht zu lügen, als er etwas Falsches behauptete. Leider kann man feststellen, dass Konflikte zwischen Völkern, in Familien oder unter Gläubigen die Wahrnehmung verzerren. Hört man sich beide Konfliktparteien an, erfährt man oft zwei verschiedene Geschichten. Darum wollen wir uns immer wieder prüfen, ob wir noch die göttliche Sicht des Problems haben. Wenn nicht, dann lasst uns den Mut aufbringen, einen Schritt zurückzugehen und zur Korrektur bereit zu sein.

Die Ursache dieses Problems lag ungefähr 300 Jahre zurück (4. Mo 32). Das Gebiet östlich vom Jordan gehörte nicht zum verheissenen Land Kanaan. Dennoch wählten zweieinhalb Stämme dieses Gebiet als ihr Erbteil. Wären sie damals auch über den Jordan ins Land gezogen, hätte es diese Schwierigkeit nicht gegeben. So gibt es auch heute Probleme im Volk Gottes, deren Ursachen in der Vergangenheit liegen.

Jephta sagte: «Der HERR, der Richter, richte heute zwischen den Kindern Israel und den Kindern Ammon!» (Vers 27). Damit übergab er die Sache dem HERRN. Auch wir sollen einen Konflikt in die Hände unseres Gottes legen. Jedoch möchte ich davor warnen, einem Gläubigen, der etwas tut, was wir nicht richtig finden, vorschnell zu sagen: Dafür musst du einmal vor dem Richterstuhl des Christus geradestehen. Solche Aussagen stehen uns nicht zu.

2) Jephtas Gelübde und Kampf

Richter 11,28-33

Gott ergriff die Initiative: «Da kam der Geist des HERRN über Jephta» (Vers 29). Diesen Ausdruck finden wir mehrmals in diesem Bibelbuch (Ri 3,10; 6,34; 14,6.19; 15,14). Er zeigt, dass Gott eine Sache lenkte und die Kraft dazu gab.

Warum legte Jephta ein Gelübde ab? Ein Gelübde ist ein starkes Versprechen, das man Gott gibt (3. Mo 27,2; 4. Mo 30,3). Oft wird es in einer grossen Not und unter Druck abgelegt: Wenn Du mir hilfst, dann gebe ich Dir … Es waren Extremsituationen, in denen Jakob, Hanna oder Jona ein Gelübde ablegten (1. Mo 28,20; 1. Sam 1,11; Jona 2,10).

In den Anordnungen des Gesetzes sehen wir, dass es bei einem Gelübde um die eigene Person oder um den eigenen Besitz gehen kann, aber nie um die eigenen Kinder. Als Jephta das Gelübde ablegte, dachte er wohl nicht an sein einziges Kind. Er nahm jedoch in Kauf, dass es auch seine Tochter treffen könnte.

Wir sollen nie etwas versprechen, worüber wir keine Kontrolle haben, schon gar nicht über das, was unsere Kinder betrifft. Als Eltern geht es uns vielleicht weniger um ein Versprechen im Blick auf die Kinder als vielmehr um eine fixe Vorstellung von dem, was sie tun sollen. Zum Beispiel wollen wir, dass sie unseren Betrieb weiterführen oder unser Haus übernehmen. Aber unsere festen Wünsche können unsere Kinder unter Umständen in grosse Schwierigkeiten bringen. Es gibt jedoch einen Wunsch für unsere Kinder, der nie verkehrt ist: Wir möchten und wünschen, dass sie sich bekehren und dem Herrn Jesus nachfolgen.

Warum schloss Jephta einen Handel mit Gott ab? War es nicht ein Mangel an Vertrauen wie bei Jakob? Es scheint, als wollte Jephta mit dem Gelübde Gott nachhelfen. Aber hätte der HERR nicht auch ohne dieses Versprechen geholfen? Der Herr Jesus erwartet von uns nur den Herzensentschluss, bei Ihm zu bleiben und mit Ihm zu leben (Apg 11,23).

Der erste Teil des Gelübdes entsprach dem, was auch Hanna versprach: «Es soll dem HERRN gehören.» Das hätte Jephta gut erfüllen können. Doch der zweite Teil ging zu weit: «Ich werde es als Brandopfer opfern!»

Als es zum Kampf gegen die Ammoniter kam, schenkte Gott einen klaren Sieg. Wie können wir das auf uns übertragen? Erstens gilt es zu bedenken, dass es bei unserem Kampf nicht um Fussbreiten auf der Erde geht (Jos 1,3). Unser Land ist Christus und die Segnungen im Himmel, die Er uns zugedacht hat. Zweitens richtet sich unser Kampf nicht gegen Menschen, sondern gegen den Satan und seine Engel (Eph 6,12). Im Glauben widerstehen wir den Ideen des Feindes, die in den Söhnen des Ungehorsams wirksam sind (Eph 2,2). Dabei kommt uns der Herr zu Hilfe. In seiner Macht und mit der Waffenrüstung, die Er uns gegeben hat, können wir den guten Kampf des Glaubens führen und die Angriffe des Feindes abwehren (Eph 6,10-18).

3) Das Verhalten der Tochter Jephtas

Richter 11,34-40

Die traurigen Fehler Jephtas

Als Jephta seiner Tochter begegnete, gab er ihr die Schuld: «Du bist unter denen, die mich in Trübsal bringen!» Das war schade. Auch wir suchen oft einen anderen, der an der unglücklichen Situation, für die wir verantwortlich sind, schuldig sein soll.

Jephta meinte, er könne sein Gelübde nicht mehr rückgängig machen: «Ich habe meinen Mund gegen den HERRN aufgetan und kann nicht zurücktreten!» Einerseits sollten die Israeliten nicht zögern, ihr Gelübde zu erfüllen (5. Mo 23,22; Pred 5,3). Anderseits waren Kinderopfer in den Augen des HERRN ein Gräuel (3. Mo 18,21; 5. Mo 18,9-12; 2. Chr 28,3; Ps 106,36-38).

Jephta hätte von seinem Gelübde zurücktreten sollen. Hatte Gott in 3. Mose 5,4-6 nicht die Möglichkeit dazu gegeben? Aber er war nicht bereit, den unteren Weg zu gehen und sein falsches Versprechen zurückzunehmen. Darin liegt eine Warnung für uns als Eltern: Wenn wir uns über unser Versagen nicht beugen und das, was wir verkehrt gemacht haben, nicht in Ordnung bringen, müssen vielleicht unsere Kinder die Folgen unseres Fehlverhaltens tragen.

Die Bibel beschreibt in Vers 39 mit sehr zurückhaltenden Worten die traurige Erfüllung des Gelübdes.

Das vorbildliche Verhalten der Tochter

Die Tochter Jephtas ist ein helles Licht in dieser dunklen Szene. Wie Abigail, die einen bösen Mann hatte, und das Mädchen, das in Syrien der Frau Naamans dienen musste, schickte sie sich in die schwierige Situation. Wie verhalten wir uns, wenn sich ein Bruder oder eine Schwester nicht richtig benimmt und dadurch eine schwierige Situation verursacht? Sollen wir dann weglaufen oder dennoch ausharren? Es ist gut, auch in solchen Situationen dort zu bleiben, wo der Herr in der Mitte der Gläubigen seine Gegenwart verheissen hat.

Für eine israelitische Frau war es hart, keine Nachkommen zu haben. Die Tochter Jephtas beweinte also nicht sich selbst, sondern die fehlende Nachkommenschaft. In dieser schweren Stunde standen ihr gute Freundinnen bei, vermutlich weil sie auch selbst eine gute Freundin war.

Das Verhalten der Tochter Jephtas hatte einen starken Einfluss auf ihre Freundinnen, ja, sogar auf alle jungen Frauen in Israel: Sie priesen nicht den Sieg Jephtas, sondern die tapfere Haltung seiner unverheirateten Tochter! So können auch wir schon in jungen Jahren einen guten Einfluss auf andere ausüben.

Die Tochter Jephtas musste wegen des Fehlers eines anderen sterben. So leuchtet in ihrem Tod etwas vom Herrn Jesus hervor, der am Kreuz für fremde Schuld gestorben ist. Auch in unserem Leben soll unser Erlöser und Herr sichtbar werden. Wie schön, wenn Christus in uns Gestalt gewinnt! (Gal 4,19).

4) Der Streit mit Ephraim

Richter 12,1-6

Zwei Arten des Kampfes

Es gibt in der Bibel einen guten Kampf und einen fleischlichen Kampf.

Vom guten Kampf des Glaubens spricht der Apostel Paulus zu Timotheus: «Dieses Gebot vertraue ich dir an, mein Kind Timotheus, gemäss den vorher über dich ergangenen Weissagungen, damit du durch diese den guten Kampf kämpfst, indem du den Glauben bewahrst und ein gutes Gewissen» (1. Tim 1,18.19). «Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe den Glauben bewahrt» (2. Tim 4,7).

Der Glaubenskampf ist nicht gut, weil er angenehm wäre, sondern weil Gott will, dass wir ihn führen, solange wir auf der Erde sind. Wir werden zur Verteidigung aufgefordert, wenn der Teufel uns etwas vom Wort Gottes wegnehmen will oder die biblische Grundlage des Zusammenkommens angreift.

Der Kampf Jephtas gegen Ammon stellt in der geistlichen Übertragung diesen guten Kampf des Glaubens dar.

Leider ist es auch möglich, dass wir einen fleischlichen Kampf führen. Der Apostel Paulus warnt uns mehrmals davor: «Ihr seid zur Freiheit berufen worden, Brüder; nur gebraucht nicht die Freiheit zu einem Anlass für das Fleisch, sondern durch die Liebe dient einander … Wenn ihr aber einander beisst und fresst, so seht zu, dass ihr nicht voneinander verzehrt werdet» (Gal 5,13.15). «Erfüllt meine Freude, dass ihr gleichgesinnt seid, dieselbe Liebe habend, einmütig, eines Sinnes, nichts aus Streitsucht oder eitlem Ruhm tuend» (Phil 2,2.3).

Der Streit mit Ephraim zeigt uns den fleischlichen Kampf unter Gläubigen. In einem solchen Kampf gibt es nur Verlierer.

Es ist wichtig, dass wir diese beiden Arten von Kämpfen unterscheiden. In einer Auseinandersetzung unter Gläubigen sind sie oft nah beieinander. Wenn wir für die Wahrheit einstehen (was gut ist), kann es schnell zu einer fleischlichen Reaktion kommen (was schlecht ist). Manchmal verwechseln wir auch diese beiden Kämpfe. Wir meinen, wir würden den guten Kampf des Glaubens führen. Aber andere beurteilen unser Vorgehen als fleischlich. Oder wir zeigen eine fleischliche Überreaktion, obwohl wir der Meinung sind, wir würden geistlich handeln.

In 2. Korinther 10,2-5 finden wir beide Arten des Kampfs nebeneinander: «Ich flehe aber, dass ich anwesend nicht kühn sein müsse mit der Zuversicht, mit der ich gedenke, gegen einige dreist zu sein, die uns als nach dem Fleisch wandelnd erachten. Denn obwohl wir im Fleisch wandeln, kämpfen wir nicht nach dem Fleisch; denn die Waffen unseres Kampfes sind nicht fleischlich, sondern göttlich mächtig zur Zerstörung von Festungen, indem wir Vernunftschlüsse zerstören und jede Höhe, die sich erhebt gegen die Erkenntnis Gottes, und jeden Gedanken gefangen nehmen unter den Gehorsam des Christus.» Die falschen Lehrer in Korinth meinten, Paulus würde einen fleischlichen Kampf führen. Doch das war nicht der Fall. Der Apostel benutzte göttliche Waffen, um die Wahrheit gegen menschliche Ideen zu verteidigen. Das war ein guter Kampf.

Provokation und Reaktion

Die Auseinandersetzung mit den Männern aus Ephraim ist also ein Beispiel für den verhängnisvollen fleischlichen Kampf. Es war nicht der Geist Gottes, der den Streit veranlasste. Die Leute aus Ephraim begannen ihn mit einer Unwahrheit: «Warum hast du uns nicht gerufen?» Dann provozierten sie Jephta und drohten ihm: «Wir werden dein Haus über dir mit Feuer verbrennen!» Schliesslich verspotteten sie ihn und seine Leute: «Flüchtlinge Ephraims seid ihr, ihr Gileaditer!» Das war ein absolut fleischlicher Angriff.

Durch diese Worte wurde Jephta verletzt. Leider reagierte er darauf heftig und fleischlich. Gideon verhielt sich ganz anders, als er mit dem gleichen Vorwurf der Ephraimiter konfrontiert wurde. Er blieb ruhig, gab eine demütige Antwort und legte die Sache innerlich weg (Ri 8,1-3). Wie reagieren wir, wenn wir verletzt werden? Haben wir unsere Gefühle im Griff? Oder werden wir in der Familie und unter den Gläubigen laut?

Verletzt sein ist nicht fleischlich, sondern menschlich. Auch der Herr Jesus wurde innerlich verletzt. In Psalm 69,21 sagt er: «Der Hohn hat mein Herz gebrochen und ich bin ganz elend.» Die bösen Worte der Juden verletzten sein Herz (Joh 8,41.48). Doch am Kreuz betete Er: «Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!» (Lk 23,34). Wenn wir verletzt werden, hilft es uns, an den Herrn Jesus zu denken, um nicht fleischlich zu reagieren.

Ein Bruderkrieg

Nach dem Angriff der Ephraimiter und der heftigen Reaktion Jephtas kam es zum Kampf. Die Gileaditer nahmen die Furten in Besitz. Das waren die untiefen Übergänge durch den Jordan. Alle, die über den Fluss gehen wollten, wurden kontrolliert. Ein kleiner Unterschied entschied über Leben und Tod: Die Leute aus Ephraim konnten das «Sch» nicht richtig aussprechen. So starben viele Israeliten wegen einer sprachlichen Nuance, obwohl im Volk Gottes weder Herkunft noch Eigenart eine Rolle spielen sollten.

Im Neuen Testament wird etwas Ähnliches behandelt: «Wenn dein Bruder wegen einer Speise betrübt wird, so wandelst du nicht mehr nach der Liebe. Verdirb nicht mit deiner Speise den, für den Christus gestorben ist» (Röm 14,15). Wir sind verschieden. Es gibt Starke und Schwache. Darum wollen wir aufeinander Rücksicht nehmen, damit wir nicht einem Bruder oder einer Schwester geistlich schaden.

Wir können die heftige Reaktion Jephtas besser einordnen, wenn wir an seine Vergangenheit denken. Er war unter schwierigen Bedingungen aufgewachsen und musste in seiner Jugend früh lernen, sich zu behaupten und etwas durchzuziehen. Das hatte ihn vermutlich hart gemacht.

Schluss

Lasst uns einen Konflikt, wenn möglich, friedlich lösen. Suchen wir das Gespräch und stehen wir dabei zur Wahrheit. Wenn es keine Lösung gibt, wollen wir die Sache dem Herrn übergeben.

Lasst uns keine Versprechungen machen, unter denen andere zu leiden haben. Wenn wir Fehler gemacht haben, wollen wir nicht stur bleiben, sondern uns darunter beugen und die Sache korrigieren.

Lasst uns den guten Kampf des Glaubens führen und nicht fleischlich handeln. Und wenn wir fleischlich reagiert haben, wollen wir es dem HERRN und einander bekennen. Das ist der Schlüssel zum Frieden untereinander.