Die Heilige Schrift ist ein Wunder. Und in einem gewissen Sinn ist dies auch ein Beweis dafür, dass sie die Offenbarung Gottes ist.
Stellen wir uns einmal vor, von verschiedenen Orten her bringe man Stücke bemalten Glases herbei, die zusammen ein Ganzes bilden. Würden wir da nicht sagen, ein Künstler habe ihre Anfertigung angeordnet, um ein Kirchenfenster daraus zu machen?
Oder vergegenwärtigen wir uns Folgendes: Viele Männer aus mancherlei Ländern kommen mit Marmorstücken verschiedenartiger Formen, und beim Aufeinandersetzen dieser einzelnen Teile entsteht eine wohlproportionierte Statue. Würden wir da nicht voraussetzen, ein Bildhauer habe jedem dieser Männer ein Teilstück des Werkes in Auftrag gegeben, das herausgearbeitet werden sollte, gemäss der Fähigkeit jedes Beauftragten, aber vor allem entsprechend dem Gedanken des Bildhauers?
So setzt sich auch die Bibel aus 70 Büchern1 zusammen, die innerhalb einer Zeitspanne von 1600 Jahren geschrieben worden sind. Viele Männer mit verschiedenen Fähigkeiten und Begabungen haben an diesem Werk gearbeitet. Und wenn wir jetzt die Bibel in ihrer Gesamtheit betrachten, so sehen wir, dass ihre verschiedenen Teile gegenseitig die scheinbaren Widersprüche erklären und sich vervollständigen, und dass sie zusammen ein einziges Gemälde darstellen, gebildet und belebt durch den einen Geist.
Aber das erkennt nicht jedermann, gewiss nicht. Es braucht Verständnis zum Zusammensetzen der Glasstücke und zum Zusammenfügen der verschiedenen Marmorblöcke. So ist es auch mit dem Wort Gottes, das eingegeben und zusammengesetzt worden ist durch einen Geist. Nur wer diesen Geist besitzt, kann sein Werk verstehen. Wie das Kirchenfenster und die Statue im Geist und auf dem Plan des Künstlers schon ein Ganzes waren, bevor er die einzelnen Teile den Arbeitern übergab, so hatte auch Gott einen Plan für sein ganzes Wort, bevor ein einziger Buchstabe geschrieben war. Darum sagt Petrus: «Keine Weissagung der Schrift ist von eigener Auslegung» (2. Pet 1,20). Man kann eine einzelne Schriftstelle für sich nicht mit Genauigkeit erklären. Die Schrift ist ein Ganzes und unzertrennbar. Nur wer alles besitzt kann die Absicht des Geistes verstehen. Daher waren die Propheten genötigt, «nachzusuchen und nachzuforschen», denn die Offenbarung war damals noch nicht vollständig, und sie mussten sich auf die mündliche oder schriftliche Offenbarung stützen, die sie schon besassen. Daher ist es auch widersinnig, in der Schrift Worte Gottes zu suchen und andere als Menschenworte zu verwerfen. Das Wort ist eine Einheit.
Der «Kanon» der Schriften hing keineswegs vom Entscheid eines Konzils ab, so wenig wie die Einheit der Teile, die eine Pflanze ausmachen, vom Professor der Botanik abhängt, der sie nummeriert und klassifiziert. Wir haben nicht nötig, die Teile zusammenzusetzen, sie halten von selber zusammen. Ähnlich wie das Eisen sich an den Magneten klammert, so ziehen sich die Bibelteile an, sobald man sie einander nahe bringt.
Die Heilige Schrift ist lebendig. Der Mensch kann weder etwas hinzufügen noch etwas wegnehmen, ohne dass man es merkt. Wer das nicht anerkennen will, schadet sich selbst, das Wort ändert sich dadurch nicht.
Daher muss auch die Auslegung der Schrift nicht durch eine Synode festgesetzt werden, wenn die Menschen auch verantwortlich sind, das zu bewahren, was Gott ihnen anvertraut hat. Und Gott ruft seine Kinder auf, jedes persönlich, sein Wort zu lesen. Und wer sich vom Geist Gottes leiten lässt, wird immer zu dem zurückgeführt, was von Anfang war, zu der Absicht des Geistes. Es versteht sich von selbst, dass Gott der Versammlung Lehrer gegeben hat, die sie in dem unterweisen, was sie selber in der Schrift gefunden haben, und die daher eine besondere Berufung und Verantwortlichkeit haben, aber das gehört nicht zu unserem Thema: Die Bibel ein Wunder!
Seit die Welt besteht, haben Geschichtsschreiber, Dichter und Gelehrte viele Bücher geschrieben. Unter diesen Büchern gibt es solche, wie zum Beispiel die des Homer, die unnachahmliche Vorbilder geworden sind. Alle diese alten Bücher eines Homer oder Platon unter den Griechen, eines Virgil oder Horaz unter den Römern, und alle die neueren, Shakespeare oder Goethe, so schön sie auch sein mögen, wo sind sie? Man findet sie in den Bibliotheken der Gelehrten und der gebildeten Leute. Sie bilden den Geschmack, schärfen den Verstand, formen und verfeinern vielleicht die Gefühle derer, die diese Bücher lesen und verstehen können. Aber sie vermögen keiner Seele den Frieden zu geben, und für einen grossen Teil der Menschen sind sie unverständlich.
Mit der Bibel ist es anders. Man hat angefangen, daran zu arbeiten, bevor es den Griechen überhaupt in den Sinn kam, Bücher zu schreiben. 1600 Jahre sind zwischen ihrem Anfang und ihrer Vollendung verflossen. Könige und Priester, Schriftgelehrte und Lehrer, Dichter und Hirten, Fischer und Zöllner haben daran gearbeitet. Sie haben sich nicht gekannt und konnten sich nicht miteinander verständigen. Die Sprachen, in denen sie schrieben, sind nun tot, man spricht sie heute nirgends mehr. Aber selbst Kinder können die Bibel mit Genuss lesen, und Gelehrte achten sie. Grosse Denker wie ein Newton bekennen, dass sie dieses Buch nicht erschöpfen und nicht ergründen können. Einfache Leute erquicken ihre Seele durch die Bibel. Zivilisierte und primitive Völker beugen sich vor ihrer Macht, und überall, wo sie hingelangt, verbessert sich die Moral. Könige und Herrscher haben ihr widerstanden – sie sind verschwunden, aber die Bibel ist geblieben. Es ist das einzige Buch, das in fast alle bekannten Sprachen der Welt übersetzt worden ist, und die Zahl ihrer bestehenden Exemplare übersteigt bei weitem die Auflage jedes anderen Buches. Die Welt will nichts davon wissen, und doch ist sie in der ganzen Welt zu finden, vom Norden bis zum Süden, vom Westen bis zum Osten. Wer die Bibel nicht kennt, und wäre es ein Doktor oder ein Professor, ist ein Unwissender, wenn man über moralische oder geistliche Dinge mit ihm spricht; ein junger Knabe, der die Bibel kennt, könnte ihn beschämen. Die moderne Kritik greift die Bibel an, zernagt sie, schränkt sie ein und will nicht ein einziges ihrer Bücher voll anerkennen; aber dennoch bleibt sie weiterhin das Buch, das Millionen von Menschen leitet, die nicht einmal wissen, dass es so etwas wie moderne Kritik gibt.
Und, was noch wichtiger ist als alles andere: die Bibel hat, im Gegensatz zu jedem anderen Buch, während allen Jahrhunderten ihres Bestehens, dem Gewissen Ruhe, der Seele Frieden und dem Herzen Nahrung gegeben, und zwar unzähligen Menschen der verschiedensten Alter, in niedriger und hoher Stellung. Die Bibel fährt fort zu tun, was jedem anderen Buch unmöglich ist: sie macht Menschen, die sie im Glauben aufnehmen, so glücklich, dass sie im Frieden leben und sterben können, wenn es sein muss, sogar eines Märtyrertodes. Nur die Bibel kann solches tun, und ein Buch, das derartiges zustande bringt, ist ein Wunder.
Soll ich noch schöne Zeugnisse beifügen? Es sind Worte von Ungläubigen:
Jean-Jacques Rousseau, der Apostel der Französischen Revolution hat einmal gesagt: «Ich muss bekennen, dass mich die Majestät der Bibel mit Bewunderung erfüllt und meinem Herzen immer grösseren Eindruck macht. Prüfen sie die Werke aller Philosophen: wie gering sind sie neben der Heiligen Schrift, trotz der Pracht ihrer Beredsamkeit! Sollte es möglich sein, dass ein so einfaches und doch so erhabenes Werk Menschenwerk ist?» Diderot, dessen Schriften so viel zur Ausbreitung des Unglaubens beigetragen haben, hat unter anderem in einem Kreis von Gelehrten, die über die Bibel spöttelten, gesagt: «Die Bibel ist für mich ein unergründliches Rätsel. Alles, was in den Künsten und in der Literatur gross genannt werden kann, hat seinen Stoff aus diesem Buch geholt, oder verdankt ihm seine Form. Wenn ich glauben könnte, dass Gott geredet hat, so wäre ich der Erste, der anerkennte, dass wir in diesem Buch sein Wort haben.»
Feinde und Freunde, alle anerkennen, dass die Bibel ein Wunder ist, dass sie Wunder getan hat, und dass sie immer noch Wunder tut.
Wäre dies möglich gewesen, wenn die Kritik zu beweisen vermocht hätte, dass man sich auf die Echtheit der Schriften nicht verlassen kann? Nein, denn sobald diese Autorität fehlte und jedermann sagen könnte: Dieses ist oder ist nicht ein Wort Gottes – dann würde alles von der Auffassung des Menschen abhängen. Alles wäre dann unbestimmt und nur noch eine Wahrscheinlichkeit. Wir könnten uns dann auf kein einziges Wort der Bibel mehr stützen. Wir hätten dem Feind dann kein «es steht geschrieben» mehr entgegenzuhalten, und kein «es steht geschrieben» für den Frieden unserer Seele und für die Kraft unserer Verkündigung. Wir hätten keine Gewissheit mehr bezüglich des Sühnungstodes, der Auferstehung und der Himmelfahrt Christi. Wir hätten keine Lehre der Rechtfertigung durch Gnade mehr. Die Bibel wäre dann ein Buch wie jedes andere und kein Wunder mehr!
In direktem Gegensatz zu diesen Vernunftschlüssen gibt es die eine Tatsache: Die Bibel ist ein Wunder. Mehr denn je wird heute die Heilige Schrift angegriffen. Sie hat Feinde jeder Gattung, selbst im Lager ihrer Freunde. Satan will das Wort entwerten, um dessen Autorität zu zerstören. Aber, Gott sei Dank, die durch dieses Wort bekehrten Sünder sind heute zahlreicher denn je. Immer deutlicher werden die Prophezeiungen, die sie enthält, durch die Geschichte bestätigt, handle es sich nun um den Verfall der Christenheit, oder um das Erwachen Israels und die Rückkehr der Juden in ihr eigenes Land.
Dieses Buch, das eine solche Macht besitzt, sollte es nicht ein Wunder sein? Der Apostel sagt: «Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und durchdringend bis zur Scheidung von Seele und Geist, sowohl der Gelenke als auch des Markes, und ein Beurteiler der Gedanken und Überlegungen des Herzens; und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloss und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben.» (Heb 4,12.13). Welcher Mensch würde von sich aus so etwas schreiben? Der Apostel kommt vom Wort Gottes unvermittelt auf Gott selber zu reden: «Das Wort Gottes ist lebendig … und kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar.» Wir sehen hier: das Wort ist eins mit Gott. Es ist in Ihm verkörpert und darum führt es auch in die Gegenwart Gottes. Es macht weise zur Errettung (2. Tim 3,15). Es ist wie Feuer, ein Hammer, der Felsen zerschmettert (Jer 23,29). Es erleuchtet und gibt Einsicht (Ps 119,130). Es zeigt uns unseren verlorenen Zustand und lässt uns erkennen, wer wir vor Gott sind (Joh 4,29). Es reinigt die Seele (Joh 15,3); denn es wird mit Wasser verglichen (Hes 36,25-27; Joh 3,5). Es pflanzt den Samen der Neugeburt in das Herz ein (1. Pet 1,23; Jak 1,18 und 21). Lasst uns die Bibel betend lesen und uns ihrer Autorität unterwerfen, denn sie ist tatsächlich das, was sie zu sein behauptet: das Wort Gottes.
- 1Wenn wir für die Psalmen fünf Bücher einrechnen, kommen wir auf die Zahl 70. Die Apokryphen, die nicht inspiriert sind, gehören selbstverständlich nicht zum Wort Gottes.