In der Zeitperiode des Gesetzes gab Gott seinem Volk Israel ausführliche Anweisungen über die verschiedenen Schlachtopfer und ihre Darbringung. Und doch steht in Psalm 40,7.8: «An Schlacht- und Speisopfer hattest du kein Gefallen; Ohren hast du mir bereitet: Brand- und Sündopfer hast du nicht gefordert. Da sprach ich: Siehe, ich komme; in der Rolle des Buches steht von mir geschrieben.»
Wie ist das zu verstehen? Zudem lesen wir an manchen Stellen im Alten Testament, dass Gott gewisse Dinge den Opfern eindeutig vorzieht (z.B. den Gehorsam; 1. Sam 15,22). Wie kann man diesen scheinbaren Widerspruch erklären? Liegt in diesen Versen auch eine geistliche Bedeutung für uns?
Die Antwort auf die erste Frage gibt uns die angeführte Stelle selbst. Mit der Rolle des Buches ist hier das Buch der Ratschlüsse Gottes, die von Ewigkeit her sind, gemeint. Der Inhalt und das Thema dieses Buches ist der Herr Jesus und das Opfer seines Leibes. Die Opfer der Israeliten waren nur vorbildlich; sie wiesen alle auf das eine und ein für alle Mal dargebrachte Opfer Jesu Christi hin (Heb 10,10-12). Die Tieropfer der Israeliten konnten für sich allein Gott niemals befriedigen. Nur im Blick auf den vorbildlichen Hinweis auf das Opfer seines Sohnes konnten sie Ihm etwas bedeuten.
Zur Beantwortung der zweiten Frage müssen wir uns zunächst über die Bedeutung eines von Menschen gebrachten Opfers klar sein. Ein solches Opfer bringt man Gott dar. Bei den Israeliten konnte es aus Zwang oder freiwillig geschehen. Wenn sie aus Versehen sündigten, verlangte Gott ein Sündopfer. Wollte der Israelit aber seinen Dank gegenüber Gott zum Ausdruck bringen, konnte er z.B. ein freiwilliges Friedensopfer darbringen.
Auch der Gläubige des Neuen Testaments darf Gott Opfer darbringen. Es sind einerseits die geistlichen Schlachtopfer, die das Wort mit «Opfer des Lobes» und «Frucht der Lippen» bezeichnet, und anderseits materielle Opfer für die Bedürftigen und für das Werk des Herrn (1. Pet 2,5; Heb 13,15.16).
Die alttestamentlichen wie auch die neutestamentlichen Opfer konnten und können Gott ohne die geringste Regung des Herzens dargebracht werden. Da singt man am Sonntag gemeinsam mit andern Gläubigen Lob- und Anbetungslieder, aber es kann vorkommen, dass das Herz dabei überhaupt nicht engagiert ist. Es ist vielleicht von irdischen Dingen erfüllt oder einfach gleichgültig, kalt. Und die materielle Gabe? Haben wir sie einfach aus Pflicht, oder um einer Form zu genügen, in den Beutel gelegt? War unser Herz dabei, als wir uns vor dem Herrn prüften, wie viel und für welchen Zweck wir einlegen sollten?
Gott verabscheut ein Opfer, das nur eine äusserliche Verrichtung und keine Herzenssache ist. Deshalb redet Er an verschiedenen Stellen von Dingen, die besser sind als solche Schlachtopfer. Es geht Ihm sehr um unsere Beweggründe und Überlegungen. Wenn es in unserem Leben äusserliche «Opfer» gibt, die wir nur getan haben, um einer Form oder den Mitmenschen zu genügen, tut es vielleicht gut, auf die Verse zu hören, in denen Gott sagt, was Er einem «herzlosen» Opfer vorzieht. Zunächst einige Aussprüche, die sich auf Ungläubige beziehen:
«Das Opfer der Gottlosen ist ein Gräuel; wie viel mehr, wenn er es in böser Absicht bringt!» (Spr 21,27).
«Das Opfer der Gottlosen ist dem HERRN ein Gräuel, aber das Gebet der Aufrichtigen sein Wohlgefallen» (Spr 15,8).
«Herbeikommen, um zu hören, ist besser, als wenn die Toren Schlachtopfer geben» (Pred 4,17).
Dass Gott das Opfer eines Ungläubigen verabscheut, ist uns wohl allen begreiflich. Wie könnte Gott von jemandem etwas annehmen, der bis dahin die grösste aller Gaben, die Gott gegeben hat, den Herrn Jesus, noch ablehnt? Unmöglich! Der Ungläubige wird aufgefordert, zu hören, was ihm Gott über ihn und sein Leben zu sagen hat. Dann soll er Gott mit einem aufrichtigen Gebet, in wahrer Reue und Buße begegnen. Gott wird ihn annehmen, wie der Vater im Gleichnis den verlorenen Sohn empfing und in seine Arme schloss.
Betrachten wir nun die verschiedenen Verse, die sich vor allem an Gläubige richten. Da sagt Gott zuerst:
«Hat der HERR Gefallen an Brandopfern und Schlachtopfern, wie daran, dass man der Stimme des HERRN gehorcht? Siehe, Gehorchen ist besser als Schlachtopfer» (1. Sam 15,22).
Der Gehorsam des Christen zeigt sich in der Unterwerfung unter das Wort Gottes und im praktischen Verwirklichen seiner Anweisungen. Dieser Gehorsam wird zu einem Ausdruck unserer Liebe gegenüber dem Herrn Jesus. «Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt» (Joh 14,21.23). Wie könnte Gott am Sonntag von uns ein Lobopfer annehmen, wenn wir uns die Woche hindurch nicht um die Anweisungen seines Wortes kümmerten und ein Leben im Eigenwillen lebten? Das ginge doch nicht!
«An Frömmigkeit habe ich Gefallen und nicht am Schlachtopfer, und an der Erkenntnis Gottes mehr als an Brandopfern» (Hos 6,6).
Und das Zitat in Matthäus 9,13 (vgl. auch 12,7):
«Geht aber hin und lernt, was das ist: ‹Ich will Barmherzigkeit und nicht Schlachtopfer›.»
Das Wort «Frömmigkeit» kann auch mit Güte übersetzt werden. Güte und Barmherzigkeit drücken aus, was Gott uns erwiesen hat bei unserer Bekehrung und seither nicht aufhört, uns zu schenken. Wahre Hingabe an Ihn – eine, die von Herzen kommt – wird sich auf unser praktisches Leben abfärben. Bei den wahren Jüngern werden die Charakterzüge des Meisters sichtbar und spürbar. Merken unsere Mitmenschen bei uns etwas von der Güte und Barmherzigkeit Gottes?
Bei unserer Bekehrung durften wir im Glauben erfassen, dass der Herr Jesus «mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat» (Gal 2,20). Aber Gott möchte nicht, dass wir nur eine Erkenntnis des Heilandes haben und uns mit einem angelernten Loben und Danken begnügen. Sein Wunsch ist, dass wir Ihn, den Vater, und den Herrn Jesus besser kennenlernen. Er möchte z.B., dass wir mit dem Herzen vom Wort her verstehen lernen, was sein Sohn am Kreuz für Ihn bedeutet hat. Er möchte, dass wir uns für seinen Ratschluss, den Er in der vergangenen Ewigkeit gefasst hat, interessieren, dass wir erkennen, welch eine Person es ist, die alles ausführte und welch einen Platz in diesen Gedanken auch seine Versammlung, die Gesamtheit aller Erlösten, einnimmt.
Je mehr wir Gott und seine Gedanken mit dem Herzen (nicht einfach mit dem Verstand) erkennen und begreifen, umso tiefer wird die Anbetung als Antwort unserer Herzen sein.
«Er ist einer, und ausser ihm ist kein anderer; und ihn lieben aus ganzem Herzen und aus ganzem Verständnis und aus ganzer Kraft, und den Nächsten lieben wie sich selbst, ist mehr als alle Brandopfer und Schlachtopfer» (Mk 12,32.33.).
In diesem Vers ist das Bessere unsere Liebe zu Gott und zu dem Nächsten. Diese Liebe ist aber nicht zu verwechseln mit Sentimentalität oder Gefühlsduselei. Gott lieben ist eine ganz konkrete Sache. Sie hängt eng mit der praktischen Verwirklichung seines Wortes zusammen (1. Joh 5,2.3). Am Anfang steht der Entschluss des Herzens, sich dem Wort Gottes zu unterwerfen. Dann folgt der Wunsch, dieses Wort genauer kennenzulernen, es zu verstehen. Und zur praktischen Ausübung ist geistliche Energie, die Kraft des Heiligen Geistes in uns, notwendig.
Der Massstab unserer Liebe zum Nächsten sind wir selbst, d.h. das, was wir für uns selbst beanspruchen. Wie viel Nachsicht üben wir oft, wenn es um uns geht! Tun wir es auch gegenüber dem Nächsten? Damit wir unserem Nächsten wirklich in Liebe begegnen können, müssen wir die eigene Selbstsucht aufgeben, von uns selbst loskommen. Betrachten wir doch den Herrn Jesus als Mensch auf dieser Erde! Wie ging seine Liebe aus zu allen, die Ihn umgaben. Und Er war der einzige Mensch, der nie an sich dachte, immer nur an die andern. Möchten wir von Ihm lernen!
«Gerechtigkeit und Recht üben ist dem HERRN angenehmer als Opfer» (Spr 21,3).
Mit «üben» ist die praktische Tätigkeit in unserem Leben gemeint. Aber Gerechtigkeit üben, d.h. das ausleben, woran Gott Gefallen hat, kann nur ein Wiedergeborener, ein Kind Gottes (1. Joh 2,29; 3,7.10). Anderseits ist die praktische Gerechtigkeit in unserem Leben für unsere Umgebung ein deutliches Zeichen des neuen, des göttlichen Lebens in uns. Finden sich in unserem Leben nur schöne Worte, aber keine Verwirklichung der klaren Anweisungen der Bibel, dann sind die andern berechtigt, hinter unser Bekenntnis als Christ ein Fragezeichen zu setzen.
In Apostelgeschichte 10,35 steht die praktische Gerechtigkeit mit Gottesfurcht in Verbindung. «Wer Gott fürchtet und Gerechtigkeit wirkt.» Gottesfurcht ist die Angst, etwas zu tun, das Gott missfällt. Gerechtigkeit wirken, bedeutet, dass man das Gottgewollte bewusst auslebt. Das haben schon die alttestamentlichen Gläubigen ausgeübt (Heb 11,33).
Gott möchte, dass unser Leben auch gekennzeichnet sei durch das, was recht oder ehrbar ist vor dem Herrn und vor den Menschen (Röm 12,17; 2. Kor 8,21). Heute ist dies nicht immer so einfach. Die göttlichen Begriffe von dem, was recht und unrecht ist, gehen in der uns umgebenden Welt immer mehr verloren. Wir Gläubige, die zwar nicht von der Welt, aber noch in der Welt sind, werden auch von diesen Strömungen beeinflusst. Deshalb ermuntert uns das Wort, die Geldliebe und die jugendlichen Begierden zu fliehen, dafür aber nach Gerechtigkeit zu streben (1. Tim 6,11; 2. Tim 2,22). Darin dürfen wir einander zum Ansporn sein: «Strebe … mit denen, die den Herrn anrufen aus reinem Herzen.»
Der letzte Appell an den Gläubigen, Gerechtigkeit zu üben, steht auf dem letzten Blatt der Bibel (Off 22,11). Möchten wir ihn zu Herzen nehmen, damit unser Leben in der kurzen Zeit bis zum Kommen unseres Herrn vermehrt von praktischer Gerechtigkeit geprägt sei.
Leider kommt es vor, dass Sünde in unser Leben eindringt – wir alle kennen es aus Erfahrung. Wie leicht sind wir dann geneigt, das Geschehene mit einer Anstrengung, einem Opfer, wieder gutzumachen, anstatt schonungsloses Selbstgericht zu üben. Am Beispiel des Volkes Israel zeigen verschiedene Stellen, wie Gott über die Opfer denkt, die trotz ungerichteter Sünde im Leben dargebracht werden.
«So spricht der HERR: … Eure Brandopfer sind mir nicht wohlgefällig und eure Schlachtopfer mir nicht angenehm» (Jer 6,20).
«Du hast kein Gefallen an Schlachtopfern, sonst gäbe ich sie; an Brandopfern hast du kein Wohlgefallen. Die Opfer Gottes sind ein zerbrochener Geist; ein zerbrochenes und zerschlagenes Herz wirst du, Gott, nicht verachten» (Ps 51,18.19).
«Wird der HERR Wohlgefallen haben an Tausenden von Widdern, an Zehntausenden von Strömen Öls? Soll ich meinen Erstgeborenen geben für meine Übertretung, die Frucht meines Leibes für die Sünde meiner Seele?“ Er hat dir kundgetan, o Mensch, was gut ist; und was fordert der HERR von dir, als Recht zu üben und Güte zu lieben und demütig zu wandeln mit deinem Gott?» (Micha 6,7.8). (Vergleiche auch Jes 1,11-17)
Das erste was Gott von uns will, wenn wir als Gläubige gesündigt haben, ist die Einsicht unserer Schuld, eine gottgemässe Betrübnis, die sich durch einen gebrochenen Eigenwillen und ein gebrochenes Herz zeigt. Auf ein solches Bekenntnis hin folgt Vergebung und Wiederherstellung (1. Joh 1,9). Und dann? Wenn die Gemeinschaft mit dem Herrn wieder in Ordnung ist, dürfen wir Ihn aufs Neue durch ein heiliges Leben verherrlichen: Recht üben, Güte lieben und demütig in Gemeinschaft mit unserem Gott und Vater vorangehen. Und das Gott wohlgefällige Opfer? Es wird als natürliche Folge aus der Herzensverbindung zwischen uns und Gott fliessen. Das Lobopfer: Kolosser 3,12-17; das materielle Opfer: 2. Korinther 8,3-5; die Gabe der Mazedonier folgte auf ihre völlige Hingabe an den Herrn; vergleiche auch Philipper 4,14-18.
Verstehen wir es recht; Gott sagt nicht, dass Er unsere Opfer nicht wünscht – im Gegenteil! (Ps 50,23; Heb 13,16) – aber sie sollen aus dem Herzen und aus einem Leben des Gehorsams, der Frömmigkeit, der Liebe, der praktischen Gerechtigkeit und Heiligkeit kommen.