Das Kreuz und das Kommen des Herrn

Was nehmen wir im Herzen mit von der gesegneten Stunde, in der wir um den Herrn versammelt waren und an seinem Tisch an Ihn gedacht haben? Ist es ein Gefühl der Befriedigung, ein Gefühl der Ruhe oder des Friedens? Nein, es ist weniger ein Gefühl der Befriedigung als vielmehr ein Gefühl des Hungers. Heute schon essen wir vom lebendigen Brot; aber wir sehnen uns danach, uns bei Ihm im Vaterhaus von Ihm selbst zu nähren. Aber es gibt eine sichere Hoffnung, denn Er hat gesagt: Tut dies, bis ich komme. Er betrügt uns nicht mit einem falschen Versprechen. Er wird kommen, und auf Ihn warten wir. Er wird kommen, und der Kelch und das Brot werden nicht mehr nötig sein, denn wir werden uns nicht mehr an einen abwesenden Christus erinnern müssen.

Ja! Wir sollten keinen Augenblick vergessen, dass wir mit dem Feiern des Abendmahls «seinem Tod» Zeugnis geben, «bis er kommt» (1. Kor 11,26). Es wird mit Recht gesagt, dass mit diesem Mahl sowohl ein Blick zurück als auch ein Blick voraus geworfen wird; es ist eine Erinnerung an seinen Tod und ein Erwarten seines Kommens. Mit anderen Worten: Das Kreuz und das Kommen des Herrn sind hier miteinander verbunden, ineinander verwoben in ein Bild, das in unserem Herrn und Heiland, Jesus Christus, ein vollkommenes Heil offenbart. Das erinnert uns an einen Satz des Apostels Petrus, der «von den Leiden des Christus und den Herrlichkeiten danach» schrieb (1. Pet 1,11).

Es ist mir erst kürzlich bewusst geworden, wie deutlich diese Verbindung seiner Leiden mit seinem Wiederkommen anlässlich der sogenannten Gerichtssitzung vor Kajaphas gesehen wird. Nach all dem traurigen Gespött falscher Zeugen schlägt der Hohepriester aus Angst, seine Beute könnte ihm schliesslich doch noch entwischen, einen rechtswidrigen Weg ein, indem er sich mit der Frage «Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du der Christus bist, der Sohn Gottes!» direkt an seinen Gefangenen wendet. «Jesus spricht zu ihm: Du hast es gesagt. Doch ich sage euch: Von jetzt an werdet ihr den Sohn des Menschen zur Rechten der Macht sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen» (Mt 26,63.64). Er wusste, dass ebenso sicher, wie Er bald das Kreuz erdulden musste, auch der Tag anbrechen würde, an dem Er in diese Welt zurückkehren sollte, um zu herrschen. Dann würden seine damaligen Richter ihrem Richter begegnen. Der gleiche Gedanke kommt in Johannes 13 zum Ausdruck: «Vor dem Fest des Passah aber, als Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, dass er aus dieser Welt zu dem Vater hingehen sollte …, wissend, dass der Vater ihm alles in die Hände gegeben hatte und dass er von Gott ausgegangen war und zu Gott hingehe» (Joh 13,1.3). Auch hier sehen wir das Kreuz und die Krone beieinander. Das sterbende Opferlamm ist auch der kommende König, in dessen Hände alles gegeben ist.

Nun wollen wir in einigen Punkten sehen, wie sein Wiederkommen die Krönung seines Sühnopfers ist.

Unsere Bestimmung

Die Neuschöpfung, wodurch die Seinen Ihm gleich werden, gründet sich ganz auf das Werk von Golgatha. Sie wird aber erst bei seinem Kommen in Vollkommenheit gesehen werden: «Geliebte, jetzt sind wir Kinder Gottes, und es ist noch nicht offenbar geworden, was wir sein werden; wir wissen, dass, wenn es offenbar werden wird, wir ihm gleich sein werden, denn wir werden ihn sehen, wie er ist» (1. Joh 3,2). Diese Verwandlung, die vom ersten Tag an begonnen hat, als wir aufgrund des Kreuzes, das Er für uns erduldet hat, die Gabe des ewigen Lebens bekamen, wird sich dann sogar auf unsere Körper erstrecken. «Denn unser Bürgertum ist in den Himmeln, von woher wir auch den Herrn Jesus Christus als Heiland erwarten, der unseren Leib der Niedrigkeit umgestalten wird zur Gleichförmigkeit mit seinem Leib der Herrlichkeit, nach der wirksamen Kraft, mit der er vermag, auch alle Dinge sich zu unterwerfen» (Phil 3,20.21). In 1. Korinther 15,51.52 beschreibt Paulus diese endgültige, dramatische Verwandlung sogar noch klarer: «Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, in einem Nu, in einem Augenblick, bei der letzten Posaune; denn posaunen wird es, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden.» Sein Kommen ist der krönende Abschluss der Folgen des Kreuzes im Leben seiner Heiligen!

Ja, so ist es! «Christus hat die Versammlung geliebt und sich selbst für sie hingegeben.» Hier haben wir Golgatha! Und das Ziel? «Damit er die Versammlung sich selbst verherrlicht darstellte, die nicht Flecken oder Runzel oder etwas dergleichen habe, sondern dass sie heilig und untadelig sei» (Eph 5,25.27). Hier haben wir bei seinem Wiederkommen die endgültige Krönung des grossen Opfers von Golgatha.

Unsere Verantwortung

Und doch ist das nicht alles; denn wir sehen, dass sogar der Apostel Paulus klar erkannte, dass er gegenüber dem Herrn verantwortlich war, der ihn durch sein Kreuz erlöst hatte, und der dann «in ein fernes Land zog, um ein Reich für sich zu empfangen und wiederzukommen» (Lk 19,12-15). In 2. Korinther 5,9.10 schreibt er: «Deshalb beeifern wir uns auch, ob einheimisch oder ausheimisch, ihm wohlgefällig zu sein. Denn wir müssen alle vor dem Richterstuhl des Christus offenbar werden, damit ein jeder empfange, was er in dem Leib getan, nach dem er gehandelt hat, es sei Gutes oder Böses» (vgl. auch Röm 14,10-12).

Die Christen in Korinth hatten sich in widerstreitende Lager aufgespaltet und dabei den Namen des Paulus und den des Apollos als Grundlage für ihr Zusammenkommen benützt. Als Paulus ihnen darüber schreibt, betont er zwei Punkte. Erstens: «Denn einen anderen Grund kann niemand legen, ausser dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus» (1. Kor 3,11). Damit zeigt er, dass der gekreuzigte Christus die einzige Grundlage für die christliche Lehre und Erfahrung ist. Sein Kreuz ist deren Brennpunkt oder zentrale Offenbarung. Wer die Tatsache seines Sühnungswerkes infrage stellt oder verächtlich abtut, kann in keiner Weise als Diener des Herrn betrachtet werden. Zweitens weist Paulus auf den Tag des Kommens des Herrn hin. In einer Zeit, wo so viel Nachdruck auf die sichtbaren Ergebnisse unserer Bemühungen gelegt wird, gibt es viel Hohles hinter den Fassaden des Erfolgs. Wir sind nur dann weise, wenn wir daran denken, dass sein Kommen die wahrhaftige Beurteilung von allem bringen wird, was in seinem Namen getan wurde. Dann, und erst dann, werden wir sehen, was Ihm wohlgefällig war. Und das Übrige wird am Tag seines Kommens als Holz, Heu und Stroh vollständig verzehrt werden (siehe 1. Kor 3,12-15).

Die Seinen werden am Tag seines Kommens vor Ihm stehen müssen, um von ihrem Leben und ihrem Dienst Rechenschaft abzulegen. Und so wie Golgatha sowohl der Ort des Gerichts dieser Welt war (Joh 12,31) als auch der Ort der Errettung für Sünder, so wird sein Kommen die endgültige Vernichtung von allem bringen, was in unserem Leben seine Wurzeln in dieser Welt hatte, aber auch von unseren eigenen menschlichen Werten und Leistungen. Darum schliesst Paulus seine Unterweisung über dieses wichtige Thema mit der Ermahnung ab: «So urteilt nicht irgendetwas vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Überlegungen der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott» (1. Kor 4,5).

Ein tiefes Bewusstsein der Verantwortlichkeit ist im Herzen dessen, der, nachdem er das Ergebnis von Golgatha erfahren, seine Hoffnung auf den endgültigen Triumph des Erlösers bei seinem Kommen gesetzt hat.

Seine öffentliche Rechtfertigung

Das Wiederkommen des Herrn Jesus Christus wird auch die Rechtfertigung des Geschehens auf Golgatha vor einer ungläubigen Welt sein. Als Er am Kreuz hing, sagten die Schriftgelehrten und Ältesten: «Andere hat er gerettet, sich selbst kann er nicht retten. Er ist Israels König; so steige er jetzt vom Kreuz herab, und wir wollen an ihn glauben» (Mt 27,42). Setzen wir diesen Spott Seite an Seite mit der Weissagung des Sehers «Siehe, er kommt mit den Wolken, und jedes Auge wird ihn sehen, auch die ihn durchstochen haben, und wehklagen werden seinetwegen alle Stämme des Landes. Ja, Amen» (Off 1,7), dann sehen wir sofort sein Kommen als feststehenden Beweis gegenüber dem Unglauben angesichts des Kreuzes. Den gleichen Gedanken finden wir in 2. Thessalonicher 1,4-10, doch wird dort von den Gläubigen als der Frucht des Kreuzes gesprochen, anstatt vom Erlöser selbst.

Es gibt kein volkstümliches Christentum. Der Ausdruck an sich ist schon ein Widerspruch. In dieser gefallenen, vom Teufel beherrschten Welt der Menschen, wird das Kreuz immer gehasst und die wahre Kirche verfolgt werden. Der Herr Jesus sprach darüber ganz offen zu seinen Jüngern. «Wenn die Welt euch hasst, so wisst, dass sie mich vor euch gehasst hat» (Joh 15,18). Wir dürfen diese Tatsache nie ignorieren oder vor Neubekehrten verbergen. Wie Paulus es ausdrückte: «Alle aber auch, die gottselig leben wollen in Christus Jesus, werden verfolgt werden» (2. Tim 3,12). Für die Versammlung verspricht das Kommen von Christus nicht nur völlige und endgültige Befreiung von allem Leiden, sondern auch ein Teilhaben an der Herrlichkeit des Königs. «Wer überwindet, dem werde ich geben, mit mir auf meinem Thron zu sitzen, wie auch ich überwunden und mich mit meinem Vater gesetzt habe auf seinen Thron» (Off 3,21).

Gleichzeitig bedeutet das Kommen von Christus, dass die Ungläubigen und die Verfolger das volle Ausmass der Konsequenz ihrer Wahl des Meisters ernten werden. Sie wählten den «Gott dieser Welt» – den Bösen – anstelle des Erlösers; nun müssen sie das ewige Verderben, das Los ihres Meisters, mit ihm teilen.

Gott hat das Kreuz zum Prüfstein des Gerichts gemacht. Alle Menschen sind von Natur Sünder. Durch sein Kreuz hat unser Herr und Heiland, Jesus Christus, nicht nur ein völliges Heil bewirkt und die Grundlage zur vollen Vergebung für alle Sünden gelegt, sondern auch den Eingang in ein Leben der neuen Schöpfung geöffnet, in der die Menschen von neuem seinem Bild gleichförmig gemacht werden. Der demütige Gläubige, der völlig angenommen hat, was Gott in Christus für Ihn vorbereitet hat, hat dann Anteil an seinem vollständigen Erbe. Der Ungläubige und der Mensch, der weiterhin auf seine eigene Gerechtigkeit vertraut, muss beim Kommen des Herrn ernten, was er gesät hat. Er wird für immer verloren sein an dem Ort, der für den Teufel und seine Engel bereitet ist.

Es ist ein ernster Gedanke, berufen zu sein, in dieser Welt als Zeugen des Herrn zu leben, und wir tun gut daran, auf die letzten Ermahnungen des Apostels Petrus Acht zu geben: «Ihr nun, Geliebte, da ihr es vorher wisst, so hütet euch, dass ihr nicht, durch den Irrwahn der Frevler mit fortgerissen, aus eurer eigenen Festigkeit fallt. Wachst aber in der Gnade und Erkenntnis unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus. Ihm sei die Herrlichkeit, sowohl jetzt als auch auf den Tag der Ewigkeit! Amen» (2. Pet 3,17.18).

  • Kein Aug voll Mitleid war zu finden,
    Kein Herz nahm teil an deinem Leid.
    Nur Schande, Spott, Verachtung trafen
    Dich dort, o Herr der Herrlichkeit.
  • Wir beten an, wenn wir Dich schauen,
    auf gottgewolltem Leidenspfad.
    Es sehnt sich unser Herz zu ruhen,
    Bei Dir, o Herr in deiner Gnad.