Christus und der jüdische Schafhof
Für Gott war seine Herde stets ein Gegenstand des höchsten Interesses, der zärtlichsten Liebe und treusten Fürsorge. Er widmete sich dem Volk Israel, der Herde Gottes zur Zeit des Alten Testaments, mit ganzer Kraft und grosser Geduld. Obwohl Israel heute noch die Folgen der Verwerfung und Kreuzigung seines Messias tragen muss, wird es trotz allem in der Zukunft wiederhergestellt werden und die Erfüllung der ihm gegebenen Verheissungen erfahren.
In Johannes 10,1 ist von einem Schafhof die Rede. Das jüdische religiöse System, wie es nach den Anweisungen von Mose, die er von Gott empfangen hatte, aufgerichtet worden war, glich einem solchen Schafhof. Die Juden waren darin eingeschlossen, indem sie, unter dem Joch des mosaischen Gesetzes stehend, getrennt von den übrigen Nationen, den Messias erwarteten.
Als Christus (der Messias) als der wahre Hirte Israels erschien, trat Er durch die Tür in diesen Hof ein. Die Tür stellt den rechtmässigen Weg dar, auf dem Er zu seinem irdischen Volk gekommen war. Das bedeutet, dass Er in Übereinstimmung mit den auf den kommenden Messias hinweisenden alttestamentlichen Verheissungen kam. Johannes der Täufer war der Türhüter, der Ihm den Weg zu seinem Volk bereitete.
Die Schafe aus dem Schafhof
Was tut der Hirte im Hof der Schafe? Wir hätten vielleicht gedacht, Er käme, um den jüdischen Schafhof umzugestalten und zu verbessern. Nein, Er ruft seine eigenen Schafe heraus. Das Judentum ist nicht mehr der Ort, wo die wahren jüdischen Schafe (die wahrhaft gläubigen Menschen aus diesem Volk) bleiben können. Bereits im 8. Kapitel des Johannes-Evangeliums sehen wir, wie die religiösen Führer das Wort des Herrn Jesus ablehnen, und in Kapitel 9 wollen sie sein Werk (die Heilung des Blindgeborenen) nicht anerkennen. Jetzt hat Er nichts mehr mit ihnen und dem ungläubigen Volk zu tun. Er ruft seine eigenen Schafe mit Namen, führt sie heraus und geht vor ihnen her.
Aber könnten sich die Schafe nicht täuschen und einem Fremden folgen, der sie verführen will? O nein! Sie haben ein untrügliches Hilfsmittel, um Den zu erkennen, dem sie angehören: seine Stimme. Sie kennen die Stimme ihres Hirten gut, und das genügt ihnen. Es ist nicht nötig, die Stimme von Fremden zu kennen. Der Apostel Paulus sagt, dass wir «weise zum Guten, aber einfältig zum Bösen» sein sollen (Röm 16,19).
Christus, die Tür der Schafe
In Johannes 10,7.9 bezeichnet sich der Herr selbst als «die Tür». Er ist dies in zweierlei Hinsicht. In den Versen 3 und 4 werden die wahren «jüdischen» Schafe, d.h. die an Ihn Glaubenden aus den Juden, durch Ihn aus dem Hof (dem jüdischen System) herausgeführt. In Vers 9 ist Er die Tür, durch die man eingehen muss, um gerettet zu werden. Wer durch sie eingeht, tritt in einen völlig neuen Zustand, ins Christentum ein. Von Christus, dieser Tür, heisst es in Epheser 2,18: «Durch ihn haben wir beide (Gläubige aus den Juden und aus den Nationen) den Zugang durch einen Geist zu dem Vater.» Wer im persönlichen Glauben zum Herrn Jesus kommt, findet bei Ihm nicht nur das ewige Heil, sondern auch wahre christliche Freiheit, die das Gesetz nicht geben konnte (er wird ein- und ausgehen) (Gal 5,1.13). Er findet da aber auch «gute Weide». Der wahre Hirte führt seine eigenen Schafe zu einem Überfluss geistlicher Nahrung. Im Gegensatz dazu ist der jüdische Schafhof nur ein Gefängnis, das die Schafe wohl vor den wilden Tieren schützt. Doch es gibt darin weder Weide noch Freiheit.
Diebe und Räuber – Mietlinge
In den Versen 10 und 11 wird uns der Gegensatz zwischen dem Dieb und dem guten Hirten vor Augen geführt. Diebe und Räuber sind Menschen, die sich selbst suchen und Zerstörung und Tod bringen. Der gute Hirte bringt Leben. Der Herr Jesus ist als das ewige Leben vom Himmel gekommen, «damit wir durch ihn leben möchten» (1. Joh 4,9). Aber vergessen wir nicht, dass der Herr Jesus sein Leben in den Tod geben musste, um uns Leben schenken zu können! «Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe.» – Mietlinge sind wohl für die Herde verantwortlich, werden aber für diese Aufgabe bezahlt (V. 12.13). Bei drohender Gefahr sind sie jedoch für ihre eigene Sicherheit besorgt und verlassen die Herde. Der gute Hirte dagegen stellt sich schützend vor seine Herde und lässt lieber sein Leben, als dass Er eins seiner Schafe verliert.
Der gute Hirte, die anderen Schafe, eine Herde
Der gute Hirte kennt seine Schafe und sie kennen Ihn, und zwar so, sagt der Herr Jesus, «wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne» (V. 14.15). Indem wir den guten Hirten, den Herrn Jesus, kennen, kommen wir auch zur Erkenntnis des Vaters.
Nachdem der Herr in Vers 15 nochmals von seinem Tod gesprochen hat, kommt Er in Vers 16 auf Schafe zu sprechen, die nicht aus dem jüdischen Schafhof stammen. Sein Tod am Kreuz öffnete auch den Nationen die Tür zum Heil (Lk 24,46.47). Alle Glaubenden – seien sie nun aus den Juden oder aus den Nationen – werden zusammengeführt, um die eine Herde zu bilden, nämlich die Versammlung Gottes (vgl. Eph 2,13-17; Apg 20,28).
Die Apostel als Hirten
Nachdem der Herr Jesus in den Himmel aufgefahren ist und den Ehrenplatz zur Rechten Gottes eingenommen hat, hat Er der Versammlung Gaben gegeben (Eph 4,8). Zu Beginn waren es vor allem die Apostel, die Er ihr gegeben hat und die im Geist der Liebe und der Hingabe in seinem Auftrag ihr als Hirten gedient haben. In zärtlicher Fürsorge wirkten sie im Interesse der Herde Gottes. «Deshalb will ich Sorge tragen», schreibt der Apostel Petrus, «euch immer an diese Dinge zu erinnern, obwohl ihr sie wisst und in der gegenwärtigen Wahrheit befestigt seid. Ich halte es aber für recht, solange ich in dieser Hütte bin, euch durch Erinnerung aufzuwecken, da ich weiss, dass das Ablegen meiner Hütte bald geschieht, wie auch unser Herr Jesus Christus mir kundgetan hat. Ich will mich aber befleissigen, dass ihr auch zu jeder Zeit nach meinem Abschied imstande seid, euch diese Dinge ins Gedächtnis zu rufen» (2. Pet 1,12-15). Mit ganzem Herzen hat er den Auftrag erfüllt, den sein geliebter Meister ihm anvertraut hatte: «Weide meine Lämmer! – Hüte meine Schafe! – Weide meine Schafe!» (Joh 21,15-17).
Die Ältesten als Hirten in der örtlichen Versammlung
Als die Apostel ihren Lauf vollendeten, legten sie die Herde Gottes den Ältesten der örtlichen Versammlung zur weiteren Betreuung ans Herz. «Habt acht auf euch selbst und auf die ganze Herde, in der euch der Heilige Geist als Aufseher gesetzt hat, die Versammlung Gottes zu hüten, die er sich erworben hat durch das Blut seines Eigenen. Ich weiss, dass nach meinem Abschied reissende Wölfe zu euch hereinkommen werden, die die Herde nicht verschonen. Und aus euch selbst werden Männer aufstehen, die verkehrte Dinge reden, um die Jünger abzuziehen hinter sich her. Darum wacht, und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Nacht und Tag nicht aufgehört habe, einen jeden mit Tränen zu ermahnen» (Apg 20,28-31). Mit diesen ernsten und ergreifenden Worten ermahnte der Apostel Paulus die Ältesten von Ephesus, kurz bevor er in Jerusalem festgenommen und ein Gefangener wurde.
Der Apostel Petrus rief den Gläubigen, an die er schrieb, zu: «Die Ältesten, die unter euch sind, ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden des Christus und auch Teilhaber der Herrlichkeit, die offenbart werden soll: Hütet die Herde Gottes, die bei euch ist, indem ihr die Aufsicht nicht aus Zwang führt, sondern freiwillig, auch nicht um schändlichen Gewinnes willen, sondern bereitwillig, und nicht als solche, die da herrschen über ihre Besitztümer, sondern indem ihr Vorbilder der Herde seid. Und wenn der Erzhirte offenbar geworden ist, so werdet ihr die unverwelkliche Krone der Herrlichkeit empfangen» (1. Pet 5,1-4).
Der Dienst von Ältesten und die Gaben heute
Wir leben heute im nachapostolischen Zeitalter. Wir haben keine gewählten Ältesten mehr, denn diese wurden stets von einem Apostel oder von jemand, der von einem Apostel dazu bevollmächtigt war, eingesetzt. Doch gibt es auch heute treue Brüder, die die Eigenschaften eines Ältesten oder Aufsehers aufweisen und denen es der Herr aufs Herz gelegt hat, für die Herde Gottes zu sorgen. Auch wenn sie nicht das Amt eines Ältesten einnehmen, üben sie, getrieben von der Liebe zum Herrn und zu den Seinen und geleitet vom Heiligen Geist, den so nötigen Dienst eines Aufsehers oder Ältesten aus. Wollen wir dem Herrn nicht dafür dankbar sein und diesen Brüdern die gebührende Achtung entgegenbringen und sie in ihrer gesegneten Tätigkeit unterstützen, vor allem aber in der Fürbitte an sie denken?
Doch der Herr bedient sich, um die Herde Gottes zu betreuen, nicht nur dieser einzelnen Männer, die die Eigenschaften von Ältesten aufweisen. Wir haben bereits an Epheser 4 gedacht. Dort sehen wir, dass der Herr, nachdem Er in den Himmel aufgefahren ist, der Versammlung Gaben gegeben hat, «zur Vollendung der Heiligen, für das Werk des Dienstes, für die Auferbauung des Leibes des Christus». Unter diesen Gaben finden wir auch «Hirten und Lehrer». Während sich der Dienst, den das Amt der Ältesten umfasste, auf ihre örtliche Versammlung beschränkte – das gilt heute noch für den Dienst, den Brüder im Sinn eines Ältesten ausüben –, erstreckt sich die Ausübung einer Gabe (z.B. die eines Hirten) auf die ganze Versammlung. Das Arbeitsfeld eines Bruders, der die Gabe eines Hirten oder Lehrers hat, ist nicht örtlich begrenzt. Er kann, darf und soll seine Gabe überall da ausüben, wo der Herr ihn hinführt.
Der Herr Jesus wird in der Heiligen Schrift unter verschiedenen Gesichtspunkten als Hirte gesehen:
- Als der gute Hirte, der sein Leben für die Schafe lässt (Joh 10,11)
- Als der grosse Hirte, der seine Herde sicher bis ans Ziel führt (Heb 13,20)
- Als Erzhirte wird Er die Treue im Dienst für Ihn belohnen (1. Pet 5,4)