Für ein Kind Gottes ist es vor allem wichtig, zu den Füssen des Herrn zu sitzen, auf sein Wort zu hören und darauf zu achten, was Er uns dadurch zu sagen hat. Aber zu oft nehmen wir uns nicht die Zeit dazu. Wir suchen den Interessen zu dienen, die wir im gegenwärtigen Leben als dringend erachten, und diese nehmen den grössten Teil, wenn nicht alle unsere Zeit und unsere Energien in Anspruch. Der Wirbel ununterbrochener Beschäftigung reisst uns mit sich fort. Sie übersteigt bei weitem die Regel, die uns in der Schrift gegeben ist (2. Thes 3,12), ohne dass dabei unsere Beweggründe die gleiche Qualität hätten wie die des Apostels (Vers 8).
Da bleibt oft sehr wenig Zeit für das Gebet, für das Lesen und Aufnehmen des Wortes Gottes, für ein Leben echter Gemeinschaft mit dem Herrn. Die ganze Macht Satans zeigt sich besonders darin, dass sie uns hindert, für Christus zu leben. Aber wenn unsere Gemeinschaft abgeschwächt oder unterbrochen ist, muss der Heilige Geist zu unserem Gewissen reden. «Wenn die nötige Arbeit ohne Beeinträchtigung des Umgangs mit dem Herrn geschehen kann, wird Gott nicht so zu uns reden …, wenn Er aber anklopft, können wir gewiss sein, dass Er uns mehr geben wird als Er uns wegnimmt», hat jemand gesagt.
Die Krankheit ist, wie der Tod, eine der deutlichsten Folgen des Falles und des Eintritts der Sünde in die Welt. Aber für den Gläubigen hat sie eine ganz andere Bedeutung, als für den Ungläubigen. Sie ist wie eine Stimme, die uns vonseiten des Herrn zuruft: Kommt abseits! (vgl. Mk 6,31).
Einem Kind Gottes bringt es grosse Erleichterung, wenn es die Krankheit aus seiner Hand nimmt (Klgl 3,38), als eine Unterbrechung, als einen heilsamen Halt, den Gott uns zuteilt, inmitten einer grossen Geschäftigkeit.
Hören wir im lärmigen und bewegten Alltagsleben genügend auf die Stimme unseres Gottes und Vaters? Unsere Antwort wird oft negativ sein. Daher mag sich Gott in seiner Liebe der Krankheit bedienen. Er führt uns in die Wüste, um uns zum Herzen zu reden (Hos 2,14). Dies ist immer eine Gnade von seiner Seite, die angepasste Antwort auf ein verborgenes Bedürfnis. Die Krankheit gehört zur Erziehung, das heisst zu den Mitteln, die unser Vater gebraucht, damit wir praktisch Jünger Christi würden. Er redet durch die Krankheit zum Kranken, vielleicht zu seiner Umgebung, aber auch zur Versammlung, denn «wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit» (1. Kor 12,26). Es heisst nicht: «sie sollen mitleiden». Das Leiden ist im ganzen Leib des Christus, bewohnt und vereint durch den Heiligen Geist, spürbar. Es wäre betrüblich, wenn man sagen müsste: «Du hast sie geschlagen, aber es hat sie nicht geschmerzt» (Jer 5,3).
In solchen Umständen kann sich wahres Mitgefühl kundgeben, weil ja die Liebe Gottes in unsere Herzen ausgegossen ist. «Als sie krank waren, kleidete ich mich in Sacktuch; ich kasteite mit Fasten meine Seele … wie trauernd um die Mutter habe ich mich Leid tragend niedergebeugt» (Psalm 35,13.14). Bei einer solchen inneren Verfassung werden dies die Lektionen sein, die wir lernen und festhalten, wenn die Prüfung über unseren Bruder kommt.
Krankheit ist eine Folge der Sünde; aber es wäre ein schwerer Irrtum, in jeder Krankheit die Auswirkung einer bestimmten Sünde zu sehen. Die Beispiele von Hiob und des Blindgebornen sind gegeben, damit wir vor einer solchen Deutung auf der Hut seien. Hiob war «vollkommen und rechtschaffen und gottesfürchtig und das Böse meidend» (Hiob 1,8). Aber Gott fand es gut, Prüfungen über ihn kommen zu lassen, damit er sowohl Ihn als auch sich selbst erkennte (42,5.6). Weder der Blindgeborne noch seine Eltern hatten durch ihre Sünde seine Blindheit verursacht. Dieses grosse Gebrechen sollte dem Herrn Gelegenheit geben, seine Herrlichkeit hervorstrahlen zu lassen.
Wird unser Bruder geprüft, so sollten wir in einem Geist der Gnade sofort denken: «Wen der Herr liebt, den züchtigt er» (Heb 12,6).
Es ist Sache des Kranken, mit der Hilfe Gottes zu prüfen, ob diese Züchtigung wesentlich vorbeugend (2. Kor 12,7), zur Zurechtbringung (Heb 12,7) oder ausschliesslich zur Erprobung seines Glaubens ist (1. Pet 1,6.7).
Ist es eine vorbeugende Züchtigung, so wird sie den gleichen Charakter haben, wie jener Dorn «für das Fleisch», jener Engel Satans, der Paulus schlug, damit er in keinem Augenblick versucht sei, sich wegen der ausserordentlichen Offenbarungen, die er von Gott empfangen hatte, zu überheben. Satan kann also der Agent sein, der gewisse Krankheiten hervorruft (Hiob 2,6.7; Lk 13,16), aber er darf die Grenzen nicht überschreiten, die Gott ihm zieht.
Ist es eine zurechtbringende Züchtigung, so wurde sie gesandt, um den Gläubigen dahin zu führen sich im Licht des Wortes Gottes ernstlich zu prüfen, um das wegzutun, was seinen Lauf, seinen Dienst gehindert hat. Eine Sünde mag bis dahin allen unbekannt geblieben sein, ausser Gott und dem Kranken. Viele Dinge in unserem vergangenen Leben mochten den Herrn verunehrt haben. Unter der heiligenden Wirkung des Heiligen Geistes, der das Wort auf unsere Herzen anwendet, kehren sie in unser Gedächtnis zurück. Wir vernachlässigen so leicht das Selbstgericht, lassen aus Mangel an Wachsamkeit Verunreinigungen in unser Leben eindringen, in unser Heim, und folglich auch in die Versammlung. Und wenn wir in Bezug auf die Bedeutung einer Prüfung ungewiss sind, so gibt es eine Bitte, auf die Gott immer antwortet, denn sie zeigt, dass wir uns dem Willen Gottes unterwerfen und verstehen möchten, was Er uns zu sagen hat, damit wir in unserem Leben Ihn verherrlichen: «Was ich nicht sehe, zeige du mir» (Hiob 34,32).
Aber wenn einzig der Glaube der Prüfung unterworfen wird, welch unermessliches Vorrecht ist es dann, in dem geduldig und friedlich ertragenen Leiden Gott zu verherrlichen. So kann seiner Gnade, die allgenügend ist, um selbst die tiefsten Wasser zu durchschreiten, ein leuchtendes Zeugnis gegeben werden.
Auf jeden Fall kann die Krankheit, wenn wir auf seine Stimme achten, gleichzeitig verschiedene Wirkungen hervorbringen, die alle nützlich sind.
Das Leiden soll uns allein auf Gott werfen. Wir dürfen nie aus dem Auge verlieren, dass die angewendeten «Mittel», um eine Heilung herbeizuführen, ohne das entscheidende Dazwischentreten des Herrn (Klgl 3,37) völlig unwirksam wären.
Es ist offensichtlich, dass die Heilung Hiskias, der «krank zum Sterben» war, mittels eines Feigenkuchens auf das Geschwür gelegt, eine direkte Antwort auf die tiefen Übungen war, die Gott bei ihm feststellte, als er sein Angesicht gegen die Wand kehrte und vor Gott allein war: «habe dein Gebet gehört, ich habe deine Tränen gesehen; siehe, ich will dich heilen; am dritten Tag wirst du in das Haus des HERRN hinaufgehen» (2. Kön 20,1-5).
Asa hingegen, der lange eine bemerkenswerte Frömmigkeit gezeigt hatte, stützte sich am Ende seines Lebens nicht mehr auf den HERRN, seinen Gott, und wollte sich nicht demütigen, als ihm durch den Propheten das Wort gesandt wurde. Durch Gnade wurde er Gegenstand der Züchtigung eines Gottes der Liebe, der uns zu unserem Nutzen zurechtweist, «damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden» (Heb 12,10). In seinem Alter wurde er zwei Jahre lang an seinen Füssen krank. «Aber auch in seiner Krankheit suchte er nicht den HERRN, sondern die Ärzte» (2. Chr 16,12). Er setzte sein ganzes Vertrauen auf den Menschen (Jer 17,5), eine ernste Sünde, die das Ende seiner Laufbahn verdunkeln sollte. Man versteht, dass das Wort zwischen seiner ersten und seiner letzten Geschichte unterscheidet (2. Chr 16,11).
Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod, sind nicht in der Hand eines Menschen, so fähig er auch sein mag. Nur Einer kann sagen: «Ich töte, und ich mache lebendig, ich zerschlage, und ich heile» (5. Mo 32,39; Hiob 5,18).
Die übertriebene Wichtigkeit, die man oft der Anwendung eines Medikamentes oder der Wahl eines Arztes beimisst, die oft leidenschaftlichen Diskussionen über therapeutische Methoden, die bitteren Klagen und die Vorwürfe, die man sich manchmal macht, weil man diese Arznei verwendet hat statt eine andere, diesen Arzt aufgesucht hat statt einen anderen, zeigen, dass man ständig vergisst, dass Gott allein es ist, der da heilt (2. Mo 15,26). In Ihm findet sich der wahre Balsam von Gilead (Jer 8,22; 33,6). Weder die Arzneien noch die Menschen haben eine entscheidende Wirkung, wenn nicht Gott sie segnet und gebraucht. Die Ärzte sind nur Werkzeuge, ob sie sich's bewusst sind oder nicht, in der Hand Dessen, der zuerst Arzt der Seele und erst dann Arzt des Leibes sein will. Gott kann sein Kind in seiner Krankheit lassen, denn sein Ziel entspricht dem Mass seiner Liebe. Er will, dass wir eines Tages hingelangen «zu dem Mass des vollen Wuchses der Fülle des Christus» (Eph 4,13). «Sobald der göttliche Bildhauer sein Werk beendigt hat, führt Er uns weg, um uns in aller Stille an den Platz zu stellen, den wir zu seiner ewigen Herrlichkeit einnehmen werden», hat einer gesagt. Bis dahin offenbaren sich die Herrlichkeiten des Herrn oft mit mehr Glanz auf einem Bett der Schwachheit, als in unserer Tätigkeit.
Liebe Kranke, lassen wir uns nicht ablenken, sonst würden wir das tun, was der Feind will. Man kann sich zerstreuen, seine Zeit mit tausend Dingen füllen, anstatt dem Gebet Raum zu geben. Man kann seinen Schmerz in den Mittelpunkt stellen, mit sich selbst beschäftigt sein, durch seine Klagen die Aufmerksamkeit anderer auf sich zu ziehen suchen, das Erbarmen seiner Umgebung verlangen, anstatt sich entschieden zu dem zu wenden, der uns auf die Seite nimmt, um im Licht seiner Gegenwart zu suchen, was Er durch diese Prüfung hervorrufen will.
Vielleicht will Er uns vor einem Fall bewahren, der Ihn verunehren würde. «Was ich tue» – sagt der gute Hirte – «weisst du jetzt nicht» (Joh 13,7). Vertrauen wir vorbehaltlos seiner Liebe. Beim Richterstuhl des Christus werden seine Weisheit und seine Gnade im Leben der Seinen völlig offenbart werden.
Vergessen wir nicht, dass Gott sich schon immer der Leiden bedient hat, um seine Knechte zu bilden. «Jede Rebe, die Frucht bringt, die reinigt er, damit sie mehr Frucht bringe» (Joh 15,2). Er beschneidet, Er putzt aus, damit der Saft frei zirkulieren kann. Er wird oft die «Blätter» des äusseren Anscheins wegnehmen, damit das Leben Christi bei seinem Erlösten durchbrechen kann.
Die Frucht des Geistes kann auf einem Krankenbett hervorstrahlen. Das Ausharren, das ein vollkommenes Werk haben soll, reift auf dem Baum des Schmerzes (Jak 1,2.3; Röm 5,3). Der kranke Gläubige findet die Kraft in der geduldigen Erwartung der Befreiung, oder auf alle Fälle in der friedevollen Unterwerfung unter den Willen Gottes (Ps 40,2). Der Herr weiss den Ermatteten durch ein Wort aufzurichten. So können wir noch besser die Nähe Dessen geniessen, der hier auf der Erde «ein Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut» gewesen ist. Es gibt kein Leiden, das Er nicht schon vor uns mit einer Intensität, die sich nicht steigern lässt, erfahren hätte, wenn Er auch nie krank war. Er versteht uns vollkommen, Er, der für uns sein Leben gab und der uns in unendlicher Zartheit jeden Tag bei jedem Schritt begleitet (siehe Psalm 34,19).
Fortwährend vom Herrn gestärkt, vermag der Gläubige, auch wenn er seit langem krank ist, den Wohlgeruch Christi um sich her zu verbreiten.
Befleissigen wir uns also, Ihn die Tiefen unserer Seele reinigen zu lassen, was so nötig ist (Spr 20,30). Wenn auf unserem Weg irgendetwas Ungutes liegt, so müssen wir diese Sünde Gott bekennen, und vielleicht auch einem Bruder (Jak 5,14-16). Dann wird Er unser ganzes Lager durch seine verwirklichte Gegenwart umwandeln (Ps 41,4). Mit Ihm hat sogar der Tod seine Macht verloren. Die gesegnete Frucht des Glaubens und der Hoffnung wird in unseren Herzen reifen. Einer unserer Führer konnte schreiben: «Meine Krankheit ist mir bestimmt zum grossen Segen gewesen; ich spüre meine Schwachheit, aber die Liebe hat jetzt eine ganz andere Wirkung auf meine Seele. Ich habe eine tiefere Ruhe in Ihm, einen beständigeren Frieden … die gleichen Kämpfe, dasselbe Fleisch … aber Gott ist nun etwas anderes für mich.» Wer möchte nicht ein solches Teil kennen lernen, um von Herzen sagen zu können: «Es ist gut für mich, dass ich gedemütigt wurde, damit ich deine Satzungen lernte» (Psalm 119,71)?
Eines Tages wird offenbar, was Gott an uns getan hat. Er wird uns die unermesslichen Reichtümer seiner Gnade und Güte in Christus Jesus zeigen, die Er uns erwiesen hat. Sie werden vor allem in dem gesehen werden, was Er am Kreuz für uns getan, dann aber auch, was Er in uns gewirkt hat, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade.