Im Wort Gottes finden wir unter vielen anderen zwei grosse Grundsätze:
- Den Grundsatz der Gnade, der Stellung, und der Vorrechte des Gläubigen – die Seite Gottes
- Den Grundsatz seiner Verantwortlichkeit, seines Zustandes, seines Wandels unter der göttlichen Regierung – die Seite des Menschen
Diese Grundsätze sind von gleicher Wichtigkeit. Sie widersprechen sich nicht und stören einander auch nicht. Sie laufen genau parallel zueinander und halten sich im Gleichgewicht, so dass, wenn die Vorrechte grösser werden, sich auch die Verantwortlichkeit erhöht. Denn, «wem man viel anvertraut hat, von dem wird man desto mehr fordern» (Lk 12,49). Wir müssen ihnen beiden gleich grosse Aufmerksamkeit schenken und dürfen nicht den einen auf Kosten des anderen betonen.
Im Mittelalter war das Gleichgewicht zum Nachteil des ersten Grundsatzes gestört. Um es wiederherzustellen, stützten sich die Reformatoren auf den Grundsatz der Gnade. Aber dann wurde das Gleichgewicht von neuem gestört und zwar auf Kosten des zweiten Grundsatzes, In Epheser 2,8-10 aber sind beide deutlich nebeneinander gestellt:
- «Denn durch Gnade seid ihr errettet» (erster Grundsatz)
- « … zu guten Werken, die Gott zuvor bereitet hat, damit wir in ihnen wandeln sollen» (zweiter Grundsatz).
Viele ziehen die biblischen Aussprüche vor, die sich auf den ersten Grundsatz beziehen und vernachlässigen oder verdrehen jene, die sich auf den zweiten beziehen, indem sie sie in den Rahmen des ersten hineinsetzen wollen.
Die Verse, die wir am Anfang unserer Betrachtung gelesen haben, gehören zum zweiten Grundsatz. Daher empfinden wir sie als unangenehm; sie rühren an unser Gewissen. Lassen wir doch ihren spitzen Stachel tief eindringen, damit sie uns zum Segen werden! Sie befreien uns von dem, was uns an der Entfaltung des göttlichen Lebens hindert. Wenn der Heilige Geist in einem Menschen, ob Sünder oder Kind Gottes, wirkt, lässt Er ihn seine Verantwortlichkeit spüren. Je mehr er sie empfindet und ihr entspricht, desto stärker wird der Heilige Geist in ihm wirken.
Worin besteht die Verantwortlichkeit? Sie hängt von der Stellung ab, in die ein Mensch gesetzt ist. Adam zum Beispiel sollte in Eden in der Stellung eines gesegneten Geschöpfes Gott gehorchen. Er war aber ungehorsam und wurde schuldig. Der Sünder hat seiner Verantwortlichkeit als Geschöpf nicht entsprochen und vermag seine Schuld nicht zu bezahlen. Aber aufgepasst, er schuldet sie immer noch! Wenn ich eine Schuld von 100000 Franken habe und sie nicht zurückzahlen kann, so bleibt sie dennoch bestehen. Das Unvermögen hebt weder die Verantwortlichkeit noch die Schuld auf.
Aber Jesus ist gekommen. Er hat die Schuld bezahlt und der Verantwortlichkeit des gefallenen Geschöpfes Genüge getan. Welches ist nun die neue Verantwortlichkeit des Sünders? Er hat Buße zu tun, seine Schuld anzuerkennen und den Heiland im Glauben anzunehmen. Wohlverstanden: «Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht», sagte der Herr Jesus (Joh 6,44). Aber die verstockten und rebellischen Sünder sind schuldig, weil sie nicht kommen wollen. «Ihr wollt nicht zu mir kommen, damit ihr Leben habt» (Joh 5,40).
Es ist wahr, wir vermögen von uns aus gar nichts zu tun. Unser Unvermögen ist eine Tatsache. Was aber unsere Schuldhaftigkeit ausmacht, ist, dass wir als Sünder nicht zu Jesus kommen wollen, um Leben zu haben, oder als Gläubige nicht in Ihm bleiben wollen, um Frucht zu bringen.
Die Verantwortlichkeit des Gläubigen
Sie hängt ab:
1. Von unseren Beziehungen
Unsere neue Beziehung und Stellung hat uns in eine neue Verantwortlichkeit versetzt. Es ist die Verantwortlichkeit von Kindern gegenüber dem Vater.
2. Von den empfangenen Vorrechten und Gaben
Ein Beispiel: Ein Sohn ist fähig, seinen Vater in der Leitung eines Unternehmens abzulösen. Dieser zieht sich von den Geschäften zurück, stellt den Sohn an seinen Platz und überlässt ihm das ganze Unternehmen. Die Verantwortlichkeit des Sohnes besteht nun darin, das auszubeuten, was er empfangen hat: er muss tüchtig arbeiten und darf weder müssig noch unfruchtbar sein, wenn das Ganze nicht zum Ruin führen soll. Das ist die Belehrung von 2. Petrus 1:
- Seine göttliche Kraft hat uns alles zum Leben und zur Gottseligkeit geschenkt (Vers 3).
- Wenn wir nun nicht träge noch fruchtleer sind (Vers 8),
- so werden wir niemals straucheln (Vers 10).
Mittels eines starken Traktors soll ein Arbeiter einen Acker 40 cm tief pflügen. Bei Untätigkeit ertappt, könnte dieser Mann sagen: «Wie können Sie denn von mir, einem schwachen Wesen, erwarten, dass ich ein solch schweres Werk tue und ein so grosses Feld 40 cm tief pflüge?» Aber dann bekäme er zur Antwort: «Du hast die Kraft des Traktors zu deiner Verfügung. Du verstehst dich seiner zu bedienen. Du hast es bei manchen anderen Gelegenheiten bewiesen. Aber heute willst du nicht, du bist ein Fauler und kannst dich nicht entschuldigen!» Wie manches Mal suchen wir uns hinter unserer Schwachheit zu verschanzen und sie als Entschuldigungsgrund anzuführen! Dabei täten wir besser zu bekennen, dass wir den Willen Gottes nicht tun wollten.
Was finden wir in Römer 8,13? «Wenn ihr aber durch den Geist die Handlungen des Leibes tötet, so werdet ihr leben». Aber oft töten wir die Handlungen des Leibes nicht, weil wir sie lieben, weil wir «Vorsorge treiben für das Fleisch zur Befriedigung seiner Begierden» (Röm 13,14), weil uns dieses Töten durch den Geist weh tut. Aber es ist eine befreiende Operation. Die Schneide des Schwertes, scharf wie ein Skalpell, durchschneidet die fleischlichen Bindungen und befreit uns von allem, was uns am Fruchtbringen, am Wachstum, an der Ernährung, am Atmen und am Leben hindert! « …so werdet ihr leben» (Röm 8,13).
Unsere Verantwortlichkeit als Gläubige beansprucht uns ganz und ist genau umschrieben. Sie ist nicht halb oder unbestimmt oder unserer Einbildung überlassen. Wir können sie nie stark genug empfinden und nie genug Gott zu gefallen wünschen.
Die Wahl des Gläubigen
«Niemand kann zwei Herren dienen» (Mt 6,24). Dieser Vers zeigt uns, dass jeder eine Wahl treffen muss. Man kann nicht zwei einander widerstrebende Herzensgegenstände haben und sich zugleich nach zwei gegensätzlichen Dingen ausstrecken. Man muss wählen. Einige umgehen die Wahl. Sie wollen beides, den Himmel und die Erde, die Welt und den Vater, das Fleisch und den Geist, das Ich und die Person Jesu. Aber Nichtwählen ist auch eine Wahl, und was für eine schlechte! Denn wer die Welt liebt, stellt sich als Feind Gottes dar (1. Joh 2,15 und Jak 4,4).
Die Wahl ist im Wort Gottes eine wichtige Wahrheit. Es spricht zunächst von der Wahl, die der Sünder zu treffen hat: «Das Leben und den Tod habe ich euch vorgelegt, den Segen und den Fluch! So wähle das Leben, damit du lebest» (5. Mo 30,19). Aber nach dieser ersten Wahl gilt es immer wieder zu wählen. Wer mit seinem Wagen eine Reise unternimmt, wählt zunächst das Endziel. Aber das genügt nicht. Bei so und so vielen Kreuzungen muss er immer wieder die richtige Strasse wählen, die er benützen soll, und die übrigen links oder rechts liegen lassen. Er kann nicht gleichzeitig auf zwei Strassen fahren.
So ist es auch auf der Lebensreise. Jeden Tag müssen wir die ursprüngliche Wahl bestätigen, indem wir täglich unser Kreuz aufnehmen und Christus nachfolgen. (Lk 9,23). So wird unsere erste Wahl bestätigt und unsere «Berufung und Erwählung fest gemacht» (2. Petrus 1,10).
In Lk 9,23 haben wir die so wichtige Wahl zwischen zwei Personen: dem Ich und dem Herrn Jesus. In Mt 6,24 versteckt sich das Ich hinter dem Mammon. Wir dienen entweder dem Herrn Jesus oder dem Ich, diesem Tyrannen, diesem nie zu stillenden Ungeheuer, das immerzu fordert. Der Ungläubige dient dem Ich, ohne Murren und mit unermüdlichem Eifer. Wie viele Stunden wendet er auf, um es zu befriedigen! Wie viel Mühe, wie viel Kraft und Gut opfert er dafür! Die Reichtümer müssen dazu dienen, seine Begierden und seinen Hochmut zu befriedigen. Auch Paulus redet von diesem Gott, dem Bauch (Phil 3,19).
Und wie traurig ist es erst, wenn der Gläubige, der doch den Herrn Jesus gewählt hat, es dem Unbekehrten gleichtut!
Auf die Wahl von Lk 9,23 folgt die Wahl vom 24. Vers: «Denn wer irgend sein Leben erretten will, wird es verlieren; wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erretten».
«Wer irgend sein Leben erretten will», d.h. die Jahre seines Daseins dem Ich opfert, indem er die ihm gegebene Zeit völlig für sich selbst auskostet, seinen eigenen Willen tut, und ohne Jesus glücklich sein will, «wird es verlieren».
«Wer aber irgend sein Leben verliert um meinetwillen, der wird es erretten». Wer seine Zeit nicht für sich selbst verwendet, hat scheinbar nichts vom Leben und verliert es. Aber in Wirklichkeit hat die Gottseligkeit die Verheissung des Lebens, des jetzigen und des zukünftigen (1. Tim 4,8). – «Trachtet aber zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, und dies alles wird euch hinzugefügt werden» (Mt 6,33). Von dem, der um unsertwillen Mensch geworden ist, wurde prophetisch gesagt: «Auf dem Weg wird er trinken aus dem Bach, darum wird er das Haupt erheben» (Ps 110,7). Gott legte für Jesus immer wieder Freuden und Begegnungen auf den Weg. Jesus suchte nichts ausserhalb des Ihm vorgezeichneten Weges. Er vertraute völlig seinem Gott und wartete in vollkommener Abhängigkeit und Unterwürfigkeit auf Ihn. Er diente nur Ihm allein (Mt 4,10). Wenn wir aus Ungeduld vom Weg abweichen, finden wir nicht nur das nicht, was unsere Herzen suchen, sondern gehen der Segnungen verlustig, die Gott auf den Weg legt, den Er uns führen will. Wer also sein Leben erretten will, wird es verlieren, und erlangt weder die Verheissungen des jetzigen noch des zukünftigen Lebens. Der weltliche Christ geniesst weder die Freuden der Welt, noch die Freuden des Gottseligen.
In Markus 4,19 zeigt der Herr, dass die Sorgen ebenso schlecht sind wie die Begierden, denn sie haben dieselbe Ursache und dieselben Wirkungen. Wir sind wachsam gegenüber den Begierden und erklären ihnen den Krieg, aber sind vielleicht nachsichtig gegenüber unseren Sorgen. Wir verurteilen den, der begehrlich ist, aber nehmen Anteil an dem, der voller Unruhe dahinlebt. Aber sowohl die Sorgen als auch die Begierden haben dieselbe Wirkung: Sie ersticken das Wort. Sie haben auch dieselbe Ursache: den Unglauben. Wir meinen, Gott ermahne uns hauptsächlich darum, um nichts besorgt zu sein (Phil 4,6), weil Er unsere Glückseligkeit will. Wir sind geneigt, alles auf uns zu beziehen. Aber wir werden aufgefordert, die Unruhe zu fliehen, weil sie das Fruchtbringen verhindert, das Gott bei uns sucht.
Gibt es ein Mittel gegen Sorgen, Unruhe und Lüste? Die völlige Übergabe an den Willen Jesu, die völlige Befriedigung in Ihm. Wer sich immer im Herrn freut, hat weder Sorgen, noch Unruhe, noch Lüste. Er hat die gute Wahl getroffen und besitzt nur einen Gegenstand; sein Auge ist einfältig, auf Christus gerichtet; sein Leib ist daher voller Freude und Licht (Mt 6,12). Er ist von der Tyrannei des Ichs befreit. Er stellt seine Glieder der Gerechtigkeit, d.h. Jesus dar und kann sagen: «Nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir» (Gal 2,20). Dieses Mit-Christus-gestorben-sein ist nicht die Zerstörung der Barke, sondern die Beiseitesetzung des Eigenwillens, um dem Herrn unterworfen zu sein. Ein anderer Steuermann steht jetzt am Ruder. Jesus leitet fortan dein Leben und nicht mehr du selbst. Der Herr steuert nun die Barke, die seinem Willen übergeben worden ist, zu seiner Verherrlichung und zu deinem Besten. In seiner Hand bist du jetzt ein gefügiges und nützliches Werkzeug. Und Er pflegt dieses Werkzeug. Es wird nicht mehr durch das fordernde Ich abgenützt. Deine Person, dein Leib, deine Seele, dein Leben, wenn sie Jesu hingegeben und für das Ich verloren sind, sind nun gerettet und von der Tyrannei, der schlechten Behandlung und den Forderungen des Ichs befreit (Kol 2,23). Viele finden nach der Gesundheit der Seele auch die Gesundheit ihres Leibes wieder, da sie jetzt von den Sorgen, den Unruhen und der Überbeanspruchung befreit sind. Jesus kümmert sich um sein Werkzeug.
Ja, die Gottseligkeit hat die Verheissung des gegenwärtigen Lebens. Suche zuerst das Reich Gottes, und alles dieses wird dir hinzugefügt werden.
Wähle das Leben … damit du lebst!