In der Liebe wandeln

Die Liebe Gottes in unseren Herzen

«Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben worden ist» (Röm 5,5).

Der Geist hat die Liebe Gottes nicht nur als Depot oder selbständige Ablagerung in unsere Herzen gelegt, damit sie sich unabhängig von Ihm entfalte. Der Heilige Geist selbst ist uns gegeben, damit Er in unseren Herzen wohne. In den Herzen der Erlösten, die einst kraftlos, gottlos, Sünder und Feinde waren, bringt Er nun seine Frucht hervor: «Die Frucht des Geistes ist Liebe …» Voraussetzung dazu ist allerdings, dass wir allezeit im Geist wandeln und das Fleisch mit seinen bösen Werken, seinen Leidenschaften und Begierden für gekreuzigt halten (Gal 5,16-26). Das erfordert dauernde Wachsamkeit.

Du sollst … lieben?

Ein Gesetzgelehrter fasste das Gesetz treffend in den Satz zusammen: «Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben aus deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstand, und deinen Nächsten wie dich selbst» (Lk 10,25-28).

Aber das ist nicht die Sprache des Neuen Testaments. In den Evangelien und in den Briefen begegnen wir kaum einer direkten Aufforderung, dass wir Gott, dass wir den Herrn Jesus lieben sollen. Vielmehr finden wir da die vollkommene Offenbarung der unendlichen, unfassbaren Liebe Gottes in seinem Sohn Jesus Christus und die Einladung, in dieser Liebe zu bleiben und uns darin zu erhalten (z.B. 1. Joh 4,16 und Judas 21). Das ist die einzigartige Sphäre, in der unsere Herzen brennend werden und Wärme um sich her verbreiten, ohne Beimischung menschlicher Anstrengung. Da ist die Quelle der Liebe.

Dagegen gibt der Herr auch uns das Gebot «einander zu lieben» (Joh 13,34; 15,12), und auch die Briefe der Apostel enthalten unzählige Ermahnungen dazu. Ist das denn noch nötig? Wir wissen doch, «dass wir aus dem Tod in das Leben hinübergegangen sind, weil wir die Brüder lieben.» Und jeder aus Gott Geborene, «der den liebt, der geboren hat, liebt auch den, der aus ihm geboren ist.» Aber die Echtheit unserer Bruderliebe offenbart die Echtheit und das Mass unserer Liebe zu Gott. «Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns, und seine Liebe ist in uns vollendet» (1. Joh 3,14; 5,1; 4,12).

In der Ausübung der Bruderliebe treten so manche Hindernisse auf, die aus dem Fleisch kommen: Streitsucht, eitler Ruhm, Hochmut, Eifersucht, Egoismus – um nur einige zu nennen. Räumen wir diese Hindernisse nicht beiseite, so beeinträchtigen sie auch die Liebe zu Gott, denn die Bruderliebe kommt aus ihr hervor und ist mit ihr verbunden.

Die Liebe des Christus drängt uns sowohl zur Bruderliebe als auch dazu, Boten des Evangeliums an die Menschen zu sein, die seinem Richterstuhl entgegengehen. «Er ist für alle gestorben, damit die, die leben, nicht mehr sich selbst leben, sondern dem, der für sie gestorben ist» (2. Kor 5,14.15).

Seine erste Liebe verlassen

Der Apostel Paulus konnte in seinem Brief an die Epheser noch erwähnen, dass er in seinen Gebeten unaufhörlich für sie danke, wegen der Liebe, die sie zu allen Heiligen hatten (Eph 1,15). Vielleicht etwa dreissig Jahre später aber liess der Herr durch den Seher Johannes der gleichen Versammlung schreiben:

«Ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast» (Off 2,4). Was war in der Zwischenzeit geschehen? In keiner anderen Versammlung hatte der Apostel so lange gewirkt wie in Ephesus. In den drei Jahren seiner Anwesenheit unter ihnen hatte er ihnen alles Nützliche, den ganzen Ratschluss Gottes verkündigt. Sie waren in allem unterwiesen und sollten nun die Wahrheit in Liebe festhalten und in allem heranwachsen zu Ihm hin, der das Haupt ist, der Christus (Apg 20,17-31; Eph 4,15).

Der Herr konnte noch manches anerkennen (Off 2,2-3). Aber in einem Hauptstück hatten sie seither gefehlt: Sie hatten nicht über ihr Herz gewacht und daher ihre erste Liebe verlassen.

Wir wollen für einmal nicht bei der kirchengeschichtlichen Bedeutung dieses Sendschreibens stehen bleiben und es nicht auf eine Versammlung anwenden, sondern auf uns ganz persönlich.

Der Gläubige ist dann in der «ersten Liebe», wenn Gott in Christus den ersten Platz in seinem Herzen einnimmt. Er hat dann folgende Kennzeichen und Ziele:

  1. Seine Seele wandelt vor Ihm und hängt Ihm an oder folgt Ihm unmittelbar nach (Ps 63,9).
  2. Er will nur Ihm leben und dienen; er begehrt, in Abhängigkeit von Ihm seinen Willen zu tun. Der Herr Jesus sagt: «Wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt; wer aber mich liebt, wird von meinem Vater geliebt werden» (Joh 14,21).
  3. Er lebt in Gottesfurcht; Gottes Geheimnis oder vertrauter Umgang der Liebe ist daher sein Teil (Ps 25,14). In seinem Licht erkennt er deutlich, was Welt ist. Er will keinen «Schuhriemen» von ihr, da er weiss, dass wenn jemand die Welt liebt, «die Liebe des Vaters» nicht in ihm ist (1. Joh 2,15).
  4. Für die Bedürfnisse seiner Seele kommt er nur zu dem, der gesagt hat: «Ich bin das Brot des Lebens; wer zu mir kommt, wird nicht hungern, und wer an mich glaubt, wird niemals dürsten» (Joh 6,35).

Vielleicht wären noch andere Punkte zu erwähnen, um zu beschreiben, was den Erlösten, der in der «ersten Liebe» lebt, charakterisiert. Aber schon diese genügen, um sich der Abweichungen von diesem gesegneten Zustand bewusst zu werden.

Gehen wir nun auf die Frage ein, ob und wie man zur ersten Liebe zurückkehren kann.

«Bleibt in meiner Liebe» (Joh 15,9)

In Johannes 13,1 lesen wir von unserem Herrn: «Da er die Seinen, die in der Welt waren, geliebt hatte, liebte er sie bis ans Ende.» Bis zum Ende am Kreuz? Bis ans Ende unseres Lebens hier auf der Erde? O nein! Von Ihm, der jetzt zur Rechten des Thrones Gottes verherrlicht ist, wird in Offenbarung 1,5 bezeugt: «Dem, der uns liebt». Er ist und bleibt uns auf ewig in seiner wunderbaren «ersten» Liebe zugetan, die von jeher in seinem Herzen war und die Er uns am Kreuz in ihrem Vollmass erzeigt hat. Sie unterliegt keinen Schwankungen.

Gibt es für unsere Hingabe an Ihn eine grössere Ermunterung als diese, Ihn sagen zu hören, wie treu Er uns liebt? Wie Er uns in der Gerechtigkeit und Schönheit sieht, die wir in Ihm besitzen? Wie Er im Lauf des Tages jede, auch die unscheinbarste Regung der auf Ihn gerichteten Herzen wertschätzt und registriert? Sie sind ja Äusserungen, Tätigkeiten und Werke seines Lebens in uns, die Frucht seiner uns geschenkten Gerechtigkeit! (Phil 1,11). Lesen wir doch fleissig im Lied der Lieder, was Ihn an seiner geliebten Braut erfreut. Das ist ein mächtiger Ansporn für uns, Ihm in allem wohlzugefallen zu suchen.

Hat uns das Wort des Herrn Jesus; «Ich habe gegen dich, dass du deine erste Liebe verlassen hast», persönlich getroffen, so soll es uns nicht als ein unabänderliches Urteil niederschlagen. Wenn auch das kollektive Zeugnis der Gläubigen in der Welt nie mehr werden wird wie in den ersten Tagen der Christenheit, so bleibt doch den einzelnen die Rückkehr zur «ersten Liebe» offen. Einem solchen sagt der Herr: «Gedenke nun, wovon du gefallen bist, und tu Buße.» So darf jeder zu Ihm umkehren, um wieder in seiner Liebe zu ruhen, zu bleiben und «die ersten Werke zu tun».