Warum?

Der Apostel sagt in Hebräer 12 zu allen Kindern Gottes: «Gott handelt mit euch als mit Söhnen; denn wer ist ein Sohn, den der Vater nicht züchtigt?» Auch lässt Er alle wissen: «Er züchtigt zum Nutzen, damit wir seiner Heiligkeit teilhaftig werden» (Verse 7 und 10).

Aber wenn der Vater eines seiner Kinder – im Gegensatz zu andern – durch besonders tiefe Trübsale führt und es den Grund dafür nicht sehen kann, dann steigen im Herzen so leicht die Fragen auf: Warum führt Er mich diesen Weg? Kann Er sein Ziel mit mir gleichwohl erreichen, auch wenn es mir trotz aller Selbstprüfung unbekannt bleibt? Oder könnte Er meine Leiden abkürzen, wenn ich den Grund dafür besser zu erkennen und entsprechend zu reagieren vermöchte?

Wie dankbar sind wir für das ausführliche Beispiel von Hiob, das uns Gott in seinem Wort gegeben hat! Seine anfänglichen vielen «Warum», die ihm zuerst unerklärlich schienen, haben erst nach seiner langen, schweren Prüfungszeit Antwort von oben gefunden. Die Not musste andauern, bis der weise Hiob die notwendige Lektion mit dem Herzen begriffen hatte. Das dauert oft lang.

Vor Satan hat Gott diesem Gläubigen zweimal das schöne Zeugnis gegeben: «Seinesgleichen ist kein Mann auf der Erde, vollkommen und rechtschaffen, gottesfürchtig und das Böse meidend» (Hiob 1,8 und 2,3).

Hiob hat diesen Ausspruch Gottes nicht gehört, aber das ganze Buch beweist, dass er sich seines beispielhaften Lebens wohl bewusst war. Wie konnte er da die überaus harten Wege Gottes mit ihm begreifen? Auch die Menschen um ihn her, die nur seine Lebensäusserungen sahen, konnten das Unheilige, das tief in ihm verborgen war, nicht wahrnehmen.

Doch Gott, der unsere Gedanken von fern versteht, der grösser ist als unser Herz und alles kennt (Ps 139,2 und 1. Joh 3,20) sah dieses Unheilige bei Hiob und wollte es ihm zum Bewusstsein bringen, damit er es bei sich verurteilte. Das rechtfertigte in Gottes vollkommener Sicht seine Wege der Züchtigung mit ihm.

Je tiefer etwas verborgen ist, desto länger und tiefer muss gegraben werden, um es herauszubringen. Aber Gott wusste, was Er mit Hiob zu tun hatte, und Er handelt immer zur rechten Zeit.

Als erstes lässt Er ihm – durch Satan – an einem Tag sein ganzes grosses Besitztum wegnehmen und zugleich auch seine zehn Söhne und Töchter durch ein Unglück hinwegraffen. – Der schwergeprüfte Mann behält Fassung, findet Worte des Vertrauens und der Unterwerfung. Er schreibt Gott nichts Ungereimtes zu (Hiob 1,20-22).

Der Nutzen der Züchtigung hat sich hier noch nicht eingestellt. Gott muss weitergehen. Wieder erlaubt Er Satan einzugreifen. Dieser tastet jetzt in raffinierter Bosheit den Körper Hiobs an, so dass an diesem von der Fusssohle bis zum Scheitel eklige, eiternde Geschwüre ausbrechen, die er mit einer Tonscherbe abschaben muss, um dem ständigen Juckreiz Herr zu werden, der ihm auf die Nerven geht.

Nun ist für Hiob, was die eigene Kraft anbelangt, die Grenze des Erträglichen erreicht. Aber noch lässt er aus seinem Innern kein Wort der Ungeduld und keines der «Warum» entweichen, die sich durch das Bewusstsein seiner «Vollkommenheit» darin ansammelten. Selbst als seine eigene Frau zum Sprachrohr Satans wird und sagt: «Sag dich los von Gott und stirb!», da sündigt Hiob nicht mit seinen Lippen.

Doch jetzt spielen seine drei Freunde ihre Rolle, und sie ist sehr wichtig. Gott weiss das. Er hat sie zwar nicht direkt gerufen; die Not Hiobs führt sie herbei. Wie schon oft, so war die Anwesenheit von Menschen mit gegenteiligen Meinungen und Ansichten auch hier das Mittel, um die Herzen zu offenbaren. Besonders weil sie meinen, bei ihm müsse eine schwere Sünde vorliegen, beginnen jetzt bei Hiob Dinge hervorzutreten, die er sich bis dahin wohl nicht eingestanden, geschweige denn auf die Lippen genommen hat:

  • Fragen gegen Gott: warum? warum?, die sich sogar bis zu Anklagen gegen Ihn steigern;
  • Selbstgerechtigkeit, beredte Verteidigung der eigenen Vollkommenheit und Güte vor Gott und Menschen.

Mit dem 31. Kapitel waren diese Art der Worte Hiobs zu Ende. Nun konnte auch er selbst «die Auslegeordnung» seines Herzens und Lebens sehen. – Gott kannte sie von Anfang an, aber erst jetzt hat Er die Möglichkeit, von Hiob verstanden zu werden. Er lässt ihn durch Elihu im Blick auf alle seine Äusserungen zurechtweisen und führt ihm seine Grösse, seine Weisheit und Allmacht vor Augen.

Das Ziel, das Gott in seinen Erziehungswegen mit Hiob ins Auge gefasst hatte, ist nun erreicht, obwohl dieser die Endabsicht Gottes nicht gekannt und nicht danach gestrebt hatte.

Es brauchte so viel und dauerte so lange, weil Hiob innerlich zu diesem Punkt heranreifen musste. Damit, dass Gott ihm zum Voraus den zu erreichenden Endpunkt beschrieben hätte, wäre nichts gewonnen gewesen. Aber Er hat über allem gewacht, um es zum guten Ende zu führen.

Was war denn nun erzielt? Hiobs Gerechtigkeit aus eigener Kraft, die neben seinem Glauben bestanden hatte, ist ganz dahingeschmolzen. Vor dem Angesicht des Allmächtigen verabscheut er sogar sich selbst und alles, was aus der eigenen Quelle kommt und gekommen war. Weil er sich in Demut Ihm und seiner Gnade unterstellt, kann ihn Gott jetzt doppelt segnen (siehe Kapitel 42).

Nicht bei allen Gläubigen nehmen die Trübsale einen solchen Ausgang wie bei Hiob. Gott, unser Vater, setzt bei allen das beste, aber nicht das gleiche Ziel. Die Voraussetzungen sind ja so verschieden. Bei diesem oder jenem seiner Kinder lässt Er das Ende der Trübsale nicht sehen. Aber eines trifft auf alle zu: Er hat jedes der Seinen unaussprechlich lieb und ist ständig bemüht, dass bei ihm seine gesegneten Absichten Wirklichkeit werden. Er zeigt uns seine Pläne nicht; aber das wäre auch nicht gut. Was uns Not tut ist, Ihm von Herzen zu vertrauen und uns in seiner Nähe, in seinem Licht aufzuhalten. So vernehmen wir alles, was Er uns zu sagen hat und können Ihm auf seinen Wegen folgen.

  • Glaub nur feste,
    dass das Beste
    über dich beschlossen sei;
    wenn dein Wille
    nur ist stille,
    wirst du von dem Kummer frei.
  • Der dich führet
    und regieret,
    sein Vermögen hat kein Ziel.
    Ist's beschwerlich?
    Scheint's gefährlich?
    Deinem Gott ist nichts zu viel!