«Vielen bin ich wie ein Wunder, du aber bist meine starke Zuflucht» (Psalm 71,7).
Es mag David gewesen sein, der nach seinen vielen Erfahrungen der Treue Gottes mit diesem Satz seinen glücklichen Empfindungen Ausdruck gegeben hat. Er hatte mit seinen Getreuen Zuflucht gesucht in der Höhle Adullam, der Bergfestung, «und Saul suchte ihn alle Tage, aber Gott gab ihn nicht in seine Hand» (1. Sam 23,14). Das wiederholte sich immer wieder.
Doch nicht so sehr der Ort, sondern vielmehr sein Gott war die trostreiche Zuflucht seines bekümmerten Herzens. Dies nehmen wir auch deutlich wahr in seinen ergreifenden Worten in Psalm 57,2.3 und 142,5.6.
Israel kannte seit Moses Zeiten sechs Levitenstädte, die als Zufluchtsorte bezeichnet waren. Wer aus Versehen, ohne böse Absicht, einen Menschen getötet hatte, wurde nicht als Mörder, sondern als Totschläger bezeichnet und durfte vor der Nachstellung des Bluträchers in eine jener Zufluchtsstädte entfliehen. Machte er von dieser Gnadenerweisung Gottes Gebrauch, so war er seines Lebens sicher. Die Namen jener Bergungsorte hiessen (Jos 20,7.8):
- Kedes
- Sichem
- Hebron
- Bezer
- Ramot
- Golan
Für das irdische Bundesvolk Gottes wurde solche Fürsorge getroffen. Nun liegt die Frage nahe, was die Weisheit unseres Gottes seinem himmlischen Volk damit sagen will. Welche Bedeutung könnten diese sechs Namen für echte Christen haben? Jeder Wiedergeborene weiss, dass unsere Umwelt eine Gefahrenzone darstellt, wo Satans List die Heiligen schädigen will. Gibt es da auch für uns Zufluchtsorte?
Diese zu kennen und dankbar zu benützen, ist für jedes Kind Gottes ein Gnadengeschenk. Die freundliche Fürsorge unseres Herrn hält auch für uns solche Möglichkeiten offen.
1. Kedes, auf Deutsch: «Heiligtum»
Diese Bezeichnung erinnert uns an die kostbare Tatsache, dass es für Gotteskinder in dieser Welt einen Ort gibt, den der Heilige Geist «eine Behausung Gottes im Geist» und «einen heiligen Tempel im Herrn» nennt (Eph 2,21.22). Dies ist das wunderbare Heiligtum, das unser geliebter Herr als «seine Versammlung» wertschätzt und liebt. Wo immer sich Gläubige von Ihm versammeln lassen (Joh 11,52) und bereit sind, Ihm alle Anrechte und dem Heiligen Geist jede Wirksamkeit zu gewähren, da ist hier auf der Erde «das Heiligtum». Dort findet der Aufrichtige mit Gleichgesinnten die Segnungen des Auferstandenen in seiner hochheiligen Gegenwart. Ist das nicht ein kostbarer Zufluchtsort für den Glauben? Lieben wir diesen Aufenthalt, das Verweilen dort mit den Geliebten Gottes? Was fand David dort und wir mit ihm? (Psalm 27,4).
2. Sichem = «Schulter»
Dieser Name führt uns nach 5. Mose 33,12 ein liebliches Bild vor Augen, wo von Benjamin gesagt wird: «Der Liebling des HERRN! In Sicherheit wird er bei ihm wohnen; er beschirmt ihn den ganzen Tag, und zwischen seinen Schultern wohnt er.»
Ein Bild zärtlicher Betreuung, das uns aus Kindheitstagen wohl vertraut sein mag. Wenn solche Lieblinge auf Vaters Schultern Platz finden, fühlten sie sich wohlgeborgen und in Sicherheit.
In Jesaja 49,22, wo von der Heimkehr des gläubigen Überrestes Israels die Rede ist, wird von solcher Fürsorge bildhaft gesprochen: «Deine Töchter werden auf der Schulter getragen werden». Eine trostreiche Zusage!
Die Schultern waren auch der Platz für die Onyxsteine am Prachtkleid des Hohenpriesters. Auf diesen zwei Edelsteinen waren bekanntlich je sechs der Stammesnamen des Volkes Gottes eingegraben. Sie waren zum Gedenken des Ewigen an sein Volk auf den Schultern seines Knechtes und blieben unvergesslich für Ihn.
Erlöste Menschen dürfen sich bewegten Herzens an ihre Errettung erinnern. Es war der gute Hirte, der sie suchte, sie fand und «mit Freuden auf seine Schulter» legte (Lk 15,5). Dort wissen sich seine Geliebten geborgen. Diesen Platz hochzuschätzen und voll Dank als ihren Zufluchtsort einzunehmen, ist Grund zu heiliger Freude.
3. Hebron = «Gemeinschaft»
Der Name ist dem Bibelleser gewiss vertraut. Er findet sich 69 Mal in Gottes Wort. Seiner Bedeutung nach erscheint er im Neuen Testament 15 Mal und hat für das Herz des Gläubigen vertrauten Klang.
Die Gemeinschaft mit dem Sohn Gottes – ein Teil unserer gottgewollten Berufung (1. Kor 1,9) – ist ein unerlässlicher Bestandteil echten Glaubenslebens, ein heiliges Bedürfnis treuer Seelen, die solche Zuflucht über alles schätzen. Da ist Geborgenheit inmitten der Hast, des Trubels, der Nöte und der Versuchungen in dieser verdorbenen Welt. Wie kostbar ist diese Fürsorge unseres Gottes. Welch ein gesegnetes Vorrecht, teilhaben zu dürfen an allem, was das Herz unseres teuren, hochgelobten Herrn bewegt. Seine Freude, sein Friede, seine Interessen, sein Werk, sein Sieg – kurz, alles was seine Liebe mit uns teilen will, bewusst in Anspruch zu nehmen und Ihn und den Vater damit zu erfreuen und zu ehren. David hat in Psalm 32,7 ähnliches zum Ausdruck gebracht. Seine glückliche Erfahrung lautet dort: «Du bist ein Bergungsort für mich; vor Bedrängnis behütest du mich; du umgibst mich mit Rettungsjubel».
Wollen wir darum nicht in vermehrtem Mass wahr machen, was wir aus Psalm 63,9 als Zufluchtsort der Geborgenen kennen: «Meine Seele hängt an dir»?
4. Bezer = «Golderz»
«Bezer in der Wüste» war die vierte Zufluchtsstadt. Ob dort je Gold gefunden wurde, wissen wir nicht. Möglicherweise war dies so.
Dann wären arme Wüstenbewohner plötzlich reich geworden. – Doch bestand dann die Gefahr, dass diese Menschen, wie noch viele andere, das Golderz als ihre Zuflucht, als ihre Sicherheit und Zuversicht erachtet hätten. Aber Sprüche 11,28 warnt uns: «Wer auf seinen Reichtum vertraut, der wird fallen». Gottes gütiger Rat durch Eliphas in Hiob 22,22-29 lautet: «Empfange doch Belehrung aus seinem Mund, und nimm dir seine Worte zu Herzen, … lege das Golderz in den Staub und das Gold von Ophir unter den Kies der Bäche, so wird der Allmächtige dein Golderz und dein glänzendes Silber sein. Denn dann wirst du dich an dem Allmächtigen ergötzen und zu Gott dein Angesicht erheben.»
Damit ist der wahre, unvergängliche Besitz, der Reichtum des Glaubens aufgezeigt, den die Erlösten kennen dürfen. Ob wir ihn genügend kennen? Deutlicher gefragt: ob wir den lebendigen Gott genügend kennen? Er machte einst durch den Mund Jesajas die Aufrichtigen nach den Reichtümern verlangend, die Er zu geben bereit war: «Und ich werde dir verborgene Schätze und versteckte Reichtümer geben, damit du weisst, dass ich der HERR bin, der dich bei deinem Namen gerufen hat» (Jes. 45,3). – «Euch nun, den Glaubenden, ist die Kostbarkeit», lässt uns der Heilige Geist durch Petrus sagen (1. Pet 2,7). Damit hat Er uns das «Golderz», unseren Herrn Jesus Christus vorgestellt, der unsere Zuflucht ist. Den «Reichtum der Herrlichkeit dieses Geheimnisses» will uns Paulus in Kolosser 1,27 und 2,2 vor Augen und Herzen stellen, um unsere Seelen zu erfreuen und zu beglücken.
5. Ramot = «Grosse Anhöhe»
So hiess die fünfte Zufluchtsstadt, und Gott erinnert uns dadurch an Davids Worte in Psalm 18,17: «Er streckte seine Hand aus von der Höhe, er nahm mich, er zog mich aus grossen Wassern». Aus der Höhe, der Stätte seiner Wohnung, neigte der Allmächtige sich zu dem Elenden und rettete ihn. Dieser herzbewegende Psalm ist «das Triumphlied des Glaubens Davids».
Auch seine Worte in 2. Samuel 22 zeigen seine Empfindungen, als er an seinem Lebensende Rückschau hielt. Die Wundertaten seines Gottes bewegten sein Inneres zu anbetender Freude, zu Lobpreis und Dank. Dort rühmt er Ihn (in Vers 3) als «meine hohe Festung und meine Zuflucht». Wie oft hatten seine Augen hilfesuchend nach dieser Höhe geblickt, und sein Glaube wurde nicht beschämt. Wie gut, dass dem Geprüften auch heute dieses «Ramot» offen steht! Das Wort Gottes ermutigt jeden in Jesaja 57,15: «Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei dem, der zerschlagenen und gebeugten Geistes ist, um zu beleben den Geist der Gebeugten und zu beleben das Herz der Zerschlagenen». Gepriesen sei Er für diesen sicheren Zufluchtsort!
6. Golan = «Fremde» oder «Exil»
Dieser sechste und letzte der von Gott bestimmten Zufluchtsorte trägt, seinem Namen nach, das Kennzeichen der Fremdlingschaft. Abraham, unser Vater, hat einst nach Saras Tod den Kindern Heth bezeugt und gesagt: «Ich bin ein Fremder und Beisasse bei euch». Dieses deutliche Bekenntnis hat jene Kanaaniter zu der Aussage bewogen: «Du bist ein Fürst Gottes unter uns» (1. Mo 23,1-6). Wie es scheint, war dies eine ehrfurchtsvolle Anerkennung seiner Würde. Auch Mose betonte seinen Fremdlingscharakter im Gebiet Midians, indem er seinen Erstgeborenen «Gersom» nannte (2. Mo 2,22 – «Fremder dort»). Das Zeugnis der Heiligen Schrift in Hebräer 11,13-16 lässt uns wissen, was Gott von solchen treuen Glaubenszeugen denkt und wie Er sie ehrt, denn «sie bekannten, dass sie Fremde und ohne Bürgerrecht auf der Erde seien. Denn die, die solches sagen, zeigen deutlich, dass sie ein Vaterland suchen … Darum schämt sich Gott ihrer nicht, ihr Gott genannt zu werden …» Wie hochbedeutsam muss diesen Treuen diese göttliche Anerkennung gewesen sein.
Der Fremdlingsstand ist eine Zuflucht und eine Bewahrung vor einer verderblichen Vermischung mit der Welt. Wer ihn hoch hält, darf mit der Verheissung Gottes rechnen: «Der HERR bewahrt die Fremden» (Psalm 146,9).
Wenn echte Christen sich ihrer Berufung gemäss als Fremdlinge verhalten, so ahmen sie das hohe Vorbild des Herrn Jesus nach, der deutlich gesagt hat: «Sie sind nicht von der Welt, wie ich nicht von der Welt bin» (Joh 17,14.16). Solche Gemeinschaft mit ihm ist eine segensreiche, tröstliche Zuflucht, ein Zeichen echter Pilgerschaft. Dabei wird wahr, was wir in 1. Johannes 5,18 lesen: «Der aus Gott Geborene bewahrt sich, und der Böse tastet ihn nicht an». Solch gesegnete Folgen hat für den Gläubigen ein Leben in «Golan», und das Wohlgefallen des Herrn ruht darauf. Ein solcher darf den ermutigenden Zuspruch und die kostbare Verheissung in Anspruch nehmen, die den Treuen gilt: «Darum geht aus ihrer Mitte hinaus und sondert euch ab, spricht der Herr … und ich werde euch aufnehmen; und ich werde euch zum Vater sein, und ihr werdet mir zu Söhnen und Töchtern sein, spricht der Herr, der Allmächtige» (2. Kor 6,17.18).