Nach all diesem …

2. Chronika 35,20

Diese Worte deuten im inspirierten Bericht über das Leben Josias, des Königs von Juda, einen Wendepunkt an. Sie zeigen an, dass nun eine Laufbahn grosser Nützlichkeit abgeschlossen ist und ein Weg des Eigenwillens beginnt, der zu einer Niederlage, zur Katastrophe und zum Tod führt. Für uns Kinder Gottes ist diese ganze Geschichte eine ernste Warnung, die wir wohl beachten sollen. «Denn alles, was zuvor geschrieben worden ist, ist zu unserer Belehrung geschrieben, damit wir durch das Ausharren und durch die Ermunterung der Schriften die Hoffnung haben» (Röm 15,4). «Alle diese Dinge aber widerfuhren jenen als Vorbilder und sind geschrieben worden zu unserer Ermahnung, … daher, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle» (1. Kor 10,11.12).

Diese drei unheilvollen Worte «nach all diesem» stehen wie ein Wegweiser an der Lebensstrasse Josias. Sie zeigen auf so manche deutlichen Beweise früherer Frömmigkeit zurück, die vielversprechend waren. Josia begann gut. Im Alter von fünfzehn Jahren fing er an, den Gott seines Vaters David zu suchen, und mit neunzehn Jahren war er schon so eifrig für die Ehre des HERRN besorgt, dass er eine nationale Erweckung ins Leben rief, indem er Juda und Jerusalem von den Höhen, den Ascherim und den Götzenbildern säuberte, die durch ihre verunreinigende Gegenwart den wahren Gott verunehrten und den Ort, den Er erwählt hatte, entweihten.

Josias Eifer steigerte sich noch im Lauf der Jahre und brachte vier wichtige Ergebnisse hervor:

  1. Der Tempel wurde gereinigt,
  2. vergessene Wahrheiten und Prophezeiungen wurden wiederentdeckt,
  3. das Volk machte einen Bund vor dem HERRN, um Ihm von Herzen nachzuwandeln und Ihm zu dienen,
  4. sie feierten das grösste Passah seit den Tagen Samuels, des Propheten.

Wahrlich ein prächtiges Zeugnis für diesen König! Aber noch wichtiger war die sittliche Auswirkung auf sein eigenes Herz: Gott selbst hob in den Worten der Prophetin Josias Demut hervor und die Tatsache, dass sein Herz durch das Hören des Wortes weich geworden war. Fügen wir zu diesem allem noch die schöne Aussage über Josia in 2. Könige 23,25 hinzu, so haben wir hier am Ende seines ersten Lebensabschnittes das Bild eines frommen, eifrigen und demütigen Dieners Gottes, dessen Herz weich, das heisst empfänglich war für sein Wort.

Dann aber folgen, wie ein Alarmsignal, diese kurzen drei Worte: «nach all diesem». Sie bilden die unerwartete Einleitung eines Zusammenbruchs, der überaus tragisch und auch für die heutigen Gläubigen eine ernste Warnung ist.

Da sind manche auffallenden Vergleichspunkte zwischen den Zuständen in Josias Zeit und denen in unseren Tagen.

Die Christenheit ist, wie einst Israel, als Josia den Thron bestieg, von der einfachen Unterwürfigkeit unter das Wort Gottes, als der wahren Richtschnur des Lebens des Gläubigen und der alleinigen Anleitung zum Gottesdienst, abgewichen. Sie hat dem offenbarten Willen des Herrn Lehren und Vorschriften zugefügt und dadurch eine Lage geschaffen, die den Höhen, den Ascherim und den geschnitzten Bildern gleicht, das heisst, Dienst und Gottesdienst im grossen Haus der Christenheit wurden nach den Gedanken und der Einbildung von Menschen eingerichtet, und diese wurden im Lauf der Jahrhunderte zu traditionsgebundenen religiösen Vorschriften, Satzungen und Bräuchen.

Als dann am Anfang des 19. Jahrhunderts so manche der vergessenen Wahrheiten wiederentdeckt wurden, haben sich viele über das Versagen der Kirche gedemütigt und bekamen gegenüber dem Wort Gottes ein weiches, empfängliches Herz. Eifer und Frömmigkeit erwachten in einem erstaunlichen Mass, und wieder wurde Woche um Woche durch das Brechen des Brotes der Tod des Herrn verkündigt, in der einfachen, ursprünglichen Weise, wie es zur Zeit der Apostel getan wurde (Apg 20,7), indem bei der Feier am Tisch des Herrn die ganze Versammlung Gottes als miteingeschlossen betrachtet wurde. Auf der Grundlage des einen Leibes versammelten sich eine Anzahl Gläubige zum Namen des Herrn Jesus hin und freuten sich, dieses Fest feiern zu dürfen, im Bewusstsein, dass Christus als unser Passah für uns geschlachtet worden ist.

Der Wille des Herrn in seinem Wort, der wiederentdeckt worden war, stellte die einzig genügende Autorität dar, um so zu handeln, im Gegensatz zu den bloss kirchlichen Verordnungen oder menschlichen Regeln. Frische, Freude und heilige Begeisterung herrschten damals vor, aber «nach all diesem» kamen die langen Jahre eines ruhigen einfachen Zeugnisses, und dies sind Tage wirklicher Erprobung.

Es ist interessant und belehrend, zu beachten, dass zwischen dem leuchtenden Bericht von Josias grossem Passah – sozusagen das Hochwasserzeichen seiner Regierungszeit – und dem Bericht über seinen Niedergang Jahre verstrichen, worüber die Schrift schweigt. Aber sie haben für den nachdenklichen Leser eine laute Sprache. Dreizehn Jahre vergingen, ohne dass irgendetwas erwähnt wurde von dem, was sich in ihnen ereignete. Diese Jahre reden von einer langen, ruhigen Zeit, in der die Grundsätze erprobt wurden. Da geschah kein grosses Werk der Götzenzerstörung, da wurde keine aufsehenerregende Entdeckung der Wahrheit gemacht, da gab es keine Gemütsbewegung durch grosse geistliche Höhepunkte wie die, die das aussergewöhnliche Passah und der gemeinsame Entschluss, dem HERRN nachzufolgen und zu dienen, hervorgerufen hatten. Das war nun ein ruhiger Zeitabschnitt, eine Bewährungsfrist, jetzt folgten die langen und wichtigen Jahre der Aufrechterhaltung und des Festhaltens bekannter Wahrheiten und der Stellung.

Der persönliche Zustand so vieler junger Leute gleicht in sittlicher Hinsieht dem des Königs Josia. Die erste Blüte ihrer jugendlichen Frömmigkeit ist so lieblich! Zu sehen, wie sie mit Ernst und Eifer bestrebt sind, dem Herrn zu dienen, ist köstlich; wahrzunehmen, wie sie sich mit ganzem Eifer seiner gesegneten Person hingeben, ist überaus schön; die geistlichen Empfindungen der geheiligten Augenblicke an seinem Tisch sind ihnen besonders kostbar. Aber was folgt «nach al diesem»? Sollen sie den leichten Pfad des geringsten Widerstandes einschlagen und durch Liebäugeln mit der Welt, mit dem Fleisch und mit Satan den Verfall begünstigen? Oder sollen wir beim Lesen der inspirierten Lebensgeschichte Josias auf das eindringliche Alarmsignal hören, das in diesen Worten: «nach all diesem» ertönt?

Denn diese Worte scheinen anzudeuten, dass die Jahre der Ruhe in Josias Fall den Niedergang vorbereiteten, der im Verfall und im Eigenwillen endet. «Nach all diesem» hören wir von Josias Einmischung in fremde Angelegenheiten, und von seiner schweren Verwundung in der Verfolgung von Dingen, die ihn nichts angingen und weder seine Person noch seine Stellung betrafen. Welch ein trauriges Ende für einen Gläubigen, dem ein so prächtiges Zeugnis der Frömmigkeit und des Dienstes gegeben worden war! Da werden wir aufs Neue daran erinnert, dass «die besten Männer nur Männer sind, die zum besten gehalten werden», wenn sie die Gnade Gottes verlassen.

Josias Beweggründe waren vielleicht gut. Er mochte gedacht haben, dass seine Erkenntnis und seine Stellung ein Dazwischentreten rechtfertigten. Aber die inspirierte Geschichte berichtet von drei Tatsachen, die auch in unseren Tagen für die Gläubigen und Diener des Herrn von hervorragender Bedeutung sind:

  • Erstens ist es offensichtlich, dass Josia unabhängig handelte,
  • zweitens wollte er keinen Rat annehmen, indem er nicht auf das Wort Gottes hörte,
  • und schliesslich verkleidete er sich, handelte und zeigte sich als ein anderer, als der er wirklich war.

«Nach all diesem»! Gewarnt, eigenwillig und verwundet ist Josia jetzt unbrauchbar geworden, und dies im Alter von erst 39 Jahren! Dies ist umso auffallender, als für einen frommen Israeliten Länge der Tage eine besondere Gunst Gottes bedeuteten. Wie war der eine treue Knecht des HERRN so ganz anders, der – wir sagen es mit Ehrfurcht – nicht nur gut begann, sondern allezeit vom Eifer für Gottes Haus verzehrt wurde und bis ans Ende fortfuhr, in heiliger Abhängigkeit, in Vertrauen und Gemeinschaft voranzugehen, und der in den letzten Stunden am Kreuz Gott mehr Herrlichkeit einbrachte, als der Mensch und Satan zusammen Ihm je rauben konnten. Sein Name sei ewig hoch erhoben!

Der Gläubige, der sich, unabhängig vom Willen des Herrn, in fremde Sachen mischt, verlässt den Boden wahrer Nützlichkeit (mag er sich dabei noch so unentbehrlich vorkommen) und stellt sich eigentlich an den Platz eines anderen, so wie der König Josia sich selbst verkleidete. «Daher, wer zu stehen meint, sehe zu, dass er nicht falle.»

Wie ungeheuer wichtig ist es doch, sich zu üben in der ständigen Abhängigkeit von Gott, im unablässigen Blicken auf Ihn, um Leitung zu finden, und im ehrfürchtigen Erforschen seines Wortes. Wie glänzend auch der Bericht lauten kann, den man uns ausstellen mag für Frömmigkeit, Eifer, Hingabe, Niedriggesinntheit und ähnliche Vorzüge, so wird doch nichts das Herz so frisch und treu zum Herrn erhalten wie die drei Dinge, die den Herrn Jesus als Menschen hier auf der Erde kennzeichneten, nämlich absolute Abhängigkeit vom lebendigen Gott, unerschütterliches Vertrauen auf Ihn und ununterbrochene Gemeinschaft mit dem Vater.

Nur durch das praktische Leben in diesen drei Dingen wird unser Betragen, Charakter und Umgang so gestaltet, wie es den Kindern Gottes in diesen Tagen geziemt, in denen die Neigung besteht, das aufzugeben, was uns einst kostbar war. «Kinder, hütet euch vor den Götzen!»