Gott war es, der Esra zubereitet und willig gemacht hatte, nach Judäa hinaufzuziehen, um sich den Leuten seines Volkes anzuschliessen, die vorher unter Serubbabel und Jeschua aus Babel dorthin zurückgekehrt waren. Gott, der das Herz der Könige lenkt, war es auch, der Artasasta geneigt gemacht hatte, den Plan Esras zu begünstigen. Der König verordnete sogar, dass alle Israeliten in seinem Königreich, die nach Jerusalem hinaufzuziehen wünschten, frei wären, Esra zu begleiten. Zudem gab ihm der König Gold und Silber für den Gott Israels und versprach in seinem Brief an Esra, noch mehr zu geben: «Und den übrigen Bedarf des Hauses deines Gottes, was dir auszugeben zufällt, sollst du aus dem Schatzhaus des Königs ausgeben. Und von mir, dem König Artasasta, wird an alle Schatzmeister jenseits des Stromes Befehl gegeben, dass alles, was Esra, der Priester, der Schriftgelehrte im Gesetz des Gottes des Himmels, von euch fordern wird, pünktlich getan werde, bis zu 100 Talenten Silber und bis zu 100 Kor Weizen und bis zu 100 Bat Wein und bis zu 100 Bat Öl, und Salz ohne Mass» (Esra 7,20-22).
Wir können uns die Freude Esras über die Entwicklung der Dinge gut vorstellen. Am Ende des siebten Kapitels lobpries er Gott, der solches in das Herz des Königs gegeben hatte. Dann versammelte er die Leute, die mit ihm hinaufziehen wollten, am Fluss Ahawa, von wo die Reise beginnen sollte. Was sich dort am Ufer des Flusses in der Mitte der Kinder Israel zutrug, darf gewiss einen Augenblick unsere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen.
Bis dahin war die gute Hand Gottes über Esra gewesen, und es war ihm alles weit über seine Erwartungen hinaus gelungen. Er war jedoch noch nicht am Ende seines Unternehmens; es galt noch viele Schwierigkeiten zu überwinden, denn die Reise war lang, mühsam und gefahrvoll. Die Israeliten hatten Feinde, die ihnen Hindernisse in den Weg legen würden. Wie konnten sie diese Hindernisse überwinden, wie vor diesen Feinden bestehen? Die Israeliten waren nicht zahlreich. Das Lager zählte höchstens zweitausend Mann, die vielleicht sogar unbewaffnet waren. Angesichts der Schwierigkeiten und Feinde auf dem Weg waren sie sich wohl bewusst, dass sie schwach, sehr schwach waren und eine solche Reise niemals ohne Schutz und Hilfe unternehmen konnten.
Aber war denn nicht der mächtige König Artasasta da? Hatte er nicht durch seine Worte und Handlungen so viel Wohlwollen bewiesen und grosses Interesse an diesem Unternehmen gezeigt? War es nicht das Naheliegendste, von ihm eine Heeresmacht zu erbitten, um sie zu begleiten und zu verteidigen? Ohne Zweifel tauchte dieser Gedanke im Herzen Esras auf, aber er liess ihn sofort wieder fallen: «Denn ich schämte mich, vom König eine Heeresmacht und Reiter zu erbitten, die uns gegen den Feind auf dem Weg beistehen sollten; denn wir hatten zum König gesprochen und gesagt: Die Hand unseres Gottes ist über allen, die ihn suchen, zum Guten; aber seine Macht und sein Zorn sind gegen alle, die ihn verlassen» (Esra 8,22).
Nach einem solchen Bekenntnis vom König Soldaten zu verlangen, wäre tatsächlich beschämend gewesen. Dadurch hätten sie ihr Bekenntnis in offenbaren Widerspruch zu ihrem Betragen gebracht. Wenn Esra diesem Gedanken nachgegeben und dem König eine solche Bitte vorgelegt hätte, so hätte dieser gewiss gedacht: «Diese Leute rühmten mir doch ihren Gott, sie sagten mir doch, dass Er die beschütze, die Ihn anrufen, und alle jene bestrafe, die Ihn verlassen. Sie redeten mir von seiner Grösse und seiner Macht. Wenn das, was sie gesagt haben, wahr ist, was haben sie dann zu befürchten? Wozu brauchen sie dann meine Soldaten? Aha! gewiss glauben sie selber nicht daran! Es waren nur leere Worte! Ihr Gott ist wie die anderen Götter!»
Wir lesen es zwar nicht, aber es ist doch wahrscheinlich, dass die Überlegungen Esras solcher Art waren, Er war sich bewusst, dass, wenn er sich nach einer solchen menschlichen Hilfe ausstreckte, er seine früheren Worte in krassen Widerspruch zu seinem Betragen brächte, und das sogar vor den Augen des Königs. Auch hier zeigte sich die Hand Gottes gütig gegenüber Esra. Der Herr liess ihn fühlen, wie beschämend der Gedanke war, vom König Soldaten zu verlangen, und er gab ihn auf.
Liebe Geschwister, wir bekennen uns zum Evangelium, und auch wir sagen grosse und herrliche Dinge von unserem Gott. Das ist sehr gut. All unser Rühmen über Ihn erreicht nicht die Höhe der Wirklichkeit. Wir können durch Worte niemals vollkommen aussprechen, was Gott ist in seiner Majestät, seiner Macht, seiner Gerechtigkeit, seiner Liebe – alles ist unendlich weit erhaben über dem, was wir denken und ausdrücken können. Aber das ausgesprochene Bekenntnis meines Glaubens verpflichtet mich. Es soll für mein Betragen vor allen denen, die es hören oder kennen, bestimmend sein. Jeder Missklang zwischen meinen Handlungen und meinem Bekenntnis verunehrt Den, welchen ich mit meinen Worten rühme. Je weiter mein Bekenntnis geht, je wahrer und herrlicher meine Worte sind, desto mehr wird Gott verunehrt, wenn zwischen meinen Worten und Handlungen Widersprüche sind.
Ich bekenne vor anderen, dass Gott allmächtig sei, dass Er mich nie aus dem Auge verliere, dass Er für mich sei, dass Er mein Vater und ich sein Kind sei, das Er liebe. Aber man sieht mich beunruhigt, ausser Fassung, aufgeregt, ohne Vertrauen! – Welch ein Widerspruch!
Ich bekenne vor anderen, dass der Gläubige nicht von der Welt sei, dass er aus dem gegenwärtigen Zeitlauf herausgenommen und hier nur ein himmlischer Fremdling sei, dass sein Besitztum, sein Leben in Christus sei, in dem er gestorben, auferstanden und in die himmlischen Örter versetzt sei. Ich bekenne auch, dass der Herr Jesus mich von einem Tag auf den anderen zu sich entrücken könne und ich Ihn erwarte. Aber siehe da, ich – dieser selbe Gläubige, dieser selbe Bekenner – offenbare, dass ich die Welt liebe und die Dinge in ihr. Die mich umgeben sehen es, dass es mir Freude macht, ein Feld um das andere zu erwerben, eine Summe zur anderen zu legen, und mich mit Ehren bekleiden zu lassen. Welch ein Widerspruch!
Solche Widersprüche fügen der Sache des Evangeliums grossen Schaden zu. Sie verunehren unseren Gott und Vater vor der Welt und verursachen, dass sich viele noch schwache Seelen von der Wahrheit, die wir bekennen, abwenden. Das Beschämende solcher Widersprüche muss uns völlig bewusst werden. Das Wort ermahnt uns zu einem Wandel, würdig unserer Berufung und würdig des Gottes, der uns zu seinem eigenen Reich und seiner eigenen Herrlichkeit beruft.
Wenn wir sagen, dass wir Gemeinschaft mit Ihm haben (und wir sagen es), und wandeln in der Finsternis, so lügen wir. Wer da sagt: Ich kenne Ihn (und wir sagen es), und hält seine Gebote nicht, ist ein Lügner. Wer da sagt, dass er in Ihm bleibe (und wir sagen es), ist schuldig, selbst auch so zu wandeln, wie Er gewandelt hat. Wer da sagt, dass er in dem Licht sei (und wir sagen es) und hasst seinen Bruder, so ist er ein Lügner. Wir bekennen alle diese und andere sehr schöne Dinge, und das ist wohl gut; aber wir können an obigen Aussprüchen selbst ermessen, was das blosse Sagen, das Bekenntnis, wert ist, wenn der Wandel nicht damit übereinstimmt.
Aber kehren wir noch einen Augenblick an den Fluss Ahawa zurück. Sie mussten auf die Soldaten des Königs verzichten. Nur schon der Gedanke, eine solche Stütze zu verlangen, hinterliess in ihren Herzen ein Gefühl der Beschämung. Dieser Gedanke war nicht von Gott, sondern vom Bösen. Die Gefahren jedoch, die Schwierigkeiten und die Feinde, waren immer noch da, und ihre eigene Schwachheit und ihr Unvermögen auch. In eigener Kraft konnten sie all diesen Gefahren nicht begegnen und den Feinden nicht widerstehen. Was machen? Was sollte jetzt geschehen? Oh! wie gütig ist Gott gegenüber den Seinen! Wie barmherzig erwies sich die Hand Gottes gegenüber Esra und seiner Schar! Nachdem Er Esra die Kraft gegeben hatte, jenen Gedanken zu verwerfen, half Er ihm weiter.
Esra ruft ein Fasten aus. Sie demütigen sich, sie beten, sie suchen und erbitten die Hilfe von Gott. Sie übergeben sich selbst und ihre Habe seinem Schutz. Und mit dieser Kraft, die Esra und seine Begleiter in Gott gefunden hatten, und mit dem Bewusstsein, dass Gott es übernommen habe, sie zu beschützen, «brachen sie auf vom Fluss Ahawa am zwölften des ersten Monats, um nach Jerusalem zu ziehen».
Auf dieser Reise machte Esra dann die Erfahrung, dass alles, was er dem König über Gott gesagt hatte, durchaus Wirklichkeit war. Er hatte ihm gesagt: «Die Hand unseres Gottes ist über allen, die ihn suchen» (V. 22), und später konnte er bekennen: «Die Hand unseres Gottes war über uns, und er errettete uns von der Hand des Feindes und des am Weg Lauernden» (V. 31).
Oh, wie wünschenswert wäre es, dass die Scham Esras jedes Mal unsere Herzen erfüllte, wenn sich ein Gedanke einschleichen will, welcher der Liebe, der Gnade und dem Licht Gottes unwürdig ist. Alles, was wir in Übereinstimmung mit der Schrift über Gott sagen, ist durchaus wahr. Und wenn wir, wie Esra, unserem Bekenntnis entsprechend handeln, so werden auch wir auf unserer Reise die kostbare Erfahrung machen, dass Gott für uns ist, für den, der sich Ihm anvertraut und nur von Ihm abhängig sein will.
Wer ohne Ihn nichts will, vermag alles in seiner Güte.