«Es wallt mein Herz von gutem Wort» (Vers 2)
Am Anfang dieses Psalms stellt der Psalmist fest, wie viel er in dem kommenden König, das heisst in Christus entdeckt hat. Eine solche Entdeckung treibt sein ganzes Herz zur Anbetung. Es ist wie ein mit Wasser gefülltes Gefäss, unter dem ein Feuer brennt. Wenn das Gefäss nicht mit dem Feuer in Berührung gebracht wird, kommt das Wasser nicht zum Kochen. So verhält es sich auch mit der Wirksamkeit des Geistes. Das Lob kann nur dann in seiner ganzen Inbrunst emporsteigen, wenn der Heilige Geist es in Bewegung setzt. Denn nur Er allein ist fähig, den Wert der Person Christi richtig einzuschätzen.
Das Wort dieses Psalms ist gut, weil es Christus zum Gegenstand hat und vom Geist eingegeben ist. Aber Gott bediente sich des Menschen, des Anbeters, um diesem inspirierten Wort Ausdruck zu geben.
«Ich sage: Meine Gedichte dem König!»
Weil der Schreiber vom Geist inspiriert war, vermochte er also dieses Loblied zu verfassen. Der Heilige Geist vermittelte die Wärme; ohne Ihn konnte kein Ausdruck entstehen. Aber Er benützte dabei die Fähigkeiten des Menschen. Der Mensch entwarf, ordnete und stellte die Gedanken, die der Geist ihm eingab, an ihren Platz. Das ist das menschliche Element in der Inspiration. Es ist aber möglich, dass dieses menschliche Element in andern Stellen fehlt, wie man es in den verschiedenen Schriften des Alten und Neuen Testaments immer wieder feststellen kann. (Siehe zum Beispiel 1. Kor 2,13.)
«Meine Zunge sei der Griffel eines fertigen Schreibers»
Dieses Lied setzt beim Verfasser Überlegung, nicht aber ein von der Inspiration unabhängiges Disponieren voraus. Es erfordert überdies ein rasches und sicheres Verfassen. So steht der Psalmist vor der Schönheit Christi. Ein solcher Gegenstand ist unendlich, und die ewige Dauer unserer Lobgesänge wird es beweisen. Der Griffel, die Zunge des inspirierten Schreibers kommt nicht unnötig auf die gleiche Sache zurück; er überdeckt das Geschriebene nicht mit Korrekturen. Nein, so wie sein Gegenstand fehlerlos ist, so ist auch dessen Beschreibung makellos. Alle diese Eigenschaften zusammen bilden das, was man Inspiration nennt; sie kann aber noch diesen oder jenen zusätzlichen Charakterzug haben. Das Einzige, was von der Inspiration nicht getrennt werden kann, ist die durch nichts gehinderte Wirksamkeit des Heiligen Geistes, der keine Spur menschlicher Unzulänglichkeit beigemischt ist. Der menschliche Verstand wird dabei auf solche Weise beherrscht, dass es in dem Geschriebenen keinen Platz für irgendwelche Vermengung mit dem Fleisch gibt.
«Du bist schöner als die Menschensöhne, Holdseligkeit ist ausgegossen über deine Lippen; darum hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit. Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deine Pracht und deine Majestät! Und in deiner Majestät zieh glücklich hin um der Wahrheit und der Sanftmut und der Gerechtigkeit willen; und Furchtbares wird dich lehren deine Rechte. Deine Pfeile sind scharf – Völker fallen unter dir –, sie dringen den Feinden des Königs ins Herz» (Verse 3-6)
In diesen Worten drückt der Anbeter seine Wertschätzung der Vortrefflichkeiten des Sohnes des Menschen aus, vor denen er sich befindet: «Du bist schöner als die Menschensöhne!» Diese Schönheit übertrifft die der Menschen, obschon auch sie eine menschliche Schönheit ist und die Auswirkung der «Holdseligkeit, die über seine Lippen ausgegossen ist». «Über deine Lippen», sagt der Anbeter, der sich in aller Freimütigkeit an diesen wunderbaren Menschen wendet, den Gegenstand seiner Anbetung. Die Holdseligkeit, die in Ihm ist, tut sich durch die Worte seiner Lippen kund. Bei seinem Aufenthalt auf der Erde sagte man: «Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch» (Joh 7,46). Seine Gnade und Liebe, in der Er sich mit dem Bösen beschäftigte, um es wegzutun, und mit der Sünde, um sie zu vergeben, entsprach allen Bedürfnissen des Menschen. Ihre Ausübung brachte dem Herrn Jesus aber gleichzeitig auch die ewigen Segnungen Gottes ein und durch den Mund der Söhne Korahs im Vorwort dieses Psalms den Titel Geliebter: «darum hat Gott dich gesegnet in Ewigkeit.»
Diese Schönheit der Gnade in einem Menschen gibt Ihm auch ein Anrecht auf die Würde eines Triumphators: «Gürte dein Schwert um die Hüfte, du Held, deine Pracht und deine Majestät!» Es handelt sich hier nicht darum, das Schwert für den Kampf zu ziehen, wie zum Beispiel in Jesaja 63,1-6, sondern um sein Erdendasein als Mensch in Hoheit und Würde. Seine Pracht und sein Triumph entfalten sich, der Wagen des Triumphators fährt dahin, und die Zeugen dieser Herrlichkeit stellen ihre Betrachtungen an über die Vortrefflichkeiten, die dem Geliebten das wunderbare Vorrecht dieses Sieges eingebracht haben: «Um der Wahrheit und der Sanftmut und der Gerechtigkeit willen.» Es ist also nicht nur die Gnade, die Holdseligkeit (Vers 3), die seine Schönheit ausmacht. Drei weitere Dinge liegen seiner Herrlichkeit als Mensch zugrunde:
1. Die Wahrheit
Bei Ihm ist sie unzertrennlich von der Gnade: «Die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden» (Joh 1,17). Die Wahrheit ist der Gedanke Gottes über alle Dinge, die volle, ewige Offenbarung dessen, was Gott ist, sagt und denkt. Gott ist Wahrheit, sein Wort ist Wahrheit und sein Geist ist der Geist der Wahrheit.
2. Die Sanftmut
Sie gehört zu seinem königlichen Triumph, wenn Er kommen wird, um sein Reich und seine Hauptstadt in Besitz zu nehmen (Mt 21,5).
3. Die Gerechtigkeit
Er ist ewig frei von jeder Spur der Sünde in allen seinen Wegen. Er ist mit sich selbst in göttlicher Weise konsequent. Aber diese Gerechtigkeit ist auch untrennbar von Gerichten, die das Böse heimsuchen müssen: «Furchtbares wird dich lehren deine Rechte.» Dieses Furchtbare wird alle, die sich gegen sein Königtum aufgelehnt haben, ins Herz treffen und sie vertilgen: «Den Feinden des Königs ins Herz.»
Wir haben bis jetzt gesehen, was der Geist durch den Mund des Gläubigen über Christus, den Menschen, ausgesprochen hat. Nun aber vernehmen wir, was Gott selbst von seinem Sohn denkt:
«Dein Thron, o Gott, ist immer und ewig; ein Zepter der Aufrichtigkeit ist das Zepter deines Reiches. Gerechtigkeit hast du geliebt und Gottlosigkeit gehasst; darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit Freudenöl, mehr als deine Genossen» (Verse 7-8)
Dieser vollkommene Mensch, dieser Überwinder, dieser Triumphator und dieser König, der von den Menschen als solcher verworfen ist, aber bald anerkannt werden wird, ist vielmehr als all das: Er ist Gott. Gott selber stellt dies fest, indem Er Ihn seinen Sohn nennt (Heb 1,5-8). Gott, in der Person seines Sohnes, sitzt auf dem ewigen Thron. Das «Zepter seines Reiches» kann allein ein «Zepter der Aufrichtigkeit» genannt werden. Es stellt eine vollkommene Verbindung her zwischen der Liebe zur Gerechtigkeit und dem Hass gegenüber der Gotlosigkeit. Diese Verabscheuung des Bösen wird den Herrn vor aller Augen kennzeichnen, wenn Er den Gesetzlosen der Endzeit vernichten wird durch den Hauch seines Mundes. Das ist eine Wahrheit, die wir in den ersten Büchern der Psalmen immer wieder finden. Darum ist Er auch vor allen seinen Genossen würdig, mit Freudenöl gesalbt zu werden. Gott gibt Ihm Genossen in der Herrlichkeit, und sie sind voller Freude, dort wohnen zu dürfen. Er aber besitzt eine noch viel höhere Freude als die ihre, die einzigartige Freude, sie in diese Herrlichkeit eingeführt zu haben! Diese Freude wird niemand mit Ihm teilen.
«Myrrhe und Aloe, Kassia sind alle deine Kleider; aus Palästen von Elfenbein erfreut dich Saitenspiel» (Vers 9)
Wenn Er von Gott selbst, als Belohnung für sein Werk, mit Freudenöl gesalbt wird, so geht ausserdem noch ein besonderer Wohlgeruch von Ihm aus, wenn Er in strahlender, makelloser Reinheit aus den Palästen von Elfenbein heraustritt, in die Er die Seinen aufgenommen hat und wo Er sich an ihnen erfreut. Er findet seine Freude in der Reinheit derer, die Er liebt, und diese Freude breitet sich wie Weihrauch vor Gott aus.
«Königstöchter sind unter deinen Herrlichen; die Königin steht zu deiner Rechten in Gold von Ophir» (Vers 10)
Das Höchste und Erhabenste in der Umgebung des Königs dient nur dazu, die Herrlichkeit des Begleitzuges hervortreten zu lassen. Als Gegenstand einer besonderen Beziehung zu Ihm überragt eine Person alle anderen. Sie gehört nicht zum Gefolge, denn sie ist zu seiner Rechten, geschmückt mit der kostbarsten göttlichen Gerechtigkeit. Diese Königin hier kann nicht die Kirche sein, da dieses Geheimnis im Alten Testament noch nicht offenbart war. Es ist das wiederhergestellte und mit Gerechtigkeit geschmückte Jerusalem, mit den übrigen Städten Judas.
«Höre, Tochter, und sieh, und neige dein Ohr; und vergiss dein Volk und das Haus deines Vaters! Und der König wird deine Schönheit begehren, denn er ist dein Herr: So huldige ihm!» (Verse 11 und 12)
Um Ihm ganz anzugehören, müssen alle anderen Bindungen gelöst werden. Und um das tun zu können, muss man von der Vortrefflichkeit dessen, der uns erwählt hat, «gehört» und sie «gesehen» haben. Was sind menschliche Familienbande im Vergleich zu diesem neuen, von Ihm geschaffenen Band? In dieser Verzichtleistung sieht der Herr eine Schönheit, die seiner eigenen Schönheit würdig ist (Vers 2). Wenn jemand nicht seinen Vater, seine Mutter, sogar sein eigenes Leben hasst, ist er nicht würdig, sein Jünger zu sein. In dieser Abhängigkeit von Christus allein, die durch kein anderes Band beeinträchtigt wird, besteht die Schönheit der Braut.
Die Gnade und die andern mit seiner Person verbundenen Eigenschaften: Wahrheit, Sanftmut, Gerechtigkeit, bilden – wie wir gesehen haben (Verse 3-5) – die Schönheit Christi. Die Abhängigkeit aber, das Alles-Verlassen um ganz sein eigen zu sein, die Anerkennung seines souveränen Herrschaftsanspruches an sie, lässt die Braut in den Augen ihres Herrn schön erscheinen. Diese Eigenschaften sind es, die das Begehren des Bräutigams hervorrufen, sich ihr zuzuwenden. Was Ihn anziehen wird, ist nicht eine dem Menschen gemässe Schönheit, sondern ein Herz, das Ihm völlig ergeben ist.
Die Menschen glauben, es seien andere Dinge, die die Braut in den Augen des Herrn begehrenswert machen. Man will Opfer für Ihn bringen. Aber für Ihn ist «gehorchen besser als Schlachtopfer». Kein Opfer irgendwelcher Art ist für Christus ein Grund, uns zu lieben. Selbst die schönsten Reden, die reichsten Gaben haben keinerlei Wert in den Augen dessen, der alles besitzt. Nicht einmal die Opfer, die wir Ihm anbieten, gehören uns.
«Denn er ist dein Herr: So huldige ihm!» Die Anerkennung seiner ewigen Oberherrschaft ist es, was Ihn freut. «Aber», wird man sagen, «müssen wir Ihm denn nicht alles geben?» – Gewiss, denn alles gehört ja Ihm. Aber was bleibt uns denn, das wir Ihm geben könnten, wenn wir selber nichts besitzen? Ein anbetendes Herz! Wir dürfen Ihn, von dem wir so viel empfangen haben, anbeten!
«Und die Tochter Tyrus, die Reichen des Volkes, werden mit Geschenken deine Gunst suchen» (Vers 13)
Die Geschenke sind in der Hand derer, die in niedrigerer Stellung sind, als der, dem sie dargebracht werden. Die Bücher der Propheten enthalten viele Hinweise auf solche Unterwürfigkeits-Bezeugungen, die Christus bei der Aufrichtung seines Reiches von allen Nationen entgegennehmen wird. Die Reichen des Volkes werden dann mit Geschenken seine Gunst suchen und Ihm gegenüber die Haltung von Bittenden einnehmen.
«Ganz herrlich ist des Königs Tochter drinnen, aus Goldwirkerei ihr Gewand; in buntgewirkten Kleidern wird sie zum König geführt; Jungfrauen hinter ihr her, ihre Gefährtinnen, werden zu dir gebracht» (Verse 14-15)
Ist diese Königstochter eine Anspielung auf die Tochter des Pharaos, die Gattin Salomos? Für mich ist diese Königstochter identisch mit der Königin (Vers 10). Es ist Jerusalem, die das Innere des Palastes mit ihrer Herrlichkeit schmückt. Ihre Gefährtinnen sind wiederum die Städte Judas, die das Gefolge der herrlichen Stadt Jerusalem bilden.
«Sie werden unter Freude und Jubel geführt, sie ziehen ein in den Palast des Königs» (Vers 16)
Sie werden mit Freuden am Geleitzug des Königs teilnehmen und dann zu seinem Hof gehören.
«An deiner Väter statt werden deine Söhne sein; zu Fürsten wirst du sie einsetzen im ganzen Land. Ich will deines Namens gedenken lassen alle Geschlechter hindurch; darum werden die Völker dich preisen immer und ewig» (Verse 17 und 18)
Dieser bewunderungswürdige Psalm endet, wie er begann. Der Anbeter aus den Söhnen Korahs befindet sich wieder vor Ihm allein. Er allein bewirkt die Aufrichtung seines Reiches. Während dessen Herrlichkeit werden sich die Geschlechter auf der Erde ablösen, denn, wir wiederholen es, es handelt sich hier nur um die irdische, nicht um die himmlische Herrlichkeit, die einer damals noch zukünftigen Zeitperiode, der Versammlung Gottes, vorbehalten ist. Aber auch die irdische Herrlichkeit selbst wird nicht durch die Grenzen des Volkes Israels beschränkt sein: «An deiner Väter statt werden deine Söhne sein.» Ein fortwährendes, einstimmiges Lob wird aus allen Völkern zu den Füssen des Machthabers aufsteigen. Und von der Erde aus wird sich das «neue Lied» erheben und die himmlischen Räume um den Thron erfüllen!