Einige an der Konferenz in Zürich geäusserte Gedanken
Allgemeines
Schon in den Tagen des greisen Apostels Johannes waren kräftige Irrtümer im Umlauf. Aber Gott schenkte zu jener Zeit seinem Volk das vierte Evangelium, das diesen Irrtümern besonders wirksam begegnet. Dieses Evangelium hat nicht den Messias und König Israels zum Gegenstand (Matthäus), nicht Jesus als Knecht (Markus) und nicht den Sohn des Menschen (Lukas). Es hat vielmehr das fleischgewordene Wort, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, den ewigen Sohn zum Hauptinhalt.
«Siehe da, euer Gott!» Diesen Ausruf Jesajas (Jes 40,9) könnte man als Überschrift über dieses Evangelium setzen.
Im ersten Kapitel steht vieles in Beziehung zu Israel. Wenn wir dieses nicht beachten, werden wir diesen Abschnitt bestimmt nicht richtig auslegen.
In diesem ersten Kapitel werden vierzehn verschiedene Titel oder Herrlichkeiten des Herrn erwähnt: Er ist
- das Wort
- Gott
- der Schöpfer
- das Leben
- das Licht
- der Eingeborene vom Vater
- Jesus
- Christus
- der HERR (Jahwe)
- das Lamm Gottes
- der mit Heiligem Geist Taufende
- der Sohn Gottes
- der König Israels
- der Sohn des Menschen
Gott ist auf der Erde offenbart worden, nicht im Himmel. Dieses Evangelium beschreibt das, was auf der Erde von Gott kundgemacht wurde. In diesem Buch wird nur sehr wenig vom Himmel gesprochen.
Verse 1-4
An verschiedenen Stellen ist in der Heiligen Schrift von einem «Anfang» die Rede: In 1. Mose 1 vom Anfang aller Schöpfung, in 1. Johannes 1,1 von dem, was das Christentum von Anfang an besass. Hier aber wird uns die wunderbare Person des Sohnes Gottes vorgestellt. Er hat nie einen Anfang genommen, Er «war» vor jedem Anfang. Und es wird ausdrücklich hervorgehoben: «Alles wurde durch dasselbe (ihn), und ohne dasselbe (ihn) wurde auch nicht eins, das geworden ist.» Das Wort «Eingeborener» ist ein Titel, der nicht besagen will, dass Er in der vergangenen Ewigkeit einmal geboren wurde. Überall, wo dieser Titel in der Schrift vorkommt, bezeichnet er nur seine erhabene Vorrangstellung.
In den vier ersten Versen werden vom «Wort» fünf verschiedene Dinge ausgesagt:
- es war im Anfang
- es war bei Gott
- es war Gott
- alles wurde durch dasselbe (ihn)
- in Ihm war Leben und das Leben war das Licht der Menschen, oder, wie man auch sagen könnte: das Licht war das Leben der Menschen
In Ihm, durch sein Leben hat sich Gott offenbart. Diese Offenbarung war das Licht der Menschen.
Vers 5
In der natürlichen Welt wird überall, wo das Licht hinfällt, die Finsternis vertrieben. Aber die tiefe moralische Finsternis, in der sich die Menschen befinden, hat das im Sohn Gottes erschienene Licht nicht erfasst. Nur die, die Ihn aufgenommen haben, sind «Licht im Herrn» geworden.
Verse 6-9
Johannes, der Täufer, wird deutlich von dem Sohn Gottes unterschieden: Da war ein Mensch, von Gott gesandt … damit er von dem Licht zeugte. Dieser Prophet, der die Anwesenheit des Sohnes Gottes auf der Erde verkündigen durfte, machte dem Volk einen so grossen Eindruck, dass der Heilige Geist es für nötig erachtete, hier ausdrücklich zu erklären: Er war nicht das Licht.
Da ist kein Mensch, der von Natur aus nicht zu der Finsternis gehörte. Jeder muss durch dieses «wahrhaftige Licht» erleuchtet werden; es gibt kein anderes.
Verse 10-13
Im Gegensatz zu den anderen Evangelien wird der Herr hier von Anfang an als verworfen betrachtet: Die Welt, die doch durch Ihn erschaffen worden war, kannte Ihn nicht, und die Seinen (Israel) nahmen Ihn nicht an.
Verse 14-18
Im 14. Vers haben wir eine Fortsetzung des ersten Verses: Das Wort, das im Anfang war, das Gott war, ist «Fleisch geworden»; es war bei Gott und wohnte nun unter uns.
Das Wort wurde Fleisch, Jesus ist nicht nur vorübergehend «Fleisch» gewesen; Er ist Fleisch (Mensch) geblieben.
Wenn im 14. Vers gesagt wird: «Wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater», so mag dies auf die Szene auf dem Berg der Verklärung Bezug haben, wo Petrus und Jakobus und Johannes Augenzeugen «seiner prachtvollen Herrlichkeit» gewesen waren. Petrus hat in seinem zweiten Brief davon geschrieben und Johannes mag an dieser Stelle auch daran gedacht haben. Aber auch durch die sieben Zeichen oder Wunder, die in diesem Evangelium beschrieben sind, hat Jesus seine Herrlichkeit kundgetan: «Diesen Anfang der Zeichen machte Jesus zu Kana in Galiläa und offenbarte seine Herrlichkeit» (Joh 2,11).
Er kam zu uns voller Gnade und Wahrheit … und aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, und zwar Gnade um Gnade. Gott, der heilige Gott, den keiner der Menschen sehen kann, wohnte in Ihm, der Fleisch geworden war, unter den Menschen. Sie konnten Ihn sehen, mit Ihm reden, Ihn berühren und Ihn hören. Er war der zugänglichste Mensch von allen; Gnade und Wahrheit kennzeichneten Ihn. Die Gnade bereitet das Herz des Menschen zu, die Wahrheit über Gott und über sich selbst zu vernehmen. Die Gnade begegnet den Bedürfnissen und dem Elend, die die Wahrheit offenbar macht. Jeder Gläubige ist ein Gegenstand dieser Gnade, die in der Person Jesu Christi in ihrer ganzen Fülle auf die Erde gekommen ist.
Der «Schoss des Vaters» ist ein Bild für das wunderbare Liebesverhältnis zwischen dem Vater und dem Sohn. Es bestand schon in der Ewigkeit, fand hier auf der Erde seine ununterbrochene Fortsetzung und wird in alle Ewigkeit bestehen bleiben. – Die Tatsache, dass der Jünger Johannes so gerne im Schoss Jesu lag (Joh 13,23) und dort die Liebe seines Herrn genoss, mag diese Wahrheit illustrieren.
Verse 19-28
Die Juden fragten Johannes: Wer bist du? Nachdem er auf alle ihre Vermutungen mit nein geantwortet hatte, sprach er: «Ich bin die Stimme eines Rufenden». Nur die Stimme des rufenden Gottes! Er beansprucht für sich keinen Titel und ist für uns überhaupt das schöne Vorbild eines Dieners. Er weist von sich weg auf Christus hin. Er sucht die Menschen nicht um sich selbst zu sammeln. Durch seinen Dienst verlassen ihn vielmehr zwei seiner Jünger und folgen Jesus nach. Und später sagt er: «Er muss wachsen, ich aber abnehmen» (Joh 3,30). Wenn sich auch dieser letzte Ausspruch zunächst auf die zu Ende gehende Mission dieses Vorläufers des Herrn bezog, so ist dies anderseits ein Grundsatz, den wir in unserem Leben und in unserem Dienst mehr und mehr verwirklichen sollten.
Die Stelle in Maleachi 3,23: «Siehe, ich sende euch Elia, den Propheten, ehe der Tag des HERRN kommt, der grosse und furchtbare», hat sich in Johannes, dem Täufer, noch nicht erfüllt. Wohl ging er «in der Kraft Elias» vor dem Herrn her (Lk 1,17) und er wäre auch «Elia, der kommen soll» gewesen, wenn das Volk den Herrn und was Er ihm sagte, hätte annehmen wollen (Mt 11,14). Aber bei den zwei Zeugen in Offenbarung 11,3 werden Zeichen gefunden, die sich auch im Dienst Elias ereignet haben: «Diese haben die Gewalt, den Himmel zu verschliessen, damit während der Tage ihrer Weissagung kein Regen falle …»
Verse 29-30
Der Ausdruck: «das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt», gab in der Christenheit Anlass zu irrigen Auffassungen. Es steht hier nicht: das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt trägt. Andere Stellen der Heiligen Schrift zeugen davon, dass Christus die Sünden vieler getragen hat. Hier werden wir vielmehr auf andere Tatsachen hingewiesen:
Das Lamm Gottes hat am Kreuz die Grundlage dafür geschaffen, dass die Sünde aus der Welt weggenommen und die ewigen Ratschlüsse Gottes ausgeführt werden können: Christus wird im Hinblick auf das Tausendjährige Reich aufgrund seines Todes alle Dinge mit Gott versöhnen (Kol 1,20) und dann auch neue Himmel und eine neue Erde aufrichten, in denen Gerechtigkeit wohnt. Es handelt sich also um die Wiederherstellung der Grundlage der Beziehungen Gottes zur Erde.
Verse 31-34
Es ist auffallend, dass Johannes der Täufer zweimal bezeugt: «ich kannte ihn nicht». Jesus war doch ein paar Monate nach ihm geboren worden und war bei seinen Verwandten aufgewachsen. Johannes musste Ihn kennen als den, über den wunderbare Dinge vorausgesagt worden waren. Aus den andern Evangelien ersehen wir auch, dass Johannes Jesus als den Grösseren anerkannte, schon bevor der Heilige Geist auf Ihn herabgestiegen war. – Aber Johannes kannte Ihn noch nicht als den, der mit Heiligem Geist tauft, noch nicht als den Sohn Gottes. Darum sagte Gott zu Johannes: «Auf wen du den Geist herniederfahren und auf ihm bleiben siehst, dieser ist es, der mit Heiligem Geist tauft.»
Der Geist fuhr wie eine Taube aus dem Himmel herab und blieb auf dem Sohn Gottes. Die Taube ist ein Bild des Friedens, der Gnade, der Sanftmut und der Reinheit. Die Taube Noahs kam wieder zur Arche zurück, weil sie in der Welt draussen keinen reinen Platz fand, wo sie sich niedersetzen konnte. So fand auch der Heilige Geist, bevor das Erlösungswerk am Kreuz vollbracht war, keinen Menschen auf der ganzen Erde, bei dem Er wohnen konnte, als nur Jesus. Bei Ihm war alles, seine Gedanken, seine Worte und Werke, sein ganzes Leben in Übereinstimmung mit dem Vater und dem Heiligen Geist. Auch sein Dienst entsprach dem Frieden, der Gnade, der Sanftmut und Reinheit des Geistes.
Auf die Gläubigen konnte der Heilige Geist erst herabkommen, nachdem sie durch das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, von aller Sünde gereinigt worden waren. Für sie erschien Er in der Gestalt zerteilter, feuriger Zungen. Sie wurden dadurch befähigt, das Evangelium in verschiedenen Sprachen zu verkündigen. Gleichzeitig richtete Er aber auch durch die Kraft des Wortes Gottes in den Herzen und Wegen der Gläubigen alles, was mit Gott nicht in Übereinstimmung ist. Feuer ist immer ein Bild des Gerichts.
Wer kann mit Heiligem Geist taufen, als nur der, der Gott ist? Diese Taufe hat am Pfingsttag stattgefunden (Apg 2), nachdem der Herr sein Werk vollbracht hatte, nachdem Er auferweckt und zur Rechten Gottes erhöht worden war. In diesem einen Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden (1. Kor 12,13). Grundsätzlich ist diese Taufe also schon geschehen. Praktisch aber wird jeder Mensch, der wiedergeboren wird und den Heiligen Geist empfängt, dieser Taufe teilhaftig und dem «Leib» als «Glied» hinzugefügt.