Christus als Sachwalter (1)

1. Johannes 2,1-2

Der Weg des Gläubigen und die Sünde

In der vorangegangenen Artikelserie «das Hohepriestertum Christi» haben wir versucht, den besonderen Charakter und das Ziel des Priestertums des Herrn Jesus aufzuzeigen. Nach den Belehrungen der Schrift steht es ausschliesslich in Beziehung zu denen, die durch das Werk Christi zu Gott gebracht worden sind. Dieser Dienst bringt den Herrn in keiner Weise in einen Zusammenhang mit der Welt. Als Priester beschäftigt Er sich nicht mit den Nöten des Sünders, sondern mit den Bedürfnissen derer, die Er geheiligt hat. Gott will durch das Priestertum nicht irgendjemand ein Mittel geben, um vor Ihm stehen zu können. Sein Plan ist, jenen zu helfen und die zu unterstützen, die die Gnade durch das Blut Jesu schon in seine Nähe gebracht hat. Die göttliche Gnade möchte ein heiliges Volk in der Nähe Gottes, in die es schon gebracht worden ist, erhalten. Deshalb wird im Hebräerbrief vorausgesetzt, dass die Gläubigen freien Zugang zu Gott haben, ein Vorrecht, das ihnen nie mehr weggenommen werden wird.

Wir sind durch das ein für alle Mal geschehene Opfer Jesu Christi zu Gott gebracht worden. Diese innige Beziehung verliert der Christ nie mehr. Wir mögen fallen und in trauriger Inkonsequenz handeln; und wie demütigend ist es, wenn dies vorkommt. Doch bleibt für den Gläubigen der Zugang zu Gott offen, (denn er gründet sich nicht auf gesetzliche Bedingungen, sondern auf das Blut Jesu Christi), und zwar in einer absoluten Weise. Denn der Wert, den Gott dem Werk seines Sohnes beimisst, ist das Mass für die Nähe, in die wir zu Ihm gebracht sind. Es ist unmöglich, dass Gott dieses Opfer gering achtet. Aufgrund der Vorzüglichkeit dieses Opfers handelt Er zu unseren Gunsten, nicht nur gemäss unserem Glauben, sondern nach seiner Wertschätzung dessen, was der Herr Jesus für uns getan hat. So sind wir, die Glaubenden, Ihm nahe gebracht, und das auf ewig, wie die Schrift dies sorgfältig und klar festhält.

Indessen ist es möglich, dass einige, die sich nur äusserlich zum Herrn bekannt haben und so durch sein Blut geheiligt (abgesondert) worden sind, den Herrn aufgeben. Hebräer 10,29 warnt davor. Diese ernste Warnung richtet sich zunächst an solche aus den Juden (Hebräer), die sich hatten taufen lassen. Die gleiche Gefahr besteht auch für Bekenner aus den Nationen, wie wir es aus 1. Korinther 10 entnehmen können. Offensichtlich handelt es sich hier nicht um einen Fehltritt, sondern um ein Aufgeben des Herrn Jesus. Es bedeutet Abfall. Zweifellos weist der Heilige Geist auf das schreckliche Ende hin, um schon den Anfängen dieser Abkehr Einhalt zu gebieten. Der erneuerte Mensch achtet auf das Wort Gottes. Diese Warnung ist aber nutzlos für den unbekehrten Menschen, der anfänglich durch das Neue und die Schönheit des Evangeliums von einem verstandesmässigen Gesichtspunkt aus angezogen wurde. Solche Fälle traten besonders in jenen Tagen auf, als das Evangelium zum ersten Mal gehört wurde, unter den Juden, die seit jeher an die rabbinischen Traditionen, trocken wie ihre Pergamente, gewöhnt waren, und unter den Nationen, die nur die widersprüchlichen Eitelkeiten der griechischen Philosophie kannten.

Wir können leicht verstehen, was für eine erfrischende Kraft in der damals neuen Lehre des Christentums lag (die Menschwerdung des Sohnes Gottes, sein Leben, sein Tod, seine Auferstehung und seine Himmelfahrt). Seine himmlischen Grundsätze konnten einen ungeheuren Reiz auf einen erleuchteten Geist ausüben, auch wenn das Herz und das Gewissen nicht erreicht wurden. Aber wenn es nur bei diesem bleibt, wird es keinen Bestand haben. Genauso verhält es sich mit Gemütsbewegungen, die durch das Hören von der Barmherzigkeit Gottes hervorgerufen werden, wenn sie nicht zur Buße führen. Nichts wird fortdauern, wenn es nicht von der neuen Natur kommt, die der Heilige Geist wirkt, sobald Er das Gewissen erreicht hat und der Mensch sich als Sünder vor Gott erkennt und seine Hilfsquelle, sein Heilmittel und seine Befreiung nur im Herrn Jesus findet. Da, wo dies im Glauben erfasst wird, kommt man durch das Blut Christi in Gottes Nähe. Und das Hohepriestertum des Herrn Jesus ist dieser Dienst göttlicher Gnade, der durch den auferstandenen und lebenden Herrn ausgeführt wird, indem Er sich zur Rechten Gottes für solche Erlöste verwendet. Dabei wendet Er sein Wort an, um uns aufrechtzuhalten und weiterzuführen, angesichts sowohl der Prüfungen, Schwierigkeiten, Widerstände und Leiden, die uns begegnen, als auch unserer eigenen Schwachheit. Gott hat alles vorausgesehen und für alles vorgesorgt, indem Er uns droben in seiner Gegenwart einen solchen Hohenpriester gegeben hat, wie sein Sohn es ist. Auf diese Weise empfangen wir bewahrende Gnade und rechtzeitige Barmherzigkeit. Dieser Dienst begegnet unseren Bedürfnissen und bewahrt uns als ein heiliges Volk inmitten von Gefahren, die so gross sind wie unsere Schwachheit.

Wir dürfen aber niemals Schwachheiten mit Sünden verwechseln oder Sünden Schwachheiten nennen. Das Wesen der Sünde ist Eigenwille, nicht unbedingt Gesetzesübertretung. Ob ein Gebot bekannt ist oder nicht, Eigenwille ist Sünde. Es ist ein Handeln ohne einen göttlichen Beweggrund. Auch wenn es sich nicht gegen die Autorität oder den Willen Gottes richtet, so ist es doch Unabhängigkeit von Ihm und seinem Wort, was uns zur Tat veranlasst. Handeln wir nicht ohne Ihn und wie es uns gefällt, wenn wir versäumen, Ihn zu suchen? Alles das ist Sünde. Es spielt keine Rolle, wie anständig und gut unsere Wege in den Augen der Menschen scheinen mögen. Aber für all das ist das Priestertum des Herrn Jesus Christus nicht gedacht, sondern für die Bedürfnisse derer, die leiden, weil sie nicht sündigen wollen.

Wenn wir um seines Namens willen oder um der Gerechtigkeit willen leiden, und wenn wir geprüft werden, weil wir dem Herrn Jesus nachzufolgen suchen, dann haben wir sein Mitgefühl und seinen Trost nötig. Wir schrecken vor Prüfungen zurück, und wenn wir durch solche zu gehen haben, empfinden wir nur die Leiden, die damit verbunden sind und dies mit sehr gemischten Gefühlen. Unser hochgelobter Herr aber empfand als Mensch alles ganz und vollkommen. In seinen Schmerzen und Leiden gab es nie eine Spur von Sünde; und doch war sein Weg voll von Prüfungen. Er war der «Mann der Schmerzen und mit Leiden vertraut». In einem gewissen Mass dürfen wir Ihm darin nachfolgen. Es ist gut, wenn wir in der uns umgebenden Welt den Widerspruch gegen den Willen Gottes spüren. Wenn wir den Anschein machen, uns mit dem schrecklichen Zustand der Dinge zu arrangieren, wie wenn alles in Übereinstimmung mit Gott und seiner Regierung wäre, tun wir Gott Unrecht und stellen uns auf die Seite des Feindes. Denn obwohl Gott mit seiner weisen und gerechten Vorsehung hinter der Szene steht, und seinen Willen trotz schlauester Feinde und scheinbar unüberwindlicher Schwierigkeiten ausführt, ist der wahre Zustand der Welt weit davon entfernt, eine Offenbarung der Regierung Gottes zu sein. Inmitten solcher Umstände werden die Seinen zu leiden haben; denn da sind unsere Schwachheit, eine feindselige Welt, ein heimtückischer Feind, der Verkläger der Brüder und der Verführer der ganzen Welt. In solchen Umständen kommt das Priestertum des Herrn Jesus zur Anwendung für uns – für ein heiliges, aber schwaches und verfolgtes Volk – die wir unsere Umgebung zu spüren bekommen, dadurch geprüft werden und leiden. Doch das himmlische Priestertum dessen, der dafür allein zuständig und fähig ist, hat zum Ziel, uns durch alle Widerstände hindurchzuführen.

Aber jetzt wollen wir eine andere Seite unseres Gegenstandes betrachten. Ist es möglich, dass wir sündigen, obwohl wir ein heiliges Volk sind? Mit dem «wir» ist die Familie Gottes gemeint, alle Heiligen, alle, die den Namen des Herrn Jesus tragen und Ihn «in Unverderblichkeit» lieben (Eph 6,24), alle, die Ihn anrufen «aus reinem Herzen» (2. Tim 2,22). Können solche nicht fallen? Können sie nicht aus Mangel an Wachsamkeit straucheln und so den Heiligen Geist Gottes betrüben? Leider ja. «Denn wir alle straucheln oft» (Jak 3,2). Das ist Sünde. Nenne es nicht Schwachheit, sondern Sünde. Benütze nicht das Wort «Fehltritt» für eine Sache, die wirklich sündig ist, als sei sie etwas, das zwischen Schwachheit und Sünde liegt. Nenne die Dinge bei ihrem wahren Namen. Die Gnade ermutigt uns, vollkommen wahr und aufrichtig zu sein, ehrlich vor Gott und Menschen. Darüber hinaus lehrt sie uns, die Rechte und Ansprüche Gottes aufrechtzuhalten im Gegensatz zur alten Natur (der wir uns durch Ihn für gestorben halten dürfen), die, wenn sie nicht als absolut verdorben behandelt wird, nur Früchte zur Verunehrung Gottes hervorbringt.

Wenn jemand sündigen sollte, was für ein Mittel kennt das Wort dann dafür? Den Sachwalterdienst Christi (1. Joh 2,1). Wie wichtig ist es, diese beiden Dienste göttlicher Barmherzigkeit und lebendiger Gnade, Hohepriestertum und Sachwalterschaft, die unser Herr Jesus jetzt zur Rechten Gottes ausübt, zu unterscheiden! Ihm stehen dort beide zu und finden ihre Anwendung auf uns hier auf der Erde. Aber sie haben nicht den gleichen Charakter, und wenn wir sie vermengen, verlieren wir die besondere Kraft jedes einzelnen. So ist es immer. Wenn wir zwei verschiedene Wahrheiten durcheinander bringen, wird jede entkräftet oder geht sogar verloren. Man mag eine undeutliche Ahnung von beiden haben, aber die Frucht und der volle Trost, die jede geben, fehlen uns. Doch der Herr hat uns beide Wahrheiten geschenkt und möchte, dass wir uns beider erfreuen.