Ablegen und begierig sein

1. Petrus 2,1-2

Der Apostel Petrus fordert seine Briefempfänger zu diesen beiden Aktivitäten auf, die für jeden Christen eine entscheidende Rolle spielen:

«Legt nun ab alle Bosheit und allen Trug und Heuchelei und Neid und alles üble Nachreden, und wie neugeborene Kinder seid begierig nach der vernünftigen, unverfälschten Milch, damit ihr durch diese wachst zur Errettung» (1. Pet 2,1.2).

Die Adressaten

Die Aufforderung, etwas abzulegen und gleichzeitig begierig zu sein, richtet sich an Menschen, die neues Leben haben. Sie sind wiedergeboren aus unverweslichem Samen «durch das lebendige und bleibende Wort Gottes» (1. Pet 1,23). Der natürliche Mensch kann und will diesen Aufforderungen keine Folge leisten. Er wird die genannten Dinge nicht ablegen können und kein Verlangen nach Gottes Wort haben. Menschen hingegen, die göttliches Leben besitzen, sollen

  • erstens alles ablegen, was nicht zum neuen Leben gehört, und
  • zweitens sich von dem nähren, woraus sie geboren worden sind.

Jakobus äussert einen ähnlichen Gedanken: «Deshalb legt ab alle Unsauberkeit und alles Überfliessen von Schlechtigkeit, und nehmt mit Sanftmut das eingepflanzte Wort auf, das eure Seelen zu erretten vermag» (Jak 1,21). Um geistliche Fortschritte machen zu können, müssen wir bestimmte Verhaltensweisen ablegen, die uns am Wachstum hindern, und gleichzeitig Appetit auf die gute Nahrung des Wortes Gottes zeigen.

Legt nun ab

Bei unserer Bekehrung und Neugeburt haben wir den alten Menschen abgelegt und den neuen angezogen (Eph 4,22-24; Kol 3,9.10). Dennoch ist die alte Natur (das Fleisch, die Sünde als böses Prinzip) noch in uns und versucht, hässliche Früchte hervorzubringen. Diese «Auswüchse» (Glieder) müssen wir «töten» (Kol 3,5). Sie gleichen einem schmutzigen und unbrauchbaren Kleid, das nicht mehr zu uns passt und das wir deshalb nicht mehr tragen wollen und weglegen.

Der von neuem Geborene ist nicht mehr im Fleisch, sondern im Geist (Röm 8,9). Unser Leben trägt grundsätzlich den Charakter Dessen, der es geschenkt hat. Dennoch können wir fleischlich leben. Die genannten Sünden, die zum Leben vor unserer Bekehrung gehören, können immer noch sichtbar werden. Die neue Natur in uns wünscht, Gott zu gefallen, aber die alte Natur kann nur die alten Früchte hervorbringen. Deshalb gilt es, sie «abzulegen». Damit ist nicht nur gemeint, dass wir diese hässlichen Auswüchse des Fleisches dann, wenn sie sich zeigen, aus dem Herzen entfernen. Die Aussage schliesst ein, dass wir permanent in einem Zustand sein sollen, in dem wir diese Sünden im Leben nicht tolerieren. Es versteht sich von selbst, dass wir das nicht in eigener Kraft, sondern nur in der Kraft des Heiligen Geistes tun können.

Petrus hatte am Ende von Kapitel 1 von der Bruderliebe als einem wesentlichen Kennzeichen des neuen Lebens gesprochen. Gleichzeitig hatte er dazu aufgefordert, einander zu lieben. Die jetzt genannten Verhaltensweisen sind der Wirksamkeit der Bruderliebe völlig entgegen und verhindern, dass wir uns wirklich lieben:

Alle Bosheit

Mit Bosheit wird ganz allgemein die schlechte Beschaffenheit von Personen und Dingen beschrieben. Hier ist es «alle Bosheit», weil sie viele Facetten hat. Es ist eine Haltung der Bösartigkeit oder Boshaftigkeit, in der man dem anderen etwas Übles will oder ihm etwas Schlechtes gönnt. In Jakobus 1,21 wird dieses Wort mit «Schlechtigkeit» übersetzt. Es ist klar, dass Bosheit der Liebe total entgegen ist. Deshalb sollen wir uns davon fernhalten und in einem Zustand sein, wo Gedanken der Bosheit erst gar nicht im Herzen aufkommen.

Allen Trug

Auch Trug hat viele Erscheinungsformen. Gemeint ist, hinterlistig, gerissen und verschlagen zu agieren. In Apostelgeschichte 13,10 wird das Wort mit «List» übersetzt. Genau das war die Methode der Pharisäer, mit der sie Jesus greifen wollten (Mt 26,4). Wer trügerisch handelt, legt einen Köder aus, um den anderen mit Worten zu fangen. So tat es Satan, als er Eva verführte. Trug ist nicht einfach Lüge oder Unwahrheit, Trug ist subtiler. Wer trügerisch redet, gibt bestimmte Sachverhalte so wieder, dass der Zuhörer zwingend zu einer falschen Schlussfolgerung kommen muss. Dazu gehören auch «halbe Wahrheiten». Somit steht Trug nicht nur im Gegensatz zur Wahrheit, sondern auch zur Aufrichtigkeit. Bei unserem Herrn gab es keinen Trug (1. Pet 2,22). Er war stets das, was Er sagte (Joh 8,25).

Heuchelei

Heuchelei ist Schauspielerei. Man gibt etwas vor, was man gar nicht ist, oder man will etwas nicht sein, was man in Wirklichkeit doch ist. Heuchelei ist das Gegenteil von Wahrhaftigkeit und Transparenz, die unseren Herrn immer kennzeichneten. Heuchler handeln oft unter dem Deckmantel einer zur Schau gestellten Frömmigkeit. So war es bei den Pharisäern (Mt 23,28; Lk 12,1). Petrus mag sich daran erinnert haben, wie er selbst einmal in diese Sünde gefallen war (Gal 2,13). Als Gläubige sind wir davor nicht gefeit. Wer sein Leben z.B. in die zwei Rubriken «Sonntagschrist» und «Alltagschrist» einteilt, wird sehr leicht ein Heuchler.

Neid

Neid ist Missfallen, wenn man sieht, dass es anderen besser geht oder sie mehr haben. Neid will das haben, was der andere hat. Neid war der Grund, warum man Jesus überlieferte (Mt 27,18). Auch hier müssen wir als Gläubige aufpassen. Jakobus fragt: «Oder meint ihr, dass die Schrift vergeblich rede? Begehrt der Geist, der in uns wohnt, mit Neid?» (Jak 4,5). Neid kann sich auf Materielles (Geld, Vermögen, Besitz usw.) oder auf Immaterielles (Wissen, Können, Ehre, Einfluss usw.) beziehen. Neid gibt es sogar in geistlichen Belangen und führt häufig zu Streit: «Denn da Neid und Streit unter euch ist, seid ihr nicht fleischlich und wandelt nach Menschenweise» (1. Kor 3,3; vgl. Jak 3,16). Die Liebe hingegen neidet ausdrücklich nicht (1. Kor 13,4).

Alles üble Nachreden

Das Wort kommt ausser an dieser Stelle nur noch in 2. Korinther 12,20 vor und wird dort mit «Verleumdungen» übersetzt. Gemeint ist das, was wir allgemein als «Rufmord» bezeichnen. Ein anderer wird mit Worten herabgesetzt, beschuldigt, verleumdet und in Verruf gebracht. Übles Nachreden ist ein Missbrauch der Zunge, vor dem uns Jakobus eindringlich warnt (Jak 3,5). Dabei spielt es eine untergeordnete Rolle, ob das, was gesagt wird, den Tatsachen entspricht oder nicht, obwohl das Letztere häufig der Fall ist.

Oft geschieht übles Nachreden unter dem frommen Vorwand, für die Ehre des Herrn einzustehen und das Böse verurteilen zu wollen. (Anmerkung: Es ist klar, dass damit nicht gemeint ist, dass eine örtliche Versammlung sich nicht mit dem Bösen beschäftigen muss, das leider in ihrer Mitte vorkommen kann. Das ist unbedingt erforderlich, weil wir dazu in 1. Korinther 5 ausdrücklich aufgefordert werden.)

Es ist verhältnismässig einfach, bei einem Bruder einen Fehler festzustellen. Aber die Liebe redet nicht unnötig darüber, sondern bedeckt «eine Menge von Sünden» (1. Pet 4,8). Übles Nachreden hinterlässt in der Regel tiefe, schwer heilbare Wunden, deren Narben manchmal ein Leben lang sichtbar bleiben.

Alle genannten Sünden verletzen nicht nur das neue Gebot unseres Herrn, einander zu lieben, sondern sie verhindern gleichzeitig, dass wir geistlich wachsen.

Begierig wie neugeborene Kinder

Der Kontrast zur vorherigen Aufforderung ist augenscheinlich. In Vers 1 ging es darum, dass wir etwas ablegen sollen. Es ging um negative Dinge. Hier geht es darum, dass wir etwas zu uns nehmen sollen. Das ist positiv. Beides ist wichtig und darf nicht vernachlässigt werden.

Petrus spricht nicht – wie Paulus – vom Anziehen der Eigenschaften des neuen Menschen (Kol 3,12-14), sondern davon, dass wir die unverfälschte Milch verinnerlichen sollen. Wenn wir nach ihr begehren und sie zu uns nehmen, wird sie ein Teil von uns. Sie verändert nicht nur das äussere Verhalten, sondern bewegt zunächst etwas in unserem Inneren, was dann nach aussen sichtbar wird.

Petrus gebraucht dazu ein bekanntes Bild aus dem täglichen Leben, um die Intensität und Unbeirrbarkeit zu zeigen, mit der wir nach der guten geistlichen Nahrung des Wortes Gottes verlangen sollen. Er spricht von einem neugeborenen Kind. Ein Säugling kann nichts tun, damit ihm die Mutter die notwendige Nahrung gibt, ausser dass er sich durch lautes Schreien bemerkbar macht und die angebotene Nahrung zu sich nimmt. Es ist typisch für ein Neugeborenes, begierig nach der Milch zu sein.

Vernünftige, unverfälschte Milch

Die Neugeburt ist der Startpunkt für das Leben als Christ. Das neue Leben braucht Nahrung, damit es sich entwickelt. Ein Säugling bekommt mit der Muttermilch die Nahrung, die aus derselben Quelle hervorkommt, aus der er selbst geboren ist. Wir sind aus dem Wort Gottes geboren und deshalb ist es normal, dass wir nach der biblischen Nahrung verlangen. Dadurch stärkt Gott das neue Leben und erhält es aufrecht. So wie die Muttermilch dem Säugling alles gibt, was er braucht, ist Gottes Wort ausreichend für alle Bedürfnisse des neuen Lebens in uns. Und – im Gegensatz zur Milch einer Mutter – ist es eine nie versiegende Quelle.

Der Begriff «Milch» wird in der Bibel zum einen für das natürliche Nahrungsmittel gebraucht (z.B. 1. Kor 9,7). Zum anderen finden wir das Wort im übertragenen Sinn, um die Speise des Christen zu beschreiben. Ein Vergleich von 1. Petrus 2,2 mit 1. Korinther 3,2 und Hebräer 5,12.13 zeigt allerdings einen wichtigen Unterschied. An den beiden letztgenannten Stellen wird die Milch mit der Anfangsnahrung verglichen, während der erwachsene Christ feste Speise zu sich nehmen sollte. Bei Petrus ist das anders. Sein Bild zeigt die Begierde nach der Nahrung des Wortes Gottes, die uns immer kennzeichnen soll. Der Christ ist im Sinn dieses Verses immer ein «neugeborenes Kind». Wir sind und bleiben es das ganze Leben lang. Petrus wendet sich nicht speziell an junge Gläubige oder an solche, die im Glauben zurückgeblieben sind. Es geht ihm vielmehr um das generelle Verlangen nach dem Wort Gottes, aus dem wir von neuem geboren worden sind. Diese Begierde soll den ältesten Gläubigen genauso kennzeichnen wie den jüngsten.

Dabei fällt auf, dass Petrus das «Wort Gottes» nicht ausdrücklich erwähnt. Dennoch gibt es keinen Zweifel, dass es genau darum geht. Er nennt die Milch nämlich «vernünftig» und «unverfälscht». Das weist auf das Wort Gottes hin:

  • Das Wort «vernünftig» bedeutet einsichtsvoll und zeigt deshalb, dass es die Nahrung für unser geistliches Verständnis ist. Es ist die Speise, die uns einsichtsvoll und vernünftig macht. Der Psalmdichter sagt: «Die Eröffnung deiner Worte erleuchtet, gibt Einsicht den Einfältigen» (Ps 119,130). Der Begriff «vernünftig» wird ebenso in Anlehnung an den Begriff «Wort» (griechisch Logos) gebraucht. Die Fussnote der Elberfelder Übersetzung sagt; «wortgemäss» oder «vom Wort dargeboten».
  • Der Ausdruck «unverfälscht» kommt nur hier vor. Gemeint ist, dass etwas – hier das Wort – frei von Täuschung und Betrug ist. Wenn wir allerdings gestatten, dass Menschen etwas «beimischen», werden wir leicht in die Irre geführt. Wenig «Gift» von aussen genügt schon, um alles zu verderben. Das macht klar, dass wir vorsichtig sein müssen, welche Literatur wir lesen. Gerade im christlichen Bereich gibt es ein vielfältiges Angebot. Nicht jede Bibelauslegung fusst auf der gesunden Lehre des Wortes Gottes und birgt deshalb die Gefahr in sich, dass wir – vielleicht ungewollt – etwas zu uns nehmen, das unserer geistlichen Entwicklung schadet.

Zur Errettung wachsen

Ohne im Rahmen dieses Artikels auf das konkrete Ziel des Wachstums einzugehen (wachsen zur Errettung), sei abschliessend darauf hingewiesen, dass es für jeden Gläubigen – unabhängig von seinem Alter, seiner geistlichen Einsicht und seinem Reifegrad – unabdingbar ist, sich täglich vom Wort Gottes zu nähren. Wenn er dies nicht tut, wird es Probleme und Störungen im geistlichen Wachstum geben. Es ist kein «Automatismus», dass wir geistlich wachsen, sondern an die Bedingung geknüpft, dass wir uns vom Wort Gottes nähren. Geistliche Kraft und Gesundheit hängen entscheidend davon ab, ob wir uns als Christen richtig ernähren und das Wort Gottes täglich «verinnerlichen», damit es zu einem Teil von uns wird und uns prägt.