Den Herrn Jesus sehen

Johannes 1,38-39; Johannes 12,21; Lukas 24,27; Hebräer 2,9

In Matthäus 23,39 kündigte der Herr Jesus seinem Volk Israel und vor allem seinen Führern an, dass sie Ihn von jetzt an nicht sähen, bis sie sagen würden: «Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn!»

Weil dieses Volk seinen Messias, der als das Fleisch gewordene Wort, als der Sohn Gottes in Knechtsgestalt, zu ihnen gekommen war, abgelehnt hatte, würde es Ihn vorerst nicht sehen. Es sollte eine lange Zeit vergehen und es würden schlimme Gerichte kommen, bis das irdische Volk Gottes einsehen würde, dass dieser Jesus, der unter ihnen gelebt hatte und den sie schliesslich ans Kreuz genagelt hatten, der verheissene Messias war. Es würde lange dauern, bis sie dahin geführt werden, Ihn zu erwarten und Ihn als Den anzuerkennen, der im Namen des Herrn zu ihnen kommt.

Diese lange Zeit entspricht der Unterbrechung der Zeitrechnung Gottes für sein irdisches Volk, die schon der Prophet Daniel angekündigt hatte. Nach der 69. Jahrwoche (Dan 9,24-27) würde es einen Einschub geben – die Zeit der Gnade, in der wir heute leben. Das Ende der 69. Jahrwoche wird dadurch markiert, dass der Messias weggetan wird. Das entspricht der Kreuzigung des Herrn Jesus.

Die 70. Jahrwoche ist die Zeit der Gerichte, die über diese Erde und insbesondere über das Volk der Juden kommen wird. Diese letzte Periode von sieben Jahren wird dadurch abgeschlossen, dass der Messias auf dem Ölberg erscheinen und sein Volk von seinen Feinden und aus aller Drangsal retten wird. Doch dazwischen liegt die Zeit, in der Israel den Herrn Jesus nicht sehen wird. Es wird keine Beziehung zwischen Gott und seinem irdischen Volk geben. Es ist eine Periode, die in der Zeitrechnung Gottes für sein Volk nicht zählt – eine Zeit, die in diesem Sinn in Gottes Augen keinen Wert hat.

Das, was für ein ganzes Volk gilt, trifft auch auf das praktische Leben eines Einzelnen zu: Die Zeit, in der wir nicht in Gemeinschaft mit Gott leben, in der wir den Herrn nicht sehen, ist für Gott ohne Wert. Jakob hatte das nach einem langen Leben gelernt. Er drückt es in seiner Lebensbilanz in 1. Mose 47,9 aus. Dort sagt er: «Wenig und böse waren die Tage meiner Lebensjahre.» Er fand Gott – d.h. die Gemeinschaft mit Ihm – erst in Bethel wieder (1. Mo 35; Hos 12,5). Wie viel Zeit war bis dahin vergangen!

Es gibt viele Bibelstellen, die uns auf den Herrn Jesus hinweisen, in denen wir Ihn sehen dürfen. Das sollte unser Leben ausmachen. Was bedeutet es, ein Vater in Christus zu sein? Ein solcher hat Den erkannt, der von Anfang ist (1. Joh 2,13.14). Das bedeutet, dass sein Gesichtskreis durch den Herrn Jesus ausgefüllt ist. Mehr braucht ein Vater in Christus nicht.

Wollen wir uns nicht ermuntern lassen, wieder mehr in Gemeinschaft mit Gott zu leben, wieder mehr den Herrn Jesus zu sehen? Gemeinschaft mit dem Vater und mit seinem Sohn bedeutet doch, gemeinsam mit dem Vater auf den Sohn blicken und gemeinsam mit dem Sohn über den Vater nachdenken. Gott ist im Sohn offenbart. Betrachten wir Ihn! Das wird unser Herz erfüllen und unser Leben verändern.

Den Herrn Jesus sehen – als Mensch auf der Erde

«Sie aber sagen zu ihm: Rabbi (was übersetzt heisst: Lehrer), wo hältst du dich auf? Er spricht zu ihnen: Kommt und seht!» (Joh 1,38.39)

«Herr, wir möchten Jesus sehen» (Joh 12,21).

Der Herr Jesus hat als Mensch auf der Erde gelebt. Er war hier als das Bild des unsichtbaren Gottes. In Ihm wurde Gott sichtbar. Wer Ihn gesehen hatte, hatte den Vater gesehen. So forderte Er selbst die Jünger von Johannes dem Täufer auf, Ihm zu folgen und zu sehen, wo Er sich aufhielt. Diese beiden blieben jenen Tag bei Ihm, und dieser eine Tag veränderte ihr ganzes Leben.

Der Herr Jesus wusste, dass vom Anschauen seiner Person eine gewaltige Macht ausging. Er überzeugte sie einfach dadurch, dass sie Ihn beobachteten. Es war keine spezielle Predigt nötig. Allein das Betrachten seiner Person genügte, um die beiden zu überzeugen.

Als der öffentliche Dienst des Herrn Jesus hier auf der Erde zu Ende ging, kamen einige Griechen, die hinaufgingen, um auf dem Fest anzubeten, zu Philippus. Sie hatten den Wunsch, Jesus zu sehen. Für den Herrn war dies der Anlass, um etwas von der Herrlichkeit seiner Person zu offenbaren. Er würde einmal – in der Zeit des Tausendjährigen Reiches – in Herrlichkeit erscheinen. Dann würden alle Völker der Erde Ihm unterworfen sein. Doch zunächst stand Er im Begriff, den Weg über das Kreuz und das Grab zu wählen. Als das Weizenkorn würde Er in die Erde fallen und sterben. Das wollte Er tun, um Frucht zu haben.

Doch als dieser Weg so vor der Seele des Heilands stand, rief Er aus: «Jetzt ist meine Seele bestürzt.» Wie sehr hat Ihn der Gedanke an die Schrecklichkeit des Kreuzes erschüttert! Doch wieder offenbart sich nur Herrlichkeit: «Was soll ich sagen? Vater, rette mich aus dieser Stunde! Doch darum bin ich in diese Stunde gekommen. Vater, verherrliche deinen Namen!» Dazu kann der Himmel nicht schweigen. Der Name des Vaters war bereits verherrlicht worden (durch die Auferweckung des Lazarus), und er würde wiederum verherrlicht werden. Der Herr Jesus würde auferstehen. Dadurch sollte die völlige Annahme seines Werkes bestätigt werden. Wunderbarer Heiland und Herr!

So offenbarte der Herr Jesus seine Herrlichkeit, als Er den Wunsch von Menschen vernahm, Ihn zu sehen. So wird Er auch heute seine Herrlichkeit offenbaren, wenn wir mit diesem Wunsch die Evangelien lesen, um Ihn als Mensch auf der Erde und am Kreuz von Golgatha zu betrachten.

Den Herrn Jesus sehen – als verherrlichten Menschen im Himmel

«Wir sehen aber Jesus, der ein wenig unter die Engel wegen des Leidens des Todes erniedrigt war, mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt» (Heb 2,9).

Die Blicke der Hebräer, die durch manche Schwierigkeiten gehen mussten und in Gefahr standen, zum Sichtbaren des jüdischen Gottesdienstes zurückzukehren, werden nach oben gerichtet. Dorthin, wo der Herr Jesus jetzt ist und wo wir einmal bei Ihm sein werden. Ihnen wird gesagt, dass wir Ihn jetzt schon mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt sehen.

Er war auf dieser Erde gewesen und in den Tod gegangen. Er war ein wenig (eine kurze Zeit) unter die Engel erniedrigt. Aber jetzt ist Er hoch erhoben und verherrlicht. Die Dornenkrone hat Er mit der Krone der Ehre und Herrlichkeit vertauscht. Er nimmt den Ehrenplatz zur Rechten Gottes ein. Dort sehen wir Ihn heute schon.

Obwohl wir wissen, dass alles seinen Füssen unterworfen ist, sehen wir Ihm noch nicht alles unterworfen. Doch die Tatsache, dass wir Ihn jetzt mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt auf dem Ehrenplatz zur Rechten Gottes sehen, ist die Garantie dafür, Ihn auch einmal zu sehen, wie Ihm alles unterworfen ist. Da Er als unser Vorläufer in der Herrlichkeit weilt, wissen wir mit Bestimmtheit, dass auch wir einmal dort am Ziel ankommen werden.

So dürfen wir in vielen Bibelstellen – vor allem in den Briefen des Neuen Testaments – den Herrn Jesus als den verherrlichten Menschen im Himmel anschauen. Das wird uns auf den Himmel, auf unsere eigentliche Heimat, ausrichten. Es wird auch unsere Beziehung zu den irdischen Belangen prägen und uns Kraft und Mut geben, wenn wir hier auf der Erde noch Widerstand erleben müssen. Und es wird uns den Sieger von Golgatha gross machen.

Als Joseph nach der Versöhnung mit seinen Brüdern diese zu ihrem Vater zurücksandte, um ihn nach Ägypten zu holen, trug er ihnen auf: «Berichtet meinem Vater alle meine Herrlichkeit!» Zuerst wollte Jakob nicht glauben. Doch als er etwas von der Herrlichkeit Josephs erblickte, wurde sein Herz überwältigt, und er rief aus: «Genug! Joseph, mein Sohn, lebt noch! Ich will hinziehen und ihn sehen, ehe ich sterbe» (1. Mo 45,13.28). Dieses Verlangen wird auch in uns erwachen, wenn wir den Herrn Jesus in der Herrlichkeit anschauen.

Den Herrn Jesus sehen – in den Schriften

«Und von Mose und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn selbst betraf» (Lk 24,27).

Auch in den Schriften des Alten Testaments dürfen wir den Herrn Jesus finden. Er selbst hatte den Jüngern, die auf dem Weg nach Emmaus waren, das Verständnis dafür geöffnet. Er erklärte ihnen in allen Schriften – es waren die des Alten Testaments – das, was Ihn selbst betraf.

Die Folge war, dass die niedergeschlagenen Herzen der Jünger zu brennenden Herzen wurden. Ihre Füsse, die sie von den anderen Jüngern weggeführt hatten, wurden zu Füssen, die nach Jerusalem zurückkehrten. Und ihre Lippen, die über eine hoffnungslose Situation und über ihre persönliche Enttäuschung sprachen, wurden zu Lippen, die vom Herrn Jesus erzählten.

Später sollte ein Mann aus fernem Land in den Schriften des Alten Testaments den Herrn Jesus finden. Das führte ihn zur Bekehrung, weckte in ihm den Wunsch zu einem Leben in der Nachfolge seines Erlösers und Herrn und liess ihn seinen Weg mit Freuden weiterziehen (Apg 8).

Wie viele Bilder im Alten Testament sprechen eine lebendige Sprache vom Herrn Jesus. Und wie viele Herzen sind schon froh geworden, als sie Ihn in den Schriften gefunden haben!

Wenn der Blick einmal verdunkelt ist

Zum Schluss denken wir an zwei Begebenheiten, in denen der Blick auf den Herrn Jesus verdunkelt war. Maria Magdalene steht am leeren Grab ihres Herrn. Sie war allein dort geblieben, nachdem die Jünger wieder nach Hause gegangen waren. Doch wohin sollte sie gehen, nachdem sie ihren Meister, ihr Ein und Alles, verloren hatte? Alles schien verloren. Nirgends konnte sie zur Ruhe kommen. Tränen füllten ihre Augen.

Doch der Herr Jesus weiss um die Not der Seinen. Er kennt ihre Empfindungen. Er lässt Maria nicht allein. Er selbst kommt zu ihr. Er spricht sie mit ihrem Namen an. Dieses eine Wort aus dem Mund des Herrn verändert alles. Maria empfängt noch eine besondere Offenbarung aus seinem Mund. Dann verkündigt sie den Jüngern, dass sie den Herrn gesehen habe. Den Herrn sehen – welch eine Veränderung im Leben dieser Frau!

Etwas später an diesem Tag sind die Jünger zusammen. Furcht vor den Juden lässt sie die Türen verschliessen. Da tritt der Herr selbst in ihre Mitte mit den Worten: «Friede euch!» Er zeigt ihnen seine Hände und seine Seite. Da freuen sich die Jünger, den Herrn zu sehen. Doch Thomas ist nicht dabei. Was hat er verpasst! Er hat die Gelegenheit versäumt, den Herrn zu sehen.

Als die Jünger ihn später treffen, sprechen sie ihn an. Was sagen sie zu ihm? Fragen sie ihn, wo er gewesen sei? Bitten sie um eine Erklärung für sein Fehlen? Sie sagen ihm genau das, was ihre Herzen erfüllte: «Wir haben den Herrn gesehen.» Ihn zu sehen – das hat sie glücklich gemacht. Davon sind sie erfüllt. Das führt dazu, dass Thomas am nächsten Sonntag auch dabei ist. Wieder kommt der Herr Jesus. Auch Thomas darf Ihn sehen. Und weil er sieht, glaubt er.

Wie gross ist die Gnade Gottes, in der Er sich immer bemüht, die Blicke wieder ganz auf den Herrn Jesus zu richten. Der Blick auf diese herrliche Person wird auch heute noch Grosses bewirken.

«Als sie aber ihre Augen aufhoben, sahen sie niemand als Jesus allein» (Mt 17,8).