Die Person und das Werk des Herrn Jesus
«Dies redete Jesus und erhob seine Augen zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn, damit dein Sohn dich verherrliche – so wie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch, damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe. Dies aber ist das ewige Leben, dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte. Und nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war» (V. 1-5).
Dies redete Jesus …
Mit diesen Worten beginnt das Kapitel. Damit wird auf die vorherigen Kapitel des Johannes-Evangeliums Bezug genommen. Ab Kapitel 13 ist der Herr mit seinen Jüngern zusammen und richtet seine letzten Worte an sie, bevor Er sich anschickt, den Weg nach Golgatha zu gehen. Um Kapitel 17 richtig zu erfassen, müssen wir einige kurze Bemerkungen zu den Kapiteln 13 – 16 machen:
In Kapitel 13 macht uns der Herr zwei Punkte klar:
Erstens gibt Er den Jüngern ein Beispiel, indem Er ihnen die Füsse wäscht. Diese Fusswaschung haben wir alle nötig. Wenn wir uns nicht ständig von den Befleckungen dieser Welt reinigen, können wir keine Gemeinschaft mit Ihm haben. Reinigung ist nötig. Sie wird durch das Wort Gottes zustande gebracht. In erster Linie handelt es sich dabei um Verunreinigungen durch Sünden. Bei der Fusswaschung geht es aber darüber hinaus auch um ein Reinigen von irdischen Dingen, die unsere Gemeinschaft mit dem Herrn trüben. Besonders in Johannes 17 – aber auch schon vorher – geht es um himmlische und ewige Dinge, mit denen wir es zu tun haben. Da hat weder Irdisches noch Zeitliches einen Platz. Alles in unserem Leben, was im Widerspruch zum Vaterhaus steht, muss durch die Wirksamkeit des Wortes Gottes immer wieder weggenommen, d.h. gereinigt werden.
Zweitens wird uns in Kapitel 13 gesagt, dass nur jene Gemeinschaft mit dem Herrn haben können, die Leben aus Gott haben. Zudem ist ewiges Leben erforderlich, um den allein wahren Gott und den Er gesandt hat, Jesus Christus, zu erkennen. Ein frommes Bekenntnis genügt nicht. Judas hatte ein solches, aber keinen inneren Anteil an der Wahrheit, die der Herr Jesus hier vorstellt. Eine äussere Nachfolge genügt nicht. Das musste zuerst geklärt werden. Der Herr tut es in Kapitel 13.
In Kapitel 14 ist der Herr Jesus bemüht, seinen Jüngern klar zu machen, dass sie ihr Leben in Gemeinschaft mit dem Vater führen. Wir freuen uns nicht nur auf die Herrlichkeit des Vaterhauses, die vor uns liegt, sondern wir geniessen hier auf der Erde die tägliche Gemeinschaft mit dem Vater. Wir haben vertrauten Umgang mit Ihm. Der Herr sagt zu seinen Jüngern: «Wenn jemand mich liebt, wird er mein Wort halten, und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm machen» (V. 23). Mit diesen Worten verspricht Er uns die Gemeinschaft mit dem Vater und mit Ihm.
Kapitel 15 handelt vom Weinstock und den Reben. Unser Leben soll nicht ohne Frucht sein. Der Herr möchte, dass wir Frucht für Ihn und den Vater bringen – und zwar viel Frucht, mehr Frucht und bleibende Frucht. Dadurch wird der Vater verherrlicht.
In Kapitel 16 stellt der Herr uns die Hilfsquellen vor, die uns gegeben sind, damit wir in einer gottfeindlichen Welt bestehen können. Er spricht vom Geist der Wahrheit – dem Sachwalter oder Fürsprecher oder Tröster –, den Er selbst senden würde. Es ist der Heilige Geist, der jetzt in jedem Kind Gottes wohnt. «Und wenn er gekommen ist, wird er die Welt überführen» (V. 8). Er zeigt uns, was die Welt ist und stellt sie bloss.
Noch etwas wird in den Worten «dies redete Jesus» deutlich gemacht. In Johannes 17 haben wir ohne Frage den ewigen Sohn Gottes vor uns, der zu seinem Vater spricht. Es ist Gott, der Sohn. Aber dieser Sohn ist Mensch geworden. Es ist «Jesus», der hier redet. «Jesus» ist der Name seiner Menschheit und Niedrigkeit. Dieses Geheimnis seiner Person – Gott und Mensch in einer Person – können wir nicht ergründen. Es kommt in diesem Kapitel deutlich vor uns. Es ist der Mensch Jesus, der hier redet. Doch es ist niemand anders als der ewige Sohn der Liebe des Vaters.
… und erhob seine Augen zum Himmel und sprach
Diese Aussage macht deutlich, dass es jetzt um himmlische, ewige und göttliche Dinge geht. Was in den Worten des Herrn vor uns kommt, hat nichts mit dieser Erde zu tun. Es ist nicht an diese Zeit gebunden. Es sind auch keine menschlichen Gedanken. Das sollte uns beim Auslegen der nun folgenden Worte vorsichtig machen.
Der Herr Jesus sieht auf zum Himmel und spricht. Es ist eine wunderbare Gnade, die wir nicht unterschätzen wollen, dass wir jetzt Ohrenzeugen werden, wie göttliche Personen miteinander reden. Der Sohn wendet sich an den Vater.
Wir haben hier nicht – wie manchmal gesagt wird – das hohepriesterliche Gebet des Herrn. Der Hebräer-Brief stellt uns den Herrn als unseren grossen Hohenpriester vor. Aber hier im Johannes-Evangelium spricht nicht der Hohepriester zu Gott, sondern der Sohn wendet sich an den Vater. Das geht ungleich tiefer. Es ist Gott, der Sohn, der zu Gott, dem Vater, redet, und die Jünger hören zu. Wohl sind sie die Gegenstände des Gebets des Herrn; was Er aber sagt, ist doch unendlich viel mehr als seine Fürsorge als Hoherpriester bei Gott.
Es gibt nicht viele Stellen in der Bibel, wo uns gestattet wird zu hören, wie und was göttliche Personen zueinander sagen:
Wir denken an 1. Mose 1,26, wo es heisst: «Und Gott sprach: Lasst uns Menschen machen.» Uns – das meint die Gottheit.
Dann denken wir an die Szene, als unser Heiland am Jordan von Johannes getauft wurde und Gott nicht zulassen konnte, dass man seinen Sohn mit bußfertigen Sündern auf eine Stufe stellte. Die Himmel wurden Ihm aufgetan, und wieder werden wir Ohrenzeugen einer Rede unter göttlichen Personen. Es ist der Vater, der zum Sohn spricht. Matthäus schildert die Szene so, dass Gott zu den Dabeistehenden spricht: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe» (Mt 3,17). Aber sowohl bei Markus als auch bei Lukas richtet sich der Vater unmittelbar an den Sohn: «Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden» (Mk 1,11; Lk 3,22). Welch eine Gnade, die Stimme des Vaters direkt an den Sohn gerichtet zu hören!
Wir erinnern uns auch an Johannes 12. Dort spricht wieder der Sohn zum Vater: «Vater, verherrliche deinen Namen!» Die Antwort lässt nicht auf sich warten: «Da kam eine Stimme aus dem Himmel: Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn auch wiederum verherrlichen» (V. 28). Die erste Verherrlichung des Namens des Vaters geschah bei der Auferweckung des Lazarus aus den Toten. Doch Er würde noch einmal verherrlicht werden, und zwar bei der Auferweckung des Herrn Jesus aus den Toten.
Die Herrlichkeit des Vaters und der Ratschluss Gottes
Der Sohn wendet sich nun an den Vater. Welch eine Tiefe liegt in der Anrede: «Vater»! Der grosse Leitgedanke des ganzen Kapitels ist der Name des Vaters. Es wird uns gezeigt, was der Name des Vaters ist und was er bedeutet – allgemein und speziell für die Seinen. Es geht also vor allem um die Herrlichkeit des Vaters und nicht so sehr – jedenfalls nicht im Vordergrund – um den Ratschluss Gottes. Was ist der Unterschied zwischen beiden?
Die Herrlichkeit des Vaters können wir nicht besser ausdrücken als mit den Worten der Heiligen Schrift selbst. In Johannes 1,1.2 steht die gewaltige Aussage: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott.» Gott benutzt hier Worte, die wir Menschen fassen können, um uns etwas zu zeigen, was wir an sich nicht fassen können. Er spricht von einem Anfang, und doch ist das, was uns vorgestellt wird, nicht an die Zeit gebunden. Es ist die Ewigkeit vor der Zeit.
Die Bibel spricht an verschiedenen Stellen von einem «Anfang». Aber kein Anfang führt uns weiter zurück als dieser Anfang. Zudem «begann» dort nicht etwas, sondern es «war». Im Anfang war Gott, der Vater. Er hatte den Sohn, und Er hatte Ihn lieb. Das ist die Herrlichkeit des Vaters. Am Ende des Kapitels wird dies deutlich. Da spricht der Herr Jesus davon, dass wir im Vaterhaus einmal seine Herrlichkeit schauen werden, die der Vater Ihm gegeben hat, und begründet es mit den Worten: «Denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt» (V. 24).
Wenn wir jetzt vom Ratschluss Gottes reden, müssen wir in unseren Formulierungen vorsichtig sein. Statt Ratschluss können wir auch vom ewigen Vorsatz oder von der Auserwählung vor Grundlegung der Welt sprechen. Es ist nicht ganz einfach zu entscheiden, welches Wort wir hier benutzen sollen. Bleiben wir einmal beim Ausdruck «Ratschluss». Dieser Ratschluss ist einerseits ein «ewiger». Es gab ihn schon immer. Anderseits wurde er doch «gefasst» (Eph 3,10.11). Menschlich ausgedrückt würde es also in der Ewigkeit vor der Zeit einen bestimmten Moment gegeben haben, da Gott diesen Ratschluss «fasste». Dennoch drückt die Bibel sich nicht so aus.
Die Schwierigkeit für uns liegt darin, dass wir von der Ewigkeit sprechen, in der es keine «Zeit» gibt. Insofern ist es schwach und unvollkommen, von einem «Zeitpunkt» zu reden, an dem der Ratschluss gefasst wurde. Wir sind aber in Übereinstimmung mit dem Wort Gottes, wenn wir sagen, dass der Ratschluss gefasst worden ist. Dieser Vorsatz Gottes, den Er vor Grundlegung der Welt gefasst hat, ist in unserem Kapitel ein ganz wichtiger Nebengedanke. Bevor es jedoch irgendeinen Ratschluss oder Plan gab, der gefasst wurde, gab es Gott, den Vater. Er hatte den Sohn, und Er hatte Ihn lieb. Das ist der Hauptgedanke.
Der Ratschluss Gottes in seinen Hauptpunkten:
Das Zentrum des Ratschlusses Gottes ist Christus. Davon spricht Petrus: «Christus, … der zwar zuvor erkannt ist vor Grundlegung der Welt, aber offenbart worden ist am Ende der Zeit um euretwillen» (1. Pet 1,20). Man hört manchmal sagen, der Herr Jesus sei vor Grundlegung der Welt auserwählt worden. Das ist aber nicht richtig. Die Bibel drückt das nicht so aus. Er ist wohl zuvor erkannt vor Grundlegung der Welt. Um aber jemand aus(er)wählen zu können, braucht es mindestens zwei. Es gab aber in der Ewigkeit vor der Zeit nur den Einen, den Sohn der Liebe des Vaters. – Die Auserwählung des Herrn Jesus fand am Jordan statt, als der Geist wie eine Taube auf Ihn kam und auf Ihm blieb. Davon spricht prophetisch Psalm 89,20.21.
Die Grundlage des Ratschlusses Gottes ist das Erlösungswerk unseres Herrn auf Golgatha. Davon spricht Petrus in seiner Rede in Apostelgeschichte 2,23: «Jesus, den Nazaräer … – diesen, hingegeben nach dem bestimmten Ratschluss und nach Vorkenntnis Gottes.» Und in Kapitel 4,28 erwähnen die Jünger diesen Ratschluss noch einmal. Auf dieser göttlichen Grundlage konnte der Ratschluss Gottes überhaupt ausgeführt werden. Ohne Golgatha wäre es unmöglich gewesen, dass einmal ehemalige Sünder als Kinder des Vaters im Vaterhaus sein würden. Dazu brauchte es das Erlösungswerk des Erretters auf Golgatha – und zwar besonders in seinem Brandopfer-Charakter.
Die Gegenstände des Ratschlusses Gottes – und das macht uns demütig – sind die Glaubenden der Gnadenzeit. Davon spricht Paulus in Epheser 1,4-6: «Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe; und uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens, zum Preise der Herrlichkeit seiner Gnade.» Das ist der Wille Gottes in Bezug auf die Gegenstände seines Ratschlusses: Er wollte aus uns Kinder und uns zu Söhnen machen.
Wir fassen zusammen: Der grosse Leitgedanke ist, dass es in der Ewigkeit Gott, den Vater, gibt, der Gott, den Sohn, liebt. Es ist ein Strom der Liebe, der aus dem Herzen des Vaters zum Sohn fliesst. Der wichtige Nebengedanke ist der Ratschluss Gottes, den Er vor Grundlegung der Welt gefasst hat.
Verherrliche deinen Sohn
«Vater, die Stunde ist gekommen.» – In Kapitel 12,23 sagt Er: «Die Stunde ist gekommen, dass der Sohn des Menschen verherrlicht werde.» Das erfüllte sich am Kreuz von Golgatha, als die Herrlichkeit des vollkommenen Menschen in einzigartiger Weise sichtbar wurde. Auch in Markus 14,41 spricht Er von einer Stunde, die für Ihn gekommen war. Dort denkt Er daran, dass Er in die Hände der Sünder überliefert werden musste. Doch hier steht nicht direkt das Kreuz vor Ihm, sondern die Stunde, in der der Sohn Gottes als Mensch auf der Erde seinen Auftrag erfüllt hat.
«Die Stunde ist gekommen; verherrliche deinen Sohn.» Was das bedeutet, ist nicht schwer zu verstehen. Er meint damit: «Nimm mich auf in den Himmel!» Bei dieser Verherrlichung geht es nicht nur darum, in den Himmel aufgenommen zu werden, sondern der Herr bittet, in Herrlichkeit aufgenommen zu werden. Es ist wahr, dass der Herr Jesus in die Herrlichkeit aufgenommen wurde. Doch hier geht es besonders um den Charakter seiner Aufnahme. Sie geschah «in Herrlichkeit». Diesen Gedanken finden wir auch in 1. Timotheus 3,16, wo Paulus in ergreifender Weise über die Person unseres Herrn Jesus spricht: «Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit.»
«Verherrliche deinen Sohn.» Es ist beeindruckend, dass ein Mensch, der hier auf der Erde steht, zum Vater sagen kann: «Nimm mich auf in den Himmel.» Der Herr Jesus steht hier im Geist hinter dem Werk von Golgatha. Er wusste, dass seine Aufgabe auf der Erde erfüllt war. Er hatte sie in so einzigartiger und wunderbarer Weise vollbracht, dass Er jetzt dem Vater eine solche Bitte vorbringen kann.
Damit dein Sohn dich verherrliche
Der Herr fährt jetzt fort: «Damit dein Sohn dich verherrliche.» Wir sind mit den Ausdrücken «Herrlichkeit» und «verherrlichen» vielleicht so vertraut, dass wir kaum mehr fragen, was sie eigentlich bedeuten. Jemand verherrlichen bedeutet, ihn in seinem Wesen, seiner Vollkommenheit, seiner Grösse darzustellen. Verherrlichen hat mit Darstellung zu tun. Wenn also der Sohn – aufgenommen in Herrlichkeit – jetzt den Vater verherrlicht, dann heisst das, dass Er Ihn vom Himmel aus darstellen wird. Er hat Ihn auf dieser Erde vollkommen verherrlicht (V. 4). Aber jetzt kommt der Gedanke vor uns, dass der Sohn den Vater vom Himmel aus verherrlichen wird.
Das ist ein sehr weitgehender Gedanke. Der Herr Jesus ist hinaufgegangen in den Himmel. Der ewige Sohn Gottes ist jetzt als Mensch im Himmel. Und was tut Er dort? Er verherrlicht den Vater vom Himmel aus, und zwar in zwei verschiedenen Epochen. Dadurch wird der Vater in zweifacher Weise verherrlicht:
Erstens verherrlicht Er den Vater in der Zeit der Gnade. Er tut es in uns, den Seinen. Er hat uns den Heiligen Geist gegeben, der in uns wohnt. Es ist das Ziel des Geistes Gottes, uns mit Christus zu beschäftigen, damit wir fähig sind, hier auf dieser Erde zu zeigen, wer der Vater ist.
Zweitens kommt der Tag, da Er als der Sohn des Menschen in Macht und Herrlichkeit erscheint, um hier auf dieser Erde das Reich zu gründen. In jener Zeit des Tausendjährigen Reiches wird Er den Vater vom Himmel aus auf dieser Erde verherrlichen. Diese Herrlichkeit werden wir mit dem Herrn teilen. Das wird am Ende unseres Kapitels gezeigt.
Gewalt über alles Fleisch
«So wie du ihm Gewalt gegeben hast über alles Fleisch.» Gewalt ist hier die Freiheit, das Recht und die Fähigkeit zu handeln und zu bestimmen. Wir können das Wort auch mit «Vollmacht» übersetzen. Der Herr besitzt diese Gewalt über alles Fleisch, d.h. über alle Menschen. Er hat sich diese Vollmacht durch sein Leiden und Sterben am Kreuz erworben. Er hat also ein Anrecht darauf.
Als Gott, der Sohn, und als Schöpfer wurde Ihm diese Gewalt nicht gegeben. Als solcher hat Er diese Gewalt in sich selbst. Das bezeugt der Schreiber des Hebräer-Briefs sehr klar. Er sagt vom Sohn, dass durch Ihn die Welten gemacht sind und dass Er alle Dinge durch das Wort seiner Macht trägt (Heb 1,2.3).
Aber hier in Johannes 17 wird uns mitgeteilt, dass der Herr Jesus als Mensch Gewalt hat über alles Fleisch. Diese Vollmacht hat der Vater Ihm gegeben. Durch sein Sterben am Kreuz von Golgatha hat Er sich als Mensch das Anrecht auf alle Menschen erworben. Er ist ihr Herr und hat deshalb auch einen Herrschaftsanspruch an alle.
Paulus deutet das in 1. Korinther 11,3 an. Er sagt dort: «Ich will aber, dass ihr wisst, dass der Christus das Haupt eines jeden Mannes ist.» Es geht dort um die Schöpfungsordnung Gottes und nicht nur um gläubige Männer. Christus hat einen Herrschaftsanspruch als Haupt über jeden Mann. – Noch deutlicher wird der Apostel Petrus. Er spricht von falschen Lehrern, die verderbliche Sekten einführen und «den Gebieter verleugnen, der sie erkauft hat» (2. Pet 2,1). Hier geht es eindeutig um ungläubige Menschen. Sie sind erkauft, aber nicht erlöst. Der Herr Jesus hat durch sein Werk am Kreuz als Mensch ein Anrecht auf alle Menschen. Leider ist dies vielen nicht bewusst. Sie verleugnen den Herrn und Gebieter. Sie tun nicht Buße und bekehren sich nicht. Sie lehnen Den ab, der sie erkauft hat und erlösen möchte. Wie traurig!
Ewiges Leben
Weiter betet der Herr: «Damit er allen, die du ihm gegeben hast, ewiges Leben gebe.» Das ist eine gewaltige Aussage. Wen meint der Herr Jesus mit dieser Gruppe von Menschen? Es ist die Gesamtheit der Erlösten der Zeit der Gnade. Diese sind Ihm vom Vater gegeben. Hier kommt der Ratschluss Gottes vor uns. Darin gehörten sie schon vor Grundlegung der Welt dem Vater. Jetzt – in der Zeit – sind sie dem Sohn gegeben. Sie sind seiner Fürsorge anvertraut. Und was tut der Sohn? Er gibt denen, die der Vater Ihm gegeben hat, ewiges Leben.
Dieses ewige Leben ist mehr als ewige Existenz, mehr als ein Leben, das nie aufhört. Ewiges Leben ist untrennbar mit der Person des Herrn Jesus verbunden. «Dieser ist der wahrhaftige Gott und das ewige Leben» (1. Joh 5,20). «Wer den Sohn hat, hat das Leben» (1. Joh 5,12). Ohne den Sohn des Vaters gibt es kein ewiges Leben. Ewiges Leben ist Leben in höchster Form, Leben in Überfluss.
In den bemerkenswerten Aussagen des Herrn über den guten Hirten in Johannes 10 sagt Er es selbst: «Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluss haben» (Joh 10,10). Die Tragweite dieser Aussage müssen wir tief ins Herz fassen. Ist uns wirklich bewusst, was es bedeutet, ewiges Leben zu besitzen?
Die Gläubigen des Alten Testaments hatten ohne jede Frage Leben aus Gott. Auch die Gläubigen im Tausendjährigen Reich werden einmal Leben besitzen. Sie kennen die neue Geburt. Ohne diese können sie das Reich nicht einmal sehen, geschweige denn hineingehen. Und doch kennen sie nichts von dieser wunderbaren Segnung des ewigen Lebens, des Lebens in seiner reichsten Form. Das kennen nur die Glaubenden der christlichen Zeitperiode, in der wir durch Gottes Gnade leben. Wir besitzen dieses ewige Leben – Leben in Überfluss.
Vielleicht haben wir uns darüber bisher keine Gedanken gemacht, oder wir sind damit zufrieden, dass wir errettet sind. Man hört Christen manchmal sagen: «Hauptsache, ich komme nicht in die Hölle. Alles andere ist egal. Ich bin mit einem Plätzchen an der Tür im Himmel zufrieden. Mehr brauche ich nicht.» Wer so denkt, macht einen grossen Fehler. Ich möchte einmal fragen: Was ist grösser, die Gabe oder der Geber? Wenn wir gering über die Gabe denken, dann denken wir auch gering über den Geber. Wer die Gabe des ewigen Lebens gering achtet, der achtet letztlich – auch wenn er das nicht beabsichtigt – Den gering, der das ewige Leben gibt. Das ist der Herr Jesus selbst.
Es mag bescheiden und demütig klingen, wenn man nur ein Plätzchen an der Tür im Himmel haben möchte, aber es ist falsch. In seinem Ratschluss hat Gott etwas anderes für uns vorgesehen. Wir sind seine Kinder und seine Söhne. Wir sind fähig, in Beziehung zu dem Vater und dem Sohn zu treten, weil wir das ewige Leben besitzen. Das sollten wir nicht gering achten.
Ich möchte das an einem Beispiel klar machen: Stellen wir uns eine kleine graue Maus vor. Sie bekommt die Gelegenheit angeboten, sich in einen Vogel zu verwandeln. Ich kann mir vorstellen, dass sie das Angebot sofort annimmt. Endlich muss sie nicht mehr nur auf dieser Erde leben und irgendwo im Dreck herumlaufen, sondern sie kann sich von der Erde erheben. Diese Maus ist das Bild eines Ungläubigen und erdgebundenen Menschen, der keine Möglichkeit hat, sich zum Himmel zu erheben. Aber das kann ein Gläubiger – im Bild des Vogels. Er gehört nicht zu dieser Erde, sondern zum Himmel.
Aber Vogel ist nicht gleich Vogel. Stellen wir uns jetzt einen Spatz im Vergleich zu einem Adler vor. Beide können fliegen – und doch: Welch ein Unterschied! Während ein Spatz heftig mit den Flügeln schlägt, um etwas an Höhe zu gewinnen, schwingt der Adler seine gewaltigen Flügel und schraubt sich majestätisch in die Höhe. Wenn die Maus in unserem Beispiel nun wählen könnte, ein Spatz oder ein Adler zu werden – die Wahl würde nicht schwer fallen. Der Adler ist ein schwaches Bild dieses Lebens in Überfluss. Dadurch sind wir fähig, einmal dort einzugehen, wo das ewige Leben zu Hause ist: in das Vaterhaus. Das macht die Gabe des ewigen Lebens so wertvoll für uns.
Oft wird die Frage gestellt, was denn nun eigentlich ewiges Leben bedeute und was es beinhalte. Die Frage nach der Definition des ewigen Lebens wird in den Schriften von Paulus beantwortet. In Epheser 1,4.5 heisst es: «Wie er uns auserwählt hat in ihm vor Grundlegung der Welt, dass wir heilig und untadelig seien vor ihm in Liebe; und uns zuvor bestimmt hat zur Sohnschaft durch Jesus Christus für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens.» Diese beiden Verse zeigen uns in komprimierter Form den eigentlichen Inhalt des ewigen Lebens oder was es bedeutet.
Wir lernen erstens, dass wir die göttliche Natur besitzen. Wir sind heilig und untadelig vor Ihm in Liebe. Das bedeutet – um es einfach zu machen –, dass wir Kinder Gottes sind. Gott sieht seine eigene Natur – Licht und Liebe – in uns. Das ist Kindschaft.
Vers 5 spricht von der Sohnschaft. Kindschaft und Sohnschaft sind die beiden Elemente des ewigen Lebens. Das ist nicht nur ein gewaltiger Segen für uns. Es geht zuerst um Gott selbst. Er will dies «für sich selbst, nach dem Wohlgefallen seines Willens». Es war der Wunsch des Vaters, einmal Kinder und Söhne bei sich im Vaterhaus zu haben. Das sind die Glaubenden der Gnadenzeit. Das hat es zur Zeit des Alten Testaments noch nicht gegeben. Abraham trug einen hohen Titel. Er wurde Freund Gottes genannt. Aber wir lesen nicht, dass er ein Kind Gottes war oder dass er zur Sohnschaft berufen wurde. Das ist verborgen im ewigen Leben, das wir durch Gnade bekommen haben. Kindschaft und Sohnschaft sind die beiden charakteristischen Merkmale des ewigen Lebens.
Die Fähigkeit des ewigen Lebens
Jetzt sagt der Herr weiter: «Dies aber ist das ewige Leben …» Dieser Vers wird manchmal zitiert um zu zeigen, was ewiges Leben ist. Aber der Herr stellt hier eigentlich keine Definition des ewigen Lebens vor. Es geht in diesem Vers nicht um den Inhalt, sondern um die Fähigkeit des ewigen Lebens. Dieses Leben befähigt uns zu etwas Wunderbarem: Wir sind in der Lage, «den allein wahren Gott und den du gesandt hast, Jesus Christus, zu erkennen». Der allein wahre Gott ist niemand anders als der Vater. Ihn zu erkennen und mit Ihm Gemeinschaft zu haben, ist die Fähigkeit des ewigen Lebens, das uns gegeben ist. Ohne das ewige Leben zu besitzen, wäre dies unmöglich – weder jetzt noch in der Ewigkeit.
Erst durch den Besitz des ewigen Lebens sind wir fähig zu erkennen, dass es einen Vater gibt, dass dieser Vater einen Sohn hat und dass Er Ihn liebt. Wir sind fähig zu erkennen, dass Er diesen Sohn seiner Liebe auf die Erde gesandt hat, um hier ein Werk zu vollbringen. Wir sind fähig zu erkennen, dass dieser Sohn, Jesus Christus, hier auf der Erde zum Wohlgefallen des Vaters gelebt und am Kreuz auf Golgatha sein Leben zu einem duftenden Wohlgeruch hingegeben hat. Mit diesem Vater und mit diesem Sohn haben wir jetzt aufgrund des ewigen Lebens Gemeinschaft.
Das geht weit darüber hinaus, errettet zu sein, um nicht in die Hölle zu kommen. Die Tatsache unserer Errettung wollen wir niemals gering achten. Es ist eine «grosse Errettung» (Heb 2,3). Nie können wir dem Herrn genug dafür danken, dass Er uns vor dem kommenden Zorn errettet. Und doch wollte Gott uns mehr schenken. Er schenkt uns das ewige Leben und damit die wunderbare Fähigkeit, Dinge zu verstehen, die den Gläubigen des Alten Testaments nicht offenbart waren. Diese Fähigkeit besitzen alle Glaubenden der Gnadenzeit. Wenn jemand in dieser Zeit Buße tut, dem Wort der Wahrheit glaubt und Gott eine Neugeburt bewirkt, dann kommt er in den Besitz des ewigen Lebens und hat damit diese Fähigkeit, von der unser Herr hier spricht. Der Apostel Johannes richtet sich in seinem ersten Brief an die Kinder im Glauben – das sind junge Gläubige – und sagt ihnen: «Ich schreibe euch, Kinder, weil ihr den Vater erkannt habt» (1. Joh 2,14). Den Vater zu erkennen, ist kein Privileg gereifter Brüder und Schwestern. Der jüngste Gläubige ist fähig, den Vater zu erkennen.
Natürlich stellt sich für uns die Frage, wie weit wir diese Fähigkeit in der Praxis unseres Lebens verwirklichen. Der Vater wünscht, dass wir zu Ihm kommen, um diese Gemeinschaft mit Ihm auch zu pflegen. Er wartet darauf, dass wir die uns gegebene Fähigkeit sowohl zu seiner als auch zu unserer eigenen Freude nutzen.
Ich habe Dich verherrlicht
«Ich habe dich verherrlicht auf der Erde.» Welch eine gewaltige Aussage aus dem Mund unseres Herrn! Sie bedeutet nichts anderes, als dass der Sohn den Vater auf dieser Erde völlig dargestellt hat. Das ist einer der Gründe für sein Kommen als Mensch auf diese Erde. Es war seine Aufgabe, den Vater hier zu verherrlichen. In Johannes 1,18 heisst es: «Niemand hat Gott jemals gesehen; der eingeborene Sohn, der im Schoss des Vaters ist, der hat ihn kundgemacht.» Für uns Menschen ist es unmöglich, Gott in seiner Herrlichkeit zu sehen – es sei denn, Christus stellt Ihn dar. Das ist die Bedeutung des Ausdrucks «verherrlichen» an dieser Stelle. Der Herr Jesus hat uns Menschen gezeigt, dass dieser wunderbare, ewige Gott Vater ist. Es bleibt für uns schwierig – wenn nicht unmöglich – das in der ganzen Tiefe zu erfassen. Der allein wahre Gott ist Vater. Aber im Sohn hat Er sich so offenbart.
Im Alten Testament hat Gott sich auch offenbart – aber nicht als Vater. Wohl wird in Maleachi 2,10 die Frage gestellt: «Haben wir nicht alle einen Vater?» Doch die Fortsetzung macht sofort klar, dass es hier nicht um Beziehung, sondern um Ursprung geht. «Hat nicht ein Gott uns geschaffen?» Das war eine Offenbarung Gottes, die auch im Alten Testament bekannt war. Gott ist der Schöpfer und Ursprung von allem. Abraham gegenüber offenbarte Er sich als «Gott, der Allmächtige». Mose kannte Ihn als den Bundesgott Israels. Aber niemand im Alten Testament kannte Ihn als den Vater, der in der Ewigkeit den Sohn hatte und Ihn liebt.
Erst als der Herr Jesus auf diese Erde kam, wurde diese Wahrheit sichtbar. Er hat Gott als Vater vorgestellt und verherrlicht. Wenn Er hier sagt: «Ich habe dich verherrlicht», dann hat Er das nicht nur mit seinen Worten, sondern mit der ganzen Kapazität seines Lebens als Mensch auf der Erde getan. Alles, was Er sagte und was Er tat, war zur Ehre und Herrlichkeit seines Vaters.
In unserem Kapitel finden wir drei Hauptpunkte über den Vater, den der Sohn verherrlicht hat:
- Er ist ein heiliger Vater (V. 11). Dieser Vater ist Licht. Das wollen wir nicht vergessen. Der Sohn hat das vollkommen dargestellt. In seinem Verhalten hat Er gezeigt, dass dieser Vater Licht ist und gar keine Finsternis in Ihm ist. Dieser Gedanke ist vielen Menschen fremd, wenn sie an Gott denken. Sie sehen Ihn als einen «lieben Gott». Aber die Bibel spricht anders. Zuerst wird Er hier als «heiliger Vater» vorgestellt.
- Wir sehen, dass dieser Vater liebt (V. 23.24). Das ist etwas anderes als ein «lieber Gott». Die Bibel sagt: «Gott ist Liebe.» Das hat der Herr Jesus offenbart. Der Vater ist Liebe. «Du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.» In der Ewigkeit vor der Zeit war der Vater, und Er liebte den Sohn.
- Er ist ein gerechter Vater (V. 25). Seine Gerechtigkeit äussert sich dadurch, dass Er unterscheidet, und zwar zwischen Menschen, die seinen Sohn angenommen haben, und solchen, die Ihn ablehnen. Dieser gerechte Vater sieht auch uns. Er kennt die, die in Buße und Glauben seinen Sohn angenommen haben, und Er kennt jene, die dieses wunderbare Heil bis jetzt ablehnen.
Dann fügt der Herr hinzu: «auf der Erde.» Das will sagen: auf dem Schauplatz dieser Erde. Der erste Mensch – Adam – war in günstige Umstände gestellt worden. Er lebte im Garten Eden. Und doch hat er völlig versagt. Der zweite Mensch – der Mensch vom Himmel – kam auf eine sündige Erde und hat gerade da den Vater verherrlicht. Was kennzeichnet diese Erde? Sie ist durch den Sündenfall geprägt. Die Menschen, die auf ihr leben, sind Sünder und Feinde Gottes. Die Schöpfung selbst ist von Gott entfremdet. Auf diesen Schauplatz der Sünde und Feindschaft ist der Sohn gekommen und hat den Vater verherrlicht.
Das Werk habe ich vollbracht
«Ich habe dich verherrlicht auf der Erde; das Werk habe ich vollbracht.» Wenn man diesen Satz im Zusammenhang liest, könnte der Gedanke aufkommen, dass sich der erste Teil auf das Leben des Herrn und der zweite auf sein Sterben bezieht. So wird es manchmal auch ausgelegt. «Ich habe dich verherrlicht auf der Erde» bezieht man auf das vollkommene Leben des Herrn Jesus. «Das Werk habe ich vollbracht» bezieht man auf das Werk am Kreuz. Man kann diesen Gedanken sicher haben. Aber ich glaube, dass es doch nicht so einfach ist. Beides – das Leben und das Sterben des Herrn – gehört untrennbar zusammen.
Der Herr Jesus spricht hier von seinem Kommen auf diese Erde, von seinem Leben und seinem Sterben. Sowohl in seinem Leben als auch in seinem Sterben als Brandopfer hat Er den Vater verherrlicht und hat dadurch das Werk vollbracht. Wenn wir an den Herrn als Sündopfer denken, dann unterscheiden wir deutlich zwischen seinem Leben und seinem Sterben am Kreuz. Hier aber haben wir – wie in den meisten Stellen im Johannes-Evangelium – den Herrn als Brandopfer vor uns. Wenn das der Fall ist, geht sein Leben sozusagen in sein Sterben über, so dass wir beide Seiten nicht voneinander trennen können.
Ich erinnere an Epheser 5,2: «Wie auch der Christus uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat als Darbringung und Schlachtopfer, Gott zu einem duftenden Wohlgeruch.» Auch hier denken manche Ausleger – ich glaube, es ist auch nicht ganz falsch –, dass sich Darbringung auf sein Leben und Schlachtopfer auf sein Sterben bezieht. Doch mir scheint, dass an dieser Stelle beides ineinander fliesst. Das ist in Johannes 17 auch so. «Das Werk» ist mehr als das Werk am Kreuz. Es schliesst das wunderbare Leben des Herrn Jesus mit ein.
Es ist das Werk, «das du mir gegeben hast». Einen anderen Weg gab es nicht. Der Vater hat es Ihm gegeben, auf diese Erde zu kommen, hier zu leben und dann am Kreuz zu sterben. Welch ein einmaliger Gehorsam zeigt sich uns hier! Dieser wunderbare ewige Sohn, der Mensch wurde, war vollkommen gehorsam – von der Krippe bis zum Kreuz. Er hat in allem völlig erfüllt, was der Vater Ihm aufgetragen hatte.
Die Antwort des Vaters
«Und nun …» Jetzt erwartet der Sohn eine Antwort vom Vater auf seine vollkommene Hingabe, auf sein vollkommenes Leben und auf sein wunderbares Brandopfer, das Er am Kreuz auf Golgatha gestellt hat.
«… verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.» Es ist nicht einfach, über diesen Vers etwas zu sagen. Die Frage ist oft gestellt worden: Geht es hier um eine erworbene Herrlichkeit oder um eine, die der Herr Jesus schon immer besass?
Einerseits ist es völlig wahr, dass Er sich durch sein Leben auf dieser Erde als Mensch das Anrecht auf diese Herrlichkeit erworben hat. Er hat das Werk vollbracht, das Ihm der Vater gegeben hat. Anderseits ist es ebenso wahr, dass die Herrlichkeit, die Ihm gegeben worden ist, nicht erworben ist, sondern sein ureigener Besitz als Sohn Gottes in der Ewigkeit war und ist. Er erbittet als Mensch das, was Er als der ewige Sohn immer besessen hat. Das ist die Antwort auf die Frage, ob es sich um eine erworbene Herrlichkeit handelt oder um eine, die Er immer schon besass. Wir wiederholen: Er hat sich als Mensch das Anrecht auf diese Herrlichkeit erworben, und zwar durch sein vollkommenes Leben und durch seine völlige Hingabe an seinen Gott. Darum erbittet Er diese Herrlichkeit, die Er als Gott, der Sohn, in der Ewigkeit vor der Zeit immer schon hatte, mit Recht als Mensch.
Eine ewige Herrlichkeit
Es gibt also eine Herrlichkeit, die der Herr Jesus in der Ewigkeit vor der Zeit besass. Was ist das für eine Herrlichkeit – «ehe die Welt war»? Die Antwort finden wir am Ende des Kapitels. Dort spricht der Herr Jesus wieder davon. Er sagt in Vers 24: «Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit schauen, die du mir gegeben hast.» Dann fügt Er etwas hinzu, was wir nicht übersehen sollten: «Denn du hast mich geliebt vor Grundlegung der Welt.» Die Herrlichkeit, die wir schauen werden, wird damit begründet, dass der Vater Ihn vor Grundlegung der Welt geliebt hat. Die Herrlichkeit, von der unser Herr in Vers 5 spricht, ist nichts anderes als dieser Strom der Liebe, der aus dem Herzen des Vaters zum Sohn fliesst.
Wir müssen Vers 5 verstehen, um später auch Vers 24 verstehen zu können. Diese beiden Verse sind eng miteinander verbunden. Die Herrlichkeit, die der Sohn hatte, ehe die Welt war, ist die Liebe des Vaters zu Ihm. Es ist dieser Strom der Liebe, der aus dem Herzen des Vaters floss und den Sohn in der Ewigkeit umstrahlte. Diese Herrlichkeit erbittet Er sich jetzt als Mensch. Als Gott hat Er sie immer besessen. Er hat sie auch nie verloren. Auch als Mensch auf der Erde blieb Er der eingeborene Sohn, «der im Schoss des Vaters ist» (Joh 1,18). Aber Er erbittet diese Herrlichkeit jetzt als Mensch. Warum tut Er das? Damit Er sie uns zeigen kann (V. 24). Ist das nicht gewaltig?
Es ist an dieser Stelle vielleicht gut, vorsichtig etwas über die Gottheit in der Ewigkeit zu sagen. Die Beziehung in der Gottheit in der Ewigkeit ist vollkommen. In 1. Timotheus 1,11 ist die Rede vom Evangelium der Herrlichkeit des seligen Gottes. Das bedeutet nichts anderes, als dass Gott niemand zu seinem Glück braucht. Er ist vollkommen glücklich in sich selbst. Wir müssen nicht meinen, dass Gott uns Menschen zu seinem Glück braucht. Dem Vater genügt der Sohn und dem Sohn genügt der Vater. Trotzdem kam in der Ewigkeit der Wunsch im Herzen des Vaters auf, jemand diese Liebe zu zeigen. Wir drücken das mit unvollkommenen menschlichen Worten aus, aber wir können es nicht anders.
Diesen Gedanken finden wir auch in Johannes 14, wo der Herr sagt: «In dem Haus meines Vaters sind viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, hätte ich es euch gesagt; denn ich gehe hin, euch eine Stätte zu bereiten. Und wenn ich hingehe und euch eine Stätte bereite, so komme ich wieder und werde euch zu mir nehmen, damit, wo ich bin, auch ihr seiet.» Er spricht hier von der Atmosphäre des Vaterhauses. Die Verbindung zu Vers 5 unseres Kapitels liegt im Ausdruck: «Verherrliche du mich bei dir selbst.» Was bedeutet «bei dir selbst»? Wo ist der Vater? Er ist in seinem Haus. Das ist die Verbindung.
Aus Johannes 14 lernen wir, dass es im Haus des Vaters schon immer Wohnungen gab. Man hört manchmal sagen, der Herr sei hingegangen, um uns dort eine Wohnung zu bereiten. Aber so steht es nicht im Text. Es werden keine Wohnungen bereitet. Sie sind schon da. Was bereitet wird, ist eine Stätte, damit wir dort sein können. Das hat der Herr getan, indem Er als Mensch nach vollbrachtem Werk in den Himmel gegangen ist. Das Bereiten der Stätte weist auf die Tatsache hin, dass jetzt ein Mensch im Himmel ist. Es ist Der, der auf Golgatha das Werk vollbracht hat. Aber die Wohnungen, die es dort bereits gibt, zeigen uns den Wunsch des Vaters, den Er immer schon hatte, Menschen in seinem Haus zu haben. Ihnen möchte Er einmal zeigen, was dort vorgeht. Das wird dann Wirklichkeit werden, wenn der Herr wiederkommt und uns zu sich nimmt.
Hier erbittet Er als Mensch diese Herrlichkeit des ewigen Sohnes, damit Er sie uns zeigen kann. Niemand von uns kann Gott in seiner Absolutheit sehen (1. Tim 6,16). Aber im Angesicht Christi ist es doch möglich, diese göttliche Herrlichkeit zu betrachten. Das ist der erste und wichtigste Grund, warum der Herr Jesus ewig Mensch bleibt: Damit an diesem wunderbaren Menschen im Haus des Vaters die Liebe gesehen werden kann, die der Vater zu seinem Sohn hat. Das ist im Ausdruck «damit sie meine Herrlichkeit schauen», miteingeschlossen.
Der Herr schenke uns allen einen tiefen Eindruck davon, wie sehr der Vater den Sohn liebt. Je mehr dies der Fall ist, umso besser verstehen wir, was es für Gott war, seinen eingeborenen Sohn zu geben. «So hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern ewiges Leben habe» (Joh 3,16).
Das Alte Testament zeigt uns diese Wahrheiten nicht. Wohl spricht es in prophetischen Bildern und Aussagen von dem, was Gott in seinem Sohn am Kreuz auf Golgatha getan hat. Aber über das Vaterhaus und die Herrlichkeit, die der Sohn hatte, finden wir nichts. Es gibt jedoch besonders ein Kapitel, in dem Gott den Schleier wegnimmt und von seinem Sohn spricht, den der Vater liebt und den Er gab: 1. Mose 22,. Darin zeigt der Geist Gottes uns den Vater und den Sohn: «Nimm deinen Sohn, deinen einzigen, den du lieb hast, den Isaak, und zieh hin in das Land Morija» (V. 2). Es ist das erste Mal, dass wir in der Bibel von Liebe lesen. Dann sehen wir die beiden – Abraham und Isaak – wie sie «beide miteinander» gehen. Ergreifendes Bild! Wir denken an den ewigen Vater und den ewigen Sohn, die miteinander gingen. Welch ein Strom der Liebe vom Vater zum Sohn – in der Ewigkeit vor der Zeit, in der Zeit und auch in der Ewigkeit nach der Zeit!