Der Herr zieht in Jerusalem und in den Tempel ein
Der Herr Jesus ist in aller Demut auf einer Eselin in Jerusalem eingezogen. Gott hat dafür gesorgt, dass Er würdig nach Jerusalem geleitet und dort ehrerbietig empfangen wird. Einigen Pharisäern missfällt die Huldigung, die die Jünger dem Herrn entgegenbringen. Sie fordern Ihn auf, dies seinen Begleitern zu untersagen. Doch nicht seine Nachfolger, sondern seine Neider erhalten einen Verweis von Ihm (Lk 19,37-40).
Darauf begibt sich der Herr sogleich in den Tempel, den Er in der Ihm eigenen Vollmacht reinigt, um dann Blinde und Lahme zu heilen. Dort lässt Gott das Lob des Herrn durch Kinder ausrufen, worauf die Hohenpriester und Schriftgelehrten unwillig werden. Wieder tadelt der Herr – indem Er die Schrift zitiert – nicht die, die Ihn preisen, sondern die Führer, die meinen, Ihm stehe diese Ehrerbietung nicht zu (Mt 21,12-17).
Angriff auf seine Autorität
Während Er in den folgenden Tagen im Tempel lehrt, fragen Ihn die Hohenpriester und die Schriftgelehrten sowie die Ältesten des Volkes, wer Ihm das Recht gegeben habe, so zu handeln. Diesmal antwortet der Herr mit einer Gegenfrage, die sie in grosse Verlegenheit stürzt. Entweder müssten sie ihre Ablehnung gegenüber Johannes dem Täufer verurteilen oder sie würden den Unwillen des Volkes auf sich ziehen. Das eine wollen sie nicht, das andere können sie nicht. Sie, die auf das Volk als Unwissende herabsahen, sind durch ihren Opportunismus gezwungen zu sagen: «Wir wissen es nicht» (Mt 21,23-27).
Danach deckt der Herr im ersten «Weinberg-Gleichnis» ihren Unglauben bezüglich des Dienstes von Johannes auf, um ihnen im zweiten «Weinberg-Gleichnis» ihre weit schlimmere Sünde der Verwerfung des Sohnes Gottes und das darauffolgende Gericht vorzustellen (Mt 21,28-44).
Wir können uns vorstellen, dass die religiösen Führer in Jerusalem, die nun mehrmals zurechtgewiesen worden sind, vor Wut kochten. Nur die Furcht vor der Volksmenge hält sie davon ab, Hand an den Herrn zu legen (Mt 21,45.46).
In Matthäus 22,15-40 finden wir nun, wie die Vertreter der zwei religiösen Sekten versuchen, den Herrn in der Rede in eine Falle zu locken.
Die erste Frage
Der Herr hat die Pharisäer mit seiner Frage bezüglich Johannes vor dem Volk in die Enge getrieben. Nun gedenken sie den Spiess umzudrehen und sichern sich dazu die Mithilfe der Herodianer (eine Pro-Rom-Partei). Ihre einleitenden Worte treffen wirklich auf den Herrn zu. Doch sie schmeicheln nur so, weil sie meinen, Ihn verleiten zu können, seine unabhängige Entscheidung ohne Rücksicht auf sie oder die Anhänger des Herodes auszusprechen.
«Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben oder nicht?» Im Fall des Bejahens der Steuerabgabe hätten sie den Herrn Jesus als Rom-ergeben hingestellt. Im anderen Fall hätten sie Ihn bei der Besatzungsmacht anklagen können und die Herodianer wären bereitwillig Zeugen gewesen. Eine menschlich perfekte Falle – und die Schmeicheleien in Vers 16 sollten nur dazu dienen, Ihn umso sicherer in die Falle zu locken.
Der Herr, der ihre Gedanken kennt, aber nicht auf die Person sieht, nennt sie Heuchler. Dann bittet Er, der um unsertwillen arm geworden ist und darum kein Geld hat, Ihm eine Steuermünze zu zeigen. Sie geben Ihm einen Denar, und auf seine Frage nach dem Bild auf der Münze müssen sie zugeben: das Bild des Kaisers. Die geldliebenden Pharisäer stört es nicht, möglichst viele solcher Münzen zu besitzen!
Und nun die Antwort des Herrn: «Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.» Der erste Teil seiner Antwort scheint Ihn in ihre Hände zu spielen, doch der zweite Teil entzieht Ihn wieder ihrem Zugriff. Es ist zu bezweifeln, dass sie der ersten Verpflichtung immer nachkamen. Und wenn sie meinten, die zweite erfüllt zu haben, täuschten sie sich gewaltig (siehe z.B. Mt 9,13; 12,7; 23,23).
Die Anwendung auf uns
Die Antwort des Herrn geht auch uns an. Auch wir haben eine Regierung über uns, die Steuern einzieht. Wir sind verpflichtet, diese ordnungsgemäss zu entrichten und sollten dies ehrlich und korrekt tun.
Die Aussage des Herrn enthält auch einen allgemeinen Grundsatz. Wir sind nicht mehr von der Welt, aber wir leben noch in ihr. Dadurch sind wir gezwungenermassen in manchen Abhängigkeitsverhältnissen. Um des Herrn willen sollen wir den sich daraus ergebenden Verpflichtungen nachkommen, indem wir uns unterordnen. Dabei kann es vorkommen, dass sich aus dem jeweiligen Verhältnis Forderungen an uns ergeben, denen wir nicht entsprechen können, weil wir Gott mehr gehorchen müssen als Menschen.
Wir sollten auch den zweiten Teil der Antwort des Herrn zu Herzen nehmen. Haben wir neben der Zeit, die wir benötigen, um den irdischen Verpflichtungen nachzukommen, auch noch Zeit für die Interessen des Herrn? Oder nehmen uns die Angelegenheiten dieser Welt ganz in Beschlag, weil wir auf das Irdische sinnen oder grosse Ziele in dieser Welt verfolgen? (Kol 3,2; Röm 12,16). Wenn wir Gott geben sollen, was Ihm zusteht, dann lasst uns daran denken, dass Er gesagt hat: «Gib mir, mein Sohn, dein Herz» (Spr 23,26).
Die zweite Frage
Als nächstes kommen die Sadduzäer, die die Auferstehung leugnen, zum Herrn (Mt 22,23-33). Mit ihrem wohl sehr gesuchten Beispiel wollen sie beweisen, welch absurde Konsequenzen eine Auferstehung nach sich ziehen würde, wenn es sie gäbe. Bei ihrer listig konstruierten Frage begehen sie aber einen Irrtum. Sie setzen voraus, in der Auferstehungswelt müssten die gleichen Gesetzmässigkeiten gelten wie in der diesseitigen Welt.
Diesen Fehlschluss deckt der Herr Jesus sofort auf und zeigt, dass die Unterschiede zwischen Mann und Frau nur den jetzigen Körper kennzeichnen. Weitere Unterschiede zwischen unserem jetzigen Körper und dem zukünftigen finden wir in 1. Korinther 15. Der eine ist verweslich und natürlich, der andere dagegen unverweslich und geistig. Diesem haftet Unehre und Schwachheit an, jener aber ist herrlich und voller Kraft.
Wir hätten wohl eher eine Stelle wie Daniel 12,13 benutzt, um zu zeigen, dass die Schrift von der Auferstehung spricht. Doch die Sadduzäer anerkannten nur die fünf Bücher Mose (Thora) als das Wort Gottes, und so zeigt der Herr, dass schon die darin enthaltene Aussage Gottes: «Ich bin der Gott Abrahams und der Gott Isaaks und der Gott Jakobs», die Auferstehung bezeugt. Hätten wir dies ohne den Hinweis des Herrn auch erkannt? Wohl kaum. Möge Er uns wie den Emmaus-Jüngern immer mehr die Schriften öffnen.
Zwei bis heute aktuelle Vorwürfe
Die zwei Vorwürfe, die der Herr seinen Widersachern macht, sind heute noch so aktuell wie damals: «Ihr irrt, indem ihr die Schriften nicht kennt noch die Kraft Gottes.» Wir müssen beides kennen. Nur das erstere zu kennen, birgt die Gefahr der toten Orthodoxie in sich. Als König Herodes die jüdischen Schriftgelehrten fragte, wo der Christus geboren werden sollte, konnten sie dies anhand der Schriften sofort sagen. Aber keiner von ihnen machte sich auf den Weg nach Bethlehem. Und wir? Wir wissen viel, aber beeinflusst es unser Leben auch?
Anderseits führen scheinbare Erfahrungen der Kraft Gottes ohne eine gute Kenntnis der Bibel zur Unnüchternheit. Simon, der Zauberer, wurde von den Bewohnern Samarias die grosse Kraft Gottes genannt (Apg 8,10). Manches wird heute in der Christenheit als mächtiges Wirken des Heiligen Geistes angesehen, was bei genauerer Beurteilung anhand des Wortes Gottes auf das Wirken anderer Mächte zurückgeführt werden muss.
Im Neuen Testament wird die Kraft Gottes vor allem im Zusammenhang mit der Auferstehung des Herrn Jesus genannt, sowie mit der Tatsache, dass wir, die tot in Sünden waren, nun mit dem Christus lebendig gemacht sind (Eph 1,19.20; 2,5; Kol 2,12). Diese Kraft brauchen wir auch, um in allen Schwierigkeiten und Übungen bestehen zu können (2. Tim 1,8; Phil 3,10).
Wer nicht im Wort gegründet ist, wird leicht von den wechselnden Winden falscher Lehren hin und her geworfen. Machen wir uns noch die Mühe, die Schriften zu erforschen, wie es die Beröer getan haben, oder geben wir uns mit einer oberflächlichen Kenntnis zufrieden, die wir durch das «Mitlaufen» besitzen?
Die dritte Frage und die Belehrung für uns
Kaum sind die Sadduzäer zum Schweigen gebracht, versuchen die Pharisäer den Herrn Jesus erneut (Mt 22,34-40). Müssen wir Ihn nicht bewundern? Er hat doch das Gesetz gegeben. Und nun wird Er darüber wie ein Schüler befragt. Doch Er antwortet willig in Demut und Langmut! Wie reagieren wir in einer vergleichbaren Situation?
Wie schon in den vorangegangenen Fällen hat die Antwort des Herrn zwei Seiten. Die Summe des Gesetzes ist, sowohl Gott als auch den Nächsten zu lieben. Die Doppelantwort des Herrn bezüglich der Steuern belehrt uns über unsere Verpflichtungen gegenüber den Menschen und Gott. Doch zu Gott und den Menschen besteht nicht nur ein Pflichtverhältnis, sondern auch eine Beziehung der Liebe.
Wenn der Herr den beiden Geboten der Liebe auch die gleiche Wertigkeit zuordnet, so räumt Er der Liebe zu Gott doch den ersten Platz ein. Der Herr beansprucht den ersten Platz in unseren Herzen und wacht mit Eifer darüber (Mt 10,37; Off 2,4).
Es fällt auf, dass der wiedergeborene Christ im Neuen Testament an keiner Stelle aufgefordert wird, Gott zu lieben. Der aus Gott Geborene liebt naturgemäss Gott und eigentlich auch den Bruder und die Schwester (1. Joh 5,1). Dennoch müssen wir wiederholt aufgefordert werden, unsere Geschwister zu lieben (1. Joh 4,7.11.21). Dies ist wohl nötig, weil unsere Geschwister unvollkommen sind – aber wir sind es auch!
Beim Nächsten müssen wir nicht nur an Gläubige denken. Da geht es einfach um die Person, die der Herr uns über den Weg führt, damit wir ihr zum Nächsten werden. Das lässt uns an das Gleichnis vom «barmherzigen Samariter» denken. Wie oft mögen wir dabei wie der Priester und der Levit gehandelt haben und nicht wie der Samariter, der auf unseren Herrn hinweist (Lk 10,25-37).
Die drei «Doppelantworten» des Herrn an seine Versucher sollen uns vor Einseitigkeit bewahren. Sie führen uns, wenn wir sie beachten, zu einer Ausgewogenheit, die auch den Meister gekennzeichnet hat.
Die Frage des Herrn
Mit der Frage an die Pharisäer, warum David den Sohn Davids Herr nennt, geht der Herr in die Offensive (Mt 22,41-46). Während sie bei der Frage über die Taufe des Johannes nicht antworten wollten, können sie jetzt nicht antworten, weil sie es nicht wissen. Um weiteren Blossstellungen zu entgehen, ziehen sich die religiösen Führer nun zurück. Doch zur Warnung aller muss der Herr öffentlich sein Urteil über sie verkünden (Mt 23).