Nicht ermatten

Im Neuen Testament werden wir an verschiedenen Stellen aufgefordert, nicht zu ermatten. «Ermatten» bedeutet so viel wie mutlos oder müde werden, verzagen oder in einer bestimmten Sache nachlassen. Wörtlich kann man den Ausdruck auch mit «das Herz verlieren» übersetzen. Wer von uns wollte behaupten, in diesem Sinn nicht schon «ermattet» oder «müde» gewesen zu sein?

Gott möchte, dass wir in der Energie und Kraft unseres Glaubens unseren Weg gehen. Doch oft geht es uns wie Elia unter dem Ginsterstrauch. Die Zukunft sieht dunkel aus. Der Mut verlässt uns. Die Kraft sinkt. Wir werden müde und geben auf.

Ein solcher Zustand kann vorübergehend auftreten. Er ist dann häufig durch äussere Umstände verursacht. Es kann aber auch ein Dauerzustand werden. Mancher Christ hat einen guten Anfang genommen, aber später liess die geistliche Spannkraft nach, und der Zustand einer dauernden Ermattung trat ein. Das möchte der Herr nicht. Deshalb gibt Er uns eine Reihe von Hinweisen im Neuen Testament, nicht zu ermatten. Wir wollen ihnen anhand der Bibelstellen nachgehen, in denen dieses Wort im Grundtext vorkommt.

1) Nicht ermatten im Gebet

«Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis dafür, dass sie allezeit beten und nicht ermatten sollten» (Lk 18,1).

Der Herr Jesus hat verschiedene Male auf die Bedeutung des Gebets hingewiesen. Hier gibt Er seinen Jüngern sogar ein Gleichnis dafür, dass sie allezeit beten und darin nicht ermatten sollen. «Allezeit» heisst nicht, dass wir nichts anderes tun sollen als beten. Das ist nicht möglich. Es bedeutet vielmehr, dass wir ständig in einer inneren Haltung der Abhängigkeit leben und mit allem, was uns auf der Erde begegnet, zu unserem Gott kommen sollen. Das Gleichnis von der Frau, die den ungerechten Richter permanent bedrängte, macht klar, worauf der Herr Jesus hinaus wollte: im Gebet beharren und darin nicht nachlassen.

Ähnliche Hinweise finden wir im Neuen Testament an verschiedenen Stellen. Jesus hat als Mensch eine ganze Nacht im Gebet zu Gott verharrt (Lk 6,12). Die Jünger haben einmütig im Gebet verharrt (Apg 1,14; 6,4). Die Glaubenden in Rom wurden aufgefordert, im Gebet anzuhalten (Röm 12,12) und denen in Kolossä schreibt Paulus: «Verharrt im Gebet» (Kol 4,2).

Durch das Gebet haben wir die Möglichkeit, mit unserem Gott im Himmel zu reden. Wir tun dies persönlich, als Familie und als örtliche Versammlung. Wie gross ist die Gefahr, darin nachzulassen oder zu ermatten! Es kann sein, dass wir generell müde geworden sind zu beten. Wir beginnen den Tag ohne Gebet und beenden ihn ohne Gebet. Die gemeinsamen Gebetsstunden der örtlichen Versammlung sind für uns entweder zu einer lästigen Pflicht degeneriert, oder wir besuchen sie gar nicht mehr. Es kann aber auch sein, dass sich in einer bestimmten Sache, für die wir beten, Ermüdungserscheinungen zeigen, weil sich nichts ändert.

In allen Fällen dürfen wir uns durch den Herrn motivieren lassen, im Gebet nicht zu ermatten, sondern einen neuen Anfang zu machen. «Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel» (Jak 5,16).

2) Nicht ermatten im Dienst

«Darum, da wir diesen Dienst haben, wie wir begnadigt worden sind, ermatten wir nicht» (2. Kor 4,1).

Ohne jede Frage hatte der Apostel Paulus einen ganz bestimmten und einmaligen Dienst vom Herrn empfangen. Er war ein Diener des Evangeliums und ein Diener der Versammlung. Gerade 2. Korinther 3, worauf der erste Vers in Kapitel 4 Bezug nimmt, zeigt eine besondere Seite seines Dienstes. Er stellt sich dort als ein Diener des neuen Bundes vor (V. 6). Diesen Dienst nennt er den Dienst des Geistes und der Gerechtigkeit (V. 8.9). In diesem Dienst wollte Paulus weder nachlassen noch ermatten – und er hat es auch nicht getan.

Niemand von uns wird sich mit Paulus vergleichen wollen. Und doch gilt auch für uns, dass wir durch den Geist Gott dienen und Ihm da zur Verfügung stehen wollen, wo Er uns gebrauchen möchte. Jeder von uns hat eine Gnadengabe, d.h. eine Aufgabe zum Dienst bekommen (1. Pet 4,10; Eph 4,7). Mit dem Empfangenen verbindet sich die Verpflichtung, diesen Dienst tatsächlich auszuüben und darin nicht nachzulassen. Auch hier besteht eine doppelte Gefahr. Wir können generell nachlassen, dem Herrn zu dienen. Ein Beispiel dafür ist Johannes Markus. Er war mit Paulus und Barnabas gegangen, um sie im Dienst zu unterstützen. Doch dann verliess er sie und den Dienst und kehrte zurück. Ohne die Gründe im Einzelnen zu kennen, können wir sagen, dass er ermattet war.

Es kann aber auch sein, dass uns eine Aufgabe zu sehr drückt und wir sie nicht mehr ausführen wollen. Wir suchen uns dann vielleicht etwas anderes, Leichteres. Wir erinnern uns, wie Archippus aufgefordert wurde: «Sieh auf den Dienst, den du im Herrn empfangen hast, dass du ihn erfüllst» (Kol 4,17). Auch Timotheus wurde aufgefordert: «Vollführe deinen Dienst» (2. Tim 4,5).

3) Nicht ermatten in schwierigen Umständen

«Deshalb ermatten wir nicht, sondern wenn auch unser äusserer Mensch verfällt, so wird doch unser innerer Tag für Tag erneuert. Denn das schnell vorübergehende Leichte unserer Trübsal bewirkt uns ein über jedes Mass hinausgehendes, ewiges Gewicht von Herrlichkeit» (2. Kor 4,16.17).

Paulus befand sich in schwierigen Umständen. Davon schreibt er vorher in 2. Korinther 4. Er kannte Bedrängnis, Ausweglosigkeit, Verfolgung und andere Nöte. In Vers 10 heisst es: «Allezeit das Sterben Jesu am Leib umhertragend.»

Hinzu kommt, dass der Körper des Menschen ein Leib der Niedrigkeit ist (Phil 3,21). Beim Gläubigen ist die alte Natur noch da, und darum verfällt sein äusserer Mensch genauso wie der eines Ungläubigen. Der äussere Mensch ist das irdene Gefäss (2. Kor 4,7), das während des Lebens des Christen durch Umstände unterschiedlichster Art geht. Der Körper eines Menschen «verfällt», d.h. er wird verzehrt oder aufgerieben.

Wenn wir nur das vor Augen haben, könnten wir leicht mutlos werden und «ermatten». Viele Gläubige erleben, dass ihr äusserer Mensch zusehends verfällt. Wenn wir auch heute wenig Verfolgung und Bedrängnis haben, so gilt dennoch auch für uns, dass der Weg des Christen durch Leiden zur Herrlichkeit führt. Mancher hat sich im Dienst für seinen Herrn aufgezehrt. Mancher geht durch Krankheitsnot und spürt jeden Tag, wie der äussere Mensch verfällt. Trotzdem brauchen wir nicht zu resignieren.

Paulus stellt dem äusseren Menschen den inneren gegenüber. Das ist das gereinigte Herz des Gläubigen, das jeden Tag durch die Gemeinschaft mit dem verherrlichten Herrn erneuert wird. Ausserdem erinnert er daran, dass die Trübsal im Vergleich zu dem, was auf uns wartet, erstens leicht und zweitens vorübergehend ist. Das gibt Mut, auch in schwierigen Umständen nicht zu «ermatten».

Es bleibt eine Frage unserer Blickrichtung: Ist sie auf die Umstände gerichtet, werden wir leicht mutlos, ist sie auf den Herrn im Himmel gerichtet, «ermatten» wir nicht.

4) Nicht ermatten durch die Trübsale anderer

«Deshalb bitte ich, nicht mutlos zu werden durch meine Drangsale für euch, die eure Ehre sind» (Eph 3,13).

Auch an dieser Stelle geht es um das «Ermatten» in schwierigen Umständen. Allerdings handelt es sich hier um die Umstände anderer, die zur Ermüdung führen können. Paulus war ein Gefangener Christi Jesu in Rom. Aus jenem Gefängnis schrieb er: «Deshalb ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für euch, die Nationen …» (Eph 3,1). Paulus war nicht wegen eines Fehlverhaltens inhaftiert, sondern weil er das Evangelium zu den Nationen brachte. Nun war es möglich, dass die Epheser, die mehrheitlich aus den Nationen waren, durch die notvollen Umstände von Paulus mutlos wurden und in ihrer Glaubensenergie nachliessen. Dieser Gefahr wollte er vorbeugen.

Diese Situation können wir nicht einfach auf uns übertragen. Aber eine Anwendung ist möglich. Paulus war ein herausragendes Werkzeug in der Hand des Herrn. Sein aktiver Dienst vor Ort war zu einem (vorübergehenden) Ende gekommen. So etwas ist auch heute möglich. Es gibt Brüder und Schwestern, die im Volk Gottes eine besondere Stellung einnehmen und besonderen Vorbildcharakter haben. Das kann örtlich oder überörtlich sein.

Wenn solche – sei es durch Krankheit, Heimgang oder andere Umstände – plötzlich aus dem aktiven Dienst ausscheiden, besteht die Gefahr, dass andere «ermatten», dass sie mutlos werden und verzagen.

Das Hilfsmittel dagegen zeigt Paulus in Epheser 3,12. Dort spricht er vom Herrn Jesus, «in welchem wir die Freimütigkeit haben und den Zugang in Zuversicht durch den Glauben an ihn». Hier geht es – wie in 2. Korinther 4 – darum, nicht auf die Umstände oder Personen, sondern auf den Herrn Jesus zu blicken. Das bewahrt vor «Ermattung».

5) Nicht ermatten im Gutestun

«Lasst uns aber nicht müde werden, Gutes zu tun, denn zu seiner Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten» (Gal 6,9).

«Ihr aber, Brüder, ermattet nicht, Gutes zu tun» (2. Thes 3,13).

Auch wenn in den beiden Stellen die Bedeutung von «Gutes tun» im Griechischen nicht ganz identisch ist, sind die Ausdrücke doch so miteinander verwandt, dass wir diese beiden Verse zusammenfassen wollen.

Die Galater waren von Paulus ernst ermahnt worden. Er machte ihnen die Zwangsläufigkeit von Saat und Ernte klar und übertrug sie auf das Geistliche. Wer für das Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten. Wer für den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten (V. 8).

Nun ist es so, dass die Ernte zwar immer der Saat folgt, aber manchmal zeitversetzt. Wir säen das Gute, aber wir sehen kein Ergebnis. Das könnte uns mutlos machen, sodass wir «ermatten». Aber Paulus zeigt, dass die Ernte «zu seiner Zeit», d.h. zur bestimmten Zeit folgt. Wann diese Zeit ist, müssen wir Gott überlassen. Sie kommt spätestens dann, wenn wir vor dem Richterstuhl des Christus stehen. Gott wird einmal jede Mühe, Gutes zu tun, belohnen. Dieses Wissen soll uns ein zusätzlicher Anreiz sein.

Im 2. Thessalonicher-Brief ist der Zusammenhang ein anderer. Dort hatte Paulus vor solchen gewarnt, die nicht arbeiten wollen. Stattdessen mischten sie sich in Dinge ein, die sie nichts angingen. Im Gegensatz zu diesen fordert Paulus die anderen auf, im Gutestun nicht nachzulassen. Es reicht also nicht, nur das zu meiden, was wir nicht tun sollen. Wir brauchen auch zu wissen, was wir tun sollen. Das wird hier «das Gute» oder «das Rechte» genannt.

Die Aufforderung, «Gutes zu tun», ist recht allgemein gefasst. Man könnte dieses Tun auch mit «schön, gut brauchbar, lobenswert, nützlich, geeignet» übersetzen. Es geht nicht vordergründig darum, Almosen zu geben oder wohltätig zu sein, sondern das zu tun, von dem wir überzeugt sind, dass es das Richtige ist. Die Fussnote sagt: «das Rechte zu tun.»

In Römer 7,21 und 2. Korinther 13,7 – wo dieser Ausdruck auch gebraucht wird – steht «das Rechte (das Gute)» im Gegensatz zum Bösen. In Jakobus 4,17 heisst es: «Wer nun weiss, Gutes zu tun, und tut es nicht, dem ist es Sünde.» Das geht sehr weit und stimmt uns sicher nachdenklich. Auch der Ausdruck «gute Werke», den wir in den Briefen an Timotheus und Titus mehrfach finden, hat diese Bedeutung von «gut».

Das Gute zu tun, ist von unserer Seite die Antwort auf das, was Gott für uns getan hat. Kein Mensch kann «das Gute» tun, um sich einen Platz im Himmel zu erwerben. Aber die, denen der Herr den Himmel durch sein Werk auf Golgatha geöffnet hat, sollten jetzt nicht nachlassen und «ermatten», das Gute zu tun. Dazu gibt es jeden Tag reichlich Gelegenheit. Lasst uns also nicht «ermatten», sondern das Gute tun.