Zweierlei Grundsätze
Es ist unleugbar, dass inmitten der Welt ein Grundsatz besteht, der in lebendiger Weise wirksam ist und zu jeder Zeit lebhaften Hass und Widerspruch seitens des Menschen hervorgerufen hat. Von den Tagen Abels an bis heute war es so. Der «Zeitlauf dieser Welt» hat seinen eigenen Weg eingeschlagen. Aber in seiner Mitte gibt es eine Gegenbewegung, welche die Feindschaft und die geringschätzige Missbilligung der Welt hervorruft. So ist es an dem Ort, wo wir wohnen, und so war es auch an dem Ort, wo Kain und Abel lebten. So war es zu allen Zeiten und in allen Ländern. Überall war das Volk des Glaubens ein Gegenstand des Hasses des Menschen. Aber Gott anerkennt dieses Volk.
Gott schreitet nicht ein
«Andere aber wurden durch Verhöhnung und Geisselung versucht und dazu durch Fesseln und Gefängnis. Sie wurden gesteinigt, zersägt, versucht, starben durch den Tod des Schwertes, gingen umher in Schafpelzen, in Ziegenfellen, hatten Mangel, Drangsal, Ungemach, sie, deren die Welt nicht wert war» (Heb 11,36-38). Gott zeigt uns hier die Geschichte der Gläubigen von seinem Gesichtspunkt aus. Er tritt nicht zwischen sie und die Welt. Er lässt sie im Mangel, in Drangsal und Ungemach. Er beschäftigt sich nicht mit der Welt, und die Welt geht ihren Weg. Es wird nicht immer so bleiben, aber so ist es jetzt. «Weil das Urteil über böse Taten nicht schnell vollzogen wird, darum ist das Herz der Menschenkinder in ihnen voll, Böses zu tun» (Pred 8,11). Sie wandelten nach ihren eigenen Gedanken, «nach dem Zeitlauf dieser Welt» (Eph 2,2).
Diese Welt ist nicht die Welt Gottes. Sie hat Gott aufgegeben, und Gott anerkennt sie nicht. Er sieht scheinbar untätig zu, wie seine eigenen Kinder, die Er anerkennt, in Drangsal und Ungemach leben müssen. So wird auch dem Engel der Versammlung in Smyrna zugerufen: «Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet, und ihr werdet Drangsal haben zehn Tage» (Off 2,10). Wie das? Konnte Gott denn nicht einschreiten? «Sei getreu bis zum Tod, und ich werde dir die Krone des Lebens geben.» – Es gibt Hoffnung für einen anderen Schauplatz.
Wenn ein Mensch mit Gott wandeln will, muss er durch Glauben wandeln. Er wandelt inmitten einer Welt, in der Gott nicht anerkannt wird, und in die sich Gott nicht einmischt; eine Welt, die zum Gericht heranreift. Gott hat ein Zeugnis in ihr, und in dem Mass, wie wir diesem Zeugnis treu sind, wird der Fürst dieser Welt uns verfolgen. «Ich sage euch aber, dass Elia schon gekommen ist, und sie haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm getan, was irgend sie wollten. Also wird auch der Sohn des Menschen von ihnen leiden» (Mt 17,12). Das ist der Charakter des «Zeitlaufs dieser Welt». Gott kann durch eine verborgene Vorsehung lenken und herrschen, aber das Wesen der Welt bleibt so. Der Glaube hat sein eigenes Zeugnis und hält es aufrecht, indem er eingedenk bleibt, dass Gott die Welt nicht gutheisst und sie einst zur Verantwortung ziehen wird: «Wir danken dir, Herr, Gott, Allmächtiger, der da ist und der da war, dass du deine grosse Macht angenommen und die Herrschaft angetreten hast! Und die Nationen sind zornig geworden, und dein Zorn ist gekommen und die Zeit der Toten, gerichtet zu werden, und den Lohn zu geben deinen Knechten, den Propheten, und den Heiligen und denen, die deinen Namen fürchten, die Kleinen und die Grossen, und die zu verderben, die die Erde verderben» (Off 11,17.18). Bis dahin muss der Christ durch Glauben leben in den Dingen, «die man nicht sieht».
Die Hebräer
Dieser Zustand der Dinge war ganz besonders für die Hebräer eine Prüfung. Ihre Religion war mit sichtbaren Dingen verbunden. Sie hatten ein System, das sie leitete. Sie hatten einen sichtbaren Tempel, verschiedene Opfer, ein Priestertum, usw. Auch lebten sie in der Erwartung, den Messias zu sehen (als sie Ihn dann aber wirklich sahen, hassten und töteten sie Ihn, und Er wurde in den Himmel aufgenommen). Als die Hebräer Christen wurden, verloren sie alles, was sie gehabt hatten und gewannen nichts, nichts worauf das Fleisch sich stützen konnte. Sie waren daher ständig in Versuchung, einen Messias, der nicht gesehen werden konnte, zu verleugnen, um sich den sichtbaren Dingen zuzuwenden.
Dem Wort Gottes glauben und Gott vertrauen
In dem uns beschäftigenden Kapitel fasst der Apostel die Erfahrungen der Gläubigen zusammen und lässt erkennen, dass im Lauf ihrer ganzen Geschichte jeder, der «Zeugnis erlangte», es nur durch Glauben empfing.
Die Menschen halten uns für Toren. (Zur Definition der Torheit könnte man sich einen Menschen vorstellen, der mit grösster Beharrlichkeit im Blick auf einen Gegenstand handelt, den niemand sieht und von dem niemand glaubt, dass er wirklich existiert.) Die Autorität des Gläubigen ist das Wort Gottes. Vom Augenblick an, wo er im Blick auf einen sichtbaren Gegenstand handelt, hört er auf, wie ein Christ zu wandeln. Auch Christus hat in diesem Sinn ein Leben des Glaubens gelebt.
In diesem Kapitel wird uns das Leben des Glaubens vorgestellt, nicht das Heil oder der Friede, der durch Glauben gefunden wird. (Nur Abel bildet darin in gewissem Mass eine Ausnahme.) Der Glaube wird hier als die Kraft betrachtet, durch welche diese Heiligen wandelten.
Die Seele findet im Glauben zwei Dinge: Erstens den Frieden und zweitens auch die Kraft zum Wandeln. – Wenn ich von Glauben rede, so kann ich darunter den Glauben an ein Zeugnis verstehen: Eine Person sagt mir etwas, und ich glaube dieser Person. Aber ich kann auch auf andere Weise Glauben an diese Person haben: Ich kann mein Vertrauen in sie setzen. Oft vermengen wir diese beiden Dinge. Es gibt ein Zeugnis Gottes, das ich zu glauben habe, und ein Vertrauen in Gott, das mich wandeln macht.
Bei Abraham zeigte sich beides: Gott rief ihn, zeigte ihm die Sterne des Himmels, und sagte: «So wird deine Nachkommenschaft sein!», und Abraham «glaubte dem HERRN» (1. Mo 15,5.6). In der Opferung Isaaks aber handelte es sich nicht um die Annahme eines Zeugnisses, sondern darum, «durch Glauben» Gott zu gehorchen (Heb 11,17).
Beachte die Reihenfolge, in der in diesem Kapitel die mit dem Glauben verbundenen Dinge vorgestellt werden.
Durch Glauben das Unsichtbare verwirklichen und verstehen, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind (Verse 1-3)
Durch Glauben wird das Unsichtbare ebenso wirklich, ebenso nahe, wie wenn es tatsächlich vor unseren Augen wäre, ja, weit mehr sogar, denn von den sichtbaren Dingen wird man enttäuscht, während es in den Dingen, die der Geist dem Herzen mitteilt, keine Enttäuschung gibt.
Durch Glauben verstehen wir, dass die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind (Vers 3).
Durch Glauben Gott nahen, aufgrund des geschlachteten Lammes (Vers 4)
Dann wird die grosse Grundlage erwähnt, auf der das gefallene Geschöpf Gott nahen kann. Lasst uns einmal untersuchen, was das Opfer Abels kennzeichnet und vom Opfer Kains unterscheidet.
Kain opferte Gott was ihn Arbeit gekostet hatte. Der so handelte, war nicht ein Mensch ohne Religion: Er opferte Gott und betete Ihn an. Und doch wurde er völlig verworfen. Sein Gottesdienst gründete sich auf das, was nicht Glauben ist. Als Sünder, der aus dem Paradies vertrieben worden war, trat er vor Gott hin, wie wenn alles in bester Ordnung gewesen wäre. So gibt es auch heute viele Menschen, die – wie Kain – meinen, sie könnten Gott dienen und Ihm Ehre darbringen. Und was brachte Kain dar? Früchte des Erdbodens, die den Stempel des Fluches trugen! Gott hatte gesagt: «So sei der Erdboden verflucht um deinetwillen: Mit Mühsal sollst du davon essen alle Tage deines Lebens; und Dornen und Disteln wird er dir sprossen lassen, und du wirst das Kraut des Feldes essen. Im Schweiss deines Angesichts wirst du dein Brot essen» (1. Mo 3,17-19). – Dahin also kommt ein Mensch, der sich einbildet, er könne Gott gegenüber seine Pflicht tun, wie man sich auszudrücken pflegt; seinen wirklichen Zustand übergeht er völlig.
Abel handelte ganz anders. Er brachte ein geschlachtetes Lamm dar: Er nahte Gott mittels des Todes (dem Grundsatz nach durch das Mittel der Versöhnung Christi). Zwischen Gott und sich selbst setzte er das Zeugnis eines Opfers, das für diesen Zweck vorgesehen war, und er brachte es durch Glauben dar. Lange vor der Ausführung des Werkes des Herrn Jesus Christus schon wurde angekündigt, dass es geschehen würde; es war so, wie wenn einem Schuldner im Gefängnis gesagt worden wäre: «Deine Schulden werden bezahlt werden.» Was wir jetzt als eine vollendete Tatsache kennen und geniessen, war damals noch ein Gegenstand der Hoffnung. In Römer 3,25-26 lesen wir: «Den Gott dargestellt hat als ein Sühnmittel durch den Glauben an sein Blut, zur Erweisung seiner Gerechtigkeit wegen des Hingehenlassens der vorher geschehenen Sünden unter der Nachsicht Gottes; zur Erweisung seiner Gerechtigkeit in der jetzigen Zeit, dass er gerecht sei und den rechtfertige, der des Glaubens an Jesus ist.» Wir blicken nun nicht mehr nach vorn, auf ein zukünftiges Opfer hin; ich habe nicht die Verheissung, das Gefängnis verlassen zu dürfen, sondern bin schon draussen. Wir haben das Zeugnis, dass die Frage der Sünde geordnet ist, und der Heilige Geist ist das Siegel dieses Zeugnisses. Er kann meiner Seele kein anderes Zeugnis geben, als dass alles vollbracht, die Schuld bezahlt, die Türe geöffnet und das Werk vollendet ist.
Im ersten Brief des Petrus, Kapitel 1,11 wird von zwei Dingen geredet: «Von den Leiden, die auf Christus kommen sollten, und von den Herrlichkeiten danach.» Die Gläubigen des Alten Testaments erwarteten noch beides; wir aber sind zwischen diese beiden Dinge hineingestellt: Die «Leiden Christi» sind hinter uns und wir erwarten nur noch die «Herrlichkeiten». Für die Zwischenzeit ist der Heilige Geist herniedergesandt worden, um von einer vollkommenen Erlösung zu zeugen. Sie ist für mich nicht ein Gegenstand der Hoffnung; ich warte nicht, dass meine Sünden ausgelöscht werden, sie sind es schon. Das ist die Grundlage, auf der wir ruhen. Gott ruht im Werk seines Sohnes, das Er angenommen hat, und auch ich finde daher meinen Frieden darin.
Durch Glauben mit Gott wandeln in der Kraft des Lebens (Verse 5 und 6)
Nun wird uns der Wandel Henochs vorgestellt, der uns wieder etwas Anderes lehrt Der Glaube sagt mir nicht nur, dass ich jetzt Gott nahen darf, sondern auch, dass der Tod völlig beiseite gesetzt ist. Alle Dinge sind unser, auch der Tod; für uns ist er nicht mehr der «König der Schrecken»; wir sind Christi, Christus aber ist Gottes (1. Kor 3,22.23).
Bei Henoch finden wir einen Wandel mit Gott; eine Macht des Lebens mit Gott, und zwar eine solche Macht, dass der Tod nicht mehr herrschen kann. Das Leben des Sohnes Gottes ist unser, nicht nur sein Tod. Nicht nur besteht die kostbare Wahrheit eines vollbrachten Opfers, um einer Seele den Frieden zu geben; sondern die ganze Macht des Todes in der Hand Satans ist zunichtegeworden. Gott erlaubt Satan, alles ihm mögliche Böse auszuführen, und was irgend der «Fürst dieser Welt» imstande war zu tun, musste der Sohn Gottes erleiden, aber Er hat ihn zunichtegemacht.
Wie herrlich sind die Folgen dieses Sieges! «Ich bin mit Christus gekreuzigt, und nicht mehr lebe ich, sondern Christus lebt in mir; was ich aber jetzt lebe im Fleisch, lebe ich durch Glauben, durch den an den Sohn Gottes, der mich geliebt und sich selbst für mich hingegeben hat» (Gal 2,20). – «So sind wir nun allezeit guten Mutes und wissen, dass wir, während wir einheimisch in dem Leib sind, von dem Herrn ausheimisch sind … und möchten lieber ausheimisch von dem Leib und einheimisch bei dem Herrn sein» (2. Kor 5,6.8). – Was ich erwarte, ist nicht «entkleidet», sondern «überkleidet» zu werden; aber wenn ich sterbe) so bleibt das Leben, das ich besitze, unversehrt; und ich bin dann «einheimisch» bei dem Herrn.
Zwei Dinge werden hier gezeigt, die der Glaube erfasst: Erstens das Blut der Sühnung, durch das die Sünde zunichtegemacht wurde; zweitens aber auch eine Macht des Lebens, die uns Kraft zum Wandeln gibt, nicht nur als Volk Gottes, sondern als einzelne mit Gott. Wir sind mit einem lebendigen Christus eins gemacht, wie wir auch durch den Tod des Christus errettet worden sind.