Die Unterweisung der Gnade Gottes
«Die Gnade Gottes ist erschienen, heilbringend für alle Menschen, und unterweist uns, damit wir die Gottlosigkeit und die weltlichen Begierden verleugnend, besonnen und gerecht und gottselig leben in dem jetzigen Zeitlauf indem wir erwarten die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres grossen Gottes und Heilandes Jesus Christus» (Tit 2,11-13).
Im ersten Teil unserer Überlegungen hatten wir die Erscheinung der Gnade vor Augen. Sie ist in der Person des Herrn Jesus erschienen und bietet allen Menschen das Heil an. Jetzt steht der Unterricht der Gnade vor uns. Jene, die das Heilsangebot Gottes annehmen, werden in der gegenwärtigen Zeit, d.h. bis zum Wiederkommen des Herrn Jesus, von der Gnade unterwiesen.
1) Wen die Gnade unterweist
Wir haben bereits am Schluss des ersten Teils unserer Überlegungen gesagt, dass die Gnade nur jene Menschen unterweist, die sie auch angenommen haben, also die Glaubenden. Nun gibt es Menschen, die versuchen, nach den Grundsätzen und Prinzipien der Bergpredigt zu leben. Aber sie werden scheitern, wenn sie den Herrn Jesus nicht zuvor als Heiland angenommen haben. Denn die Gnade Gottes unterweist uns, indem sie uns die Person Jesu vorstellt.
2) Wie die Gnade unterweist
Wir befinden uns also in der Schule Gottes, und die Gnade ist unser Lehrer. «Unterweisen» bedeutet so viel wie «ein Kind erziehen», «belehren». Der Unterricht der Gnade hat die Erziehung und Belehrung des Glaubenden im Auge. Wir sollen fähig sein, bestimmte Dinge zu unterlassen, andere hingegen zu tun. Die besondere Gegenwartsform des Wortes «unterweisen» (wörtlich: «uns unterweisend», «uns erziehend») lässt an einen andauernden Prozess denken. An jedem Tag unseres Lebens sind wir in der Schule Gottes und werden von der Gnade unterwiesen.
Was bedeutet es nun, dass die Gnade uns unterweist? Der Unterricht der Gnade ist ein anderer als der des Gesetzes und der Gerechtigkeit. Die Gnade ordnet nicht an und befiehlt, sondern sie stellt uns das Beispiel des Herrn Jesus vor die Herzen und möchte uns für Ihn erwärmen. Im Gesetz hiess es: «Tu dies, und du wirst leben.» Die Gnade sagt: «Du lebst und hast das Heil Gottes empfangen, deshalb darfst du dies jetzt in deinem Leben sichtbar werden lassen.»
3) Was die Gnade unterweist
Der Unterricht der Gnade ist ein vollständiger Unterricht. Er nimmt Bezug auf die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft. Die Gnade lehrt uns erstens, wovon wir befreit worden sind, nämlich von der Gottlosigkeit und von den weltlichen Begierden, und fordert uns auf, diese Dinge zu verleugnen. Die Gnade lehrt uns zweitens, wie wir jetzt leben können: besonnen, gerecht und gottselig. Sie zeigt uns drittens, was noch vor uns liegt: die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit unseres Herrn. Wenn wir das überdenken, dann finden wir insgesamt sieben Stücke, die uns vorgestellt werden. Die ersten beiden zeigen uns, was wir verneinen sollen, die nächsten drei machen klar, worin wir uns üben dürfen, und die letzten beiden stellen uns unsere Zukunftserwartung vor.
Vergangenheit
In Bezug auf die Vergangenheit lernen wir, wovon wir befreit worden sind. Gottlosigkeit und weltliche Begierden kennzeichnen den Menschen von Natur. Damit sollte der Christ nichts mehr zu tun haben. Was hier vorgestellt wird, ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Die Gnade Gottes setzt voraus, dass ein Christ ihre errettende Wirkung nicht nur erfahren hat, sondern dass er gleichzeitig ein Leben führt, in dem er das, worin er einst lebte, permanent verleugnet.
Wir haben die alte Natur noch in uns. Die Welt findet immer noch einen Anknüpfungspunkt in uns. Weltliche Verführungen umgeben uns wie die Luft. Kein Christ kann behaupten, dass die Welt ihm als Mensch nichts mehr biete. Satan wird immer wieder versuchen, uns durch das zu beeinflussen, was wir längst hinter uns gelassen haben sollten. Deshalb ist dieser Hinweis wichtig und aktuell. Wir verleugnen diese Dinge und lassen es nicht zu, dass Gott seiner Ehre beraubt wird. Tun wir das nicht, sondern öffnen wir uns den Einflüssen der Welt, dann werden wir eine Niederlage erleiden.
Gottlosigkeit steht im Gegensatz zur Gottseligkeit. Gottlos zu sein, bedeutet nicht einfach, losgelöst von Gott und ohne Ihn zu leben. Es ist die totale Unabhängigkeit von Gott, ein Leben, in dem man nicht mit Gott rechnet und Ihm nicht das gibt, was Ihm zusteht. Gottlose Menschen können den Namen Gottes durchaus im Mund führen. Judas spricht von solchen, die Gottes Gnade in Ausschweifung verkehren, und nennt diese Menschen «Gottlose» (Jud 4). Ein wiedergeborener Christ ist an sich nicht gottlos, aber die Gefahr besteht, dass er ein Leben der Unabhängigkeit führt. Das Gegenteil sollte aber der Fall sein. Auch in den vermeintlichen Kleinigkeiten des Lebens sollen wir immer wieder im Gebet nach dem Willen Gottes fragen.
Was sind weltliche Begierden? Es ist unmöglich hier eine Liste aufzustellen, die alle weltlichen Begierden umfasst. Das wäre ein schematisches Denken. Nein, wir brauchen geistliches Unterscheidungsvermögen, um zu erkennen, was weltliche Begierden sind. Römer 12,2 fordert uns auf, dieser Welt nicht gleichförmig zu sein, sondern zu prüfen, «was der gute und wohlgefällige und vollkommene Wille Gottes ist». Die Welt ist das von Satan dominierte System, das in Feindschaft zu Gott steht. Weltliche Begierden sind Wünsche und Sehnsüchte, die sich auf dieses System beziehen. Der Apostel Johannes sagt dazu: «Alles, was in der Welt ist, die Lust des Fleisches und die Lust der Augen und der Hochmut des Lebens, ist nicht von dem Vater, sondern ist von der Welt» (1. Joh 2,16). Wir leben wohl in der Welt, aber wir sind nicht von ihr, und wir leben auch nicht für sie.
Gegenwart
In Verbindung mit der Gegenwart unterweist uns die Gnade, wie wir positiv zur Ehre Gottes leben können, indem wir uns üben, besonnen, gerecht und gottselig zu sein. Darin kommen drei Beziehungen zum Ausdruck:
- Uns selbst gegenüber: Wir üben uns darin, besonnen zu sein. Das hat mit Selbstbeherrschung zu tun. Gott möchte nicht, dass wir durch alles Mögliche um uns her beeinflusst werden. Wir geben dem Fleisch keine Gelegenheit, wirksam zu werden. Wir bremsen uns, wenn es darum geht, unseren eigenen Willen zu tun oder nach unseren eigenen Wünschen zu leben. Das ist die Unterweisung der Gnade.
- Anderen gegenüber: Wir üben uns zur praktischen Gerechtigkeit. Das hat mit unserem Verhalten gegenüber den Mitmenschen zu tun. Diese umfassen unsere Mitgeschwister, aber auch die Menschen dieser Welt. Die Welt, in der wir leben, wird durch Ungerechtigkeit gekennzeichnet. Aber gerade in dieser Umgebung dürfen wir zeigen, was es heisst, in Übereinstimmung mit Gott zu leben. Wo Menschen lügen, dürfen wir ehrlich sein. Wo sie ihre Rechte einfordern, bestehen wir nicht darauf. Wo die Leute jede Gelegenheit nutzen, die Gesetze zu, übertreten, respektieren wir die vom Staat erlassenen Ordnungen. Auf diese Weise dürfen wir den Menschen ein Zeugnis sein.
- Gott gegenüber: Wir üben uns zur Gottseligkeit. Das bedeutet, ein Leben der Hingabe an unseren Herrn zu lehren, indem wir Ihn lieben, Ihn ehren und Ihm im Dienst zur Verfügung stehen. In Vollkommenheit sehen wir das im Leben des Herrn Jesus. Die Gnade möchte dies in uns hervorbringen. Sie lenkt uns auf Gott hin. Es geht nicht darum, so zu leben, dass uns die Geschwister bewundern, sondern darum, dass wir Gott gefallen. Gottseligkeit ist wahre Frömmigkeit, ein Leben, durch das Gott geehrt und verherrlicht wird.
Das Genannte soll uns in dem jetzigen Zeitlauf kennzeichnen. «Zeitlauf» meint einen Zeitabschnitt, der durch bestimmte Merkmale charakterisiert wird. Wir leben jetzt in einer Welt, die nach anderen Prinzipien funktioniert als die oben beschriebenen. Es ist die gegenwärtige böse Welt, aus der wir herausgenommen sind, in der wir aber noch leben, obwohl wir nicht mehr zu ihr gehören. Gerade da stehen wir als Christen vor der täglichen Herausforderung, unser Leben nach anderen, nämlich göttlichen Richtlinien zu führen. Ohne den Unterricht der Gnade ist das nicht möglich.
Zukunft
Wir leben jetzt in dem gegenwärtigen Zeitlauf, sind aber gleichzeitig auf eine Welt ausgerichtet, die noch vor uns liegt. Deshalb unterweist uns die Gnade nicht nur im Blick auf die Vergangenheit und Gegenwart, sondern auch im Hinblick auf die Zukunft. Wer die Gnade erfahren hat, der darf mit Freude auf das warten, was vor ihm liegt.
Die Heimat des Christen ist nicht diese Welt. Nein, wir warten auf das Ende dieses Zeitlaufs und auf eine gerechte Welt. Darauf richtet sich unsere Hoffnung. Dabei drückt unser Hoffen nicht eine vage Erwartungshaltung aus, sondern es handelt sich um ein sicheres Wissen dessen, was vor uns liegt. Diese Hoffnung ist einerseits ein Trost und eine Ermunterung, anderseits ist sie aber auch ein Teil unserer Verantwortung. Dieser Gedanke scheint hier mehr im Vordergrund zu stehen. Die Gnade unterweist uns, die glückselige Hoffnung und Erscheinung der Herrlichkeit des Herrn Jesus zu erwarten und zu lieben.
Es ist eine glückselige Hoffnung. Wir dürfen uns darin freuen. Wir warten nicht mit Unsicherheit und innerem Bangen, sondern wir freuen uns auf den Augenblick, da der Herr Jesus kommen wird und wir vom Glauben zum Schauen geführt werden. Unsere Hoffnung gleicht einem sicheren Anker. Unser Glück liegt darin, einmal die Herrlichkeit unseres Herrn mit Ihm zu teilen. Wir warten darauf, da zu sein, wo wir hingehören.
Wir freuen uns auch auf seine Erscheinung in Macht und Herrlichkeit. Der Herr wird auf diese Erde zurückkommen und sein Reich gründen: «Dann wird der Gesetzlose offenbart werden, den der Herr Jesus verzehren wird durch den Hauch seines Mundes und vernichten wird durch die Erscheinung seiner Ankunft» (2. Thes 2,8).
Die Hoffnung zeigt also mehr unsere Seite, denn wir möchten Den sehen, an den wir geglaubt haben und ewig bei Ihm sein. Die Erscheinung weist mehr auf seine Seite hin, wenn Ihm auf dieser Erde alle Ehre und Herrlichkeit zukommen wird.
Was lernen wir daraus? Es geht nicht nur darum, dass wir die beiden Seiten seiner Wiederkehr zu unterscheiden wissen. Das ist wichtig, aber die Gnade will uns lehren, sein Kommen im Herzen zu tragen. Die Thessalonicher waren noch sehr unwissend über das Kommen des Herrn für die Seinen, aber Paulus konnte ihnen doch das Zeugnis ausstellen, dass sie sich bekehrt hatten, um Gott zu dienen und seinen Sohn aus den Himmeln zu erwarten (1. Thes 1,10). Um dieses geht es hier in erster Linie. Wir sollen Ihn als Den erwarten, der kommt, um uns aus dem gegenwärtigen Zeitlauf zu entrücken. Wir sollen Ihn aber auch als Den erwarten, der kommt, um auf dieser Erde seine Herrschaft anzutreten. Diese zweite Seite beachten wir oft zu wenig, weil wir überwiegend mit dem beschäftigt sind, was sein Kommen für uns bedeutet. Es ist gut und nützlich, die Lehre von der Wiederkunft des Herrn zu kennen. Diese Kenntnis soll uns dann aber auch motivieren und antreiben, Ihm zu dienen und Ihn zu erwarten. Das ist das Ziel der unterweisenden Gnade Gottes im Blick auf die Zukunft.
Lassen wir uns alle gern täglich von der Gnade unterweisen, die uns das grosse Heil Gottes gebracht hat?