Gnade und Wahrheit (1)

Johannes 4,1-19

Einleitung

In Johannes 1,14 heisst es: «Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns (und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Eingeborenen vom Vater) voller Gnade und Wahrheit.» Damit ist unser Herr Jesus Christus, der Sohn Gottes, gemeint. Von Ihm wollen wir unsere Herzen erwärmen lassen, wenn wir uns mit Johannes 4 etwas näher beschäftigen.

Der Jünger und Apostel Johannes, der Schreiber dieses Evangeliums, hatte das Vorrecht, mehr als drei Jahre lang Tag für Tag mit dem Herrn Jesus zu gehen. Dabei hatte er tiefe Eindrücke von Ihm bekommen. Er wurde ein Zeuge des Lebens, des Sterbens und der Auferstehung des Herrn (Joh 1,36; 19,35; 20,8). Im Weiteren gehörte er mit Jakobus und Petrus zusammen zu den drei Kronzeugen des Herrn Jesus, denn es gab Momente im Leben des Meisters, da Er nur diese drei mit sich nahm, z.B. auf den Berg der Verklärung und auch ins Innere des Gartens Gethsemane.

Der Feind Gottes wollte diese drei Kronzeugen beseitigen. Er begann damit, dass er Jakobus töten liess, und stand im Begriff, auch Petrus umzubringen. Doch dann griff Gott persönlich ein, um zwei dieser drei Zeugen zu erhalten.

Dann finden wir ihn weiter in der Apostelgeschichte, wie er zusammen mit Petrus dasteht und das Zeugnis von den Leiden und der Auferstehung des Herrn Jesus ablegt. Es wird allerdings nicht berichtet, dass Johannes etwas sagte. – Erst am Ende seines Lebens hat er, inspiriert durch den Geist Gottes, fünf gewaltige Dokumente der Heiligen Schrift geschrieben: das Johannes-Evangelium, seine drei Briefe und die Offenbarung.

Lebendiges Wasser (Joh 4,1-19)

Im Blick auf den Weg des Herrn Jesus von Judäa nach Galiläa heisst es: «Er musste aber durch Samaria ziehen» (Joh 4,4). Dass der Herr etwas musste, zeigt uns Ihn als vollkommen abhängigen Menschen, als gehorsamen Diener. Der Herr Jesus ist einerseits völlig freiwillig vom Himmel auf die Erde gekommen, und hier auf der Erde hat Er alles ganz freiwillig getan, selbst seine Hingabe am Kreuz auf Golgatha geschah freiwillig. Und doch war Er anderseits immer vollkommen abhängig. Er war vom Vater ausgegangen, was völlige Freiwilligkeit bedeutet, und Er ist vom Vater gesandt worden, was auf seine vollkommene Abhängigkeit hinweist (Joh 17,8).

Der Herr wirkt, ohne Samaria anzuerkennen

Samaria ist ein Dokument, das vom Verfall des Volkes Gottes zeugt. Trotzdem sehen wir, wie der Herr Jesus durch Samaria hindurchzieht und wirkt. Gott ist souverän in seinem Wirken, ohne dabei den schlechten Zustand des Volkes anzuerkennen. Diesen Grundsatz hat der Herr vollkommen ausgelebt. Er hat in Samaria gewirkt, aber den Standpunkt der Samariter durchaus nicht anerkannt.

Gerade dies lernen wir Gläubige so schwer. Wir haben die Neigung zu denken, wenn Gott wirkt, dann habe Er auch ein Ja zum Zustand und zum Verhalten derer, an denen Er wirkt. Doch dies ist durchaus nicht so. Auch heute noch ist Gott völlig souverän in seinem Wirken. Das bedeutet aber nicht, dass Er dadurch einen schlechten Zustand gutheisst.

Dies ist auch eine Ermunterung für uns, die wir in den Tagen des Verfalls des Volkes Gottes leben. Es ist eine sehr traurige und demütigende Zeit. Dennoch zieht der Herr Jesus «hindurch», Er wirkt, ohne den Zustand des Verfalls gutzuheissen.

In Samaria hat der Herr Jesus gewirkt, ohne selbst vom Verfall in irgendeiner Weise angesteckt zu werden. Es ist wunderbar zu sehen, wie Er als Fremdling hier auf der Erde gelebt und gewirkt hat. Unser Heiland war immer unterwegs als der hohe Fremdling vom Himmel. Er ging über diese Erde, aber Er wurde nicht heimisch auf ihr. Welch ein herrliches Vorbild für uns! Auch wir durchziehen als gläubige Menschen diese Welt und Erde. Durchziehen wir sie aber auch, indem wir den Fremdlingscharakter verwirklichen, den der Herr Jesus in so vollkommener Weise ausgelebt hat?

Nun kommt der Meister zur Quelle Jakobs. Dieser Name und die Quelle erinnern uns daran, dass es schon im Alten Testament Menschen gegeben hat, die glaubten und dadurch Leben aus Gott hatten. Aber es waren immer nur wenige. Auch heute sind es wenige, die wirklich Buße getan haben, die an den Namen und an das Werk des Herrn Jesus geglaubt haben.

Der Herr Jesus hat sich, ermüdet von der Reise, an diesen alten Brunnen niedergesetzt. Wir sehen Ihn hier als den vollkommenen Menschen, der hungrig wurde, Durst hatte und müde war. Er ist wirklich und wahrhaftig Mensch geworden, und zugleich blieb Er immer Gott, der Sohn, gepriesen in Ewigkeit.

Jetzt naht eine Frau. Es ist eine sündige Frau, deren Sünden sie in eine sehr schwierige Lage gebracht haben. Sie kommt ganz allein zu diesem Brunnen, um Wasser zu schöpfen, da sie durch ihre Sünden und deren Folgen von den Menschen ausgestossen und verachtet ist. Auch unser Herr Jesus war von den Menschen ausgestossen und verachtet, aber nicht wegen seinen Sünden, denn Er tat keine Sünde und Sünde war nicht in Ihm, sondern wegen seiner Heiligkeit, wegen seiner Reinheit. Nun treffen sich diese beiden am Brunnen: der wegen seiner Heiligkeit ausgestossene Mensch und die wegen ihren Sünden ausgestossene Frau. Dann bittet Er sie: «Gib mir zu trinken!»

Man kann es manchmal erleben, dass hochgestellte Menschen sich gnädigst zu anderen herablassen. Aber beim Herrn Jesus sehen wir nicht Herablassung, sondern Demut und Güte. Er öffnet das Herz dieser Sünderin durch eine Bitte. Es ist eine göttliche Tatsache, dass Geben seliger ist als Nehmen. Dennoch braucht es mehr Demut, etwas zu erbitten als etwas zu geben. Wir sind manchmal viel zu stolz, um von jemandem etwas zu erbitten. Aber unser Herr Jesus, der von Herzen demütige Mann, bittet diese sündige Frau um einen Trunk Wasser und öffnet damit ihr Herz.

Doch in dieser Bitte «Gib mir zu trinken!» liegt mehr als das Bedürfnis, physischen Durst zu stillen. Sie drückt auch den tiefen Wunsch unseres Heilands hier auf der Erde aus, verlorene Sünder zu erretten. Dieses Verlangen hat der Herr Jesus immer noch. Er möchte heute noch verlorene Sünder erretten, solche, die ihre Schuld einsehen und bekennen.

Gott ist ein Geber

Diese Frau versteht das nicht. Sie sagt: «Wie bittest du, der du ein Jude bist, von mir zu trinken, die ich eine samaritische Frau bin?» Er beantwortet diese Frage, indem Er sagt: «Wenn du die Gabe Gottes kenntest.» Dies ist ein zweiter wichtiger Grundsatz, den wir hier finden: Wir haben es mit einem Gott zu tun, der ein Geber ist. Das betrifft nicht nur verlorene Sünder, sondern gilt auch für erlöste Menschen. Gott gibt uns in Christus alles. Die Samariter kannten das Gesetz des Alten Testaments und wussten, dass Gott ein fordernder Gott war. Mit der Gabe seines Sohnes auf die Erde hat Er dokumentiert, dass Er jetzt nicht mehr fordert, sondern gibt, dass Er ein Gott ist, der liebt, der in seinem Sohn Jesus Christus alles schenken will. Wenn es irgend etwas gibt, das die Sehnsucht eines Herzens stillt, wenn es irgend etwas gibt, das die Wünsche der Gedanken befriedigt, dann ist es nur Jesus Christus, diese Gabe Gottes.

«Wenn du die Gabe Gottes kenntest und wüsstest, wer es ist, der zu dir spricht: Gib mir zu trinken, so hättest du ihn gebeten» (V. 10). Gott ist ein Geber. Unsere Verantwortung ist, seine Gabe anzunehmen. Diese Frau kommt um die Worte «so hättest du ihn gebeten» nicht herum. Keiner von uns kommt darum herum, Gott zu bitten, ihm diese Gabe zu geben. Hier liegt das grosse Problem der Menschen. Gott ist ein Heiland-Gott, der will, dass alle Menschen errettet werden. Das ist nicht sein Ratschluss, aber sein Wunsch und Wille (1. Tim 2,3.4). Anderseits heisst es: «Wer da will, nehme das Wasser des Lebens umsonst» (Off 22,17).

Der gleiche Schreiber, Johannes, der von der Gabe Gottes schreibt, erklärt auch, dass bei uns ein Wollen vorhanden sein muss, das Wasser des Lebens zu empfangen. Normalerweise sind wir Menschen sofort dabei, wenn wir etwas kostenlos empfangen können. Da öffnet man beide Hände. Warum dann nicht bei der Gabe Gottes im Herrn Jesus? Weil wir dabei unseren ganzen Stolz auf die Seite legen müssen. Weil wir nicht anerkennen wollen, dass unsere vermeintlich guten Werke vor Gott nicht bestehen und uns keinen Platz im Himmel geben können. Der Stolz unserer Herzen muss verschwinden, um bereit zu sein, die Gabe Gottes im Herrn Jesus anzunehmen.

Das ewige Leben

«Er hätte dir lebendiges Wasser gegeben.» Der Herr Jesus spricht hier vom ewigen Leben. Das ist mehr, als was die alttestamentlich Gläubigen besassen. Sie hatten zwar auch Leben aus Gott, sie gehen auch nicht verloren und werden auch bewahrt vor dem Gericht. Dennoch ist es wahr, dass durch das Kommen des Herrn Jesus auf diese Erde, durch sein Sterben am Kreuz auf Golgatha, Er jetzt Menschen nicht nur Leben, sondern ewiges Leben gibt. Was ist ewiges Leben? Zunächst ein Leben ohne Anfang und ohne Ende in Gott, denn Gott ist ohne Anfang und ohne Ende. Aber das ist nicht alles. Ewiges Leben ist Leben höchster Qualität. Es ist ein Leben von höherer Qualität als das Leben, das z.B. Abraham und David besassen. Dieses Leben gibt das Recht, Kinder Gottes zu heissen. Davon spricht dieses lebendige Wasser.

Nun gibt es vielleicht Menschen, die sagen: Dieser Unterschied ist mir nicht so wichtig. Hauptsache ist, dass ich nicht ins Gericht und nicht in die Hölle komme. Wir sollten aber nicht so bescheiden sein, sondern grosses Verlangen haben, dieses ewige Leben kennen zu lernen. Es sollte uns Gläubigen eine grosse Freude sein, es zu besitzen.

Nehmen wir ein Beispiel: Wenn ich eine Maus wäre, und ich hätte die Möglichkeit, ein Vogel zu werden, dann würde ich sie sofort benutzen, denn es wäre ein vollkommen anderes Leben. Eine Maus lebt auf dem Boden und verkriecht sich aus Angst vor ihren Feinden in die Erde. Sie ist ein Bild vom Leben des ungläubigen Menschen, der durch die Todesfurcht das ganze Leben hindurch der Knechtschaft unterworfen ist.

Wenn ich dann noch zwischen einem Spatz und einem Adler wählen könnte, dann würde ich natürlich gern ein Adler werden. Ein Spatz muss sehr schnell mit den Flügeln schlagen, um etwas hoch zu kommen, aber der Adler schwingt sich majestätisch in die Luft, um praktisch ohne Flügelschlag immer höher und höher zu steigen. Die Qualität des Lebens eines Adlers unterscheidet sich wesentlich vom Leben eines Sperlings. Das ewige Leben ist Leben von höchster Qualität: «Ich bin gekommen, damit sie Leben haben und es in Überfluss haben» (Joh 10,10).

Nun beginnt diese Frau zu sprechen und sagt: «Herr, du hast kein Schöpfgefäss, und der Brunnen ist tief, woher hast du denn das lebendige Wasser? Du bist doch nicht grösser als unser Vater Jakob, der uns den Brunnen gab, und er selbst trank daraus und seine Söhne und sein Vieh?» (V. 11.12). Was wir hier finden, ist religiöse Tradition. Für diese Frau war der Brunnen Jakobs nichts anderes als eine starke religiöse Tradition. Was sagt der Herr Jesus dazu? «Jeden, der von diesem Wasser trinkt, wird wieder dürsten» (V. 13). Die breite Masse der Menschen in den christlichen Ländern lebt von religiöser Tradition. Dies ist auch eine Gefahr für uns. Wir haben in den letzten Jahren viel von einer «Brüder-Bewegung» reden hören. Wenn man so spricht, bringt man die Herzen mit einer Tradition in Verbindung, und das ist nicht nach Gottes Gedanken, denn Er möchte unsere Seelen mit dem Herrn Jesus verbinden. Es geht also nicht darum, irgendeine Tradition weiterzuführen, sondern es geht um eine lebendige Verbindung mit unserem Herrn und Heiland, Jesus Christus, in dem wir leben.

Wenn man z.B. in einer Kathedrale mit wunderbarer Akustik sitzt und die Musik hört, ist das sehr schön und beeindruckend, aber man dürstet immer wieder danach. Es gibt keine wahre Ruhe und keinen Frieden des Herzens. Darum sagt der Herr: «Wer irgend aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird nicht dürsten in Ewigkeit» (V. 14). Was für ein Wasser ist das? Es ist zweifellos das Wasser, das aus der Seite des Herrn Jesus floss.

Als jener Soldat die Seite des gestorbenen Herrn mit einem Speer durchbohrte, war das Werk vollbracht. Es kam Blut und Wasser heraus. Diese beiden Dinge zeigen uns die zwei grossen Auswirkungen des vollkommenen Werkes unseres Herrn Jesus auf Golgatha.

  • Das Blut bedeutet, dass Golgatha genügt, um unsere Sünden, die ausserhalb von uns vor einem heiligen Gott standen, auszulöschen. Das ist Sühnung. Das Blut des Herrn Jesus ist auf Golgatha geflossen. Er ist wirklich gestorben. Dadurch können vor den heiligen Augen Gottes Sünden weggenommen werden.
  • Das Wasser hat eine Wirkung in uns, um in uns ein neues Leben zu wirken. Wenn wir nur die Wirkung des Blutes hätten, dann wären unsere Sünden wohl ausgelöscht, aber wir wären immer noch in unserem alten Zustand. Wir könnten immer noch nichts anderes tun, als weiter sündigen.

Aber bei unserer Bekehrung sind zwei wunderbare Dinge geschehen: Durch das Blut Christi wurden unsere Sünden weggenommen, und durch das Wasser wurde in uns ein neues Leben gewirkt. Von dieser Wirkung des Wassers in uns sagt der Herr Jesus in Johannes 13,10: «Wer gebadet ist, … ist ganz rein.» Das ist dieses Wasser, das uns Menschen, ehemaligen Sündern, das ewige Leben zu geben vermag. Wer dieses ewige Leben hat, und wer in diesem neuen Leben lebt, der kommt völlig zur Ruhe. Er wird niemals dürsten in Ewigkeit. Das ist Friede mit Gott. Es ist eine wunderbare Sache, dass Menschen hier auf der Erde Frieden mit Gott und Ruhe des Gewissens haben können. Der Grund ist nicht, dass sie besser als andere sind, sondern weil sie sich völlig auf das vollkommen vollbrachte Werk unseres Herrn Jesus auf Golgatha stützen.

Der Heilige Geist

Weiter sagt der Herr: «Das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm eine Quelle Wassers werden, das ins ewige Leben quillt» (V. 14). Jetzt kommt zum ewigen Leben noch etwas hinzu: Gott, der Heilige Geist. Bei der Neugeburt haben wir das ewige Leben empfangen, und dann hat Gott dieses Werk dadurch abgeschlossen, dass der Heilige Geist Wohnung in uns genommen hat, um diesem Leben Kraft zu geben.

Ein Beispiel zur Illustration: Wenn bei einem Auto der Motor nicht mehr funktioniert, muss man ihn durch einen neuen ersetzen, sonst kann man nicht mehr fahren. Wenn man nun einen neuen, funktionstüchtigen Motor eingebaut hat, aber der Tank ist leer, kann man immer noch nicht fahren. Dann braucht es noch Kraftstoff. – Gott, der Heilige Geist, gibt dem ewigen Leben Kraft (Joh 7,37).

Der Geist Gottes wirkt in uns, damit dieses ewige Leben in uns beginnt, wie eine Quelle, eine Fontäne, ein Springbrunnen tätig zu werden. Vielleicht denkst du: Aber das ewige Leben in mir schiesst gar nicht hoch auf. Wenn jedoch der Herr Jesus zur Entrückung kommt, können wir sicher sein, dass das ewige Leben in uns noch viel höher reichen wird, nämlich bis in die Heimat des ewigen Lebens, bis in das Haus des Vaters (Joh 14,3).

Die weiteren Verse dieses Kapitels zeigen uns, dass wir nicht nur auf die Entrückung warten müssen, sondern dass dieses Leben in uns jetzt schon immer höher «aufschiessen» darf. Das ist Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn, zu der uns das ewige Leben die Fähigkeit verliehen hat und die wir in der Kraft des Heiligen Geistes geniessen. Dies gilt für jeden, der an den Namen und an das Werk des Herrn Jesus geglaubt hat.

Wie steht es aber mit unserer Praxis? Ist unser «Springbrunnen» einmal hoch und höher geworden und dann wieder zurückgefallen? Unser Leben soll eine Quelle, eine Fontäne lebendigen Wassers sein, die jetzt schon ins ewige Leben quillt. Wie können wir das täglich verwirklichen? Indem wir unsere Knie vor unserem Gott und Vater beugen und Ihm als sein Kind nahen, um uns mit der Person des Herrn Jesus zu beschäftigen. Dies geschieht in unseren Herzen. Das ist Gemeinschaft. Hier geht es nicht um Dienst. Ein ähnlicher Gedanke begegnet uns in Römer 5,5: «Denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.» Da geht es auch nicht darum, dass wir andere lieben, sondern darum, dass wir diese Liebe Gottes zuerst selbst geniessen und darin leben.

Wahrheit in Gegenwart der Gnade

Dann sagt die Frau am Brunnen: «Herr, gib mir dieses Wasser» (V. 15). Sie hat bestimmt die tiefe Bedeutung seiner Worte nicht verstanden, und doch verlangt sie nach diesem Wasser. Sie konnte auch noch nichts von der wunderbaren Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn verstehen, aber sie war das alte, sündige Leben mit seinen Folgen leid.

Wenn wir in unserem Leben an die Bekehrung zurückdenken, so war es doch auch so, dass wir noch nichts von Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn wussten. Da ging es doch darum, nicht mehr als verlorener Sünder, der in die Hölle kommt, vor Gott zu stehen. Erst mit dem geistlichen Wachstum durch das Lesen des Wortes Gottes erkannten wir immer mehr, was bei der Bekehrung mit uns geschehen ist.

Die Bitte der Frau um das lebendige Wasser drückt Gehorsam aus. Bekehrung ist auch ein Akt des Gehorsams. Glauben heisst gehorchen. Jetzt gehorcht diese Frau, und der Herr Jesus muss nun von ihren Sünden sprechen.

Das ist der dritte wichtige Grundsatz, den wir in diesem Abschnitt finden: Der Herr Jesus deckt die Wahrheit in Verbindung mit der Gnade auf. Ein Grundsatz, der tief in unseren Herzen verwurzelt sein muss. Die Wahrheit darf nicht unter den Teppich gekehrt werden, auch wenn sie unangenehm ist. Es gibt Menschen, die meinen, es sei Gnade, wenn man das Verkehrte laufen lässt. Aber das ist keine Gnade, sondern Toleranz gegenüber dem Bösen. Dinge, die gegen das Wort Gottes sind, müssen aufgedeckt werden, aber in Verbindung mit der Gnade.

Dieser wichtige Grundsatz ist auf alle Bereiche unseres Lebens anwendbar. Wenn z.B. ein gläubiger Ehepartner etwas tut, das gegen den Willen Gottes ist, muss es aufgedeckt werden in Verbindung mit der Gnade, nicht mit Gericht. Wenn gläubige Eltern bei ihren Kindern etwas sehen, das nicht in Ordnung ist vor dem Herrn, muss es in einem Geist der Gnade aufgedeckt werden. Wenn unter Gläubigen etwas geschieht, das nicht recht ist vor Gott, dann kann man es nicht unter den Teppich kehren. Es muss aufgedeckt werden, aber mit einem Herzen, das bereit ist, Gnade zu üben. Auch bei der Wiederherstellung eines Gläubigen gilt dieser Grundsatz.

Der Herr sagt zu der Frau: «Geh hin, rufe deinen Mann» (V. 16). Sein taktvolles Vorgehen ist sehr lehrreich für uns. Er fällt nicht gleich mit der Tür ins Haus, wie wir oft zu tun geneigt sind. Darauf antwortet sie: «Ich habe keinen Mann» (V. 17). Dieses Bekenntnis war aufrichtig, aber es war nur ein Teilbekenntnis. Sie scheute sich, alles zu bekennen, und der Herr Jesus sagt darauf: «Du hast recht gesagt: Ich habe keinen Mann, denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann» (V. 17.18). Er anerkennt das aufrichtige Bekenntnis dieser Frau, auch wenn es unvollständig war. Voraussetzung ist, dass ein Bekenntnis aufrichtig ist, dann dürfen auch wir darauf eingehen. Leider gibt es auch unaufrichtige Geständnisse. Wir finden in der Bibel mehrfach das Bekenntnis: Ich habe gesündigt. In den meisten Fällen war es nicht echt, nur ein Lippenbekenntnis.

Diese Frau hatte wie viele Menschen heute ein ganzes Leben lang Durst, und sie hatte vergeblich versucht, ihn auf sündigem Weg zu stillen. Dabei ist sie immer tiefer gefallen. Aber hier an diesem Brunnen bekehrt sie sich. Sie sagt: Gib mir dieses Wasser, und Er sagt: Rufe deinen Mann. Und dann kommt von ihr ein Bekenntnis, ohne das es keine Vergebung gibt. Damit Gott vergeben kann, erwartet Er ein Bekenntnis der Sünden. Wann ist ein Bekenntnis echt? Wenn man nur noch die eigene Schuld sieht. Sagt man jedoch: Ich habe gesündigt, aber die anderen haben auch Schuld – kann ein solches Bekenntnis echt sein? So hat schon Adam argumentiert, indem er sagte: «Die Frau, die du mir beigegeben hast, sie gab mir von dem Baum, und ich ass» (1. Mo 3,12). Er gab zu, dass er gegessen hatte, aber er sah sich nicht allein schuldig. Er machte Gott einen indirekten Vorwurf und gab seiner Frau Schuld. Da musste noch ein tieferes Werk in ihm geschehen, bis der Moment kam, da er nur noch sich selbst Schuld gab.

Im Gegensatz dazu finden wir bei David ein echtes Bekenntnis: «Gegen dich, gegen dich allein habe ich gesündigt, und ich habe getan, was böse ist in deinen Augen; damit du gerechtfertigt wirst, wenn du redest, für rein befunden, wenn du richtest» (Ps 51,6).

Jetzt können wir bei der Frau am Brunnen die grosse Auswirkung der Bekehrung, der Neugeburt und der Wirksamkeit des Heiligen Geistes erkennen, wenn sie sagt: «Herr, ich sehe, dass du ein Prophet bist» (V. 19). Es sind zwei grosse Wahrheiten,

  1. dass man den Herrn als Herrn über sein Leben anerkennt, und
  2. dass man sich unter die volle Autorität der heiligen Schrift stellt.

Beides sehen wir bei dieser Frau, denn sie nennt Ihn Herr und anerkennt Ihn dadurch persönlich als solchen. Sie sieht, dass Er ein Prophet ist und stellt sich dadurch unter die Autorität seiner Worte.