Jesus nun, der alles wusste

Johannes 18,4

«Jesus nun, der alles wusste, was über ihn kommen würde, ging hinaus» (Joh 18,4). Diese Worte, die keine Handlung im eigentlichen Sinn beschreiben, geben doch einen tiefen Eindruck von einer Seite der Leiden und Herrlichkeiten unseres Herrn und Heilands, die wir Menschen nicht nachvollziehen können, über die wir aber doch einmal einige Augenblicke nachdenken dürfen.

Kein Mensch ist in der Lage, in die Zukunft zu sehen. Die Ereignisse, die vor uns liegen, sind uns nicht bekannt. Was der nächste Tag bringen wird, wissen wir nicht. Das eine oder andere mögen wir erahnen, aber genaue Einzelheiten kennen wir nicht. Und dafür wollen wir Gott von Herzen dankbar sein.

Stellen wir uns einmal vor, dass uns alles, was wir in unserem Leben bisher erlebt haben, vorher bekannt gewesen wäre. Hätte es uns nicht verzweifeln lassen? Und wie wäre es, wenn unser ganzer Lebensweg, den wir noch zu gehen haben, aufgedeckt vor uns liegen würde? Würden wir nicht resignieren und mutlos werden? Reicht nicht oft schon eine dunkle Ahnung dessen, was uns vielleicht begegnen wird (eine schwierige Prüfung, ein unangenehmes Gespräch, ein Arztbesuch usw.), damit uns ein seltsames und ungutes Gefühl beschleicht?

Er wusste alles im Voraus

Wie anders bei unserem Herrn. Als wahrer Mensch und doch gleichzeitig ewiger Gott lag sein ganzer Lebensweg in allen Einzelheiten vor Ihm. Als Mensch war Er an Raum und Zeit gebunden, aber als Gott kannte Er diese Beschränkungen nicht. Er wusste von Anfang an, was über Ihn kommen würde. Jede Einzelheit seines Lebens lag offen vor Ihm. Nichts war Ihm unbekannt. Und nicht umsonst erwähnt der inspirierte Schreiber Johannes diese Tatsache gerade an einer Stelle, wo der Leidensweg unseres Heilands von Gethsemane nach Golgatha begann. Wunderbare Worte hatte der Herr Jesus seinen Jüngern in Johannes 13 – 17 gesagt. Doch dann wechselt die Szene scheinbar abrupt. Seine Feinde – Judas an der Spitze nahten, um Ihn gefangen zu nehmen. Für den Herrn Jesus war es keine Überraschung. Nein, Er wusste, was über Ihn kommen würde.

Seine Gefangennahme und die Gerichtsverhandlungen

Wie muss dieses vorempfundene Leiden den Heiland getroffen haben! Er war wirklicher Mensch und wusste doch, was Ihn jetzt treffen würde. Er sah Judas kommen, der Ihn mit einem Kuss verraten würde. Er sah die rohen Soldaten, die kamen, um Ihn zu binden und wegzuführen. Er wusste, dass seine Jünger Ihn alle verlassen und fliehen würden, dass Petrus seinen Herrn, obwohl er Ihn feurig liebte, doch dreimal verleugnen würde. Vor seinen Augen standen die Verhöre einer korrupten Justiz mit einem Pilatus an der Spitze, der meinte, seine Hände in Unschuld waschen zu können, mit einem Herodes, der seine Neugier befriedigen wollte, und mit den vermeintlich so religiösen Juden, die nur ein Ziel hatten, Ihn zum Tod zu bringen. Das ungerechteste Gerichtsurteil, das es je in der Menschheitsgeschichte gegeben hat und geben wird, war Ihm vorher bekannt.

Die Leiden vonseiten der Menschen

Auch die körperlichen und seelischen Leiden und Schmerzen, die Er vonseiten der Menschen zu erdulden hatte, waren Ihm im Voraus bekannt. Er wusste, dass man Ihn verhüllen, bespucken und ins Gesicht schlagen würde. Er wusste, dass die Soldaten eine Krone aus Dornen flechten und auf sein Haupt setzen würden, um dann mit einem Rohr darauf zu schlagen. Er wusste, dass Er, sein Kreuz tragend, nach Golgatha hinausgehen würde. Er wusste, dass Er die Zielscheibe von beissendem Hohn und Spott der Menschen sein würde, denen Er nur Gutes getan hatte, Die prophetischen Aussagen des Alten Testaments lassen uns ein wenig erahnen, wie sehr das alles den Herrn Jesus traf. Aber es kam hinzu, dass Er es vorher wusste. Er litt nicht nur in den Augenblicken, als alles Wirklichkeit für Ihn wurde, sondern Er litt bereits im Vorempfinden. Wie sehr muss das sein Leiden verstärkt haben!

Die Leiden vonseiten Gottes

Aber wie schwer muss erst das, was am Kreuz von Golgatha auf Ihn wartete, vor den Augen des Herrn gewesen sein! Nicht nur, dass Er dort unter grössten Schmerzen hängen sollte, nein, auch die Stunden der Finsternis waren Ihm vorher bekannt. Wie hatte Er in Gethsemane in ringendem Kampf im Gebet verharrt, als der ganze Kelch des Zorns Gottes über die Sünde vor seiner heiligen Seele stand! Er, der Sündlose und Reine, sollte zur Sünde gemacht werden. Er, der als Mensch immer in ungetrübter Gemeinschaft mit seinem Gott gelebt hatte, sollte von Ihm verlassen werden. Er, der von sich selbst sagen konnte, dass Er das Licht war, würde in Finsternis am Kreuz hängen. Er, der der Urheber des Lebens war, sollte sein Leben in den Tod geben. Der Herr wusste, dass Er rufen würde: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?»

Das alles stand vor dem inneren Auge des Herrn, als Er seinen Feinden mit den Worten entgegenging: «Wen sucht ihr?» Ja, Er wusste genau und in allen Einzelheiten, was über Ihn kommen würde. Nichts war vor Ihm verborgen. Wie tief muss Ihn das getroffen haben! Und doch zögerte Er keinen Augenblick. Nein, als der treue Knecht Gottes ging Er seinen Weg im Gehorsam und in Hingabe, um das Werk zu vollbringen, das Gott Ihm aufgetragen hatte.

Die Verherrlichung Gottes

Doch bei all dem Leiden, das vor Ihm stand, wusste der Herr auch, dass Er am Kreuz auf Golgatha seinen Gott verherrlichen würde. Hatte Er seinen Jüngern nicht wenige Stunden vorher noch gesagt: «Jetzt ist der Sohn des Menschen verherrlicht, und Gott ist verherrlicht in ihm» (Joh 13,31)? Am Kreuz sollte offenbar werden, welche Vollkommenheiten den Herrn Jesus als wahren Menschen kennzeichneten. Seine Liebe, sein Erbarmen, sein Gehorsam, seine Hingabe an Gott wurden in einer einzigartigen Weise sichtbar. Am Kreuz sollte offenbar werden, wie sehr Gott Licht und Liebe ist. Der Herr war gekommen, um sich «durch den ewigen Geist Gott zu opfern» (Heb 9,14). Er wollte das Opfer für die Sünde stellen, aber Er wollte auch als Brandopfer Gott verherrlichen und die Ehre Gottes wiederherstellen, die wir Menschen mit Füssen getreten hatten. Auch diese Seite war dem Herrn nicht verborgen.

Die vor Ihm liegende Freude

Aber noch etwas war unserem Herrn ebenfalls bekannt. Er wusste um die «vor ihm liegende Freude». Er wusste, dass Er nach den finsteren Stunden ausrufen würde: «Es ist vollbracht!», dass Er als Sieger von Golgatha aus den Toten auferstehen und in den Himmel zurückgehen würde. Er, der Gott verherrlicht hatte, würde von Diesem verherrlicht werden. Und Er wusste auch um die Frucht, die aus seinem Werk hervorkommen sollte. Er hatte doch von sich als dem Weizenkorn gesprochen und gesagt: «Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht» (Joh 12,24). Sah der Herr nicht bereits den Räuber am Kreuz, der sich in letzter Minute an Ihn als seinen Retter wandte? Und sah Er nicht die unzählbare Schar von Menschen, die einst seinen Thron umgeben werden, um Ihm ewig Anbetung zu bringen? «Er geht hin unter Weinen und trägt den Samen zur Aussaat; er kommt heim mit Jubel und trägt seine Garben» (Ps 126,6). Auch um dieses prophetische Wort wusste der Herr. So ging Er im vollen Bewusstsein dessen, was über Ihn kommen würde, seinen Weg.

Mit glücklichem Herzen singen wir heute:

  • So gingst du hin zum Kreuze
    als Gottes treuer Knecht,
    durch ewge Lieb getrieben,
    gehorsam und gerecht.
  • Du hast für uns, die Armen,
    so Herrliches getan.
    Wir rühmen dein Erbarmen
    und beten staunend an.