Der Lobpreis Hannas (1)

1. Samuel 2,1-10

Der geschichtliche Hintergrund

Das erste Buch Samuel führt uns in die Zeit der Richter. Es war eine bewegte Zeit in Israel, in der das Volk sich immer wieder von Gott abwandte und nur durch sein mächtiges und gnädiges Eingreifen gerettet wurde. Es waren Einzelne, die in dieser Zeit treu zum Gott ihrer Väter standen und die Er zur Rettung seines Volkes benutzen konnte. Dazu zählte auch Samuel, der Prophet, Richter und Mann Gottes.

Der Beginn des ersten Buches Samuel erzählt die Geschichte seiner Eltern und besonders die seiner Mutter. Hanna war eine gottesfürchtige Frau, die in ihrer Not der Kinderlosigkeit zum HERRN betete und erhört wurde. Gott schenkte den Sohn, um den sie gebeten hatte. Samuel wuchs heran und wurde schon in früher Jugend ein brauchbarer Diener für Gott. Hanna hatte versprochen, ihn dem HERRN zur Verfügung zu stellen, und dieses Versprechen hielt sie auch.

Ein Lobpreis

Am Anfang von Kapitel 2 finden wir diese gottesfürchtige Frau ein zweites Mal im Gebet. In Kapitel 1 hatte sie ihre Seele vor dem HERRN ausgeschüttet und um einen Sohn gefleht. Es war ein stilles Gebet, das durch Not und Bitte gekennzeichnet war. Während sie betete, gab sie Gott ein Versprechen. Nach ihrem Gebet hatte sie Frieden im Herzen.

Ihr Gebet in Kapitel 2 trägt einen ganz anderen Charakter. Gott hatte ihren Wunsch erfüllt. Jetzt betet sie nicht länger nur in ihrem Herzen, sondern sie öffnet ihren Mund. Aus der Fülle des Herzens redet ihr Mund (vgl. Lk 6,45). Sie lobt und preist Gott für das, was Er tut. Es muss Hanna ähnlich ergangen sein wie später David, der nach erfahrener Rettung schrieb: «Beharrlich habe ich auf den HERRN geharrt, und er hat sich zu mir geneigt und mein Schreien gehört. Er hat mich heraufgeführt aus der Grube des Verderbens, aus kotigem Schlamm; und er hat meine Füsse auf einen Felsen gestellt, meine Schritte befestigt. Und in meinen Mund hat er ein neues Lied gelegt, einen Lobgesang unserem Gott» (Ps 40,2-4). Hannas Gebet entspricht ihrer Erfahrung, die sie gemacht hat. Aber wir werden sehen, dass es gleichzeitig weit darüber hinausgeht. Es ist eine Weissagung, die sie unter der Leitung des Heiligen Geistes ausspricht.

Eine einsichtsvolle Frau

Hanna ist eine der einsichtsvollen Frauen, die uns in der Bibel gezeigt werden. Frauen haben nach den Gedanken Gottes einen anderen Dienst bekommen als die Männer. Das heisst aber nicht, dass sie in ihrer geistlichen Einsicht hinter ihnen zurückstehen. Die Bibel berichtet uns von Frauen, die eine tiefe Einsicht in die Gedanken Gottes gehabt haben – oft tiefer als Männer in vergleichbaren Situationen. Ein herausragendes Beispiel ist Maria von Bethanien. Vor dem Kreuz konnten die Jünger dem Herrn in seinen Gedanken und Empfindungen innerlich nicht folgen. Maria konnte es. Sie war es, die unseren Heiland im Voraus zum Begräbnis salbte, während die Jünger ihr Unverständnis äusserten.

Der Priester Eli blieb in seinem geistlichen Verständnis weit hinter Hanna zurück. Er hatte sie sogar zunächst völlig verkannt. Elkana, der Mann Hannas, wird in 1. Samuel 1 und 2 einige Male erwähnt. Er folgte den Vorschriften Gottes, richtete seinen Weg danach aus und seine Frau ging mit ihm. Aber wirkliches Verständnis und Einsicht in Gottes Handeln finden wir bei Elkana nicht. Darin war ihm seine Frau weit überlegen. Hinzu kommt ihre Hingabe, indem sie das, was ihr so wertvoll war, Gott überliess. Hanna hat den erbetenen Sohn dem HERRN zurückgegeben, so sehr sie ihn auch liebte. Darin gleicht sie Maria von Bethanien, die ihre kostbare Narde dem Heiland gab.

Das Beispiel von Hanna ist eine besondere Ermunterung für alle Schwestern und zugleich ein Ansporn für alle Brüder, in Hingabe an Gott zu leben, Einsicht in seine Gedanken zu haben und Ihn zu loben und anzubeten.

Ein besonderes Gebet

Es wird beim Lesen des Textes unmittelbar klar, dass es sich um ein besonderes Gebet handelt. In Gedanken vergleichen wir es mit dem Gebet einer Frau im Neuen Testament: Maria, die Mutter unseres Herrn, betet in Lukas 1,46-55. Wenn wir beide Gebete miteinander vergleichen, stellen wir erstaunliche Parallelen fest. Beide danken für die Rettung und Hilfe des Herrn, aber beide bleiben nicht bei den Gaben Gottes stehen, sondern sie rühmen und preisen auch den Geber.

Es fällt auf, dass Hanna eigentlich nur in Vers 1 über sich selbst spricht und dann nur noch über Gott und über das, was Er ist und was Er tut. Bei Marias Gebet ist es ähnlich.

Hannas Geschichte enthält mindestens drei wichtige Lektionen für unser Gebetsleben:

  1. Wir lernen, dass wir unser Herz vor Gott ausschütten können. Anschliessend wird der Friede Gottes unser Herz erfüllen.
  2. Wir lernen, dass auf erhörte Bitten ein Dank folgen soll. Lasst uns nicht undankbar sein, sondern unseren Dank vor Gott aussprechen.
  3. Wir lernen, dass wir nicht bei den Segnungen stehen bleiben sollen, die Gott uns gibt, sondern dass wir Den loben und preisen, der der Segnende ist.

Das Gebet ist vordergründig ein Dankgebet für den Sohn, den Gott ihr geschenkt hat. Und doch wird Samuel gar nicht direkt erwähnt. Der Heilige Geist leitet Hanna nämlich so, dass sie eigentlich von dem spricht, den ihr Sohn einmal salben würde: den König über Israel. Samuel sollte nicht «der Gesalbte» sein, aber er sollte «den Mann nach dem Herzen Gottes» zum König salben. Geschichtlich ist das David, aber im Licht anderer Stellen erkennen wir klare Hinweise auf den kommenden Messias (den Gesalbten). Insofern ist das Gebet von Hanna eine Weissagung und ein prophetisches Gebet.

Gliederung

Das Gebet von Hanna lässt sich unterschiedlich gliedern. Wir halten uns in dieser kleinen Auslegung an folgende Struktur:

  • Teil 1: Der Jubel über die Rettung Gottes (V. 1)
  • Teil 2: Wesenszüge der Grösse Gottes (V. 2.3)
  • Teil 3: Gott ist ein Gott, der Situationen verändert (V. 4-9)
  • Teil 4: Prophetische Aussagen über den Gesalbten und sein Kommen (V. 10)

Teil 1: Jubel über die Rettung Gottes

«Mein Herz frohlockt in dem HERRN, erhöht ist mein Horn in dem HERRN. Mein Mund ist weit aufgetan über meine Feinde, denn ich freue mich deiner Rettung» (V. 1).

Hanna hat Freude in ihrem Herzen. Ihr Herz frohlockt und zwar zuallererst in dem HERRN. Sie weiss, von wem die Rettung gekommen ist. Es ist seine Rettung und deshalb preist sie Ihn. Frohlocken ist gesteigerte Freude. Das Horn spricht von Kraft. Freude und Kraft gehören zusammen. In Psalm 148,14 heisst es: «Er hat erhöht das Horn seines Volkes, das Lob all seiner Frommen, der Kinder Israel, des Volkes, das ihm nahe ist. Lobt den HERRN!» In Nehemia 8,10 wird dem Volk gesagt: «Betrübt euch nicht, denn die Freude an dem HERRN ist eure Stärke.» Freude führt zu geistlicher Kraft, während ein erbittertes Gemüt (vgl. 1. Sam 1,10) zu Kraft- und Mutlosigkeit führt. Paulus kannte diese Kraftquelle, als er in seinem Brief der Freude schrieb: «Alles vermag ich in dem, der mich kräftigt» (Phil 4,13).

Wir haben ebenfalls die Rettung des Herrn erfahren und dürfen uns darüber freuen. David spricht in Psalm 51,14 von der «Freude deines Heils» und Petrus lobt den Gott, der rettet, mit den Worten: «Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner grossen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten» (1. Pet 1,3).

Teil 2: Wesenszüge der Grösse Gottes

«Keiner ist heilig wie der HERR, denn keiner ist ausser dir; und kein Fels ist wie unser Gott. Häuft nicht Worte des Stolzes, noch gehe Freches aus eurem Mund hervor; denn ein Gott des Wissens ist der HERR, und von ihm werden die Handlungen gewogen» (V. 2.3).

Während Hanna in Vers 1 die Rettung Gottes auf sich selbst bezieht (mein Herz, mein Horn, mein Mund, meine Feinde), wendet sie sich nun dem zu, was sie in ihrem Gott gefunden hat. Sie nennt zunächst vier Wesenszüge Gottes.

  1. Gott ist heilig: Als das Volk Israel gerettet am anderen Ufer des Roten Meeres stand, sangen die Menschen: «Wer ist dir gleich unter den Göttern, HERR! Wer ist dir gleich, herrlich in Heiligkeit, furchtbar an Ruhm, Wunder tuend!» (2. Mo 15,11). Heiligkeit ist ein Wesenszug der Herrlichkeit Gottes. Wenn Gott sich offenbart, wird immer etwas von seiner Heiligkeit sichtbar, denn Gott ist nicht nur Liebe, sondern Er ist auch Licht. Mehrfach wird das Volk im Alten Testament aufgefordert, heilig zu sein, und zwar mit der Begründung, dass Gott heilig ist (3. Mo 11,44.45). Petrus zitiert diese Aussage und schreibt: «… sondern wie der, der euch berufen hat, heilig ist, seid auch ihr heilig in allem Wandel! Denn es steht geschrieben: ‹Seid heilig, denn ich bin heilig.› Und wenn ihr den als Vater anruft, der ohne Ansehen der Person richtet nach eines jeden Werk, so wandelt die Zeit eurer Fremdlingschaft in Furcht» (1. Pet 1,15-17). Es ist wahr, dass wir in völligem Vertrauen zu Dem kommen, der unser Vater ist. Aber vergessen wir nicht, dass dieser Vater zugleich der heilige Gott ist. So sehr wir uns über die eine Seite freuen, so sehr soll uns auch die andere bewusst sein. Vertrauen und Ehrfurcht gehen Hand in Hand.
  2. Gott ist einzigartig: Hanna sagt, dass es keinen ausser Ihm gibt. In 5. Mose 10,17 lesen wir: «Denn der HERR, euer Gott, er ist der Gott der Götter und der Herr der Herren.» Gott ist mit niemand zu vergleichen. Die Götter der Menschen hören nicht und sehen nicht (vgl. Ps 115,5.6; 135,16.17). Aber unser Gott sehr wohl (vgl. Ps 94,9). Er ist einzigartig und unvergleichbar. Deshalb ist es sinnlos, sich anderen Göttern zuzuwenden, so wie es das Volk Israel immer wieder getan hat. Sie haben die Quelle lebendigen Wassers verlassen und sich Zisternen ausgehauen, die kein Wasser halten (Jer 2,13). Hanna hat erlebt, wie einzigartig der Gott ihrer Rettung ist und auch wir haben es immer wieder erfahren. «Gar keiner ist dir gleich, HERR; du bist gross, und gross ist dein Name in Macht» (Jer 10,6).
  3. Gott ist der Fels: Ein Fels spricht von Festigkeit und Stabilität. Wiederholt stellt Gott sich als der Fels vor. Er wankt nicht und nichts in diesem Universum könnte seinen Thron erschüttern. Deshalb nennt Ihn das Neue Testament mehrfach den «Gott des Friedens» (Röm 15,33; 16,20; Phil 4,9; 1. Thes 5,23; Heb 13,20). Mose spricht in seinen Abschiedsworten in 5. Mose 32 öfter von diesem unerschütterlichen Felsen. Ihn kann nichts erschüttern. Er ist der Fels der Rettung (V. 15). Er ist der Fels, der uns gezeugt hat (V. 18) und Er ist der Fels der Zuflucht (V. 37). Auf Ihn hat Hanna vertraut und auf Ihn setzen auch wir unser ganzes Vertrauen. «Vertraut ewig auf den HERRN; denn in Jah, dem HERRN, ist ein Fels der Ewigkeiten» (Jes 26,4). Wie Hanna wollen wir uns nicht auf Menschen verlassen, sondern auf unseren Gott.
  4. Gott ist ein Gott des Wissens: Das hat Hanna erlebt. Eli erkannte nicht, in welch einem inneren Zustand sich Hanna in Kapitel 1 befand. Aber Gott kannte sie. Er erforscht die Herzen. Vor Ihm sind wir völlig offenbar. Er ist der Herzenskenner (Apg 1,24; 15,8). Was Menschen nicht erkennen und wir vielleicht vor ihnen verbergen können, ist vor Gott völlig aufgedeckt. «Kein Geschöpf ist vor ihm unsichtbar, sondern alles ist bloss und aufgedeckt vor den Augen dessen, mit dem wir es zu tun haben» (Heb 4,13). Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang Psalm 139 in Ruhe zu lesen. Er beginnt mit den Worten: «HERR, du hast mich erforscht und erkannt! Du kennst mein Sitzen und mein Aufstehen, du verstehst meine Gedanken von fern.»

Hanna fügt noch etwas von dem hinzu, was Gott tut: «Von ihm werden die Handlungen gewogen.» Gott allein weiss, was wir tun. Aber nicht nur das: Er kennt auch die Motive und weiss, warum wir etwas tun. Eli hat Hanna falsch beurteilt, Gott aber nicht. Darauf kommt es am Ende an. Das Urteil Gottes ist wichtiger als das Urteil von Menschen. Vielleicht fühlen wir uns unverstanden oder sogar missverstanden in dem, was wir für unseren Herrn tun möchten. Das mag bitter sein. Aber der Gedanke tröstet uns, dass es letztlich Gott ist, der uns beurteilt. Paulus schreibt den Korinthern: «So urteilt nicht irgendetwas vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Überlegungen der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott» (1. Kor 4,5). Das bedeutet nicht, dass jeder unbedingt ein Lob bekommen wird, sondern dass dann, wenn es Lob gibt, es von Gott kommt.

In Verbindung damit spricht Hanna eine Warnung aus: «Häuft nicht Worte des Stolzes, noch gehe Freches aus eurem Mund hervor.» Wenn Gott ein Gott des Wissens ist und alle Handlungen abwägt, dann sollten wir vorsichtig sein mit dem, was wir sagen. Worte des Stolzes erheben den Menschen und Freches greift die Ehre Gottes an. Davor sollten wir uns hüten.