Heuchelei

1. Petrus 2,1

«Legt nun ab alle … Heuchelei» (1. Pet 2,1). Mit dieser Aufforderung wendet sich der Apostel Petrus an seine Briefempfänger. Heuchelei ist eine menschliche Verhaltensweise, der wir im täglichen Leben oft begegnen und die sich leider auch im Umgang mit Geschwistern immer wieder zeigt.

Was ist Heuchelei? Es ist die Vortäuschung falscher Tatsachen. Eine Person redet etwas anderes, als sie tatsächlich meint; eine Person gibt und verhält sich anders, als sie tatsächlich ist. Heuchelei ist eine Art Schauspielerei, eine Art Versteckspiel vor anderen. Gottes Wort geht der Sache wie immer auf den Grund und bezeichnet Heuchelei als Betrug und Lüge. Eine Stelle aus dem Alten und eine aus dem Neuen Testament belegen diesen Tatbestand sehr deutlich. In Psalm 78,36 sagt Asaph: «Sie heuchelten ihm mit ihrem Mund, und mit ihrer Zunge belogen sie ihn.» Die Fussnote vermerkt zu «heucheln»: «Sie betrogen ihn.» Der Apostel Paulus warnt seinen jungen Freund Timotheus vor denen, die in späteren Zeiten vom Glauben abfallen würden, und nennt als eines ihrer Kennzeichen, dass sie «in Heuchelei Lügen reden» (1. Tim 4,2).

Als der Herr Jesus als Mensch auf dieser Erde lebte, sprach Er mehrfach von Menschen, die Er als «Heuchler» bezeichnen musste und vor denen Er ausdrücklich warnt. Ganz besonders im Matthäus-Evangelium finden wir dies mehrfach. Diesen Stellen wollen wir ein wenig nachgehen.

Nicht vor Menschen

In der sogenannten Bergpredigt (Matthäus 5 –7) spricht der Herr viermal von «Heuchlern». Die drei ersten Stellen in Kapitel 6 sind dabei eng miteinander verbunden. In den Versen 1-4 geht es um das Geben von Almosen, in den Versen 5-15 um das Beten und in den Versen 16-18 um das Fasten. In allen drei Bereichen wird vor Heuchelei gewarnt:

  1. «Wenn du nun Almosen gibst, so sollst du nicht vor dir her posaunen lassen, wie die Heuchler tun …, damit sie von den Menschen geehrt werden» (V. 2).
  2. «Wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, denn sie lieben es … zu beten, damit sie von den Menschen gesehen werden» (V. 5).
  3. «Wenn ihr aber fastet, so seht nicht düster aus wie die Heuchler; denn sie verstellen ihre Angesichter, damit sie den Menschen als Fastende erscheinen» (V. 16).

In allen drei Fällen geht es also darum, dass die Heuchler ein ganz bestimmtes Motiv hatten: Sie wollten vor den Menschen in einem besonderen Licht erscheinen und vor anderen glänzen. Es ging ihnen nicht zuerst um die Almosen, auch nicht um das Gebet und auch nicht um das Fasten, sondern darum, dass andere Menschen sie bewunderten und eine gute Meinung von ihnen hatten. Dabei hatten sie vergessen, dass die Beurteilungsmassstäbe Gottes ganz andere sind. Er sieht das Verborgene, das Herz, und nicht das, was die Menschen sehen und beurteilen. Deshalb macht der Herr auch in allen drei Fällen klar, dass die Heuchler ihren Lohn schon empfangen haben, d.h. sie werden keinen bekommen. In allen drei Fällen weist Er darauf hin, dass es der Vater ist, der im Verborgenen sieht und der den Lohn geben wird.

Die Übertragung auf uns liegt eigentlich auf der Hand: Es geht um unsere Motive bei dem, was wir tun. Dabei kann es sich konkret um unser Spendenverhalten, unsere Gebete oder unser Fasten handeln, die Ausweitung auf andere Gebiete unseres Tuns ist aber eingeschlossen. Die konkrete Frage lautet: Richten wir unser Verhalten nach dem, was Menschen von uns denken, oder richten wir unser Verhalten nach dem, was unser himmlischer Vater von uns möchte? Menschen haben eine andere Sichtweise als Gott. Sie sehen das Äussere in unserem Reden und Tun. Unser Vater sieht das Herz an. Vor Menschen können wir unsere Motive verbergen, vor Gott niemals. Vor Ihm sind wir immer wie ein aufgeschlagenes Buch.

Der Splitter und der Balken

Die vierte Stelle in der Bergpredigt finden wir in Kapitel 7. Der Herr warnt dort in den Versen 1-5 davor, andere in einem falschen Geist zu richten, und benutzt dazu das bekannte Beispiel vom Splitter im Auge des Bruders, den wir oft viel besser zu sehen meinen als den Balken im eigenen Auge. Auch ein solches Verhalten ist Heuchelei. Der Herr sagt: «Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge heraus, und dann wirst du klar sehen, um den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen» (V. 5).

Man könnte fragen, was dieser Tatbestand mit Heuchelei zu tun hat. Die Antwort ist diese, dass ein solches Verhalten (den fremden Splitter herausziehen zu wollen, ohne zuvor den eigenen Balken entfernt zu haben) dem Bruder vortäuscht, dass man selbst fehlerfrei sei und daher eine klare Sichtweise für die Fehler anderer habe. In Wirklichkeit stehen die Dinge aber anders. Die eigenen Fehler will man nicht anerkennen oder man bagatellisiert sie.

In Bezug auf sich selbst ist man sehr lasch und grosszügig im Urteil, während man das geringste Fehlverhalten bei dem Bruder oder der Schwester scharf verurteilt. Das ist nichts anderes als Heuchelei. Wir sollten es gerade andersherum machen. In Bezug auf uns selbst sollen wir einen sehr hohen Massstab anlegen, im Urteil anderen gegenüber hingegen dürfen wir mild sein (was nicht heissen soll, dass wir Sünde gutheissen).

Gesetzlichkeit

In Kapitel 15 spricht der Herr zu den Schriftgelehrten und Pharisäern und macht ihnen klar, was Gesetzlichkeit ist und welche Folgen sie hat. Diese Menschen gaben vor, das Gesetz Gottes zu halten, in Wirklichkeit aber machten sie es durch ihre eigenen Überlieferungen ungültig (V. 3 und 6). Deshalb stellt der Herr Jesus sie mit einem Wort «Heuchler» bloss (V. 7). Worin bestand ihre Heuchelei? Sie beriefen sich auf das Gesetz Gottes, fügten diesen Anordnungen allerdings eine Vielzahl von eigenen Geboten und Satzungen hinzu, die sie von ihren Vorvätern übernommen hatten, die aber keinen Teil des eigentlichen Gesetzes Gottes ausmachten. Diese eigenen Überlieferungen hatten in ihren Augen sogar vielfach einen noch höheren Wert als das, was Gott durch Mose angeordnet hatte. Vor den Menschen sah dies vorzüglich aus, und die Schriftgelehrten und Pharisäer sonnten sich darin, bei den Menschen in hohem Ansehen zu stehen.

Auch an anderer Stelle warnt der Herr mit eindringlichen Worten vor diesem Verhalten der Pharisäer. Nachdem Er in Lukas 11,37-54 sehr deutliche Worte über sie geäussert hatte, sagt Er dann zu seinen Jüngern: «Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer, der Heuchelei ist» (Lk 12,1). Heuchelei kann ansteckend sein. So wie Sauerteig «arbeitet», kann auch Heuchelei um sich greifen. Deshalb gilt die Warnung des Herrn auch uns. Auch wir sind vor dieser Art der Heuchelei durchaus nicht gefeit. Wir können vorgeben, dass Gottes Wort einen hohen Stellenwert in unserem Leben hat, während die Wirklichkeit ganz anders aussieht.

Geheucheltes Interesse

In Matthäus 22 stehen die Pharisäer erneut im Brennpunkt. Gemeinsam mit den Herodianern treten sie vor den Herrn und stellen Ihm – nachdem sie Ihn sehr schmeichelhaft «gelobt» hatten – eine Frage. Diese sah eigentlich ganz gut aus: «Ist es erlaubt, dem Kaiser Steuer zu geben, oder nicht?» (V. 17). War diese Frage an sich falsch? Durchaus nicht, aber der Herr erkannte auch hier sofort die Motive, aus denen sie entsprang. Sie wollten Ihn in eine Falle locken. Dementsprechend fiel die Antwort aus: «Da Jesus ihre Bosheit erkannte, sprach er: Was versucht ihr mich, Heuchler?» (V. 18). Die Heuchelei bestand darin, dass sie ein bestimmtes Interesse vorgaben, das aber in Wirklichkeit gar nicht bestand. Mit ihrer Frage wollten sie etwas ganz anderes erreichen, als der oberflächliche Zuhörer hätte erahnen können.

Ist uns diese Art von Heuchelei etwa völlig fremd? Sicher nicht. Manchmal machen wir es ganz ähnlich. Wir signalisieren ein bestimmtes Interesse an einer Sache (z.B. indem wir Fragen stellen oder auch auf andere Art und Weise), aber in Wirklichkeit sind unsere Motive anders und nicht gut. Wir wollen etwas hören, was wir dann gegen einen Bruder oder gegen eine Schwester gebrauchen können. Lassen wir uns durch den Herrn vor dieser Art der Heuchelei warnen.

Wehe euch!

Noch einmal wendet sich der Herr Jesus in Kapitel 23 in einer überaus ernsten Weise an die Theologen seiner Zeit, an die Schriftgelehrten und Pharisäer. Sechsmal legt Er ihnen ein «Wehe euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, Heuchler!» vor (Verse 13.15.23.25.27.29). Seine Worte klingen wie Peitschenhiebe, denn sie decken schonungslos auf. O nein, dem Herrn konnten sie überhaupt nichts vormachen. Ihre Zeitgenossen fielen auf ihre Schauspielerei herein, aber nicht der Herr. Er sah auf den Grund der Herzen und legte ihre Motive bloss. Ihre Heuchelei war Ihm zuwider, deshalb fand Er so ungewöhnlich deutliche Worte. Und Er liess auch keinen Zweifel daran, was das Ende dieser Heuchler sein würde. In Kapitel 24,51 spricht Er vom Schicksal des bösen Knechts und sagt dann von ihm: «Der Herr wird ihm sein Teil setzen mit den Heuchlern; da wird sein das Weinen und das Zähneknirschen.» Wir zweifeln nicht daran, dass dies ein Hinweis auf die ewige Verdammnis ist. Das in der Zeit ausgesprochene «Wehe euch» wird seine ewige Erfüllung am Ort der Qual finden. Das zeigt uns deutlich, welchen Abscheu der Herr vor Heuchelei hat.

Keine Resignation

Niemand ist der Heuchelei gegenüber immun. Gottes Wort zeigt uns sogar, dass hervorragende Männer Gottes in diese Schauspielerei verfielen. In Galater 2,11-13 berichtet Paulus von der Heuchelei seines Mit-Apostels Petrus, eine Heuchelei, von der auch Barnabas mitfortgerissen wurde. Paulus deckte diesen Sachverhalt bestimmt nicht auf, um mit Fingern auf diese beiden Männer Gottes zu zeigen. Aber es dient uns doch zur Warnung.

Dennoch besteht kein Grund zur Resignation. Denn erstens gibt es ein Heilmittel, wenn wir in Heuchelei gefallen sind, und zweitens gibt es auch ein Bewahrungsmittel, um erst gar nicht von dem Bazillus der Heuchelei befallen zu werden. Heilmittel und Bewahrungsmittel sind in diesem Fall identisch, nämlich Gottes Wort. Einleitend haben wir uns an die Aufforderung von Petrus erinnert (ist es umsonst, dass gerade Petrus dieses schreibt?), der uns sagt, dass wir alle Heuchelei ablegen sollen. Das ist die negative Seite. Aber es gibt auch die positive Seite. Während wir das Negative abgelegt haben, sollen wir gleichzeitig begierig sein «nach der vernünftigen, unverfälschten Milch», durch die wir wachsen. Wir gehen wohl nicht fehl in der Annahme, dass damit das Wort Gottes gemeint ist. Wenn wir uns beständig vom Wort Gottes nähren, bewahrt uns dies vor schlechten Eigenschaften wie Heuchelei. Es zeigt uns das vollkommene Leben des Herrn, in dem es nicht den Hauch von Heuchelei gab. Bei Ihm allein war immer alles klar und durchsichtig. Er war das, was Er sagte. Im Anschauen seiner Person werden wir verwandelt in sein Bild, und Er wird in uns verherrlicht. Das ist sein Ziel in deinem und meinem Leben.