Gebete nach Gottes Gedanken
Das Gebet und die Erhörung stehen in Verbindung mit dem Seelenzustand dessen, für den man bittet. «Betet für uns», sagt der Apostel Paulus, «denn wir sind überzeugt, dass wir ein gutes Gewissen haben, da wir in allem ehrbar zu wandeln begehren» (Heb 13,18). Und in Jesaja 59,1.2 lesen wir: «Siehe, die Hand des HERRN ist nicht zu kurz, um zu retten, und sein Ohr nicht zu schwer, um zu hören, sondern eure Ungerechtigkeiten haben eine Scheidung gemacht zwischen euch und eurem Gott, und eure Sünden haben sein Angesicht vor euch verhüllt, dass er nicht hört». Wir zweifeln keinen Augenblick, dass Gott zu heilen und zu erlösen vermag, aber die Person, für die wir bitten, muss dabei in einem solchen Zustand sein, dass Er es tun kann.
Die Erhörung ist auch abhängig vom Zustand des Bittenden: «Das inbrünstige Gebet eines Gerechten vermag viel» (Jakobus 5,16). «Wenn ich es in meinem Herzen auf Frevel abgesehen hätte, so würde der Herr nicht gehört haben» (Ps 66,18). «Ich will nun, dass die Männer an jedem Ort beten, indem sie heilige Hände aufheben, ohne Zorn und zweifelnde Überlegung» (1. Tim 2,8). «Wenn jemand gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den hört er» (Joh 9,31).
Gott allein kennt den Zustand der Betenden wie auch der Ihm Anbefohlenen. Er handelt jedem gegenüber in vollkommener Weisheit, entsprechend seiner göttlichen Erkenntnis und Liebe. Wer sind wir, dass wir von Ihm fordern dürften, unseren Wünschen gemäss zu handeln, gerade in dem Augenblick, der uns beliebt?
Der Mangel an Gemeinschaft mit Gott und folglich Mangel an geistlicher Einsicht ist die grosse Ursache der Wirkungslosigkeit unserer Gebete. Der Herr allein konnte sagen: «Ich wusste, dass du mich allezeit erhörst» (Joh 11,42). Aber wenn wir auch aus Mangel an geistlicher Einsicht und Frömmigkeit den Willen Gottes hinsichtlich unserer Anliegen nicht erkennen, so dürfen wir doch die eigenen Bedürfnisse, wie auch die der Geschwister und aller Menschen, mit Gebet, Flehen und Danksagung vor Ihn bringen (Phil 4,6). Wir werden dann sogleich eine Antwort erhalten, die zwar ganz verschieden ist von dem, was jene Leute uns lehren wollen, nämlich: «Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus» (Phil 4,7). Anstatt während der Erwartung des Erbetenen beunruhigt zu werden, bleiben unsere Herzen im Frieden Gottes bewahrt. Vom Eigenwillen gelöst, erwarten wir seine Dazwischenkunft, wann und wie Er es für gut findet.
Die Schrift enthält zahlreiche Ermahnungen zum Gebet. Wir wollen sie keineswegs entkräften. Hat man doch gesagt, dass das Gebet das unaufhörliche Atemholen des neuen Menschen sei. Und so rief der Apostel den Thessalonichern zu: «Betet unablässig!» Wenn wir die Gegenwart des Herrn verwirklichen, so treibt uns alles, was wir in dieser traurigen Welt sehen, dazu an, unsere Seelen mit Flehen, Gebeten und Fürbitten zu Gott emporzuheben. Dass wir doch auch diese Ermahnungen des Wortes immer besser befolgten! – Aber, wir wiederholen es, wir dürfen den Glauben und das Gebet nie dazu missbrauchen, Gott unseren Willen aufzuzwingen. Wer so handelt, missachtet die Belehrungen der Heiligen Schrift.
Es gibt eine Menge von Bitten, von denen wir wissen, dass sie mit dem Wort Gottes im Einklang stehen. Zum Beispiel: «Gott will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen» (1. Tim 2,4). Es ist Ihm also durchaus wohlgefällig, wenn wir Ihn um das Heil der Sünder bitten. Auch wenn es um die Verherrlichung des Herrn, um das geistliche Wohlergehen der Heiligen und ihren Fortschritt, um das Werk des Herrn in der Versammlung und um die Verkündigung des Evangeliums in der Welt geht, haben wir die Gewissheit, dass Gott uns hört. Wenn es sich aber um seine Regierungswege in unseren persönlichen Umständen handelt, so ist uns sein Walten gar oft verborgen und unerforschlich.
Verleiht Gott heute noch Wunderkräfte?
Wer sich heute auf eine Wundermacht beruft, bezieht sich nicht nur auf Jakobus 5,13-18, sondern ist der Meinung, er habe teil an dem «Spätregen», an einer Ausgiessung des Geistes Gottes, ähnlich jener an Pfingsten. Wir ersehen aber aus der Apostelgeschichte, dass jene Wunder nicht für die Gläubigen bestimmt waren, sondern für die Ungläubigen (Apg 14,3; 15,12 und auch 1. Kor 14,22). Sie dienten zur Aufrichtung der Versammlung, dem Haus Gottes auf der Erde. Soviel uns bekannt, ist Dorkas wohl das einzige Beispiel für die Entfaltung der Wundermacht der Apostel einem Gläubigen gegenüber. Das war aber eine Auferweckung, nicht eine Heilung, und hatte zur Folge, dass viele an den Herrn glaubten (Apg 9,42). Zudem geschah dieses Wunder in einem Zwischenzustand, im Anfangsstadium der Versammlung Gottes. Sie war eben aus dem Judentum hervorgegangen, und der Apostel Paulus war noch nicht erweckt worden, um die Einheit des Leibes Christi, der aus Juden und Heiden gebildet wird, zu offenbaren.
Heute liegt die Zeit der Gründung der «Versammlung Gottes» weit hinter uns. Sie erforderte ein machtvolles und eindrückliches Eingreifen von seiner Seite, sowohl unter den verhärteten Juden, die sich auf den göttlichen Ursprung ihrer Religion beriefen und sich dem Werk der Gnade widersetzten, als auch inmitten der Nationen, die in das Dunkel des Götzendienstes gesunken waren. Im Gegensatz dazu leben wir heute inmitten des Zerfalls der Christenheit, in der sich Menschen befinden, die zwar den Namen Christi tragen, aber den Sohn Gottes mit Füssen treten und das Blut des Bundes, durch das sie vom Juden- und Heidentum abgesondert worden sind, gemein erachten und den Geist der Gnade schmähen (Heb 10,29). Der Heilige Geist, der in der Christenheit mehr denn je betrübt wird, kann nicht mehr in dem Mass wirksam sein, wie wenn die Kirche treu geblieben wäre. Wenn Er heute – wie im Anfang – Wunderwerke vollbrächte, würde Er die bestehende Unordnung, die Auflehnung gegen Gott und den Ungehorsam dem Haupt der Versammlung gegenüber sanktionieren.
Anderseits aber bleibt der Heilige Geist seiner Aufgabe treu und beschäftigt sich fortwährend mit den Gläubigen. Er ist der Sachwalter, der Tröster, den ihnen der Herr für die Zeit seiner Abwesenheit gesandt hat. Bis zur Rückkehr Christi beschäftigt Er unsere Herzen mit Ihm. Er ist der treue Elieser, der die Braut in das Land des himmlischen Erben geleitet. Er erweckt immer wieder Knechte für das Werk der Evangelisation und zur Auferbauung des Leibes Christi. Die Quellen, deren sich der Geist bedient, sind heute noch ebenso unversehrt und frisch wie am Anfang, aber sie werden weniger beachtet. Man beschäftigt sich sehr mit dem, was den Menschen ins Rampenlicht setzt. Unter der Wirksamkeit dieses Geistes können die Christen auch heute noch «in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten» verharren (Apg 2,42). Er befähigt sie immer noch, «die Einheit des Geistes zu bewahren in dem Band des Friedens» (Eph 4,3) und dem Wort gehorsam zu sein, durch das Bleiben in dem, was die Heilige Schrift lehrt. Für alle diese Dinge haben wir den Beistand des Heiligen Geistes. Doch kann Er unmöglich die Unordnung in der Christenheit und den Ungehorsam durch die Entfaltung von Wunderkräften anerkennen.
Es ist ein Merkmal der Endzeit, der bösen Tage, in denen wir angelangt sind, dass man viel von Wunderkräften, aber sehr wenig vom Gehorsam dem Wort Gottes gegenüber redet. Handeln nicht immer mehr Gläubige nach dem Grundsatz: «Jeder tat, was recht war in seinen Augen»? Wer aber die Erkenntnis, die aus dem einfältigen Glauben an Gottes Wort hervorkommt, verworfen hat, ist geneigt, sich einer fremden, verdächtigen Macht zu öffnen, die mit dem Geist Gottes nichts gemeinsam hat. Diese von den Menschen bewunderte Macht wird später im «Menschen der Sünde» ihren Höhepunkt erreichen. Denen, die sich nach übernatürlichen Kräften ausstrecken, stellt Satan als Ersatz für den Heiligen Geist seine Macht zur Verfügung. Der listige Feind verpasst keine Gelegenheit, um seine finsteren Künste zu empfehlen und sie mit dem Namen des Heiligen Geistes zu schmücken. Man braucht nicht besonders hellsehend zu sein, um darin die Vorläufer der «wirksamen Kraft des Irrwahns» zu erkennen, von dem in 2. Thessalonicher 2 die Rede ist. Diese wird, sobald die Versammlung entrückt ist, zur völligen Entfaltung kommen. Sie zieht schon jetzt eine grosse Menge von Seelen in ihre Netze, wie eine Spinne ihre Opfer.
Um den Listen des Feindes, dem Urheber aller dieser unschriftgemässen Bewegungen in der Christenheit, die schliesslich zum völligen Abfall führen werden, zu entgehen, wollen wir umso mehr in aller Einfalt vom Wort Gottes abhängig bleiben. Es beschäftigt uns mit Christus und nicht mit uns selbst. Es gibt dem Christen in dieser Welt keinen Platz als nur den eines Zeugen für den verworfenen und verachteten Heiland. Lasst uns bis zu seiner nahen Ankunft Fortschritte machen in allem, was Ihm wohlgefällig ist, indem wir das, was wir durch sein Wort als seinen Willen erkennen, in die Praxis umsetzen.
Zum Wohl aller, die Ihm in Demut gehorchen wollen, hat Gott eine Antwort bereit auf das erhabene Gebet seines Sohnes, das in der Nacht, in der Er überliefert wurde, zu Ihm emporstieg: «Heilige sie durch die Wahrheit: dein Wort ist Wahrheit.»