Vertrauen auf Gott

Als der Sohn Gottes auf diese Erde kam und «Knechtsgestalt annahm, indem er in Gleichheit der Menschen geworden ist», ist Er unser vollkommenes Vorbild geworden, dem wir in allem nachfolgen sollen.

Auch in Bezug auf «das Vertrauen auf Gott», das wir täglich so sehr nötig haben, ist Er für uns ein leuchtendes Beispiel. Auf Golgatha wurde die Frage dieses seines Vertrauens in seinen tiefen Leiden deutlich aufgerollt.

Als Er sich von Menschenhänden hatte kreuzigen lassen und man es Ihm ansah, dass Er unsägliche Schmerzen erleiden musste, stand eine Rotte von Hassern und Spöttern vor seinem Kreuz, die Ihm höhnend zuriefen: «Er vertraute auf Gott, der rette ihn jetzt, wenn er ihn begehrt; denn er sagte: Ich bin Gottes Sohn» (Mt 27,43).

Wer es nicht wusste und nicht wissen wollte, dass Christus jetzt nach Gottes Willen im Begriff war, das Erlösungswerk für die Menschen zu vollbringen, für den musste es tatsächlich den Anschein haben, als ob Gott dem unerschütterlichen Vertrauen dieses Menschen, das selbst seinen Feinden aufgefallen war, nicht entsprochen habe. Das war für sie ein Rätsel. Aber sie legten es in ihrer Bosheit so aus, als sei das ein Beweis, dass das Leben dieses Nazaräers Gott nicht wohlgefallen habe. Es hatte ihnen nie gepasst, dass Er Gott seinen Vater nannte und z.B. folgende Aussprüche tat: «Der Vater hat den Sohn lieb» – «Ich und der Vater sind eins» (Joh 5,20; 10,30). Nein, dass Gott sein schmachvolles, grausames Sterben am Richtplatz der Verbrecher zuliess, zeigte doch klar, meinten sie, dass Gott Ihn nicht begehrte.

Wir wissen, dass ganz das Gegenteil der Fall war: Vom Opfer des Lammes Gottes, das sich jetzt hingab, stieg ein unaussprechlich kostbarer Wohlgeruch zum Vater empor. Doch Gott konnte Ihn um unsertwillen nicht vom Kreuz befreien und wollte nach seinem Ratschluss das ganze Gericht über unsere Sünden auf Ihn bringen.

Diese Worte seiner Feinde fügten seinem Herzen eine weitere tiefe Wunde zu. Sie rührten an das, was Ihm das Kostbarste war: an seine Gemeinschaft mit seinem Gott, die nur wegen unserer Sünde unterbrochen werden musste.

Der 22. Psalm, der prophetisch die Empfindungen Christi in seiner tiefsten Leidensnot am Kreuz beschreibt, beginnt mit dem Ausruf: «Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?» Er musste in diesen letzten Stunden vor seinem Tod seinem eigenen Herzen in seiner unsäglichen Not den Grund vorsagen, warum es so kommen musste. Jetzt ist der Augenblick da, wo Gott meinem vollkommenen Vertrauen auf Ihn nicht entsprechen kann. Jetzt bin Ich zur Sünde gemacht. Obwohl Ich am Tag und bei Nacht zu Gott rufe, kann Er mir nicht mehr antworten. «Doch du bist heilig.» Das weiss der Mensch gewordene Sohn, der Abdruck des Wesens Gottes, und Er kennt das Wort aus Sacharja 13,7: «Schwert, erwache gegen meinen Hirten und gegen den Mann, der mein Genosse ist!, spricht der HERR der Heerscharen.»

Solche Erfahrungen, die Christus für uns auf Golgatha erdulden musste, hat keiner der Gläubigen, die je auf dieser Erde gelebt haben, machen müssen. Unser Stellvertreter im Gericht sagt hier: «Auf dich vertrauten unsere Väter; sie vertrauten, und du errettetest sie. Zu dir schrien sie und wurden errettet; sie vertrauten auf dich und wurden nicht beschämt» (Ps 22,5.6).

Unser himmlischer Vater mag uns in seiner Weisheit, «wenn es nötig ist», durch schwere Prüfungen und tiefe Glaubensübungen führen. Ein Joseph musste mehr als zwei Jahre schuldlos im Gefängnis leiden, weil Gott ihn dort durch sein Wort läutern wollte (Ps 105,17-22). Aber schliesslich wurden seine Treue und sein Ausharren am Hof des Pharaos belohnt. – Ein David musste lange Zeit vor Saul fliehen, der ihn in tödlichem Hass verfolgte; aber wie manche Psalmen aus dieser Zeit zeugen davon, dass David dadurch seinem Gott sehr nahe gekommen ist und dabei einen Frieden und eine Glückseligkeit gefunden hat, die allen Verstand übersteigen.

Aber keiner unserer vorangegangenen oder jetzt lebenden Brüder und Schwestern musste erleben, dass Gott sein demütiges, von Ihm abhängiges Vertrauen je beschämt hat. Der Herr selbst ist es, der es hier bezeugt.

Es beugte Christus tief, dass die spottenden Zuschauer vor dem Kreuz aus der Tatsache, dass Gott nicht eingriff, den Schluss zogen, Er, Jesus von Nazareth, sei eben nicht im gleichen Vertrauensverhältnis zu Gott gestanden, wie die geehrten «Väter» des Volkes. Der Psalmist gibt diesen Empfindungen prophetisch mit den Worten Ausdruck: «Ich aber bin ein Wurm und kein Mann, der Menschen Hohn und der vom Volk Verachtete» (V. 7).

Doch im Rückblick auf sein Leben konnte keiner der Gläubigen wie Er bezeugen: «Du bist es, der mich aus dem Mutterleib gezogen hat, der mich vertrauen liess an meiner Mutter Brüsten. Auf dich bin ich geworfen von Mutterschoss an, von meiner Mutter Leib an bist du mein Gott» (V. 10,11). Wer von jenen Juden konnte und wer von uns kann von seinem Leben sagen, dass es von allem Anfang an ununterbrochen durch solches Vertrauen auf Gott gekennzeichnet war?

Einige Schriftworte sind treffende Hinweise auf Jesu nie wankendes Vertrauen auf Gott. Möchten sie auch zu unseren Herzen reden!

«Nur auf Gott vertraut still meine Seele» (Ps 62,2). – Wir Gläubigen neigen so leicht dazu, in unserem Leben Leitung und Hilfe am falschen Ort zu suchen. Darum muss uns das Wort so manche Warnung zurufen, wie zum Beispiel: «Verflucht ist der Mann, der auf den Menschen vertraut und Fleisch zu seinem Arm macht und dessen Herz von dem HERRN weicht!» (Jer 17,5). – «Wenn der Reichtum wächst, so setzt euer Herz nicht darauf!» (Ps 62,11). –

Unser Herr war der einzige Mensch auf der Erde, dessen Herz von frühester Jugend an bis zu seinem Tod niemals und in keiner Weise von Gott abwich. Er vertraute nur auf Ihn. Sein ganzes Leben war für Gott «ein Speisopfer lieblichen Geruchs».

«Befiehl dem HERRN deinen Weg und vertraue auf ihn!» (Ps 37,5). – Ein wichtiger Grundsatz! Nur auf dem Weg Gottes darf ich mit Gottes Durchhilfe rechnen. Und wie kann ich diesen Weg finden? Indem ich ihn im Gebet und durch sein Wort mir zeigen lasse, dann aber auch im Gehorsam darauf wandle. So werde ich Ihn erfahren und im Vertrauen auf Ihn gestärkt.

Wieder ist uns da Jesus Christus als Mensch das makellose Vorbild. Der Prophet Jesaja sagt in seinem Namen: «Der Herr, HERR … weckt jeden Morgen, er weckt mir das Ohr, damit ich höre wie solche, die belehrt werden» (Jes 50,4). Sein Geist und Herz mussten am Morgen nicht erst von irgendwoher zu Gott geholt werden. «Ich erwache und bin noch bei dir», konnte Er sagen (Ps 139,18). Schon beim Erwachen war Er «im Gebet», in der Abhängigkeit von Gott. Jeden Morgen suchte Er Ihn und den Weg, den Er zu gehen hatte. Und jeden Morgen belehrte Ihn Gott über die Aufgaben des Tages. Ob diese auch schwer waren, Er ist nie widerspenstig gewesen und wich nie von seinem Weg des Gehorsams ab. Selbst als der Tag kam, an dem Er den Händen sündiger Menschen überliefert werden und das Werk am Kreuz vollbringen sollte, wich Er nicht zurück. Er wusste: «Der Herr, HERR, hilft mir; darum bin ich nicht zuschanden geworden.» Sein starkes Vertrauen auf Gott trug Ihn durch alles hindurch; es wurde durch nichts gehindert. – Ja, «Befiehl dem HERRN deinen Weg und vertraue auf ihn.» Auch in unserem kleinen Mass werden wir dabei grosse Erfahrungen machen.

«Und auf dich werden vertrauen, die deinen Namen kennen» (Ps 9,11). – Ein weiterer wichtiger Punkt: Um jemandem vertrauen zu können, muss man ihn kennen. Das ist schon zur Aufrechterhaltung menschlicher Beziehungen nötig. Und auch zum Vertrauen auf Gott ist die Erkenntnis seines Namens erforderlich. Er hat sich in Jesus Christus, seinem Sohn, in seinem ganzen Wesen und in allen seinen moralischen Herrlichkeiten kundgemacht. Wer nun den Herrn Jesus durch Buße und Glauben annimmt, empfängt ewiges Leben. Dieses bewirkt: «dass sie dich, den allein wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen» (Joh 17,3). Diese Erkenntnis Gottes wird im Gläubigen im Lauf der Jahre wachsen, doch von allem Anfang an bringt sie Frieden und Freude ins Herz.

Woher kommt es aber, dass wir – trotz unserer Erkenntnis – die Liebe Gottes nicht immer in der gleichen Intensität oder Kraft empfinden, und unser Vertrauen in Ihn daher so leicht schwankt? Die Antwort kennen wir eigentlich: weil wir nicht fortwährend im Geist wandeln (Gal 5,16), der unser Herz mit der ganzen Fülle Gottes in Verbindung halten will. – Beachten wir auch, was unser Herr in Johannes 15,10 zu dieser Frage sagt: «Wenn ihr meine Gebote haltet, so werdet ihr in meiner Liebe bleiben, wie ich die Gebote meines Vaters gehalten habe und in seiner Liebe bleibe.»

«Ich vertraue auf dein Wort» (Ps 119,42). – Wie so viele andere Worte in diesem Psalm gibt auch dieser Vers den innersten Empfindungen unseres Herrn Jesus Ausdruck, als Er als vollkommener Mensch über diese Erde schritt. Dazu gehörte auch sein unerschütterliches Vertrauen auf das Wort seines Gottes. Es trat deutlich hervor, als der Teufel Ihn in der Wüste verführen wollte (Mt 4,1-11). Auf alle Versuchungen des Feindes antwortete Er nicht mit eigenen Begründungen, die doch voller Weisheit gewesen wären, sondern jedes Mal ausschliesslich mit dem Text der Heiligen Schrift. Und mit welchem Erfolg? In jeder Versuchung blieb Er Sieger, und der geschlagene Teufel musste Ihn verlassen.

Jesus Christus zeigt uns damit das unfehlbare Mittel, wie auch wir hier den Feind, die Welt und die Sünde überwinden können. Nicht umsonst sucht der Widersacher den Christen das Vertrauen auf Gottes Wort, die Bibel, zu entreissen.

«Der Gerechte vertraut auch in seinem Tod» (Sprüche 14,32). – Als Christus am Kreuz von Golgatha, «der Gerechte für die Ungerechten», für Sünden gelitten und das Erlösungswerk zu Gottes voller Befriedigung und Freude vollbracht hatte, da legte Er seinen Geist voll Vertrauen in die Hände des Vaters (Lk 23,46). Er wusste: «Meine Seele wirst du dem Scheol nicht überlassen, wirst nicht zugeben, dass dein Frommer die Verwesung sehe» (Ps 16,10). Und Gott hat den «Gerechten», in Bestätigung seines Sühnungswerkes und Sieges, am dritten Tag auferweckt.

So ist Christus für uns «Gerechtigkeit, Heiligkeit und Erlösung geworden» (1. Kor 1,30). Der Gläubige, den der Herr heimholt, kann aufgrund dieser ihm in Christus geschenkten Gerechtigkeit, im gleichen Vertrauen wie Er, seine Seele Gott überlassen. Aufgrund des zuverlässigen Wortes Gottes darf er als «Gerechter» in tiefem Frieden heimgehen.