Die letzten Worte des Herrn (13)

Johannes 17,1-5

Einleitung

Der Dienst der Gnade Christi vor der Welt ist vorüber. Die liebevollen Gespräche mit den Jüngern sind beendet. Nachdem alles auf der Erde abgeschlossen ist, schaut der Herr himmelwärts zu jenem Wohnort, in den Er bald eingehen konnte. Wir haben den Worten des Herrn gelauscht, als Er zu den Jüngern vom Vater sprach; jetzt ist es unser grösseres Vorrecht, den Worten des Sohnes zuzuhören, wenn Er mit dem Vater über die Jünger spricht.

Dieses Gebet steht einzig da unter allen Gebeten, aufgrund der herrlichen Person, die es spricht. Wer anders als eine göttliche Person könnte sagen: «Damit sie eins seien wie wir» (Vers 11); und dann wieder: «Damit auch sie in uns eins seien» (Vers 21). Solche Äusserungen könnten niemals von menschlichen Lippen kommen. Leugnet man die Göttlichkeit seiner Person, so werden diese Worte zu Lästerungen eines Betrügers. Das Gebet steht auch allein da durch seinen einzigartigen Charakter. Es ist darauf hingewiesen worden, dass darin im Blick auf uns kein Wort von Sündenbekenntnis vorkommt, auch nicht der leiseste Anflug der Erkenntnis einer Sünde, kein Ton, der das Gefühl einer Schuldhaftigkeit oder Unzulänglichkeit trüge, keine Andeutung von Unterlegenheit oder Flehen um Hilfe.

Wir werden ausserdem gefesselt von seiner Reichweite. Wir hören dem Einen zu, der von einer Ewigkeit vor Grundlegung der Welt spricht, als Einem, der teilgehabt hat an jener herrlichen Vergangenheit. Wir hören Ihn von seinem makellosen Weg auf dieser Erde sprechen; wir werden weitergeführt zu den Tagen der Apostel, und zwar von Ihm, dem die Zukunft ein offenes Buch ist. Wir hören Worte, die die ganze Periode der Pilgerzeit der Versammlung auf der Erde überspannen, wenn wir die Bitten des Herrn für jene vernehmen, die durch das Wort der Apostel an Ihn glauben werden. Schliesslich werden wir in Gedanken in eine Ewigkeit versetzt, die noch kommen wird, wenn wir bei Christus und Ihm gleich sein werden.

Wenn wir auf diese Äusserungen des Herzens des Herrn lauschen, spüren wir ferner, dass wir, während wir noch unseren Weg durch diese Welt vor uns haben, bereits über die vergänglichen Dinge der Zeit hinausgetragen werden, um über die unveränderlichen Dinge der Ewigkeit nachzudenken. Wie nötig die Fusswaschung, wie segensreich das Fruchttragen, wie gross das Vorrecht für Christus Zeugnis abzulegen und zu leiden auch sein mögen, so geht es hier kaum um diese Dinge, sondern vielmehr um jene erhabeneren Tatsachen, die, während sie in dieser Zeit gekannt und genossen werden können, der Ewigkeit angehören. Ewiges Leben, der Name des Vaters, die Worte des Vaters, die Liebe des Vaters, die Freude Christi, Heiligkeit, Einheit und Herrlichkeit sind ewige Dinge, die bleiben werden, wenn die Zeit, mit ihrer Notwendigkeit der Fusswaschung, ihren Gelegenheiten zum Dienst, ihren Prüfungen und Leiden für immer vergangen sein wird.

Wenn wir dem Gebet Christi zuhören, erfahren wir ausserdem die Wünsche, die Er in seinem Herzen trägt; so dass der Glaubende sagen kann: «Ich kenne die Wünsche seines Herzens für mich.» Das muss so sein, denn das vollkommene Gebet ist der Ausdruck dessen, was das Herz wünscht. Leider werden unsere Gebete oft formell und damit nur der Ausdruck dessen, was andere für die Wünsche unseres Herzens halten sollen. In diesem Gebet findet sich keinerlei Formalismus. Alles ist so vollkommen wie der Eine, der betet.

Im Lauf des Gebets werden viele Bitten an den Vater gerichtet, aber sie scheinen alle unter drei vorherrschende Anliegen zu fallen, die die drei Hauptabschnitte des Gebets markieren.

  1. Der Wunsch, dass der Vater in dem Sohn verherrlicht werde (Verse 1-5).
  2. Der Wunsch, dass Christus in den Heiligen verherrlicht werde (Verse 6-21).
  3. Der Wunsch, dass die Heiligen mit Christus verherrlicht werden (Verse 22-26).

Der Vater in dem Sohn verherrlicht

Jede Äusserung und jede Bitte in den ersten fünf Versen von Kapitel 17 hat die Herrlichkeit des Vaters im Auge. Wo immer der Sohn gesehen wird, ob auf der Erde, im Himmel oder am Kreuz (zwischen Erde und Himmel), ist es sein erster und grösster Wunsch, den Vater zu verherrlichen. Eine solche Reinheit der Beweggründe geht über das Begriffsvermögen des gefallenen Menschen hinaus. Der natürliche Gedanke ist, Macht zu gebrauchen, gleichgültig in welcher Form, um sich selbst zu verherrlichen. So dachten seine Brüder nach dem Fleisch, als sie sagten: «Wenn du diese Dinge tust, so zeige dich der Welt» (Joh 7,4). Was ist das anderes, als in Wirklichkeit zu sagen: «Gebrauche deine Macht, um dich selbst zu verherrlichen!»? Ach! Zeigt die Geschichte nicht, dass jedes Mal, wenn dem Menschen Macht anvertraut wird, ob von Gott oder von Mitmenschen, er sie gebraucht, um sich selbst zu verherrlichen? Ausgestattet mit Macht löste das erste Haupt der Nationen seinen Fall mit den Worten aus: «Ist das nicht das grosse Babel, das ich zum königlichen Wohnsitz erbaut habe durch die Stärke meiner Macht und zu Ehren meiner Herrlichkeit?» (Dan 4,27). Mag also der ganze Himmel sich vereinen, um zu sagen: «Würdig ist das Lamm, das geschlachtet worden ist, zu empfangen die Macht» (Off 5,12); denn nur Er allein gebraucht die Macht zur Ehre Gottes und zum Segen der Menschen. Der Herr wünscht eine Herrlichkeit, die weit grösser ist, als was diese Welt geben kann, denn Er sagt: «Nun verherrliche du, Vater, mich bei dir selbst mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.» Und mit dieser grossen Herrlichkeit möchte Er den Vater verherrlichen.

Vers 2

Macht war Ihm auf der Erde bereits gegeben worden. Sie hatte sich bei der Auferweckung des Lazarus gezeigt und war zur Verherrlichung Gottes gebraucht worden, als Er, bei der Gruft stehend, Sagte: «Wenn du glaubtest, so würdest du die Herrlichkeit Gottes sehen» (Joh 11,40). Nun bittet der Herr um eine Herrlichkeit, die seiner Macht entsprechen würde. Ihm war Gewalt gegeben worden über alles Fleisch, damit Er Gott verherrlichen sollte, indem Er die Ratschlüsse Gottes ausführte. In dieser Welt sehen wir die schreckliche Gewalt des Fleisches, angetrieben durch Satan. Doch zu unserem Trost wissen wir aus diesem Gebet, dass dem Herrn eine Gewalt gegeben ist, die mächtiger ist als jede andere, so dass keine Macht des Bösen, wie gross sie auch sein mag, Christus daran hindern kann, die Ratschlüsse Gottes auszuführen und all denen ewiges Leben zu geben, die der Vater dem Sohn gegeben hat.

Vers 3

Dieses Leben findet seinen höchsten Ausdruck in der Erkenntnis und im Genuss unserer Beziehungen mit dem Vater und dem Sohn. Es ist nicht wie das natürliche Leben, auf das Wissen von und die Freude an natürlichen Dingen und menschlichen Beziehungen begrenzt; es ist nicht auf die Erde beschränkt, noch an die Zeit gebunden, noch wird es durch den Tod beendet. Es ist ein Leben, das uns befähigt, Gemeinschaft mit den göttlichen Personen zu kennen und zu geniessen. Es führt uns aus der Welt hinaus, erhebt uns von der Erde und bringt uns über die Zeit hinaus in die Bereiche ewiger Herrlichkeit.

Vers 4

Wenn aber der Herr wünscht, seinen Vater an dem neuen Platz im Himmel zu verherrlichen, hat Er dies auf seinem Weg auf dieser Erde und in seinen Leiden am Kreuz schon getan. Wer ausser dem Herrn konnte zum Himmel aufschauen und zum Vater sagen: «Ich habe dich verherrlicht auf der Erde.»? Ach! Der gefallene Mensch hat Gott auf der Erde verunehrt. Er war nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen worden, damit er ein wahrer Vertreter Gottes vor dem Universum wäre. Wenn aber nun, nachdem der Mensch gefallen ist, die Welt sich ihre Vorstellung von Gott nach dem Menschen bildete, würde das zur Schlussfolgerung führen, dass Gott ein unheiliges, eigensüchtiges, grausames und rachsüchtiges Wesen sei, ohne Weisheit, Liebe und Erbarmen. Das ist in der Tat der schreckliche Schluss, zu dem die Heiden gelangt sind, weil sie annehmen, Gott sei so, wie sie selbst. So haben sie sich Götter gemacht, die, wie sie selbst, unrein, grausam und selbstsüchtig sind. Sie haben «die Herrlichkeit des unverweslichen Gottes verwandelt in das Gleichnis eines Bildes von einem verweslichen Menschen» (Röm 1,23). So hat der Mensch Gott auf der Erde verunehrt, statt Ihn durch eine wirkliche Darstellung Gottes zu verherrlichen. Wenn wir uns aber vom gefallenen Menschen zu dem Menschen Christus Jesus wenden – dem Sohn –sehen wir Einen, der auf jedem Schritt seines Weges Gott verherrlicht hat. Als Er in diese Welt geboren wurde, konnten die himmlischen Heerscharen beim Anblick ihres Schöpfers sagen: «Herrlichkeit Gott in der Höhe» (Lk 2,14). Jetzt, beim Abschluss seines Weges, kann der Herr sagen: «Ich habe dich verherrlicht auf der Erde.» Er machte das Wesen Gottes vollkommen bekannt und hielt an allem fest, was Gott zukam; Er hielt seine Herrlichkeit vor dem ganzen Universum hoch. In Christus wurde Gott im Fleisch offenbart, gesehen sowohl von Engeln als auch von Menschen.

Ferner verherrlichte Christus Gott nicht nur auf seinem Weg auf der Erde, sondern vor allem am Kreuz, denn Er kann sagen: «Das Werk habe ich vollbracht, das du mir gegeben hast, dass ich es tun sollte.» Dort hielt Er die Gerechtigkeit Gottes in Bezug auf die Sünde aufrecht und offenbarte die Liebe Gottes zu dem Sünder.

Hier spricht Christus entsprechend der vollkommenen Menschheit, die Er angenommen hatte. Als Mensch hatte Er Gott verherrlicht und das Werk vollbracht, das Gott Ihm zu tun aufgetragen hatte. Als Gläubige ist es unser Vorrecht, so zu wandeln, wie Er gewandelt hat – hier zu sein zur Verherrlichung Gottes und um das Werk zu vollenden, das Er uns zu tun aufgetragen hat; wobei wir aber nie vergessen dürfen, dass das Werk, für das Er kam und das Er am Kreuz vollbrachte, für immer allein dastehen muss. Niemand als der Sohn konnte dieses grosse Werk übernehmen und vollbringen.

Vers 5

In diesem Vers hören wir Bitten, an denen kein Mensch teilhaben kann; denn der Herr spricht hier als der ewige Sohn und äussert Bitten, an denen nur Einer, der Gott ist, Anteil haben kann. Zuerst kann der Herr sagen: «Und nun verherrliche du, Vater; mich.» Wir mögen in der Tat wünschen, unsere Leiber der Herrlichkeit zu haben, damit Christus in uns verherrlicht werde (2. Thes 1,10), um dann sagen zu können: «Verherrliche Christus in mir»; aber wer ausser einer göttlichen Person könnte sagen: «Verherrliche mich»?

Zweitens erhebt sich das Gebet auf eine höhere Ebene, denn der Herr fügt hinzu: «Bei dir selbst.» Nur der ewige Sohn, der im Schoss des Vaters ist, konnte um eine Herrlichkeit bitten, die der Herrlichkeit des Vaters entsprach. Der, der so spricht, nimmt also Gleichheit mit dem Vater für sich in Anspruch.

Ausserdem, wenn der Herr weiterfährt und von «der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte», spricht, beansprucht Er eine Herrlichkeit, die Er in der Ewigkeit als eine göttliche Person besass – nicht eine Herrlichkeit, die Er empfing, sondern eine Herrlichkeit, die Er hatte. Dann kann Er sagen: «Die Herrlichkeit, die ich bei dir hatte.» Ein Ausdruck, der nicht nur in sich schliesst, dass Er eine göttliche Person ist, sondern auch eine bestimmte, von den anderen unterschiedene Person in der Gottheit. Schliesslich spricht Er von dieser Herrlichkeit als der Herrlichkeit, die Er beim Vater hatte, «ehe die Welt war». Sie war ausserhalb der Zeit; sie gehörte zur Ewigkeit. Er ist eine göttliche Person, eine bestimmte Person in der Gottheit, und Er ist eine ewige Person. Es ist richtig gesagt worden: «Wir hören Ihn da reden im vollen Bewusstsein, dass Er jetzt derselbe ist, wie Er es war, ehe die Welt existierte; Er spricht von einer Herrlichkeit, die Er als seine eigene besass, in der ewigen Gemeinschaft mit Gott.»