Siehe, mein Knecht! (1)

Jesaja 52,13-15

Wie oft haben wir schon aus dem Propheten Jesaja diesen Abschnitt und das 53. Kapitel gelesen! Dieser Text ist das Herzstück dieses Buches und fesselt uns immer wieder. Denn er schildert in knapper, prophetischer Weise eine Fülle von Herrlichkeiten dessen, der einst als der Knecht des HERRN zu seinem Volk kommen würde, um den Heilsratschluss Gottes zur Ausführung zu bringen. Oh, wie lohnt es sich, über jede hier geäusserte Schilderung des Geistes Gottes nachzusinnen und sie wie einzelne Mosaiksteine zu einem ganzen Bild zusammenzusetzen! Unsere Herzen werden warm dabei.

Vers 13

«Siehe, mein Knecht!» Gott ist es, der uns dies durch Jesaja zuruft, wie Er später durch Johannes verkünden liess: «Siehe, das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt!» (Joh 1,29). Und schliesslich rief der Vater selbst vom Himmel: «Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe» (Mt 3,17; 17,5). Gottes Auge ruht mit unaussprechlichem Wohlgefallen auf seinem Geliebten in allen seinen Stellungen, und Er sehnt sich danach, mit uns darin Gemeinschaft zu haben.

Christus Jesus, der in Gestalt Gottes war, nahm Knechtsgestalt an, indem Er in Gleichheit der Menschen geworden ist (Phil 2,7). Obwohl Er Sohn Gottes blieb, lebte Er als Mensch hier auf der Erde konsequent in der Gott untergeordneten Stellung eines Knechtes, indem Er seinem Willen untertan und gehorsam war bis zum Tod am Kreuz. So erfüllte Er alle Weissagungen des Wortes auf den «Knecht des HERRN». Je besser wir seine Göttlichkeit im Auge behalten, desto mehr bewundern wir Ihn in seiner treuen Ausübung dieses erniedrigenden Dienstes.

«Mein Knecht wird einsichtig handeln.» Ein schwaches Vorbild dazu finden wir im Knecht Abrahams (1. Mose 24). Der Patriarch gab ihm wohl bestimmte Anweisungen mit, die er zu beachten eidlich verpflichtet war, aber mit welcher Einsicht hat er im Einzelnen den Auftrag seines Herrn ausgeführt!

So wurde der Sohn vom Vater in die Welt gesandt, um hier in Knechtsgestalt die Worte Gottes zu reden, die Ihm vom Vater gegebenen Werke auszuführen und das Erlösungswerk zu vollbringen (Joh 3,34; 4,34; 5,36). Aber, im Gegensatz zum Knecht Abrahams, der seinen Meister erst nach ausgeführtem Auftrag wiedersah, blieb Jesus als Knecht des HERRN in ununterbrochenem Kontakt mit Gott, dem Vater, wie uns verschiedene Stellen bezeugen. Er war stets im Gebet (Ps 109,4). Er lebte von jedem Wort Gottes (Lk 4,4). Jeden Morgen liess Er sich von Ihm das Ohr wecken, damit Er wisse, wie Er heute den Dienst tun sollte, auch wenn es nur darum ging, einen einzelnen Müden durch ein Wort aufzurichten. Aber es kamen auch andere Tage, wo Ihm gezeigt wurde, welche Schmach, welch tiefe Leiden nun heute über Ihn kommen würden. Doch auch da verharrte Er in treuer Abhängigkeit von Gott. Er liess sich führen; Er wich nicht zurück, war nicht widerspenstig, sondern gehorsam bis zum Tod (Jes 50,4-7). Ja, Er handelte als Knecht, einsichtig in den Willen Gottes, zu dessen tiefer Freude und Verherrlichung. – Dass wir Kinder Gottes Ihm doch in dieser treuen Abhängigkeit mehr und mehr glichen!

«Er wird erhoben und erhöht werden und sehr hoch sein». Wie es bei seiner Erniedrigung verschiedene Etappen gab – Menschwerdung, Opferlamm am Kreuz, Stellvertreter im Gericht Gottes –, so auch bei seiner Erhöhung. Sie begann sogleich nachdem das Werk der Erlösung vollbracht war. Statt wie die Übeltäter ins Massengrab der Gottlosen geworfen zu werden, war Er bei einem Reichen in seinem Tod (Jes 53,9; bei Joseph von Arimathia, der durch Glauben gerechtfertigt war). Am dritten Tag hat Gott Ihn auferweckt; es war unmöglich, «dass sein Frommer die Verwesung sehe» und dass Er «von dem Tod behalten würde», wie die übrigen der Toten (Ps 16,10; Apg 2,24). Er vertauschte den von den Menschen gemarterten Leib des Knechtes des HERRN mit einem Leib der Herrlichkeit, worin Er nach 40 Tagen in den Himmel aufgefahren ist (Phil 3,21). Dort hat Gott in unendlichem Wohlgefallen über Ihn und seine irdische Laufbahn zu Ihm gesagt: «Setze dich zu meiner Rechten, bis ich deine Feinde hinlege als Schemel für deine Füsse!» (Ps 110,1). Zur Rechten des Thrones der Majestät in den Himmeln (Heb 8,1) ist Er jetzt schon «mit Ehre und Herrlichkeit gekrönt» (Heb 2,9). Gott hat Ihm dabei den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen. Bald wird jede Zunge bekennen, dass Er Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters (Phil 2,9-11). Er ist es, der das Buch der Erbschaft aller Dinge empfangen und dessen Siegel brechen wird, wodurch die in der Offenbarung angekündigten Gerichte über die Erde entfesselt werden (Off 5). Schliesslich wird Er, geschmückt mit vielen Diademen, als König der Könige und Herr der Herren, gefolgt von den Kriegsheeren des Himmels, sichtbar über dem Schauplatz der Erde erscheinen, um bewundert zu werden in den Myriaden derer, die Ihm geglaubt haben, und um Vergeltung zu geben allen denen, «die dem Evangelium unseres Herrn Jesus Christus nicht gehorcht» haben (Off 19; 2. Thes 1). Nachdem die Ihm feindlichen Könige der Erde und ihre Heere vernichtet sind, wird sich Christus zum Gericht der Lebendigen auf seinen eigenen Thron der Herrlichkeit setzen (Mt 25) und dann mit den Seinen 1000 Jahre in Gerechtigkeit über die ganze Erde herrschen. Nach Abschluss dieser herrlichen irdischen Segenszeit und nach Niederwerfung des letzten, vom Teufel angezettelten Widerstandes (Gog und Magog) wird sich Christus auf den grossen weissen Thron setzen, um alle die Toten zu richten, die seit Anfang der Menschheitsgeschichte im Unglauben gestorben sind und Ihn verachtet und verschmäht haben (Off 20,7-15). Denn der Vater hat Ihm das ganze Gericht übergeben (Joh 5,22). Sie werden Ihm auf tausend nicht eins antworten können. Dann folgt der neue Himmel und die neue Erde, in denen der dreieinige Gott alles in allem sein wird (1. Kor 15,28; Off 21,1-7).

Wie kann doch der Gedanke an die in naher Zukunft sich offenbarende, alles überragende Herrlichkeit des Christus uns heute ermuntern, vor der Welt treu zum Herrn Jesus zu stehen und Ihm zu dienen, den sie in ihrer Blindheit heute noch verachtet und verwirft!

Vers 14

«Wie sich viele über dich entsetzt haben – so entstellt war sein Aussehen, mehr als irgendeines Mannes, und seine Gestalt, mehr als der Menschenkinder –» Mit diesen Worten wird unser Herr Jesus in seiner tiefsten Niedrigkeit und seinen schrecklichsten Leiden am Kreuz beschrieben. Wohl haben gottlose Menschen in ihrer erbarmungslosen Grausamkeit je und je ihre Opfer entsetzlich gequält und verstümmelt. Auch die beiden Übeltäter zur Rechten und zur Linken wurden ja auf die gleiche qualvolle Weise gekreuzigt. Aber waren die körperlichen Qualen unseres Heilandes am Marterpfahl seine grösste Not? O nein! Dass die Last unserer Sünden auf Ihm, dem Reinen lag, dass Er für uns zur Sünde gemacht wurde, sozusagen zum Verantwortlichen für unseren sündigen Zustand, und dass der ganze Zorn Gottes über die Sünde uneingeschränkt über Ihn, den Knecht des HERRN kam, und dass Gott Ihn deshalb verliess – das wog am allerschwersten. Das «entstellte sein Aussehen mehr als irgendeines Mannes und seine Gestalt mehr als der Menschenkinder.» Diese Not werden wir nie ergründen können.

Vers 15

«Ebenso wird er viele Nationen in Staunen versetzen, über ihn werden Könige ihren Mund verschliessen. Denn sie werden sehen, was ihnen nicht erzählt worden war; und was sie nicht gehört hatten, werden sie wahrnehmen.» – Auf wen trifft dieses Wort zu? Erstens wohl auf die Nationen und Könige, denen der Name des Herrn Jesus noch nie verkündigt worden war, die dann aber das Evangelium des Reiches im Glauben annehmen, das ihnen durch die eifrigen Boten der gläubigen Juden bekannt gemacht wird (Jes 66,19; Mt 25,31-40).

In gewissem negativem Sinn gilt dieses Wort aber auch für alle Verächter seiner herrlichen Person. Wir können sie in drei grosse Gruppen einteilen:

  1. «Die Könige der Erde und ihre Heere», die mit dem römischen «Tier» oder Oberhaupt verbündet, sich im Hass gegen die Juden in Harmagedon versammeln (Off 16,13-16), um – angespornt durch den Teufel und seine Dämonen – Israel zu vertilgen (Ps 83,4-6). Diese Heeresmassen werden aus den westlichen Ländern kommen, in denen nach der Entrückung der Gläubigen der völlige Abfall von Christus und dem Wort Gottes eingetreten ist (2. Thes 1).
  2. Sodann wird der König des Nordens oder der Assyrer (Gog) und viele Völker mit ihm Palästina überfluten, um das Volk Israel auszurauben (Hes 38 und 39). Diese Heeresmassen, die sich wegen ihrer gewaltigen Rüstung unüberwindlich wähnen, werden sich aus Russland und den mit ihm verbündeten zahlreichen Nationen heranwälzen. Es sind Menschen, die Gott, offenbart in Christus Jesus, verworfen haben.
  3. Die Überlebenden aus diesen Kriegen, die Christus verworfen haben, indem sie seine Knechte, die ihnen das Evangelium des Reiches verkündigen wollten, nicht aufnahmen oder gar verfolgten (Mt 25,41-46).

Alle diese Nationen werden vor ihrem Untergang in bestürztem Erstaunen und zu ihrem ewigen Gericht die alles überragende Herrlichkeit und Macht des Sohnes des Menschen wahrnehmen, der auf Golgatha einst als «Knecht des HERRN» der meistverachtete Mann der Schmerzen, aber der Erlöser der Glaubenden war. Sie werden Ihn als König der Könige und Herr der Herren sehen, geschmückt mit vielen Diademen. Alle seine Heiligen, die hier auf der Erde an Ihn geglaubt haben und deshalb verachtet wurden, nehmen an seiner sichtbaren Herrlichkeit teil, um Ihn als sein prächtiges Gefolge zu verherrlichen. Dann wird Er über die Heeresmassen des römischen Tieres und des Antichristen einen raschen Sieg erringen und sie vernichten (2. Thes 1,10; Off 19,11-21). – Auch den Millionenheeren des Assyrers wird es nicht anders ergehen (Hes 39). «Und ich werde meine Herrlichkeit unter den Nationen erweisen; und alle Nationen sollen mein Gericht sehen, das ich gehalten habe, und meine Hand, die ich an sie gelegt habe» (Hes 39,21). – Die ungläubigen Überlebenden, Zeugen der Offenbarung der Herrlichkeit Christi, werden dann noch als «Böcke» vor seinem Thron der Herrlichkeit stehen müssen, um gerichtet und dem ewigen Feuer übergeben zu werden (Mt 25,41-46).

Alle diese Menschen blieben taub für das Evangelium der Gnade, beziehungsweise für das Evangelium des Reiches. Sie wollten nicht hören und an die Herrlichkeit Christi glauben. Welch ein Vorrecht haben doch alle, die durch Gnade schon jetzt gelernt haben, ihre Knie vor dem Herrn Jesus zu beugen! Seine Herrlichkeit zu betrachten und Ihn anzubeten ist ihnen höchste Freude und Segnung.