Das verherrlichte Lamm (1)

Offenbarung 5,1-10

Das Buch der Offenbarung hat das Gericht zum Gegenstand, aber auch die Gnade Gottes zeigt sich darin, nämlich in der Langmut, in der Er es ausführt. Dieses Gericht beginnt in den Versammlungen; denn der Sohn des Menschen wandelt in ihrer Mitte, nimmt Kenntnis von ihrem Verhalten und ihren Werken, nicht nur in ihrem Stand als örtliche Versammlungen, sondern auch als grosses Ganzes. Der Herr beendet das Gericht mit dem Ausspeien aus seinem Mund der grossen Körperschaft derer, die sich zum Christentum bekennen, in ihrem letzten Zustand (Kap. 2 und 3). Das 6. Kapitel und die folgenden zeigen den Ablauf der Gerichte, die über die Welt kommen werden, nachdem die Heiligen daraus entrückt sind, aber bevor Er vom Reich Besitz nimmt.

Die Kapitel 4 und 5 bilden ein Ganzes, in dem es um die Frage der Rechte und der Würde dessen geht, dem der Besitz des Erbteils und die Ausübung der Macht zustehen. Das 4. Kapitel ist der Ausdruck der Beziehungen Gottes zur Schöpfung. Vers 11 hebt die Rechte des Schöpfer-Gottes hervor, der auf seinem Thron sitzt, um Herrlichkeit, Ehre und Macht zu empfangen, weil Er alle Dinge gebildet hat und sie seines Willens wegen erschaffen worden sind. Im 5. Kapitel geht es nicht um den «Schöpfer», sondern um die Würde und die Rechte des «Erlösers», des «geschlachteten Lammes». Er ist es, der gepriesen und gerühmt wird. Die Erlösung musste dazwischentreten, wenn Er nicht nur als Schöpfer, sondern auch als Erretter verherrlicht werden sollte. Ihm allein gebührt der Besitz aller seiner Werke, um sie mit denen zu geniessen, die Er befreit hat.

Nicht dem Satan steht dies zu, trotz der Macht, die er seit dem Fall über die Menschen ausübt, und trotz seiner Anmassung, alle Reiche der bewohnten Erde und ihre Herrlichkeit zu besitzen, Gewalt und Macht zu haben, um über sie zu verfügen und sie geben zu können, wem irgend er will (Mt 4,8.9; Lk 4,5.6). Sie gehören auch keinem der grossen Machthaber dieser Welt, die im Lauf der Jahrhunderte sie zu beherrschen trachteten, ungeachtet der Ströme Blutes, die sie zu diesem Zweck fliessen liessen. Christus allein, der Gott den Kaufpreis aller Dinge gegeben hat, wird über sie eingesetzt (Psalm 8), und Er wird mit denen herrschen, die durch Gnade mit Ihm vereinigt sind. Seine Herrlichkeit wird für immer den sinnlosen Hochmut des Menschen erniedrigen, der, in Unwissenheit über sein eigenes Nichts und die Gedanken Gottes, zu aller Zeit gesucht hat, den Platz höchster Erhöhung einzunehmen, der allein dem Sohn des Menschen zukommt. «Der Hochmut des Menschen wird gebeugt und die Überheblichkeit der Männer erniedrigt werden; und der HERR wird hoch erhaben sein, er allein, an jenem Tag» (Jes 2,17; 13,11).

Das Buch der Ratschlüsse Gottes, alles dessen, was Er in seiner Herrschaft ist, die hier auf der Erde ausgeübt werden soll, das Buch, das dem Anrecht auf das Erbteil gibt, der würdig ist, es zu öffnen und seine Siegel zu brechen, ist in der Rechten dessen, der auf dem Thron sitzt. Der hält es in seiner Rechten, der die Macht hat, seine Rechte geltend zu machen; denn Gott allein kennt seine eigenen Ratschlüsse.

Das Buch ist «innen und aussen beschrieben». Wenn die Schrift im Innern an das denken lässt, was das Reich darstellt, an seine Verwaltung und seine Herrlichkeit, so lässt die äussere Schrift an die Erlösung denken, an das Werk, auf das es gegründet ist und das seine Aufrichtung möglich macht. Durch dieses Werk ist Satan besiegt, Gott verherrlicht, und alle Dinge werden dadurch mit Ihm versöhnt werden.

Der Ausruf mit der lauten Stimme des starken Engels ist eine Frage, auf die jeder in der Ausdehnung des Himmels, auf der Erde und unter der Erde aufmerken soll, aber auf die kein erschaffenes Wesen antworten kann. Die Frage ist ernst, indem sie die Unfähigkeit aller Kreatur herausstellt, die Ratschlüsse Gottes zu erfüllen, und die Herrlichkeit des Einen hervorhebt, der den Ansprüchen seiner Gerechtigkeit und seiner Heiligkeit entsprochen hat. Wer wird, nachdem Er den Feind überwunden hat, mit seiner Macht das befleckte Erbteil befreien und die Verheissungen Gottes erfüllen? Wer wird alle Dinge mit Ihm versöhnen, die Himmel und die Erde für eine völlige Segnung reinigen? Wer wird das Reich in Besitz nehmen, sich auf den Thron setzen, das Haupt mit vielen Diademen gekrönt, das königliche Zepter in seiner Hand? Wer in der ganzen Sphäre des Erbteils könnte gegenüber der Stimme des starken Engels, dessen Frage sich auf die Befreiung aller Dinge und auf die tausendjährige Herrlichkeit bezieht, gleichgültig bleiben?

Was für ein Buch ist es doch! Um mit ihm in Kontakt zu sein, muss man eine vierfache Würde besitzen:

  • eine, um es zu öffnen,
  • eine, um seine Siegel zu brechen,
  • eine, um es anzublicken und
  • eine, um es zu nehmen (Verse 2.3.4.9).

Wer wird hervortreten und die Gedanken Gottes erfüllen?

Ein feierlicher Augenblick für Johannes! Seine Seele ist beunruhigt. Er weint sehr, denn niemand wurde würdig befunden, es zu öffnen noch es anzublicken. Seine Tränen sind berechtigt, denn wenn niemand das Buch öffnen kann, dann wird die Welt unter der harten Herrschaft Satans, des unrechtmässigen Besitzers, des Lügners und Menschenmörders von Anfang, bleiben. Und was wird dann aus Israel und dem Erbteil?

  • Dieses Buch öffnen: aufrollen und alle die tiefen Pläne erfüllen, die es enthält, die Ratschlüsse Gottes in dieser Welt kundmachen und entfalten, um alles «zusammenzubringen … das, was in den Himmeln und das, was auf der Erde ist» (Eph 1,10).
  • Seine Siegel brechen: den Gerichten den Lauf lassen, durch die das Böse weggetan, die Bösen vernichtet und die Welt gereinigt wird.
  • Es anblicken: die Blicke auf die sichtbare Seite des Buches richten, auf die beschriebene Aussenseite, die die unbeugsamen Forderungen der Gerechtigkeit und Heiligkeit Gottes geltend macht, die durch den Sieg über den Usurpator, den unrechtmässigen Besitzer und die Vernichtung seiner Macht erfüllt werden (Heb 2,14).
    So wird die Verwirklichung seiner Gedanken der Gnade möglich, die darin bestehen, aus jedem Stamm und Sprache und Volk und Nation durch das Blut der Erlösung Menschen zu erkaufen und sie zu «Königen und Priestern» zu machen (Verse 5 und 9).
  • Schliesslich das Buch nehmen (Verse 7 und 9): mit vollem Recht Besitz ergreifen von allem und der Erbe sein. Wer könnte das tun, wenn nicht der, der das ganze Wohlgefallen Gottes besitzt, der Ihn in allem verherrlicht hat, das Lamm, das geschlachtet worden ist, der Löwe aus dem Stamm Juda, der überwunden hat, die Wurzel Davids: die wahre Quelle aller Verheissungen an David?

Christus wird «der Löwe aus dem Stamm Juda» genannt, weil Er die Ratschlüsse Gottes in Macht erfüllen wird. Er wird hier als ein geschlachtetes Lamm gesehen und erscheint mit den Kennzeichen seiner Erniedrigung: «wie ein Lamm, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Schaf, das stumm ist vor seinen Scherern; und er tat seinen Mund nicht auf» (Jes 53,7). In diesem Charakter der Demut, der Unterwürfigkeit, in der Er in einer schuldigen Welt gelitten hat, findet sich das Geheimnis der wahren Macht: Er ist der Löwe.

So sehen wir hier dieses Lamm

  • mit sieben Hörnern: mit Fülle an Macht, und
  • mit sieben Augen: mit vollkommener Einsicht und göttlichem Verstand.

Es kennt alles, und vor Ihm kann nichts Böses verborgen werden. Auf der Erde aber sahen wir Ihn inmitten seiner Feinde wandeln, demütig und sanftmütig, Ihn, der sie mit dem Hauch seines Mundes hätte vernichten können, der über Legionen von Engeln gebieten konnte, der jedoch «gescholten, nicht wiederschalt, leidend, nicht drohte», der seinen Rücken den Schlagenden und seine Wangen den Raufenden darbot (1. Pet 2,23; Jes 50,6). Bald wird sich diese Macht seinen Feinden gegenüber im Gericht zeigen. Dann werden sie zu den Bergen und zu den Felsen sagen: «Fallt auf uns und verbergt uns vor dem Angesicht dessen, der auf dem Thron sitzt, und vor dem Zorn des Lammes; denn gekommen ist der grosse Tag seines Zorns, und wer vermag zu bestehen?» (Off 6,16.17).

Die Verheissungen hatten ihr Zentrum in «Juda». Als Jakob seine Söhne segnete, sagte er: «Dich, Juda, dich werden deine Brüder preisen; deine Hand wird auf dem Nacken deiner Feinde sein, vor dir werden sich niederbeugen die Söhne deines Vaters. Juda ist ein junger Löwe» (1. Mo 49,8.9). Im Anfang lautete die allgemeine Verheissung, dass der Nachkomme der Frau (1. Mo 3,15), also Christus, der Schlange den Kopf zermalmen würde. Später wurden alle Verheissungen auf den Nachkommen Abrahams übertragen: «In deinem Nachkommen werden sich segnen alle Nationen der Erde» (1. Mo 22,18). Dann wurde der Kreis immer enger gezogen, Juda wurde aus der Mitte seiner Brüder erwählt, und später war es die Familie Davids; wie vom Erretter gesagt ist: «Dieser wird gross sein … Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben» (Lk 1,32). Wenn Christus «der Löwe aus dem Stamm Juda» genannt wird, weil Er die Ratschlüsse Gottes in Macht ausführen wird, so ist Er auch «die Wurzel Davids», weil Er die Quelle aller Verheissungen Gottes ist, ob es sich um die Kirche oder um Israel handle. Er selbst hat gesagt: «Ich bin die Wurzel und das Geschlecht Davids» (Off 22,16). Wenn Er das Geschlecht Davids ist, das heisst der, der auf seinem Thron sein soll, nach den Gedanken Gottes (weil David gefehlt hat, wie auch seine Familie nach ihm, konnten sie nicht bleiben), sollte Christus auch zur «Wurzel» bestimmt werden, also zur Quelle aller Verheissungen Gottes. In Ihm sind sie alle «Ja und Amen», gewiss und wahrhaftig und werden sich in Ihm erfüllen (2. Kor 1,20).

Er allein ist würdig, das Buch zu nehmen, zu öffnen, dessen Siegel zu brechen und es anzublicken. Er, der Erniedrigung, Verachtung, Leiden und Tod gekannt hat, wird über alle Himmel erhöht werden und über die Werke Gottes herrschen (Psalm 8). In den Himmeln und auf der Erde, in der unbegrenzten Ausdehnung seiner Herrschaft, werden sich alle Stimmen vereinen, um seine Grösse zu erheben, seine Würde und seine Herrlichkeit auszurufen, die der tiefen Erniedrigung entsprechen werden, in der Er hier auf der Erde gewandelt ist, und der Schande, die die Menschen über Ihn gebracht haben. Er «hat sich selbst zu nichts gemacht» und «hat sich selbst erniedrigt, indem er gehorsam wurde bis zum Tod, ja, zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn auch hoch erhoben und ihm den Namen gegeben, der über jeden Namen ist, damit in dem Namen Jesu jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, dass Jesus Christus Herr ist, zur Verherrlichung Gottes, des Vaters» (Phil 2,7-11).

Die Ältesten stellen die Heiligen in ihrem himmlischen Charakter dar, nicht als die Kirche, den Leib Christi; denn ausser denen, die ihn bilden, gehören auch die Erlösten der alten Haushaltung dazu. Ihre Zahl «vierundzwanzig» erinnert an die vierundzwanzig Klassen der Priester (1. Chr 24) und lässt an die zwölf Patriarchen und die zwölf Apostel denken.

In Kapitel 4 werden sie als Könige gesehen, sitzend auf Thronen, mit goldenen Kronen auf ihren Häuptern. Das 5. Kapitel zeigt sie als Priester, die «goldene Schalen voll Räucherwerk» haben, «welches die Gebete der Heiligen sind». Als solche interessieren sie sich für die Umstände und die Bedürfnisse der Heiligen, die unter der Herrschaft des Antichristen für das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu zu leiden haben. Sie bringen nicht ihre eigenen Gebete dar, sondern die der Auserwählten auf der Erde zur Zeit der Drangsal unter dem römischen Tier, die dann, ob sie getötet wurden oder nicht, mit Christus herrschen werden. Die verherrlichte Kirche in den himmlischen Örtern wird ihr Priestertum gegenüber der Erde ausüben und zum Segen, zum Frieden und zur Glückseligkeit der Menschen auf der Erde beitragen.

In einer völligen Stille und einem Frieden, den die Zeichen, die die Gerichte begleiten, nicht stören können, sind die Ältesten die Ersten, die durch das neue Lied die Würde des geschlachteten Lammes ausrufen, das Buch zu nehmen. Eine harmonische Melodie, an das siegreiche Lamm gerichtet, die im Himmel auf die Frage des starken Engels antwortet. Sie haben jeder eine Harfe, das Instrument des Lobes. Sie allein können singen, was der erhabenste Ausdruck ihrer Freude ist, im Bewusstsein ihrer Befreiung und ihrer Freude. Während die steigende Flut des Gerichts alles vor Ihm vernichtet, wie die Sintflut, die sich erhob und die höchsten Berge bedeckte, indem sie keinen Ort zur Rettung übrigliess, sind die «Könige und Priester» in vollkommenem Frieden, besingen die Herrlichkeit dieser Erlösung, die sie vom kommenden Zorn befreit hat.

Die Herrlichkeit, die dem «Löwen aus dem Stamm Juda» zusteht, die zukünftige Quelle der Segnung für Israel zu sein, kann Ihm nicht genommen werden; aber alle Familien der Erde werden aufgerufen, Ihn als Erlöser zu rühmen. «Du hast sie unserem Gott zu einem Königtum und zu Priestern gemacht, und sie werden über die Erde herrschen.» Sie haben den ersten Platz bei Gott, in der Macht als Könige und in der Anbetung als Priester. Wenn das Königtum die Heiligen in die nächste Nähe Gottes in Macht versetzt und das Priestertum sie in dieselbe Nähe bringt zur Anbetung, so ist es die gleiche Person Christi – das geschlachtete Lamm – das arme Sünder zu solchen kostbaren und herrlichen Vorrechten führt. Wir sind zu all dem gemacht, zu dem auch Christus gemacht ist: Er ist König und Priester.