Emmaus
«Der Herr ist wirklich auferweckt worden» (Lk 24,34).
Der Schluss der vier Evangelien, Apostelgeschichte 1 und 1. Korinther 15 berichten uns von der Auferstehung des Herrn Jesus. Etwa zehn Gelegenheiten werden erwähnt, bei denen Er bald dem einzelnen, bald mehreren seiner Jünger erschienen ist; und wir sehen in den ersten Kapiteln der Apostelgeschichte, wie das Zeugnis von dieser Auferstehung ihre Verkündigung erfüllte.
Die Erscheinungen des auferstandenen Herrn
«Als er aber früh am ersten Tag der Woche auferstanden war, erschien er zuerst Maria Magdalene» (Mk 16.9). Warum war es eine Frau, und gerade diese Frau, der der Herr Jesus zuerst erscheinen wollte? War es nicht wegen ihrer tiefen Liebe zu Ihm, und auch weil sie ein besonderer Gegenstand seiner Gnade war? Wird ihr Name erwähnt, so wird zur nähern Bezeichnung hinzugefügt, dass sieben Dämonen von ihr ausgefahren seien. Am Fuss des Kreuzes, bei der Gruft, wo Joseph Ihn hinlegte, und später in der Dämmerung des ersten Wochentages, dann am Auferstehungsmorgen finden wir Maria Magdalene wieder. Johannes 20,11-18 zeigt sie uns weinend, aber ganz verwandelt, als sie Jesus erkannt und seine Stimme gehört hat, die einfach ruft: «Maria!»
Danach ist Er den Frauen erschienen, die vom Grab kamen (Mt 28,9), dann Simon allein (Lk 24,34; 1. Kor 15,5). Von dieser Begegnung des reuigen Jüngers und dem auferstandenen Herrn wird uns nichts gesagt. Bei der Bekehrung, wie auch bei der Wiederherstellung gibt es «Heiligtümer», wo die Seele allein ist mit ihrem Gott.
Am Nachmittag des gleichen ersten Tages der Woche erschien der Herr den beiden Jüngern, die nach Emmaus gingen (Lk 24), dann, am Abend, den Aposteln und denen, «die mit ihnen versammelt waren» (Lk 24,36; Joh 20,19). Er brachte ihnen seinen Frieden; Er zeigte ihnen seine Hände und seine Seite, und «die Jünger freuten sich, als sie den Herrn sahen». Acht Tage später, wiederum am ersten Tag der Woche, erschien der Herr den Seinen, die diesmal mit Thomas versammelt waren (Joh 20,26-29).
Johannes 21 berichtet uns, wie Er sieben von seinen Jüngern erschien, die auf Anregung von Simon Petrus hingegangen waren, um im See Tiberias zu fischen. Völlig erfolgloser Fischfang, denn «in jener Nacht fingen sie nichts». Als Jesus sie am Morgen fragte: «Kinder, habt ihr nicht etwas zu essen?», müssen sie Ihm antworten: «Nein». Welch ein unvergesslicher Augenblick, als Johannes, der Jünger, den Jesus liebte, hinblickend auf den Mann, der am Ufer stand, und auf das Netz voller Fische, zu Petrus sagte: «Es ist der Herr!» Petrus wirft sich ins Wasser, Ihm entgegen, nicht ohne das Oberkleid umzugürten (man kann nicht irgendwie vor den Herrn kommen!); die anderen Jünger folgen und alle frühstücken mit Ihm. «Dies ist schon das dritte Mal, dass Jesus sich den Jüngern offenbarte, nachdem er aus den Toten auferweckt war», d.h. das dritte Mal den versammelten Jüngern, die anderen, früheren Erscheinungen erfolgten an einzelne Personen.
Die Elf, gemäss der von Jesus empfangenen Weisung, «gingen nach Galiläa, an den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Und als sie ihn sahen, warfen sie sich vor ihm nieder» (Mt 28,16.17). War es wohl bei dieser Gelegenheit, dass Er von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal gesehen wurde, wie 1. Korinther 15,6 sagt? Das ist wohl möglich.
«Danach erschien er Jakobus» (1. Kor 15,7), ohne dass die Evangelien von dieser Begegnung etwas sagen. Schliesslich war Er am Tag der Himmelfahrt bei den Jüngern, als «Er sie hinausführte bis nach Bethanien», wo Er seine Hände aufhob und sie segnete.
Emmaus (Lukas 24,13-35)
Als der Herr Simon, Thomas und den sieben Jüngern am Ufer des Sees Tiberias erschien, hatte Er die Wiederherstellung dieser Seelen im Auge, die mehr oder weniger von Ihm entfernt waren. So war es auch mit den beiden Jüngern, die niedergeschlagen und mit gehaltenen Augen von Jerusalem nach Emmaus gingen. Durch eigene Schuld hätten sie die Begegnung verpasst, die der Herr für diesen Abend mit den versammelten Seinen vorgesehen hatte; sie hätten sich dies selber zuschreiben müssen. Aber wie sind die Gedanken des Herrn von den unseren so verschieden! «Und es geschah, während sie sich unterhielten und sich miteinander besprachen, dass Jesus selbst sich näherte und mit ihnen ging.» Sie entfernten sich, Er aber näherte sich ihnen. Sie waren niedergeschlagen, Er wird sie erfreuen und ihre Herzen brennend machen. Wie wird Er dies erreichen?
Durch eine oder zwei Fragen führt Er sie dazu, Ihm ihren Kummer zu erzählen. Dann war es an Ihm, zu sprechen; über welches Thema wird Er sich mit ihnen unterreden? Welche Vorwürfe wird Er ihnen machen? Er spricht von sich selbst zu ihnen! «Musste nicht der Christus dies leiden und in seine Herrlichkeit eingehen? Und von Mose und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn selbst betraf.» Er würde nur noch kurze Zeit bei ihnen sein, aber wenn Er sie verlassen haben würde, blieben ihnen die Schriften. Bis dahin hatten sie beim Lesen des Alten Testaments an die Geschichte ihres Volkes gedacht, an seine vergangene Herrlichkeit, an sein Elend, an die Befreiung, die der Messias bringen würde; aber von jetzt an! Er wird es sein, Er, den sie als auf der Erde lebend gekannt hatten, den sie als auferstanden erkennen werden, Ihn, Christus selbst werden sie auf allen Seiten des Alten Testaments, unter den Typen und Bildern suchen, die unsere Blicke unaufhörlich auf seine Person richten. Man versteht, dass ihre Herzen in ihnen brannten, als Er auf dem Weg zu ihnen redete und ihnen «die Schriften öffnete».
Im Dorf angekommen, «stellte er sich, als wolle er weitergehen. Und sie nötigten ihn und sagten: Bleibe bei uns, denn es ist gegen Abend, und der Tag hat sich schon geneigt. Und er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben». Der Herr drängt sich nie auf; Er will erwünscht, eingeladen sein. Welche Lektion für unser praktisches Leben! «Von dir hat mein Herz gesagt: Du sprichst: Sucht mein Angesicht! – Dein Angesicht, HERR, suche ich» (Ps 27,8). Könnte es für ein neues Heim einen besseren Wunsch geben als: «Bleibe bei uns», und eine geschätztere Antwort als diese: «Und er ging hinein, um bei ihnen zu bleiben?»
Aber anstatt sich wie ein Eingeladener zu Tisch zu setzen, nimmt Er den Platz des Gastgebers ein. Er ist es, der dankt, Er ist es, der das Brot bricht und es ihnen reicht. Eine Haltung, die vielleicht überrascht, aber als, wie wir uns denken können, sich die durchbohrten Hände zu ihnen streckten, «wurden ihre Augen aufgetan, und sie erkannten ihn». Unvergesslicher Augenblick für diese zwei Jünger, deren Herz schon auf dem ganzen Wege gebrannt hatte, als sie nun mit geöffneten Augen das Angesicht ihres geliebten Heilands erblickten. Es wird nicht gesagt, dass Er sie verliess, seine Gegenwart war immer mit ihnen; aber sie sollten lernen, mit Ihm als dem unsichtbar Gewordenen zu leben, so wie sie gelernt hatten, in seiner Gesellschaft zu leben, während der Tage seines Fleisches (Heb 11,27).
Anderseits, das Brot mit ihnen essen, nachdem Er es gebrochen hatte, und dort am Tisch bleiben, wäre einer gewissen Sanktion ihrer vorübergehenden Abirrung gleichgekommen. Sein Platz war nicht dort, wenn Er auch gekommen war, sie dort zu suchen, um sie an den wahren Ort der Zusammenkunft zurückzuführen.
Der Herr gebietet ihnen nicht, nach Jerusalem zurückzukehren, aber sobald ihr Herz erwacht ist, ihre Augen geöffnet und ihre Gedanken von Ihm erfüllt sind, können sie da etwas anderes tun, als sich mit denen zusammenzufinden, die der Herr liebt, um gemeinsam seine Gegenwart zu geniessen?
Sie treffen ein; werden sie die anderen durch ihre herrliche Botschaft in Erstaunen setzen? Nein, es sind die Elf, und die, die mit ihnen waren, die sie mit den Worten empfangen: «Der Herr ist wirklich auferstanden und dem Simon erschienen.» Alle miteinander sprachen über die wunderbaren Dinge, die geschehen waren. «Während sie aber dies redeten, trat er selbst in ihre Mitte und spricht zu ihnen: Friede euch!» Wird einer von denen, die diese Szene miterlebten, während der schwierigen Jahre, die folgten, sie je vergessen haben? Nie, ohne Zweifel; wer die Gegenwart des Herrn in der Mitte der versammelten Seinen gekostet hat, den kann nichts anderes mehr befriedigen.
In jener Zusammenkunft wiederum «öffnete er ihnen das Verständnis, die Schriften zu verstehen.» Er wird sie verlassen, was bleibt ihnen dann noch? Seine Gegenwart wird erfahren werden, wenn Er selbst, wenn auch unsichtbar, in der Mitte derer sein wird, die zu seinem Namen hin versammelt sind; und wie für das Leben und den persönlichen Wandel der beiden Jünger, werden die Schriften die Hilfsquelle der versammelten Gläubigen sein. Der Geist, die «Verheissung des Vaters» (Vers 49) wird da sein, um sie ihnen zu erklären, indem Er von dem Seinen nimmt und es ihnen verkündigt (Joh 16,14).
In diesem Kapitel ist alles «offen»:
- die Gruft, deren Stein weggewälzt ist;
- die Augen, zuerst gehalten, die Ihn jetzt aber sehen können;
- die Schriften, einst verdeckt (2. Kor 3,14), jetzt aber geöffnet, damit die Seinen Ihn auf allen Seiten finden können;
- das Verständnis, erneuert und erleuchtet, wie es bald durch den Heiligen Geist sein würde, damit es eindringen könne in alles, «was über ihn geschrieben steht in dem Gesetz Moses und den Propheten und Psalmen»;
- schliesslich auch die Herzen zu einem Lob, das Gott verherrlicht.
Aber über dem allem ist Er selbst in ihrer Mitte: «Seht meine Hände und meine Füsse, dass ich es selbst bin; betastet mich und seht.» Es war der gleiche Jesus, den sie vorher gekannt hatten. «Jesus, der mit ihnen gegessen hatte in den Tagen, da Er hier auf der Erde in ihrer Mitte war, ass mit ihnen in den Tagen seiner Auferstehung; Jesus, der einst eine Menge Fische in ihre Netze gebracht hatte, tat es auch jetzt nach seiner Auferstehung; Jesus, der am öden Ort die Brote gesegnet und sie ihnen gegeben, hatte es eben jetzt in derselben Weise getan. Es ist immer die gleiche gesegnete Person, die wir vor unseren Augen haben, in Bethlehem, am Abend der Auferstehung und auf dem Berg der Himmelfahrt. Auferstanden aus den Toten, behielt er an seinen Händen und an seiner Seite die Spuren der Wunden, die Ihm am Kreuz zugefügt wurden, und liess Er sich von seinen Jüngern während vierzig Tagen sehen» (John G. Bellett).
Und auch «mit den gleichen Händen und der gleichen durchbohrten Seite stieg Er zum Himmel empor … Gott war hier auf der Erde, der Mensch ist droben». Was wir vor allem nötig haben zu verwirklichen ist dies: dass der Herr Jesus für uns nicht nur eine ferne Person ist, jemand, von dem man reden gehört hat und den man mehr oder weniger kennt, sondern eine lebendige Person, der gleiche, den wir in Bethlehem, in Nazareth, in Kapernaum, in Bethanien, in Emmaus gesehen haben und der jetzt in der Herrlichkeit ist. «Unsere Glückseligkeit ist die, dass unsere Schätze in einer Person eingeschlossen sind, die nicht für ein Geschlecht ein gegenwärtiger Lehrer und ein lebendiger Herr und nachher für alle nachfolgenden Geschlechter ein früherer Lehrer und ein toter Herr ist – sondern ein gegenwärtiger Meister und Herr, der auf immerdar lebt» (John G. Bellett).
Noch einmal wiederholen wir: «anerkannt gross ist das Geheimnis der Gottseligkeit: Er, der offenbart worden ist im Fleisch, ist gerechtfertigt im Geist, gesehen von den Engeln, gepredigt unter den Nationen, geglaubt in der Welt, aufgenommen in Herrlichkeit» (1. Tim 3,16). So werden Ihn unsere Augen bald von Angesicht zu Angesicht sehen, denn «der hinabgestiegen ist, ist derselbe, der auch hinaufgestiegen ist über alle Himmel, damit er alles erfüllte» (Eph 4,10), alles … auch unsere Herzen!