Die Sünden Jerobeams

1. Könige 11; 1. Könige 12

Beim Lesen der Geschichte der Könige von Israel, des Zehnstämmereiches, fällt uns auf, wie der Geist Gottes ihnen allen durch den Schreiber vor allem zur Last legt, dass sie nicht abweichen wollten von den Sünden Jerobeams, des Sohnes Nebats, wodurch dieser Israel zu sündigen veranlasst hatte.

Sie begingen ja noch viele andere Sünden. Weshalb wurde denn dieses eine Böse immer wieder hervorgehoben? Worin bestand es denn?

Wir wollen uns kurz daran erinnern, wie es zu dieser schweren Übertretung kam.

Als Salomo alt war, neigten seine zahlreichen fremden Frauen aus den Nationen sein Herz anderen Göttern nach. Da erzürnte der HERR gegen ihn und sagte zu ihm: «Ich werde dir das Königreich gewiss entreissen und es deinem Knecht geben; … aus der Hand deines Sohnes werde ich es reissen» (1. Kön 11,11.12). Daraufhin sandte Er den Propheten Achija zu Jerobeam. Dieser zerriss sein neues Oberkleid in zwölf Stücke und gab diesem Mann zehn Teile davon mit dem Gotteswort: «Siehe, ich will das Königreich aus der Hand Salomos reissen und will dir zehn Stämme geben» (1. Kön 11,31). Die Gründe dieses göttlichen Entschlusses wurden Jerobeam deutlich mitgeteilt, und er konnte nicht darüber im Zweifel sein, dass der HERR ihn zum König über die zehn Stämme eingesetzt hatte. Er willigte daher ein, als ihn Israel zum König machte (1. Kön 12,20).

Aber was geschah dann? «Jerobeam sprach in seinem Herzen.» Was denn? Sagte er in Gottesfurcht und Dankbarkeit, wie Gott es ihm nahegelegt hatte: Ich will auf seinen Wegen wandeln, will tun, was recht ist in seinen Augen. Ich will seine Satzungen und Gebote beachten, wie der treue König David? (Vgl. 1. Kön 11,38.) Ach nein, in seinem Herzen war kein Glaube, kein Vertrauen zum Allmächtigen, der ihm doch in seiner Güte feste Verheissungen gegeben hatte. Er wollte sich sein Königreich selbst sichern.

In seinem Unglauben sah er ernste Gefahren für seinen Thron. Er sagte sich: «Wenn dieses Volk – wie im Gesetz geboten – hinaufziehen wird, um im Haus des HERRN in Jerusalem Schlachtopfer zu opfern, so wird das Herz dieses Volkes sich zu ihrem Herrn zurückwenden, zu Rehabeam, dem König von Juda; und sie werden mich töten und sich zu Rehabeam, dem König von Juda, zurückwenden» (1. Kön 12,27). Für einen Menschen, der Gott aus dem Spiel lässt, sind solche Gedanken durchaus einleuchtend und klug. Er schien das unbeständige Herz des Volkes zu kennen.

«Da beriet sich der König.» Mit wem wohl? Zog er das Gesetz, das Wort Gottes zu Rate? Besprach er sich mit solchen, die es kannten und liebten? Ach nein! Wer nicht Gott sucht, sucht auch nicht die Gemeinschaft derer, die mit Ihm wandeln. Da berät man sich mit solchen, die die eigenen Ansichten teilen. Das ist heute noch so.

Das Produkt einer derartigen Beratung überrascht uns nicht: «Er machte zwei goldene Kälber» und stellte das eine in Dan auf, im Norden, und das andere in Bethel, an der Südgrenze seines Reiches. Und was sie einst vom goldenen Kalb in der Wüste gesagt hatten (2. Mo 32,4), das behauptete er jetzt auch von seinen Kälbern: «Siehe da, Israel, deine Götter, die dich aus dem Land Ägypten heraufgeführt haben.»

Konnte Jerobeam damit rechnen, dass das Volk diesen neuen «Gottesdienst» ohne weiteres akzeptieren würde, der doch die zehn Gebote und die Verordnungen des HERRN über den Opfer- und Priesterdienst missachtete? Hatte ihnen der treue, gottesfürchtige König David nicht ein ganz anderes Beispiel gegeben? Hatte der bisherige Gottesdienst durch den prachtvollen Tempel Salomos, auf dem die Herrlichkeit des HERRN ruhte, nicht einen unübertrefflichen Glanz bekommen?

Doch, Jerobeam tippte richtig. Wenn er sagte: «Es ist zu viel für euch, nach Jerusalem hinaufzuziehen», so sprach er nach dem Herzen der Leute. Der Dienst des HERRN forderte ihr ganzes Herz, ihren ganzen Einsatz, und das wünschten sie nicht. Gehörte das nicht auch zu dem harten Dienst Salomos und zu dem schweren Joch, das er auf sie gelegt hatte und von dem sie befreit werden wollten (1. Kön 12,4)? Religion ist schon recht und muss ja sein – so mochten sie gedacht haben – aber wir wollen eine, die dem Fleisch Raum lässt. Ha, und nun führte der König gerade das ein. Er baute auch Höhenhäuser. Jetzt hatten sie ja auch Altäre und Opfer und Priester und Feste – und dazu noch viel Ellenbogenfreiheit für Dinge, die das Gesetz nicht zuliess. Dass der König das alles «aus seinem Herzen erdacht hatte» (1. Kön 12,33), focht sie nicht an. Niemand von ihnen nahm es wörtlich, dass diese zwei Kälber, die soeben aus der Goldschmiede kamen, sie einst wirklich aus Ägypten heraufgeführt hätten. Das waren doch nur Symbole von Gott, wie ja auch der bisherige Dienst seine Symbole hatte!

Ach, das eigenwillige, böse Herz findet tausend einleuchtende Gründe für sein Tun! Und so hat sich denn der Kälberdienst unter den zehn Stämmen eingebürgert, und er dauerte an, bis sie in die assyrische Gefangenschaft weggeführt wurden.

Für Gott war dies eine sehr schwere Sünde. Jerobeam hatte durch seine selbsterfundene Nationalreligion die zehn Stämme offiziell von der Nachfolge des HERRN weg zu den Götzen geführt!

Was haben wir, die wir jetzt zum Zeugnis des Christentums in der Welt gehören, aus dieser bald dreitausend Jahre alten Geschichte zu lernen? Sind jene Zustände mit denen in unseren Tagen überhaupt vergleichbar?

Nicht nur dem Volk Israel, unter dem Er wohnen wollte, hat Gott für den damaligen Gottesdienst genaue Anweisungen gegeben. Auch seinem jetzigen Volke gab der Herr durch die Apostel deutliche Belehrungen, nicht nur über das volle Heil in Christus und das praktische Leben der Christen, sondern auch über seine Versammlung und den christlichen Gottesdienst, der darin ausgeübt werden soll. Und die ersten Christen «verharrten in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft, im Brechen des Brotes und in den Gebeten» (Apg 2,42).

Aber was ist dann geschehen? Im Lauf der Jahrhunderte sind diese Belehrungen des Geistes Gottes zum grossen Teil aufgegeben und ersetzt worden durch menschliche Lehren und religiöse Anordnungen, die sich «das eigene Herz erdacht» hat. Das führte in der Christenheit zu einem chaotischen Zustand der Verwirrung, wie wir ihn jetzt vor uns haben. Muss dies Gott nicht ebenso sehr ein Gräuel sein, wie einst die «Sünden Jerobeams«? Sein Auge sieht Kirchen und Gemeinden und Gruppen und Sekten aller Schattierungen, statt der einstigen örtlichen Versammlungen, von denen das Wort spricht, wo alle Heiligen der verschiedenen Städte sich nur zu dem Namen Jesu hin versammelten und die Einheit des Geistes bewahrten, in dem Band des Friedens.

Sehen und beurteilen wir diese bösen Zustände, wie der Herr es tut, und trauern wir darüber? Oh, es ist erstaunlich, wie gleichgültig und oberflächlich unser Herz in geistlichen Dingen werden kann, wenn es nicht in allem Gemeinschaft sucht mit Christus, der «uns geliebt und sich selbst für uns hingegeben hat»! Was nützt es, «alle Geheimnisse und alle Erkenntnis zu wissen», wenn mein Herz in einem solchen Zustand ist? «Wenn ich nicht Liebe habe, so bin ich nichts» (1. Kor 13). Dann erscheint auch mir der Dienst des Herrn «hart» und als «ein schweres Joch», das ich mir in der Praxis zu «erleichtern» suche. Dann stehen wir aber im Gegensatz zu unseren Vätern, die im 19. Jahrhundert in Gottesfurcht und Hingabe zum Herrn sein Wort erforschten, um in allen Dingen seinen Willen zu erkennen und den Gottesdienst auszuüben, den Er von seiner Versammlung erwartet. So konnte der Geist Gottes sie erfüllen und sie fanden seine Gebote «nicht schwer» (1. Joh 5,3).

Es ist, wie schon gesagt, auffallend, wie Gott jeden König, der auf Jerobeam folgte, in der gleichen ernsten Weise beschuldigte, dass er an den «Sünden Jerobeams» hängen blieb. Jeder war voll verantwortlich, dass die goldenen Kälber in Bethel und Dan – wie auch die Höhenhäuser – bestehen blieben, die die Israeliten davon abhielten, im Tempel in Jerusalem, wo Gott seinen Namen gesetzt hatte, Gottesdienst nach der Vorschrift auszuüben.

Durften sich denn jene Könige nicht damit entschuldigen, dass ja in Juda auch nicht alles zum Besten bestellt sei? Wohl setzten dort die Priester und Leviten ihren Dienst im Tempel des HERRN fort, aber war es nicht so, dass gewisse jüdische Könige, wenigstens zeitweise, dem Götzendienst frönten, so zum Beispiel Joram, Ahasja, Joas, Amazja, Ahas, und so weiter?

So gibt es auch heute Stimmen von Gläubigen, die, auf ihre Verantwortung dem Wort des Herrn gegenüber aufmerksam gemacht, ihr Auge auf die Menschen richten und sagen: «Sind denn jene Christen, die heute die Wahrheiten von der Versammlung Gottes und der Notwendigkeit einer Trennung und Absonderung von doktrinärem und sittlichem Bösen in der Christenheit festhalten, besser als wir?»

Da wäre gewiss manches aufzuzählen, was dagegen spräche. Dem Blick des Herrn entgeht nichts. Er merkt sich das Böse und das Gute, wo es sich auch finden mag. «Jedem aber, dem viel gegeben ist – viel wird von ihm verlangt werden» (Lk 12,49). Wenn Er kommt, wird Er «das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen und die Überlegungen der Herzen offenbaren wird; und dann wird einem jeden sein Lob werden von Gott» (1. Kor 4,5).

Weder in dem Israel von damals noch in der Christenheit von heute geht es um Personen, sondern darum, dass jeder, der zum Volk Gottes gehört, seinen in der Heiligen Schrift offenbarten Willen in allen Belangen und auch bezüglich des Ihm wohlgefälligen Gottesdienstes sorgfältig beachtet und darin wandelt. Die «Sünden Jerobeams» sollen uns ein abschreckendes Beispiel sein.