Dem Frieden nachjagen

Johannes 14,27

Als unser Herr zum letzten Mal vor dem Kreuz mit seinen Jüngern im Obersaal zusammen war, gab Er ihnen die bedeutsame Verheissung: «Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch» (Joh 14,27).

In diesem kurzen Wort wird der Friede von zweierlei Gesichtspunkten aus betrachtet, die man nicht verwechseln oder vermischen darf. Lasst uns bei jedem einen Augenblick stehen bleiben.

«Frieden lasse ich euch»

Wir waren von Natur Feinde Gottes: «Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott» (Röm 5,10; 8,7). Die Sünde, in der wir geboren wurden und in der wir lebten, hatte eine Scheidung gemacht zwischen Ihm, dem Heiligen, und uns, den Unreinen. Wie konnten wir auf immerdar mit Gott versöhnt werden? Wer vermochte die schreckliche Kluft, die uns von Ihm trennte, gottgemäss zu überbrücken?

Wir kennen die herrliche Antwort: Das ist durch Jesus Christus geschehen: «Gott hat uns mit sich selbst versöhnt durch Jesus Christus … Gott war in Christus, die Welt mit sich selbst versöhnend» (2. Kor 5,18.19). «Gott ist einer, und einer ist Mittler zwischen Gott und Menschen, der Mensch Christus Jesus, der sich selbst gab als Lösegeld für alle» (1. Tim 2,5.6). «Er ist einmal in der Vollendung der Zeitalter offenbart worden zur Abschaffung der Sünde durch sein Opfer» (Heb 9,26).

Christus hat uns also einen wunderbaren Frieden hinterlassen. Er selbst hat ihn gemacht durch das Blut seines Kreuzes (Kol 1,20). Gott ist gerecht, wenn Er jetzt den rechtfertigt, der des Glaubens an Jesus ist. Sein Erlösungswerk ist der ewige Fels, die unwandelbare Grundlage des Heils, auf der die Gläubigen ruhen können, ohne je irgendwelche eigene Gesetzeswerke hinzufügen zu müssen.

Weil alles von Ihm abhängt, können sie in unerschütterlicher Gewissheit jederzeit festhalten: «Da wir nun gerechtfertigt worden sind aus Glauben, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus» (Röm 5,1). Einst Feinde Gottes – jetzt mit Ihm versöhnt; einst Sünder – jetzt gerechtfertigt, weil die Sünde durch das Opfer Christi für sie gesühnt und abgeschafft ist! Die Kluft, die uns von Ihm trennte, ist nicht mehr. Nichts ist bestehen geblieben, was die Grundlage des Friedens mit Gott unsicher machen oder beeinträchtigen könnte. In Ewigkeit werden wir dem Vater und dem Sohn für dieses uns geschenkte, vollkommene Heil Dank und Anbetung darbringen.

«Meinen Frieden gebe ich euch»

Unser Leben in dieser Welt ist in ständiger Bewegung. Es ist eine Folge von unzähligen Schritten, und bei jedem dringen feindliche Einflüsse auf uns ein:

  • aus der sichtbaren Welt, die uns umgibt,
  • aus dem Fleisch, das in uns ist, und
  • vom Feind, der uns zu verderben sucht.

Erliegen wir diesen Einflüssen, so ist es um den Genuss des uns geschenkten Friedens mit Gott geschehen, bis die praktische Gemeinschaft mit Ihm wiederhergestellt ist, der im Wort immer wieder «der Gott des Friedens» oder «der Herr des Friedens» genannt wird.

Da will unser Herr Jesus uns daran erinnern: Seht, auch ich war Mensch, in der gleichen Welt und kenne diese Einflüsse (auch Er wurde versucht, aber Sünde war nicht in Ihm – 1. Joh 3,5); Ich bin für euch das Beispiel, wie ihr sie überwinden und den Frieden im Herzen bewahren könnt. Ich gebe euch auch alles, was ihr dazu nötig habt: das Wort, den Heiligen Geist und die Hilfe aus dem Heiligtum, als euer Hoherpriester und Sachwalter. «Meinen Frieden gebe ich euch.»

Dass wir in der Schrift zweimal aufgefordert werden, dem Frieden nachzujagen, ist auffallend. In Psalm 34,15 wird uns zugerufen: «Weiche vom Bösen und tue Gutes, suche Frieden und jage ihm nach!», und der Apostel sagt in Hebräer 12,14: «Jagt dem Frieden nach mit allen und der Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn schauen wird.»

Wenn uns auch der Friede mit Gott ein für alle Mal geschenkt ist, so ist doch der Friede des Herzens, diese kostbare Frucht der ungetrübten Gemeinschaft mit Ihm, wie ein edles Wild, das uns jeden Augenblick enteilen will. Wie ein Jagdhund hinter seiner Fährte herläuft, für nichts anderes ein Auge hat und sich nicht davon ablenken lässt, so sollen auch wir nach dem Frieden streben.

Eigentlich ist es ja umgekehrt: Wir sind es, die ständig aus der seligen Gegenwart Gottes abgezogen werden und Ihm immer wieder davonlaufen. Er ist heilig, Er ist Licht und gar keine Finsternis ist in Ihm. Oh, wie sollte es uns da ein Anliegen sein, vom Bösen zu weichen und alles zu meiden, was mit seiner Heiligkeit unverträglich ist! – Dem Frieden nachjagen! Auch da gilt der Grundsatz: «Nicht erjagt der Lässige sein Wild» (Sprüche 12,27).

Was sich unter anderem unaufhörlich zwischen Gott und uns schieben will und was wir oft gar nicht als böse erkennen und verurteilen, das sind unsere Sorgen. Da sagt jemand: «Was kann ich dafür, dass mir so viel aufgeladen wird, viel mehr als ich tragen kann?» – So mag es vielen von uns gehen, aber wir kennen ja den Vers auswendig: «Seid um nichts besorgt, sondern in allem lasst durch Gebet und Flehen mit Danksagung eure Anliegen vor Gott kundwerden» (Phil 4,6). Sorgen sind nach Gottes Willen Mittel der Kontaktnahme mit Ihm. Wir dürfen sie in Worte fassen, in Gebete umwandeln. So werden die beschwerten Herzen mit seinem Herzen verbunden und entlastet. Viele Sorgen – viele Gebete. In allem können wir so zu Ihm kommen; wir sollen jede Bürde ablegen, alle unsere Sorge auf Ihn werfen; denn Er ist besorgt für uns (Heb 12,1; 1. Pet 5,7) Und was wird die Folge davon sein? «Der Friede Gottes, der allen Verstand übersteigt, wird eure Herzen und euren Sinn bewahren in Christus Jesus.»

«Dem Frieden nachjagen» besteht aber nicht nur in der Beseitigung aller Hindernisse, die sich einem Wandel mit Gott entgegenstellen können. Das wäre nur die negative Seite der Sache.

Es geht auch darum, dass unser Herz und unser ganzer Sinn, unser ganzes Tun und Lassen, sorgfältig abgestimmt wird mit dem Wesen Gottes, das in Christus Jesus offenbart worden ist. So fährt Paulus in Philipper 4 fort: «Übrigen, Brüder, alles, was wahr, alles, was würdig, alles, was gerecht, alles, was rein, alles, was lieblich ist, alles, was wohllautet, wenn es irgendeine Tugend und wenn es irgendein Lob gibt, dies erwägt. Was ihr auch gelernt und empfangen und gehört und an mir gesehen habt, dies tut

Indem wir also in Verbindung mit dem Sinnen über Gottes Wort gründlich erwägen, wie unser Wandel übereinstimmen kann mit seinen Gedanken, mit seiner Wahrheit und Gerechtigkeit, mit seiner Gnade und Liebe, kommen die Saiten unserer Seele in Harmonie mit Ihm. Und wenn wir dann auch tun, was wir so gelernt haben, erfüllt sich die kostbare Verheissung: «der Gott des Friedens wird mit euch sein.»

Wir, die wir «Frieden mit Gott haben durch unseren Herrn Jesus Christus», wollen uns auf diese Weise auch ständig ausstrecken nach dem wunderbaren «Gott des Friedens», zu seinem Wohlgefallen und zum Genuss seines tiefen Friedens.